Konzertbericht: Ulver w/ Zweizz

01.04.2011 München, Backstage Halle

ulver 2011

ULVER sind nicht nur eine der Bands, die sich live wirklich rar macht, sondern darüber hinaus auch eine der Truppen, bei denen man sich eigentlich über garnichts mehr zu wundern braucht – sind die Auftritte doch zumeist relativ skurrile Events, die mehr einer Videoinstallation denn einem Konzert gleichen. So ist es fast schon verwunderlich, dass ein Großteil des Münchner Publikums zu diesem Event metaphorisch gesprochen „im Darkthrone-Shirt“ gekommen ist: Schwarz, wohin das Auge blickt, unleserliche Bandlogos auf T-Shirts – und das für ein Konzert, das, das sollte jedem im Vorhinein klar sein, ausser der Tatsache, dass ULVER vor fast 10 Jahren einmal zwei Black Metal-CDs veröffentlicht haben, mit dieser Stilrichtung Weniger nicht zu tun haben könnte.

Wenig überraschend ist deshalb, dass Ulver bereits mit der Wahl der Vorband klarmachen, dass sie nicht irgendeine x-beliebige Band sind – es muss aussergewöhnlich sein… Tod der Konvention!
Sein Positives hat das durchaus, ist das, was der Musiker, der unter dem Namen ZWEIZZ auftritt, präsentiert, doch schon alleine deshalb unanfechtbar, weil schlicht jeglicher Maßstab fehlt: Ich habe wirklich schon viel gesehen, doch an den Minimalismus, mit dem ZWEIZZ die Sache angeht, können selbst Sunn o))) nicht mithalten, mit der Skurrilität des Auftritts allenfalls Attila von Mayhem. Mit dem Rücken zum Publikum kniend kreiert ZWEIZZ noisigen Sound, indem er scheinbar planlos aus einem Haufen Effektgeräten einzele Herausgreift und miteinander verkabelt. Was dabei herauskommt, ist ein zugegebenermaßen extrem dichter Sound, der sich jedoch ob der Tatsache, dass gerne auch mal ein Brummen, das klingt, als wäre grade die komplette Technik über den Jordan gegangen, oder ein Ohrenbetäubendes Pfeiffen im Raum steht, nicht eben als angenehm bezeichnen lässt. Viel passiert dabei nicht, im Vergleich zu den Myspace-Songs wirkt das Dargebotene absolut primitiv und monoton… zurückzuführen vielleicht auf die Flasche Vodka, die der ZWEIZZ-Künstler Insiderangaben zu Folge vor der Show quasi im Alleingang vernichtet haben soll. Unterhaltsam ist diese Kreation allerhöchstens für noiseaffine Zen-Buddhisten. Groahhhh statt Ommmm, ihr versteht…

Unterhaltsam wird das Ganze Szenario dadurch, dass der Mastermind, stets mit dem Rücken zum Publikum, mit diesem lediglich durch eine auf der Bühne aufgestellte Kloschüssel, in der eine Kamera angebracht ist, kommuniziert: Neben einigen „Gesangs“-Einlagen, die deutlich darauf hinweisen, dass ZWEIZZ die Idee zu diesem Element wohl weniger am Schreibtisch, denn nach exzessiven Feierns vor dem Prozellantron kniend gekommen ist, beschränkt sich diese Kommunikation jedoch darauf, dass er bisweilen nachfragt, ob er wirklich nicht langweilt, um auf das höfliche Schweigen des leicht irritierten Publikums mit „Ok, dann mache ich weiter“ zu antworten und es wieder dröhnen zu lassen.
Soweit, so… naja, gut oder auch nicht. Seinen Höhepunkt erreicht der Auftritt jedoch eigentlich erst, als er quasi schon vorbei ist, und ZWEIZZ, man verzeihe mir den Kalauer, die Aftershow-Party auf die Bühne bringt: Er habe ja „wirklich nicht vor gehabt, heute seinen Arsch zu zeigen“, aber auf den Ausdrücklichen wunsch von ULVER-Sänger Garm werde er uns jetzt seinen Arsch zeigen. Gesagt, getan, und setzt sich mit heruntergelassener Hose auf die kamerabestückte Schüssel. Was folgt, ist eine kaum in Worte zu fassende kindliche Begeisterung seitens ZWEISS, mit der er seinen Anus in Großaufnahme begutachtet und Kontraktion und Relaxation des Schließmuskels erprobt.

Ohne weitere Worte beendet ZWEIZZ den Auftritt nach dieser Darbietung der etwas anderen Art und verlässt die Bühne… mancher Zuschauer mag sich wohl heute noch wünschen, ZWEIZZ hätte auch seinen Kopf wieder verlassen.

[Moritz Grütz]

ulver

Und dann ist es also Zeit für ULVER. Schon der Bühnenaufbau verspricht eine Konzerterfahrung die anders ist als alles, was man als vor sich hin lebender Metalfan bisher mitbekommen hat. Vollkommen konfus sind Mischpulte, Apple-Computer, das Keyboard und das Schlagzeug auf der Bühne aufgestellt, schon von vorneherein ist klar, dass das einzige Bandmitglied, das mit dem Publikum kommunizieren können wird, Bandkopf Kristoffer Rygg aka Trickster G. sein wird. Das Keyboard ist so ausgerichtet, dass Daniel O’Sullivan zum einen die anderen Instrumentalisten im Blick hat, zum anderen aber auch problemlos auf Bass oder Gitarre zeigen kann.
Insofern ergibt das schon alles Sinn, aber in Kombination mit der großen Leinwand im Hintergrund ist der Gesamteindruck dennoch sehr speziell. Und das ist bekanntlich ja auch die Musik ULVERs, die heute ausschließlich aus dem „Wars of the Roses“-Material bestehen soll, wobei ca. 34,2% der Gesamtlänge der Show, wie Daniel O’Sullivan es im Interview ausdrückte, durch Improvisation abgedeckt wird. Gestartet wird hierbei noch mit dem großen „February MMX“, im Folgenden wird von der Songreihenfolge des Albums gerne auch abgewichen. Von Anfang an überzeugt Trickster G. dabei mit glasklarem Gesang, der sich auch vor Falsett-Einlagen nicht scheut, vor allem aber extrem sicher Melodien intoniert. Melodien, die wohl beide Fangruppen, die anwesend sind, ein wenig vor den Kopf stoßen. Hörer, die ULVER wegen ihres Legendenstatus besuchen, dürften sich wundern, warum die Norweger Psychedelic Pop/Rock mit Ambienteinflüssen kredenzen. Hörer, die „Perdition City“ und „Blood Inside“ liebten, dürften sich wundern, warum diese Melodien so nachvollziehbar und handzahm geworden sind. Zu recht, der verstörende Charakter der Vorgänger-Alben („Shadows of the Sun“ gehört für mich nicht in die logische Weiterentwicklung ULVERs), er findet sich in dieser Show nicht wirklich wieder. Fragte man sich bei „Blood Inside“ oft noch verzweifelt „Warum?“, ist das „Wars of the Roses“-Äquivalent „Deswegen“. Schlecht ist dies allerdings keineswegs, die Melodien, die in einem Songs wie „September IV“ verbraten werden, müssen jeden Hörer versöhnlich stimmen, dass er nicht mehr am laufenden Band vor den Kopf gestoßen wird. Und gerade live wird die Musik eben hier und da noch erweitert durch Improvisationen, die ULVERs Wille zum Experiment (das auch „Wars of the Roses“) ist, wieder ins Gedächtnis rufen.
In ausufernden Soundscapes fühlt man sich gerne an alte Psychedelic-Helden a la Pink Floyd erinnert, und in diesen Momenten manifestiert sich auch, warum Trickster G. nach dem Bandnamen gefragt antwortete, dieser sei heutzutage treffender als je zuvor. Wenn jeder Musiker für sich, an seinem Instrument, zumeist mit starrem Blick auf den Bildschirm, ohne eine Miene zu verziehen vor seltsamen Projektionen auf dieser unübersichtlichen Bühne dem Improvisationsgedanken folgt, dann zeigen ULVER, dass sie tatsächlich einsame Wölfe sind im Sinne dessen, dass die Band als gesamtes wohl einzigartig und bemerkenswert ist wie keine andere, die jemals etwas mit Metal zu tun hatte und die auch weit über das Genre hinaus ihren ganz eigenen Anspruch kreieren konnte.

Das Publikum scheint zu dieser Erkenntnis heute nur begrenzt zu kommen, der Applaus fällt, rein an Lautstärke, Beteiligung und Dauer gemessen, insgesamt relativ gemäßigt aus. Selbstredend muss man sich aber fragen, wie viel Zuspruch überhaupt drinnen ist für ein Album, dass es bisher nur auf Tour und selbst da nur auf Schallplatte zu erwerben gab, das faktisch also annähernd niemand kannte, das zusätzlich aber ohnehin nicht gerade den Charakter hat, bärtige Metaller auf den Tischen tanzen zu lassen. Erst nach dem Zugabesong „Hallways of Always“ (es wäre interessant, ob und wenn ja wie spontan dieser performt wurde), entscheidet sich das Publikum, dass jetzt haltlos gejubelt werden muss. Angesichts des Drucks den der Beat des Songs live entwickelt kein Wunder. Die Wölfe freuen sich über den plötzlich erwachenden Enthusiasmus sehr und winken noch ein bisschen von der Galerie herunter, bevor um 22:30 dann auch schon Schicht im Schacht ist.

Mit der Performance an diesem Abend stellen sich ULVER in eine Reihe mit den experimentellen Rockbands der 60er und 70er. Eher für sich selbst als für das Publikum wird anhand von einigen vorhandenen, festen Abläufen durch Improvisation ein Gesamteindruck entwickelt, der mehr als die Summe seiner Komponenten ist. Anders ist das Ganze wohl primär deshalb, weil ULVER bis auf das Schlagzeug konventionelle Instrumente höchstens im Wechsel verwenden und Soundscapes und Elektronika doch einen großen Anteil am Sound haben.

Wer sich die Band wegen des amtlichen Eintrittspreises von 28 Euro (der angesichts DIESES Vorprogramms umso kurioser wirkt) entgehen hat lassen, kann nur hoffen, dass die Band nicht so schnell von ihrem Live-Trip herunterkommt und die Gelegenheit, egal zu welchem Preis, nutzen, die Band anzuschauen. Wer sowohl für bisweilen schräge Improvisationen als auch für geniale Melodien etwas übrig hat, ist hier bestens bedient wie sonst wahrscheinlich nirgendwo, wenn man sich mental nicht komplett vom Metal lösen mag.

[Marius Mutz]

Publiziert am von Marius Mutz und

Fotos von: Moritz Grütz

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