Es war ein kluger Schachzug, TWO STEPS FROM HELL auf das Wacken Open Air 2023 zu holen. Das Komponisten-Duo hat eine erstaunliche Anzahl an Songs, die nicht nur beiläufig an den Sound von Nightwish oder Within Temptation erinnern. So finden sich die beiden Meister der Epik auch auf ihrer zweiten Live-Tour in der großen Olympiahalle wieder, die, wenn auch hinten abgehängt, diesmal gut gefüllt ist mit augenscheinlich Neu-Fans im schwarzen Metal-Shirt, die sich unter das eh schon sehr bunte Publikum mischen. Dabei gibt es TWO STEPS FROM HELL bereits seit 2006, viele der Stücke sind weltbekannt, fanden sie doch Verwendung bei Trailern, Sport-Events, Werbung und anderen Ausstrahlungen, die auf epische, eingängige Melodien setzen. Nach dem großen Erfolg der Live-Shows von Hans Zimmer schien man sich hier wohl (zurecht) gedacht zu haben – warum nicht auch wir? Und so bringen die Komponisten Nick Phoenix und Thomas Bergersen ihre Musik mit Orchester, Chor und Solo-Musikern als fast dreistündiges Set auf die großen Bühnen dieser Welt – und brauchen sich dabei sicher nicht hinter Zimmer und Co. verstecken.
Das Konzert startet mit einem der bekanntesten Melodien von TWO STEPS FROM HELL: „Protectors of the Earth“. Das engagiert aufspielende Orchester stammt aus Odessa, Ukraine, und ist das gleiche, das in den letzten Jahren bereits Hans Zimmer live und Disney in Concert auf die Bühnen dieser Welt begleitet hat. Das Bühnenbild ist dabei etwas minimalistischer gehalten. Wie eine Orgel geformte Stäbe werden hinter den Musikern bunt beleuchtet und lassen manchmal schemenhaft Formen und Figuren erahnen. Am Bühnenrand passiert aber auch so genug: Mehrere Solo-Musiker in schwarzer, rockiger Kleidung spielen mit großen Gesten auf. Mariko Muranaka am Cello und Mia Asano an der Geige umrahmen dabei Rampensau Saulius Petreikis, der, leider teils kaum hörbar, verschiedenste Holzblasinstrumente spielt und dabei ganz offensichtlich gern im Mittelpunkt steht. Eine Eigenschaft, die man von den Stars des Abends, Bergersen und Phoenix, eigentlich eher erwartet hätte. Doch bis sie nach ihren jeweiligen ersten Musikblöcken mit Songs wie „Empire of Angels“ oder „Am I not human?“ das Wort ergreifen bleiben die Komponisten erstaunlich bescheiden im Hintergrund des Geschehens. Nach jeweils ein bis drei Stücken wechseln sich die beiden ab, um ihre jeweiligen eigenen Werke zu präsentieren und beispielsweise an der Gitarre oder dem Klavier selbst mitzuwirken. Dabei fällt auf, dass wohl Nick Phoenix eher der introvertierte Künstler ist, während Thomas Bergersen sichtlich Spaß am Rampenlicht hat und, wenn er die Gelegenheit ergreift, auch sehr gerne lacht und ausschweifend erzählt.
Da die Musik bis auf gesungene Silben weitestgehend ohne verständlichen Text auskommt und man nicht, wie bei ähnlichen Konzerten die sich auf Soundtracks konzentrieren, Filmbilder im Kopf hat, sind die Hintergrundinformationen der beiden Komponisten hilfreiche Leitfäden durch das dreistündige Soundbrett, das dieses epische Genre bei jedem Song von Neuem aufbaut. So erfahren wir von Phoenix, welche Rock-Bands ihn besonders geprägt haben, und von Bergersen, wie er schon in seiner Kindheit Musik im Kopf hatte und dann so lange geübt und gelernt hat, bis er sie umsetzen konnte. Mit „Away with your fairies“ kehrt er zurück in jene Zeit, denn er schrieb das Stück in seinem alten Kinderzimmer. Ein fröhliches, sorgenfreies Lied mit irischen Anklängen, bei dem es doch sehr wundert, wie wenig im Publikum mitgewippt wird – auch wenn nach dem Stück sofort Standing Ovations wie eine Welle durch die Sitzreihen wandern.
Für die gesungenen Parts haben TWO STEPS FROM HELL nicht nur einen Chor dabei (dessen weiblicher Teil ganze Choreos entwickelt hat, während die Männer steif herumstehen), sondern auch drei kraftvolle Solo-Sängerinnen, die mit engelsgleichen Stimmen fast wie beiläufig die teils sehr anspruchsvollen Passagen meistern und stellenweise sogar dazu tanzen. Für den Ruhepol der ersten Konzerthälfte, Bergersens „Love Suite“, haben sich die Front-Frauen noch in rote Kleider geschmissen. Für den der zweiten Hälfte, Bergersens „Remember me“, werden stattdessen die Handytaschenlampen gezückt. Wie immer in der heutigen Zeit trauert man beim Rundumblick der alten Zeit nach, als der Licht-Smog von Feuerzeugen und kleinen Lämpchen noch nicht die ganze Halle erhellt und damit die Atmosphäre ein wenig ruiniert hat. Aber das ist nur ein kleiner Wermutstropfen für eine ansonsten wunderschöne Performance.
Am Ende ist das dreistündige Konzerterlebnis doch kurzweiliger als ursprünglich befürchtet: Der sich oft wiederholende Aufbau der Musik von leise zu episch nutzt sich deutlich weniger ab als gedacht, und bei aller wiederkehrender Gänsehaut bleibt es überraschend abwechslungsreich. Problemlos kann man sich diese Musik und seine Präsentation auf weiteren Festivals vorstellen, auch wenn das aufgrund der Menge an Musikern wohl eher seltene, einzelne Erlebnisse bleiben werden. Für weitere Live-Touren sind die Weichen jedenfalls gestellt.