Zweimal musste der Termin geändert werden, im dritten Anlauf ist es soweit: Mit fünf aufstrebenden Black-Metal-Bands aus Österreich plus Szene-Größe TRIPTYKON aus der Schweiz feiert das TRANSCENDING VISIONS FEST im Grazer Orpheum seine Feuertaufe. Der Theaterbau mit extratiefer Bühne und beeindruckender Lichtanlage, nach hinten leicht ansteigendem Zuschauerraum und einer (heute allerdings gesperrten) Galerie stellt sich als wahrer Glücksgriff heraus. Die Location ist perfekt, um die lange Stille gleich mit einem besonderen Event zu beenden. Und auch das Timing stimmt, wie sich im nachhinein herausstellt: Zwei Tage später wurden die Bedingungen für Veranstaltungen in Österreich wieder verschärft.
Den Beginn machen um 15:00 Uhr die Wiener GATES OF SLEEP. Obwohl bereits 2014 gegründet, hat das Quartett um Anomalie-Livegitarrist A:P bislang nur eine EP (selbstbetitelt, 2016) veröffentlicht. Der Bekanntheitsgrad der Band hält sich entsprechend in Grenzen – das Interesse des Publikums am heutigen Auftritt als Opener zum Glück nicht. So dürfen sich GATES OF SLEEP nicht nur über wuchtigen Sound, sondern trotz der frühen Uhrzeit bereits über gut 120 Fans im Zuschauerraum freuen. Denen wird dann auch gleich eine der energiegeladensten Shows des Abends geboten. Mit ihrem wuchtigen Black Metal und atmosphärisch düsterer Gegenlichtinszenierung sorgen GATESOF SLEEP für einen mehr als gelungenen Auftakt des ersten Transcending Visions Fest.
Mit KARG geht es bereits früh am Tag namhaft weiter. Ohne Frage hat die Band um Sänger und Bassist J.J. enorm von dessen Doppelrolle als Bandkopf von KARG, aber eben auch Sänger von Harakiri For The Sky profitiert. Doch auch für sich genommen haben sich die Post-Black-Metaller in nunmehr 15 Jahren fest in der Szene etabliert und nicht nur in Österreich eine große Fanbase erarbeitet. Dass J.J. einmal mehr die Mühen einer Doppelshow mit beiden Bands auf sich nimmt, macht sich für KARG bezahlt. Der Zuschauerraum des Orpheum füllt sich rasch, als J.J. – im extravaganten lila Ulver-Shirt – und seine Mitstreiter loslegen. Mit 50 Minuten Spielzeit bekommen die Fans mehr als eine bloße „Vorband-Show“ geboten – zumal nicht nur die Leistung der Band stimmt, sondern auch sämtliche Rahmenbedingungen passen. Wie schon bei Gates Of Sleep ist der Sound überdurchschnittlich gut, und dank des geschickten Einsatzes der opulenten Lichtanlage im Orpheum stimmt auch die Atmosphäre von der ersten bis zur letzten Minute. Einzig die Setlist ist etwas enttäuschend – denn was als „15th Anniversary Show“ angekündigt war, entpuppt sich als das Standard-Set aus fünf Songs der letzte drei Alben, mit dem KARG bereits seit 2020 auf der Bühne zu sehen sind. Die Fans zeigen sich trotzdem zufriedengestellt und verabschieden KARG mit kräftigem Applaus.
- Alaska
- La Tristesse Durera Toujours
- Alles wird in Flammen stehen
- Petrichor
- Tod, Wo Bleibt Dein Frieden?
Mit ANOMALIE folgt das nächste zur Band herangewachsene Harakiri-For-The-Sky-Sideproject – diesmal von Gitarrist Marrok. Auch sie nutzen das Transcending Visions Fest für eine Special-Show. Gefeiert werden zugleich Vergangenheit und Zukunft der Band – zehn Jahre Bandbestehen und das neue Album. Im Set ist vor allem zweiteres abgebildet: An der dritten Gitarre unterstützt von M.S. von HFTS (der damit heute ebenfalls eine Doppelschicht absolviert) präsentiert Marrok vier neue Stücke von „Tranceformation“, das am 26. November erscheinen wird. Genau darin liegt vielleicht das Problem der Show: Bis auf die Single „Trance II: Relics“ kennen die Fans noch keinen dieser Songs. Doch diese scheinen stilistisch deutlich anders ausgerichtet zu sein als das bisherige Material der Band. Screams haben in den eher mystisch bis esoterisch angehauchten, überlangen Stücken keinen Platz mehr, stattdessen gibt es fast durchweg klaren oder bestenfalls angerauten Gesang zu hören. In Kombination mit dem unglücklichen Umstand, dass die Szenerie wegen eines technischen Defekts am Lichtpult fast durchweg in düsteres Rot getunkt ist, erfüllt die Darbietung wohl nicht ganz die Erwartungen, mit denen viele Fans an den Auftritt herangegangen sind. So manchen Zuhörer bekommen Marrok und Konsorten in den 60 Minuten zwar überzeugt – insgesamt erweist sich eine Release-Show vielen mit dem Publikum noch gänzlich unbekannten Songs jedoch einmal mehr als schwieriges Unterfangen.
- Trance I: The Tree
- Temples
- Vision IV: Illumination
- Trance II: Relics
- Vision I: Towards The Sun
- Aurora
- Trance III: Alive
- Rebirth
- Trance VI: Eternal Burden
Was Anomalie an Licht zu wenig haben, haben ELLENDE im Anschluss zu viel. Mitunter in einen ganzen Regenbogen getaucht, wirkt der sonst eher morbide bis true inszenierte Black Metal von Mastermind L.G. in Corpsepaint, Knochenharnisch und Lederkluft heute nicht ganz so düster. Die Truppe lässt sich davon jedoch keine Sekunde verunsichern – zumal auch ELLENDE heute zehn Jahre Bandbestehen (sowie ihre in der Pandemie veröffentlichte EP „Triebe“) zelebrieren – und das auch noch in ihrer Heimatstadt. Anders als die Lichtshow spielt der Sound der Band voll in die Karten. Während L.G. mal in abgeklärter Gaahl-Manier die Bühne abschreitet, mal energiegeladen aus sich herausgeht, kommen die Songs mit bestechender Brillanz aus den Boxen. Dass L.G. sich am Ende der Show für Black Metal fast etwas zu lieb beim begeisterten Publikum bedankt, rundet das heutige farbenfrohe Bild irgendwie gelungen ab: Hier haben Band wie Fans rund eine Stunde lang ihren Spaß gehabt – da muss man auch nicht immer einen auf extraböse machen.
- Intro
- Augenblick
- Ballade auf den Tod
- Der Blick wird leer
- Weltennacht
- Ein Stück Verzweiflung
- Atemzug
- Der letzte Marsch
- Zwischen Sommer und Herbst
Gar nicht erst den Anspruch, irgendwie „böse“ zu sein, erheben HARAKIRI FOR THE SKY. Corpsepaint oder andere „true“ Insignien sucht man bei den Post-Black-Metallern seit jeher vergeblich. Vier schwarze Holzsäulen, aus denen die Buchstaben H, F, T und S herausleuchten, fungieren als stilvoll-puristische Bühnendeko – und auch die Lichtshow ist wieder sehr reduziert, um nicht zu sagen: arg dunkel. Während die Show also an optischen Reizen eher geizt, bleiben mit abermals 60 Minuten Show bei erneut hervorragendem Sound musikalisch keine Wünsche offen. Mit je einem Song von „Aokigahara“ (2014) und „III: Trauma“ (2016), zwei Songs von „Arson“ (2018) sowie zwei eignen „Mære“-Stücken und dem ebenfalls auf diesem Album befindlichen Placebo-Cover „Song To Say Goodbye“ als Set-Abschluss geben die Österreicher einen schönen Überblick über ihre nun ebenfalls zehnjährige Bandgeschichte. Dass die ausgedehnt und oft stark repetitiv konstruierten Songs von Gitarrist und Bandleader M.S. ihr Längen haben können, erweist sich live einmal mehr als viel weniger gewichtig. Vielmehr gelingt es HARAKIRI FOR THE SKY auch heute, ihr Publikum mitunter fast in Trance zu spielen. Dass es im Zuschauerraum nun so voll ist wie vorher nicht (und auch danach nicht mehr) untermauert zudem einmal mehr, wie weit es die Band in einer Dekade durch unermüdliche Arbeit gebracht hat: Nicht nur Österreich, aber natürlich vor allem dort haben die Post-Black-Metaller längst vollwertigen Headliner-Status.
- Sing For The Damage We’ve Done
- Stillborn
- Burning From Both Ends
- Us Against December Skies
- Fire Walk With Me
- Thanatos
- Song To Say Goodbye (Placebo-Cover)
Dennoch bekommt das Transcending Visions Fest 2021 noch das Sahnehäubchen eines internationalen Headliners aufgesetzt: Niemand geringeres als Tom „Warrior“ Fischers TRIPTYKON bilden um 22:00 Uhr den krönenden Abschluss des heutigen Tages. Obschon die Death-Doom-lastigen TRIPTYON stilistisch nicht ganz ins eher (post-)black-metallene Billing zu passen scheinen und das Publikum um 22:00 Uhr bereits seit sieben Stunden im Orpheum steht, mobilisiert die Nachfolgeband der legendären Celtic Frost nochmal alle Energiereserven – insbesondere bei einem nicht eben kleinen Teil an Besuchern, die ihr Ticket explizit für diese Show erworben zu haben scheint. Die Begeisterung, die TRIPTYKON entgegenschlägt, ist also nicht weiter verwunderlich – zumal es sich nicht nur um die erste Show der Band seit 25 Monaten, sondern zugleich den ersten Auftritt von Tom Warrior in Graz überhaupt handelt.
Dass die Band so lange nicht zusammen auf der Bühne gestanden hat, macht sich indessen allenfalls positiv bemerkbar: Von mangelnder Routine ist bei dem Quartett nichts zu spüren – dafür liegt eine fast kindliche Freude am gemeinsamen Musizieren in der Luft. Kein Wunder, bietet die Setlist doch auch ein Highlight nach dem anderen: Bereits mit dem Celtic-Frost-Cover „Procreation (Of The Wicket)“ als wuchtigem Opener setzen TRIPTYKON ein Zeichen – doch auch die insgesamt fünf Songs von „Eparistera Daimones“ und „Melana Chasmata“ scheinen Band wie Publikum heute besonders Spaß zu machen: Während Fischer, V. Santura und Vanja Šlajh immer wieder ein zufriedenes Grinsen übers Gesicht huscht, verleihen die Fans ihre Begeisterung mit euphorischem Jubel und sogar ein paar kurzen Moshpit-Avancen Ausdruck. Dass TRIPTYKON beim Publikum nach fünf Bands und mehr oder minder durchgehender Beschallung seit 15:00 Uhr noch so viel Energie freisetzen, sagt alles über Musik und Show der Schweizer.
- Totengott (Intro)
- Procreation (Of The Wicked)
- Goetia
- Circle Of The Tyrants
- Altar Of Deceit
- Abyss Within My Soul
- Tree Of Suffocating Souls
- The Prolonging
Mit dem ersten TRANSCENDING VISIONS FEST setzen die Veranstalter – wenn auch pandemiebedingt später als ursprünglich geplant – gleich eine Duftmarke: Der Mix aus der Elite des österreichischen (Post) Black Metal und einem Headliner von internationalem Rang und Namen macht als Billing für eine erste Ausgabe bereits ordentlich was her. Dass mit dem Orpheum zudem die perfekte Location gefunden wurde und die Tontechniker an diesem Abend ganze Arbeit leisten, rundet das TRANSCENDING VISIONS FEST 2021 stimmig ab.
Für 2022 gibt es übrigens bereits einen Termin – genauergesagt zwei. Denn bereits in seiner zweiten Auflage expandiert das TRANSCENDING VISIONS FEST zum Zwei-Tages-Festival: Am 21. Oktober 2022 wird dann das Explosiv, an 22. Oktober dann das Orpheum bespielt. Ein Foodtruck für die Stärkung zwischendurch wird bei einem noch umfangreicheren Programm wohl unerlässlich – ansonsten bitte einfach so weitermachen!