In der Regel wird für eine Tour ein Headliner mit diversen Vorbands als „Füllmaterial“ kombiniert. Umso schöner ist es, wenn es doch einmal passiert, dass mehrere legendäre Bands gemeinsam auf der Bühne stehen. Ein Beispiel hierfür: das TOGETHERFEST. Angeführt von den GORILLA BISCUITS geben sich mit MODERN LIFE IS WAR, TOUCHÉ AMORÉ weitere wegweisende und aktuelle Hardcorebands die Klinke in die Hand. Dazu kommen mit und MILES AWAY und GWLT noch zwei Support-Acts. Dass bei diesem Hardcore-Familientreffen in München die linke Hälfte des Backstage Werks abgehängt ist, überrascht – dass bei Konzertbeginn um 18.30 erst einige wenige Menschen in der Halle verstreut sind, aufgrund des Donnerstags-Termins weniger.
Nach einem (zu lang geratenen) Intro aus Rapklassikern betreten GWLT als erste Band die Bühne und präsentieren erst einmal einen Hip-Hop-Track – leichter nachvollziehbar, wenn man weiß, dass sich Fronter David Moyonga unter dem Pseudonym Roger Reklesse bereits in der Rap-Szene einen Namen gemacht hat. Der Sound lässt jedoch zu Wünschen übrig: Der Gesang viel zu laut, die Beats viel zu leise und alles zusammen schwammig abgemischt. Nach knapp zwei Minuten greifen die Musiker dann zu ihren Instrumenten und starten in einen wahrlich schlimmen Einstieg in den Konzertabend: Der Wunsch, den Crossover der 90er ins Jahr 2016 zu hieven, geht im Falle der Münchner gewaltig schief. David klingt wie eine schlechte Version von Samy Deluxe, was wohl daran liegt, dass er – anders als bei seinen Rapsongs – versucht, möglichst tief zu klingen, die Band spielt generischen Hardcore, der quasi nie mit einprägsamen Riffs aufwarten kann, und Bühnenpräsenz ist quasi nicht vorhanden. Dass David seine gut gemeinten politischen Ansagen dann so vorträgt, als würde er sie von einem Teleprompter ablesen, trägt nicht zur Verbesserung des Auftritts bei. Nach dreißig sehr langen und eintönigen Minuten, die dazu noch von einem recht breiigen Sound bestimmt werden verlassen GWLT schließlich die Bühne. Zwar klatscht das Publikum artig Beifall, für ein Heimspiel ist die Reaktion jedoch recht mau.
Anschließend wird es deutlich voller vor der Bühne und nach einer kurzen Umbauzeit versuchen MILES AWAY ihr Glück. Die Band aus Australien war seit sechs Jahren nicht mehr in München zu Gast und präsentiert ihren klassischen East-Coast-Sound, der stellenweise an Bands wie Comeback Kid erinnert, schon deutlich energiegeladener als zuvor GWLT, und auch musikalisch passen MILES AWAY deutlich besser ins heutige Line Up. Das, was die Australier tun, machen sie ziemlich souverän, wenn auch nicht sonderlich eigenständig – im Laufe des halbstündigen Sets bahnen sich allerdings immer mehr Melodien ihren Weg in die Songs, was dem treibenden Hardcore gut zu Gesicht steht. Zwar singen die ersten Fans lautstark mit, wirklich Bewegung ist aber – das kollektive Kopfnicken im nun allmählich voller werdenden Backstage einmal außen vor gelassen – noch nicht festzustellen. Auch der Sound wird nun immer klarer und druckvoller, was den Auftritt von MILES AWAY insgesamt sehr solide werden lässt.
Dass es in der folgenden Umbaupause deutlich voller vor der Bühne wird, verwundert aufgrund der treuen und starken Fanbase von TOUCHÉ AMORÉ nicht – kaum eine Hardcore-Band erfährt derzeit so viel Aufmerksamkeit und Kritikerlob wie die Kalifornier. Nach einer wiederum kurz gehaltenen Umbaupause erlischt das Licht pünktlich zur Prime Time um 20 Uhr und die Band brennt von der ersten Sekunde ein unglaubliches Feuerwerk ab. Mit minimalen Pausen, die häufig mit atmosphärischen Samples gefüllt sind und kurze Ruhepole zwischen den energetischen, kurzen Songs darstellen, spielen TOUCHÉ AMORÉ ein Greatest-Hit-Set aus ihren bisherigen drei Alben, sparen aber auch nicht ihre Split-Single mit Pianos Become The Teeth aus. Bei „Always Running Never Looking Back“ kommt schließlich auch Jeffrey Eaton von Modern Life Is War auf die Bühne und singt, wie auch auf der Studioversion seinen Part live. Das Publikum geht steil, die Fans stapeln sich regelrecht vor der Bühne, während auch weiter hinten wild getanzt wird. Die Ankündigung, dass TOUCHÉ AMORÉ eben erst ihr neues Album eingespielt haben, das noch 2016 erscheinen soll sorgt, wie auch der brandneue Song „New Halloween“, für großen Jubel. Mit „~“ und „Honest Sleep“ sorgen die Kalifornier schließlich für einen wuchtigen Ausstand, währenddessen Fronter Jeremy Song sogar noch kurz einen Abstecher ins Publikum unternimmt. Fazit: TOUCHÉ AMORÉ liefern wie gewohnt 35 Minuten geballte Energie – genau so muss (melodischer) Hardcore sein.
Allmählich ist das gesamte Backstage Werk sehr gut gefüllt und die Vorfreude auf MODERN LIFE IS WAR, die zum ersten Mal seit ihrer Reunion wieder in München spielen, ist greifbar. Eine weitere knappe Umbaupause, und der Fünfer aus Marshalltown, Iowa betritt um kurz vor 21 Uhr die komplett in rotes Licht getauchte Bühne. Mit „Fuck The Sex Pistols“ steigt die Band kompakt in ihr Set ein, um bereits direkt danach mit „The Outsiders“ für einen mehr als amtlichen Mosh Pit vor der Bühne zu sorgen. Auch auf der Bühne sind jetzt regelmäßig Fans zu sehen, die anschließend mit teilweise nahezu selbstmörderischen Sprüngen ins Publikum zurückkehren – auf eine Barrikade vor der Bühne wurde, ganz hardcore-typisch, heute verzichtet – ein Novum im Backstage Werk. MODERN LIFE IS WAR wissen mit unglaublich viel Wucht, Aggression und einem mächtigen Sound absolut zu begeistern, sei es der verschleppte Hardcore von „Chasing My Tail“ oder der melodische, nach vorne preschende Punk von „D.E.A.D.R.A.M.O.N.E.S.“ Das aktuelle Album „Fever Hunting“ wird lediglich mit einer Handvoll Songs bedacht, dafür besteht das Set – wie schon bei Touché Amoré – aus Hits aller vier Studioalben. Mit satten 45 Minuten spielt die Band sogar deutlich länger als die drei vorangehenden Gruppen – Langeweile kommt dabei jedoch zu keiner Sekunde auf. Der tosende Applaus, mit dem die Band schließlich verbschiedet wird, sowie die ehrliche Begeisterung von Sänger Jeffrey lassen darauf hoffen, dass MODERN LIFE IS WAR nicht das letzte Mal in München zu Gast waren.
Wie es sich für eine wahre Legende gehört, lassen sich die GORILLA BISCUITS bei ihrer Umbaupause etwas mehr Zeit – wobei das nur halb der Wahrheit entspricht: Das Wesentliche ist nach einigen Minuten getan, es dauert trotzdem bis kurz nach 22 Uhr, bis das Licht an diesem Abend zum letzten Mal erlischt. Anstatt das Intro ihres 1989 erschienenen Albums „Start Today“ von Band zu spielen, lassen es sich die fünf Musiker aus New York City nicht nehmen, für die Fanfare einen leibhaftigen Trompeter auf die Bühne zu stellen. Es folgt kurzes Riff von Gitarrist Walter Schreifels und noch bevor Sänger Anthony „Civ“ Civarelli auf die Bühne stürmt, ist diese zu den ersten Tönen von „New Direction“ bereits Tummeplatz etlicher Stagediver. Die Band nimmts gelassen, Civ macht immer wieder einige Späße mit dem Publikum, lässt es sich aber auch nicht nehmen, ernste Themen anzusprechen und die Positive Mental Attitude, die die GORILLA BISCUITS bestimmt, zu zelebrieren. Als ein Stagediver ziemlich unsanft auf einigen Stufen landet, bietet Cic ihm sogar an, Backstage zu gehen und sich ein kühles Bier zu nehmen. Große Überraschungen im Set lässt der sehr überschaubare Backkatalog der Melodic-Hardcore-Legende aus New York nicht zu. Dass zudem ein CIV-Song sowie das Buzzcocks-Cover „Sitting Round At Home“ ihren Weg ins Set finden, passt jedoch musikalisch hervorragend zu diesem Abend. Am Ende beschließt „Start Today“, bei dem Walter Schreifels wie auf dem Album kurz zur Mundharmonika greift, ein Set, das zwar insgesamt wenig Abwechslung bietet, in seiner Kurzweiligkeit und dem puren Spaß, den die GORILLA BISCUITS auf der Bühne haben, aber dennoch begeistern kann und zeigt, dass die Band ihren Legendenstatus zu recht genießt.
Das Togetherfest ist ein voller Erfolg, bringt einige legendäre und aktuelle Bands aus der Hardcore-Szene zusammen auf die Bühne und zeigt das Familienideal dieses Genres beeindruckend auf – kein Wunder also, dass trotz Donnerstagstermin reichlich Fans im Werk zusammenkommen. Auch wenn GWLT als Opener enttäuschen und MILES AWAY „nur“ sehr solide Kost anzubieten haben, können TOUCHÉ AMORÉ, MODERN LIFE IS WAR und die GORILLA BISCUITS zeigen, dass Hardcore alles andere als eine einseitige oder überlebte Szene ist.