Konzertbericht: Thy Art Is Murder w/ Carnifex, Fit For An Autopsy, Rivers Of Nihil & I Am

08.02.2020 München, Backstage (Werk)


Würde man einen beliebigen Deathcore-Fan nach fünf beliebigen Bands fragen, die zusammen auf Tour gehen sollen, dann wäre die Wahrscheinlichkeit sehr hoch, dass mehrere aus dem Line-Up der Tour zu THY ART IS MURDERs neuem Album „Human Target“ genannt werden. Denn neben der wohl meistgefeierten Band des Genres reihen sich die Szenegrößen CARNIFEX und FIT FOR AN AUTOPSY sowie die Tech-Deather RIVERS OF NIHIL und die Newcomer I AM im Billing ein. So sollte es niemanden wundern, dass viele Shows der Tour schon frühzeitig ausverkauft waren – so auch die am heutigen Abend im Münchner Backstage. Beste Voraussetzungen also für ein regelrechtes Death-Metal-Massaker, das pünktlich um 18:30 beginnt.


Mit I AM erlebt das Publikum zudem eine Premiere: Zum ersten Mal sind die fünf Amerikaner in Europa auf Tour und somit auch das erste Mal in der bayrischen Landeshauptstadt. Obwohl die Truppe dem Großteil des Publikums noch unbekannt ist, hat sich eine ordentliche Schar an Zuschauern schon frühzeitig vor der Bühne versammelt. Die Band dankt es ihnen mit wuchtigen Riffs der Marke The Acacia Strain, markerschütternden Growls und stampfenden Rhythmen. Frontmann Andrew Hileman zeigt sich dabei äußerst bewegungsfreudig und auch seinen Aufforderungen nach dem ersten Circle Pit des Abends wird, zumindest von ein paar wenigen, nachgekommen. Dank des perfekt ausbalancierten Sounds drücken die tiefen, oft langsamen Riffs mächtig aus den Boxen und wälzen die vorderen Reihen platt. Obwohl die Musik stellenweise sehr gleichförmig und somit für die junge Band noch Luft nach oben ist, können die Texaner mit ihrem Live-Set voll und ganz überzeugen.

  1. Texas Death
  2. Paid In Sin
  3. Sacred Cries
  4. Burn Slow
  5. Hard 2 Kill
  6. Peel Back The Skin
  7. Grindstone


Nach einer Viertelstunde folgen schon RIVERS OF NIHIL. Im Gegensatz zur Headliner-Tour im Herbst letzten Jahres zwar ohne Live-Saxophon, jedoch kein Stück weniger spielfreudig. Der drückende Sound des Openers weicht den schnellen, technischen Riffs der Jungs aus Pennsylvania, was auch beim Publikum noch besser anzukommen scheint. Sänger Jake Dieffenbach, der gekleidet in einen Shaolin-Umhang eine ganz eigene Präsenz ausstrahlt, ist dabei mindestens genauso beeindruckend wie die Mannen an der Saitenfront. Während die Gitarristen mit mechanischer Genauigkeit die Melodien und Riffs präsentieren, glänzt Dieffenbach mit der wohl vielseitigsten Vocal-Performance des Abends – solch ein Organ wünscht sich doch eigentlich jeder Metal-Sänger. Neben der Band glänzt allerdings auch der Kerl/die Frau hinterm Mischpult: Der Wechsel vom drückenden Sound I Ams hin zu einem wunderbar differenzierten Soundbild, bei dem jedes Solo und Riff perfekt zur Geltung kommt, gelingt einwandfrei. Auch die Lichtshow verleiht der Show eine tolle Atmosphäre: Während die Strahler von der Bühne ins Publikum leuchten, agiert die Band selbst meist im Dunkeln. Mit der leider nur aus fünf Songs bestehenden Setlist präsentieren RIVERS OF NIHIL großteils ihr hochgelobtes Album „Where Owls Know My Name“. Einzig mit „Soil & Seed“ als letztes Stück werden auch die Fans der ersten Stunde noch belohnt.

  1. The Silent Life
  2. Old Nothing
  3. A Home
  4. Death Is Real
  5. Soil & Seed


FIT FOR AN AUTOPSY
können auf zwei Arten beeindrucken: Erstens mit dem 13 Jahre alten Bart von Gitarrist Tim Howley und zweitens mit ihrer schlichtweg grandiosen Musik. Das Live-Quintett (Songwriter und Gitarrist Will Putney tourt nicht mehr mit der Band) eröffnet mit dem Titeltrack „The Sea Of Tragic Beasts“ ihrer aktuellen Platte. Dass ihnen mit diesem Album endgültig der Durchbruch gelungen ist, beweisen nicht nur die unzähligen Bandshirts im Publikum, sondern auch der massive Pit, der mit dem ersten Ton ausbricht. Darüber hinaus zeigt sich das Publikum auch äußerst textsicher: Als zu „Hydra“ gefühlt die gesamte Fläche vor der Bühne die zum Breakdown führende Zeile („Cause when you cut off the head fucking two grow back“) mitschreit, ist die Freude in den Gesichtern der Band regelrecht zu sehen. Dass mit dem Sound am heutigen Abend bei allen Bands einfach alles stimmt, verleiht FIT FOR AN AUTOPSYs Auftritt zusätzliche Energie, die die Bewegung im Publikum und das Geschehen auf der Bühne noch beeindruckender wirken lässt. Ein kleiner Wermutstropfen ist auch hier nur die viel zu kurze Setlist: Diese beinhaltet gerade einmal sechs Songs – ein wenig mehr hätte es wie bei Rivers Of Nihil gerne sein können. Frontsau Joe Badolato verabschiedet sich mit den Worten „This was the best show of the tour, thank you“ und tatsächlich nimmt man ihm das sogar ab – denn da hat heute einfach alles gepasst.

  1. The Sea Of Tragic Beasts
  2. Warfare
  3. Mirrors
  4. Hydra
  5. Heads Will Hang
  6. Black Mammoth


Bevor der Headliner seinen Deathcore-Thron verteidigen darf, stehen nun noch CARNIFEX an. Obwohl die Blackened-Deathcore-Kapelle erst 2005 gegründet wurde, sind sie die Veteranen des heutigen Abends. Die 15 Jahre Bühnenerfahrung merkt man ihnen definitiv auch an: Mit spielerischer Leichtigkeit gelingt es den Mannen aus San Diego, das Publikum für sich zu gewinnen. So ist Scott Lewis schlichtweg ein äußerst charismatischer Frontmann, während man von Gitarrist Cory Arford noch viel lernen kann, was präzises Gitarrenspiel und gleichzeitiges Headbanging angeht. In Kombination mit dem abermals fetten Sound kommen gerade die viel zu oft untergehenden symphonischen Parts toll zur Geltung und fügen dem Auftritt CARNIFEX‘ eine Facette hinzu, die in der Vergangenheit oft gefehlt hat. Ob im Pit oder in den hinteren Reihen beim Haare schütteln, still stehen lässt der Auftritt heute niemanden. Als Lewis zu seiner ikonischen Ansprache zum letzten Song des Sets ansetzt, weiß jeder Anwesende, dass es Zeit ist komplett auszurasten: „I didn’t choose hell – Hell Chose Me“! Mit dem letzten Ton der Bandhymne räumen die Amis die Bühne und machen Platz für Thy Art Is Murder – und mit dem vierten fetten Auftritt des Abends haben sie es dem Headliner wahrlich nicht leicht gemacht, da noch einen draufzusetzen.

  1. World War X
  2. Slow Death
  3. Hatred And Slaughter
  4. Drown Me In Blood
  5. Die Without Hope
  6. Lie To My Face
  7. Hell Chose Me


Doch die Shooting Stars der Szene wären nicht THY ART IS MURDER, wenn sie das nicht noch mehr anspornen würde. Denn was in den anstehenden 70 Minuten auf die Fans zukommen sollte, ist nichts anderes als eine Demonstration, wie eine moderne Death-Metal-Band klingen muss. Klar, die Australier waren und sind musikalisch nicht die innovativsten, doch entwickelt sich um CJ McMahon und seine Jungs stets eine ganz eigene Aura, sobald sie die Bühne betreten. So auch am heutigen Abend, an dem sie mit „Death Squad Anthem“ und „Make America Hate Again“ gleich zum Rundumschlag gegen Klimaleugner und einen ganz bestimmten amerikanischen Präsidenten ausholen. Die explosive Mischung aus politischer Message und straightem Death Metal ist zudem das perfekte Rezept für einen ausgelassenen Pit: Hier und heute können alle ihren Frust quasi aus sich rausprügeln. Trotz aller Aggression muss man dem Publikum an dieser Stelle auch ein Lob aussprechen. So ist der Pit zwar äußerst hart und nichts für Gebrechliche, jedoch bleiben die Füße jederzeit unter der Gürtellinie und niemand verliert die Kontrolle über seine Armbewegungen. Sehr zur Freude des gut aufgelegten McMahons, der im weniger ernst zu nehmenden Leo-Hemd in seinen Ansprachen eine gute Mischung aus Dankbarkeit, Humor und Gesellschaftskritik findet. Noch besser ist allerdings die Mischung der Setlist: Neben Klassikern wie „The Purest Strain Of Hate“ oder „Holy Hell“ finden sich mit „Eternal Suffering“ und der überraschenden Zugabe „Chemical Christ“ auch zwei Songs des neuesten Outputs „Human Target“, die man nicht zwingend erwartet hätte. Abgerundet wird das Ganze mit einem tollen Bühnenbild. Auf zwei LED-Bildschirmen laufen auf jeden Song toll abgestimmte Clips mit, die dezent genug eingesetzt sind, um nicht abzulenken und einprägend genug, um ihre Wirkung zu entfalten. So gelingt es THY ART IS MURDER mindestens, das Niveau der vier Supports zu halten und beenden um Punkt 23 Uhr einen famosen Abend im Zeichen des modernen Death Metals.

  1. Death Squad Anthem
  2. Make America Hate Again
  3. The Purest Strain Of Hate
  4. Human Target
  5. Eternal Suffering
  6. Dear Desolation
  7. Fur And Claw
  8. Holy War
  9. New Gods
  10. The Son Of Misery
  11. Puppet Master
  12. Reign Of Darkness
  13. Chemical Christ

Das Line-Up der „Human-Target“-Tour hält voll und ganz, was es verspricht. Fünf bestens aufgelegte Bands und ein Soundmann, dem heute alles gelingt, sorgen für einen Konzertabend, den man nicht mehr so schnell vergessen wird. So ist es zwar noch früh im neuen Jahr, doch ist es nicht überspitzt zu sagen, dass dieses Package für wohl eines der besten Konzerte in 2020 gesorgt haben wird. Der einzige Kritikpunkt bleibt dabei die zu kurze Stagetime von RIVERS OF NIHIL und FIT FOR AN AUTOPSY – den Abend eine halbe Stunde früher zu beginnen und beiden Bands somit weitere 15 Minuten zu schenken, wäre allemal drin gewesen. Nichtsdestotrotz ist dies Meckern auf hohem Niveau. Denn was bleibt, ist der Beweis, dass man sich um die Zukunft des Death Metals und Deathcores definitiv keine Sorgen machen muss.

Publiziert am von Silas Dietrich

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