2023 pausierte das TANZT! erneut. Dieses Mal nicht coronabedingt, sondern aus organisatorischen Gründen. In Anbetracht des starken Vorverkaufs 2024 und eines letztendlich ausverkauften Festivals im Nachhinein vielleicht eine wohltuende Auszeit.
Nachdem sie vor zwei Jahren kurzfristig kranksheitbedingt ausfielen, können BRACHMOND ihren Opener-Slot beim Tanzt! 2024 spielen. Die Musiker arbeiten derzeit an neuem Material, das kommendes Jahr in einem weiteren Album münden soll. Mit ersten Songs macht die Combo bereits jetzt ordentlich Werbung für das anstehende Release. Der gesamte Aufritt leidet allerdings unter den technischen Umständen und besonders dem Mix: Der Sound ist indiskustabel bzw. nicht vorhanden, vor allem bei den Melodieninstrumenten wie der Geige, so dass es im Backstage nur noch dröhnt und scheppert. Gleichzeitig wird die Stimme von Sängerin Steffi viel zu exponiert, so dass die einzelnen Songs und die Texte kaum mehr die Aufmerksamkeit finden, die sie vielleicht verdienen.
Von Bühnenrost ist bei CUMULO NIMBUS nichts zu spüren: Zwar ist es in den letzten Jahren ruhig um die Folker geworden, doch das bedeutet keinesfalls, dass Songs wie „Totensonntag“ oder „Wirtshaus“ etwas von ihrer Qualität verloren haben – vor allem wenn sie so spielfreudig und teils mehrstimmig präsentiert werden. Sängerin Binia schlägt sich trotz Erkältung tapfer und insgesamt erreichen die Süddeutschen ihr Publikum auch durch viel Interaktion bzw. Animation. Mit „Cumulu Virus“ als alternativem Bandnamen beweisen sie noch dazu eine gewisse Selbstironie. Obendrein stimmt bei den Veteranen auch der Sound, so dass die Menge vor der Bühne stetig wächst und CUMULO NIMBUS am Ende mehr als nur ordentlich bejubelt werden.
Vor dem Auftritt von VOGELFREY legt die Technik wieder eine Pause ein: Aus diesem Grund müssen Jannik und Co. ohne ihre Samples auskommen und mit weiteren Abstrichen leben. Glücklicherweise sind die Musiker so bühnenerfahren, dass sie auch gegen die widrigen Umstände erfolgreich anspielen, selbst wenn einige Facetten ihres Klangbilds verlorengehen und sie noch dazu mit Ersatzschlagzeuger antreten müssen. „Galgenvogel“ und „Abschaum“ legen zu Beginn den Grundstein für gelungenen Folk-Rock, der am Ende mit „Magst du Mittelalter?“, „Mittelalter Rockstar“ und „Nicht A“ in mit den drei stärksten Kompositionen der Nordlichter mündet. Dass sich zweiterer schamlos bei AC/DCs „Thunderstruck“ bedient, geht dank des Augenzwinkerns im Text völlig in Ordnung. Bei VOGELFREY ist es darüber hinaus immer wieder schön zu sehen, dass die Band musikalisch wie optisch einem Konzept folgt.
Mit IRDORATH nimmt das Tanzt! eine gänzlich andere musikalische Abzweigung: Nach mehreren Jahren in Gefangenschaft haben die Musiker aus Belarus, u.a. dank tatkräftiger Unterstützung aus der Szene, inzwischen in Berlin Fuß gefasst und arbeiten dort an ihrer Musik bzw. ihrem weiteren Weg. Dieser ist dank E-Cello und Didgeridoo allein von der Instrumentierung anders als vieles aus der Folk- und Mittelalterszene. In der Essenz erinnern IRDORATH, u.a. mit „Vaukalak“ und „Zorami“, am ehesten an Pagan-Folk und könnten damit eine Nische besetzen, die besonders nach dem Abschied von Omnia bis dato frei geblieben ist. Voller Euphorie kündigen IRDORATH im Laufe ihres Aufritts eine eigene Europa-Tour für das kommende Jahr an. Das könnte für die Band noch zu früh kommen. Im Vorprogramm von größeren Acts wie HEILUNG oder FAUN wäre die Formation vermutlich besser aufgehoben. Abgesehen davon bringen Vladimir and Nadezhda, fernab ihres persönlichen Schicksals, vieles mit, um musikalisch eigenständig erfolgreich werden zu können.
2019 spielten FOLKSTONE eine ihrer letzten Shows auf dem Tanzt! Nun sind die Italiener zurück, noch dazu fast in Originalbesetzung und mit einigen neuen Songs. Ein weiterer Zwischenstopp bei ihrem „deutschen Heimspiel“ ist demnach nur folgerichtig: Und wer bei den letzten München-Shows der Band seinen Spaß hatte, der kommt auch dieses Mal wieder voll auf seine Kosten. „Macerie“ und „La Fabbrica Dei Perdenti“ setzen dort an an, wo die Band mit „Diario Di Un Ultimo“ vor einigen Jahren aufgehört hat. Aus ihren ersten Jahren haben FOLKSTONE dafür „Nebbie“ und „Omnia Fert Aetas“ dabei. Während der gesamten Show ist die E-Harfe auf der Bühne sehr präsent, allerdings wird sie dafür vergleichsweise selten gespielt. Ein Wermutstropfen, genau wie die Tatsache, dass sich FOLKSTONE etwas von brachialen Ungeschliffenheit gelöst haben, die sie Anfang der 2010er Jahre, beim Tanzt! 2012 und auf der Live-CD „Restano I Frammenti“ stark gemacht hat. Die temperamentvollen Südeuropäer verfolgen immer noch ihren eigenen Stil, der allerdings gleichförmiger geworden ist und in Deutschland bis dato außerhalb von München nicht Fuß gefasst hat. Eine Chance auf den großen Folk-Bühnen hätten sich FOLKSTONE inzwischen verdient.
Für VROUDENSPIL sind die Auftritte beim Tanzt! seit jeher etwas Besonderes: ob als Semi-Headliner oder Headliner, ob mit frischem Material oder bewährtem. ob mit neuen Bandmitgliedern oder den alten. Auch 2024 steht bei den Freibeutern wieder im Zeichen der Veränderung; mit „Schattenuhr“ hat die Kapelle einerseits ein neues Album am Start und mit Don Santo sowie Ratz von der Planke andererseits aktuell eine Doppelspitze am Mikro. Beim Schlosshof Festival hat das dynamische Doppel bereits gezeigt, welches Potenzial in dieser Neuerung steckt und auch bei ihrem Haus- und Hoffestival agieren die beiden Sänger gleichberechtigt: Während Ratz sich „Püppchen“ wieder zu eigen macht, darf Don Santo bei „Wanderer in Schwarz“ ran. Von „Schattenuhr“ schafft es knapp über die Hälfte der neuen Songs ins Set, die den Sound von VROUDENSPIL um zusätzliche Nuancen bereichern, wie z.B. einer Klarinette in „Folge dem Passat“ und orientalischen Klängen in „Eintausend Seelen“. Das nach Aussage von Ratz ungeprobte und erstmals dargebotene „Hinter dem Meer“ geht gründlich schief, alles andere ist auf dem gewohnten Level der Tanzt-Urgesteine. Mit „Vampirat“, dem „Plankentango“ und „Kurs aufs Leben“ als Rausschmeißer gibt es noch teils länger nicht gehörtes Material aus den Anfängen. Zur „Wall Of Spring“ (für Feder) und bei „Rebellion“ wird die nimmermüde Menge an diesem Abend gleich zweimal in zwei Hälften geteilt und wieder vereint. Am Ende bleibt eine runde Show mit einer spannenden Sängerdynamik, einem ersten Live-Eindruck von „Schattenuhr“ und Abstrichen beim erneut suboptimalen Sound.
Nach der Show beim Festival-Mediaval in Selb, feiern SCHANDMAUL zum Jahresabschluss ein weiteres Heimspiel im Herzen von Bayern. Im Gegensatz zum Festival haben die Mäuler dieses Mal neben Ex-RUSSKAJA-Fronter Georgij auch ihren zweiten neuen Sänger dabei, namentlich Till Herence, der ansonsten im Metal- und Crossover-Bereich aktiv ist. Sehr schnell beweist der Grenzgänger, dass seine Stimme die Zukunft von SCHANDMAUL sein könnte, da sie viel besser mit dem folkigen Instrumentarium, den Songs und den allgemeinen Vibes der Folk-Rocker harmoniert. Das umfasst sowohl die neueren Stücke wie „Königsgarde“ (im Zusammenspiel mit Georgij), „Irgendwann“ oder „Der Pfeifer“ als auch Klassiker wie „Walpurgisnacht“. Einzig beim von Till als „mittelalterlichem Gangster-Rap“ angekündigtem „Vogelfrei“ fremdelt es etwas. Alles andere wirkt ungemein stimmig bis vollends überzeugend, besonders im Falle von „Traumtänzer“. Ab und an bricht es aus dem eigentlichen Metal-Sänger auch heraus, unter anderem bei „Knüppel aus dem Sack“ und wenn er eine „Wall Of Love“ einzählt. Diese ungewohnte, situative Intensität passt ebenfalls hervorragend zu SCHANDMAUL in dieser Form, genau wie seine charmanten Ansagen und sein Publikumsbezug.
Einzig die Polonnaise bei „Tatzelwurm“ floppt etwas, dafür wird Till später vom Publikum mit Kinderschokolade auf der Bühne belohnt. Sehr früh in der Show tritt Thomas ans Mikro, erzählt kurz von seiner Leidensgeschichte und wird dann von einem stimmgewaltigen „Happy Birthday“ zu seinem 50. Geburtstag unterbrochen. Für den Rest der Show hält er sich vornehmlich im Hintergrund am Keyboard. Nur zu „Der Kapitän“ tritt er noch einmal nach vorne und singt unter lautem Jubel einige Takte. Georgij blüht schließlich beim Avicii-Cover „Wake Me Up“ auf, das gelungen in „Der Teufel…“ überführt wird. Zum Schluss wird es mit „Dein Anblick“ noch einmal emotional – und was nach diesem Auftritt bleibt, ist ein Hoffnungsschimmer für das neue SCHANDMAUL.
Das TANZT! erstrahlt auch bei der Neuauflage 2024 wieder so bunt, vielfältig und atmosphärisch wie davor. Fernab der größeren (Burgen-)Festivals gibt es im Backstage jedes Jahr etwas zu entdecken, neue Gesichter, alte Bekannte und vor allem eine gute Zeit unter Gleichgesinnten. Zum Abschluss folgt für alle Besucher noch die schöne Gewissheit, dass das Festival auch 2025 stattfinden wird. Weitere offizielle Details sollen dazu in Kürze folgen.