Festivalbericht: Tanzt! 2021

20.11.2021 München, Backstage (Werk)

München, November 2021: Die Inzidenzen explodieren, Kulturveranstaltungen werden dank Corona wieder reihenweise abgesagt und die Aussichten für Musiker sind je nach Bundesland entweder unklar oder trüb. 2020 sorgte die Pandemie dafür, dass auch das TANZT! nicht stattfinden konnte – nicht so dieses Jahr. Trotz vieler guter Gründe, auf Festivals und Menschenansammlungen aller Art zu verzichten, kann die 14. Ausgabe des Folk- und Mittelalter-Festivals unter strengen Sicherheits- und Hygienemaßnahmen über die Bühne gehen. Zwar zieht die aktuelle Covid-Welle auch an den Bands und Organisatoren nicht spurlos vorüber, doch am Ende triumphiert vor allem eins: das Gemeinschaftsgefühl.

Mornir AlbencoverDie Freisinger Pagan Metaller MORNIR sind die ersten Leidgeprüften des Tages: Sänger und Gitarrist Axel wird vor Ort positiv getestet und kann die Show nicht spielen. Kurz entschlossen tritt frt zweite Gitarrist Maximilian ans Mikro und simuliert den Gesang, der genau wie Axels Gitarre vom Band kommen muss. „Eine Absage kam für uns nicht in Frage“, stellt der spontane Ersatzsänger klar, als er das Publikum über die bedauerliche Entwicklung informiert. Und MORNIR überzeugen, besonders mit ihrem Erstlingswerk „Dämmerstund“ und Songs wie „Hexer“ oder „Lebenshauch“, bei dem Munarheim-Chanteuse Theresa Mehringer ebenfalls vom Band ertönt. Die noch recht junge Formation bringt vieles mit, um im Pagan Metal weiter Fuß zu fassen, vor allem erreichen sie ihr Publikum und so tummeln sich viele glückliche Gesichter vor der Bühne, von denen einige ganz offenkundig unter Entzugserscheinungen gelitten haben. Neben viel Double Bass, Growls und schönen Geigenlinien ist es später erneut die Stimme von Theresa in „Ein Licht“, die einen angenehmen Kontrast bildet. So sieht nicht nur in Zeiten von Corona ein gelungener Opener aus.

Die Band Vera LuxEtwas folkiger wird es bei VERA LUX. Die Nürnberger sind keine Unbekannten auf dem Tanzt!, eröffneten das Festival 2019 und haben in den letzten Jahren weiter an sich gearbeitet: Mit „Labyrinth“ wagen sich die Musiker an eigenes Liedgut und thematisieren den persönlichen Irrgarten, in dem sich jeder verlaufen kann. Analog zu 2019 zeigt sich Sängerin Inara mit viel Power und prägt damit den Eindruck von VERA LUX maßgeblich. Der bunte Mix aus Folk und Metal des Debüts „Aus dem Nichts“ dringt insgesamt solide über die Lautsprecher, doch die jungen Musiker punkten auf Dauer besonders über ihre Spielfreude: So wagt Dudelsackspieler Arved mitsamt seines Instruments einen kleinen Ausflug quer durch die Menge. Ähnlich wie Mornir bringen VERA LUX vieles mit, haben beim Songwriting und ihren Texten aber sicherlich noch Luft nach oben.

Aexylium bei ihrer Autogrammstunde
AEXYLIUM bei ihrer Autogrammstunde auf dem Tanzt! 2021

Die Italiener AEXYLIUM springen für Brachmond ein, die genau wie Corvidae kurzfristig für das TANZT! 2021 absagen mussten. Knappe zwei Wochen vor dem Festival haben die Südeuropäer ihr aktuelles Werk „The Fifth Season“ veröffentlicht, das an die früheren Alben von Eluveitie erinnert. Die Show beim TANZT! ist der erste Auftritt der Combo hierzulande, die Vorfreude und Nervosität sind anfangs durchaus spürbar. Sänger Steven hat sich einige (erwartbare) Brocken Deutsch angeeignet, spricht das Publikum regelmäßig direkt an und im Laufe des rund 50-minütigen Sets grooven sich die Italiener immer besser ein. Anstatt Cover-Versionen von Game-of-Thrones- und Vikings-Liedern spielen AEXYLIUM viel von ihrem neuen, eigenen Material, unter anderem den Titeltrack und „The Bridge“. Das weibliche Pendant zu Steven, Arianna Bellinaso als Gastsängerin, ist die Reise nach Bayern nicht angetreten, doch ähnlich wie Mornir lösen AEXYLIUM dies ebenfalls gelungen über technische Hilfen. Insgesamt bleibt ein solider Eindruck mit einer Prise Exotik und noch ohne wirkliche Vorzeigesongs.

Die Gossenpoeten auf dem Tanzt! Festival 2021
Die Gossenpoeten auf dem Tanzt! Festival 2021

„Nah am Folk“ sind die GOSSENPOETEN nicht nur in ihrem Song, sondern in ihrem gesamten Auftreten. Im diesjährigen Line-Up markiert der Auftritt der Franken die größte Zäsur: Die Musiker sind markterfahren, festivalerprobt und die mittelalterlichste Kapelle beim TANZT! 2021. Wenig überraschend drehen sich viele Songs um die Poeten selber oder um das fröhliche Trinken. Selbst das „Liebeslied“ entpuppt sich am Ende als Hommage an die Hopfenkaltschale. Mit dem launigen „Vagabundentanz“ präsentieren die GOSSENPOETEN pünktlich zum Video-Release auch ihre aktuelle Veröffentlichung vom letzten Album „Tavernentempler“, dazu gesellt sich mit „Kaspar Hauser“ auch etwas Kulturgeschichtliches. Das Setting im Backstage Werk ist sicherlich nicht optimal für die musikalische Ausrichtung der munteren Spielmannstruppe, doch die vier Bandmitglieder lassen sich davon nicht unterkriegen und kommen letztlich sogar ohne einen ihrer obersten Gassenhauer „Badehaus“ wunderbar aus.

Ignis Fatuu AlbencoverBeim TANZT! 2012 verabschiedeten IGNIS FATUU in der Backstage Halle ihren damaligen Sänger Alex, dieses Jahr spielt Flötistin und Zweitstimme Ella im Backstage Werk ihre letzte Show mit den Franken. In der aktuellen Besetzung ist nicht viel geblieben von den Anfängen der Band, genau genommen ist kein Gründungsmitglied mehr bei Ignis aktiv und dies hat die Entwicklung der Formation nicht zwangsläufig begünstigt: Musikalisch schaffen es zwar bandinterne Klassiker wie „Nordwind“, „Spiel des Lebens“ oder der vielleicht bekannteste Song, „Wächter der Nacht“, in die Songauswahl, doch besonders Letzteres kommt arg entfremdet daher. Ellas Stimme bildet ein angenehmes Gegengewicht zu Frontmann P.G., der insgesamt einen seiner besseren Tage erwischt, aber vereinzelt arg zur Theatralik neigt und sich stimmlich mehr abverlangt als sein Organ zu geben bereit ist. Textlich ist besonders „Blut geleckt“ schwer verdaulich, dafür eingängig. In den letzten Jahren ist es um IGNIS FATUU eher still geworden, dieser Trend könnte sich auch in Zukunft fortsetzen.

Ingrimm auf dem Tanzt!-Festival 2021
Ingrimm auf dem Tanzt!-Festival 2021

Den Preis für die kreativste Lösung dafür, kurzfristig einen Sänger auf der Bühne würdig zu ersetzen, verdienen sich die Regensburger INGRIMM. Nachdem Frontmann Rene die Band verlassen hat, stellten die Folk-Metaller im April seinen Nachfolger Uli vor. Das TANZT! wäre eine der ersten Chancen für die Combo gewesen, den neuen Mann am Mikro einem breiteren Publikum vorzustellen. Letztlich müssen die Festivalbesucher allerdings mit einem liebevoll kostümierten Kleiderständer vorlieb nehmen. Die Stimme von Uli erklingt wie bereits zahlreiche andere davor ebenfalls vom Band, während sich die übrigen Mitglieder alle Mühe geben, ihrem physisch nur teilweise anwesenden Neusänger ein ansprechendes Konzerterlebnis zu bescheren: Der Pappkamerad bekommt im Laufe des Sets nicht nur den Schweiß von der Stirm getupft, sondern auch einen neuen Gesichtsausdruck spendiert. Dies sorgt für die gerade derzeit oft vermisste Leichtigkeit und Erheiterung. Dazu gesellt sich ein hervorragendes Soundgewand, in dem die Ingrimmigen bei härteren Songs wie „Die Pest“ genauso wie bei der traditionellen „Skudrinka“ erklingen. Selten hörte sich ihr Mix aus harten Gitarren und folkigen Melodieinstrumenten so ausgewogen an. Gegen Ende drücken INGRIMM mit „Sag mir nicht“ und „Hängt ihn“ noch einmal ordentlich aufs Gaspedal und krönen damit eine sehr gelungene Darbietung. Einen echten Vergleich zwischen Uli und seinen Vorgängern bietet diese Show freilich nicht, das spielt unter den gegebenen Umständen allerdings auch keine Rolle.

Bandfoto von VroudenspilGanze 13 Jahre mussten sich VROUDENSPIL gedulden, um vom Platz des ewigen Semi-Headliners auf den finalen Spot des Abends zu wechseln. Ganze 22 Songs für mehr als 90 Minuten haben die Wahlpiraten im Gepäck, um diesen Anlass gebührend zu feiern. Und alles, was dazu geführt hat, dass die Band bei ihrem Haus- und Hoffestival einigen namhaften Headlinern wie Schandmaul, Subway to Sally oder Feuerschwanz das Leben schwer gemacht hat, werfen die acht Musiker auch bei der diesjährigen Ausgabe des TANZT! in die Waagschale. Der Freibeuter-Folk erklingt 2021 so divers und vielseitig wie eh und je. Ein bisschen Folk hier, eine Prise Ska dort, ein Saxofon und auch ein bisschen „Corpse Bride“ zählen zu den Zutaten, mit denen die Band ihren eigenen Stil erst geprägt und nachhaltig weiterentwickelt hat. Die Setlist spiegelt diese Entwicklung wider: Von den ersten Schritten wie „Spilmannsweise“, „Kurs aufs Leben“ oder „Willkommen an Bord“ bis hin zum letzten Album Panoptikum, mit dem sich VROUDENSPIL von der Piratenthematik fast vollständig abgekapselt haben. Aktuelle Songs wie „Wanderer in Schwarz“ oder „Seelenfrieden“ hätte es in den Anfangsjahren der Band eher nicht gegeben, beim TANZT! fügen sie als starke Kontraste bzw. gezielt ruhigere Akzente wunderbar in die Folkparty ein. Sänger Don Santo tritt dabei immer weiter aus dem langen Schatten seine Vorgängers Ratz. Obwohl er ihm stimmlich ähnelt, ist er inzwischen als das neue Gesicht der Band akzeptiert und hinterlässt sowohl gesanglich als auch bei seinen Ansagen einen richtig guten Eindruck. Im Zugabenblock krönen VROUDENSPIL ihre erste Headliner-Show, indem sie sich zu „12 Pfund“ und „Rausch der Sinne“ einige befreundete Musiker sowie Festivalverantwortliche auf die Bühne holen und gemeinsam ein kleines, unbeschwertes Happening der TANZT!-Community zelebrieren.

Die Tanzt!-Veranstalter genießen ihr Festival
Die Veranstalter des Tanzt! 2021 genießen ihr Festival

Veranstalter Michi richtet noch ein paar Dankesworte an das Publikum und so verlassen viele das Backstage zu vorgerückter Stunde mit einem warmen Gefühl, das sie in den wahrscheinlich beschwerlichen Wintermonaten hoffentlich möglichst lange trägt.

 

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2 Kommentare zu “Tanzt! 2021

  1. War ein sehr gutes Festival, aber auch mein einziges heuer.

    Schade, dass man ab ca. 15:30 Uhr kein Festival-Shirt in seiner Größe mehr kaufen konnte.

    Aber gerne wieder nächstes Jahr wieder.

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