Konzertbericht: Talco w/ Tequila And The Sunrise Gang, The Tips

Seit nunmehr 20 Jahren mischen TALCO von Italien aus in der internationalen Ska-Punk-Szene mit – und das mit wachsendem, aber auch hart erarbeitetem Erfolg: Neun Studioalben und zwei EPs haben die Venezianer in diese zwei Dekaden gequetscht – und das nächste Album ist bereits im Anmarsch. Dazwischen spielen TALCO fast jedes Jahr um die 25 Shows: Im Vorprogramm von Szeneinstanz Ska-P durften sich die Italiener mehrfach beweisen, auch auf Festivals sind TALCO gern gesehener Gast. Längst sind TALCO aber auch groß genug, um selbst als Headliner die großen Hallen zu füllen. Begleitend zu ihrem Jubiläums-Live-Album „20th Anniversary Live!“ gehen TALCO nun abermals auf Europa-Tour. Erster Halt: das Backstage Werk in München.

Den Startschuss zur Tour geben THE TIPS, die die Tour um 19:30 Uhr musikalisch einläuten: Das 2008 in Düsseldorf gegründete Trio darf sich dabei nicht nur über einen gut gefüllten Saal freuen, sondern auch über großen Zuspruch. Und das völlig zu recht: THE TIPS spielen einen Stil-Mix, der sich als „Post-Reggae“ beschreiben lässt: Klassischer Reggae trifft hier auf Post- und Punk-Rock-Elemente. Lässt man mal außen vor, dass Reggae von nicht schwarzen Künstlern immer ein Gschmäckle hat, gelingt THE TIPS gerade durch ihre innovativen Kompositionen, aber auch ihr sympathisches Auftreten ein kurzweiliger 30-Minuten-Auftritt. Und wer etwas Glück hat und gut fangen kann, bekommt obendrei ein Cappy gratis.

Knapp zwanzig Minuten später geht es mit TEQUILA AND THE SUNRISE GANG weiter – ebenfalls einer deutschen Combo, diesmal allerdings aus dem hohen Norden. Stilistisch sind die sieben Kieler etwas klassischer unterwegs: Ska-Punk, Rock und Reggae mischen sich zu Gute-Laune-Sound, der die Fans im mittlerweile proppenvollen Backstage Werk in Tanzlaune versetzt. Für musikalische Abwechslung sorgen TEQUILA AND THE SUNRISE GANG, indem sie immer wieder Cover-Songs oder -Parts einbauen – so etwa eine beeindruckend starke Ska-Version von Metallicas „Sad But True“, ein vor allem der Message wegen starkes Cover von „Das ist alles von der Kunstfreiheit gedeckt“ (Danger Dan) oder den Punk-Rock-Evergreen „The Middle“ von Jimmy Eat World.

Der erklärte Plan, sich „Sympathien zu ergaunern“, indem sie Shirts ins Publikum schmeißen, geht auf, ist aber zumindest als Notfall-Strategie heute gar nicht notwendig: Die Stimmung ist auch so super. Einen kräftigen Faux-Pass leisten sich TEQUILA AND THE SUNRISE GANG allerdings: Angesichts der verheerenden Großbrände in Kalifornien kommt der Song „California“ (Refrain: „Who needs California“) so ganz ohne einordnende Ansage arg geschmacklos rüber.

Um kurz vor 21:30 Uhr er klingt das Into von TALCO – und noch bevor die Band überhaupt zu sehen ist, singt das Publikum schon lauthals mit. Der Marker für die Stimmung des Abends ist also gesetzt – und tatsächlich geht es auf genau diesem hohen Level weiter: TALCO beginnen ihre Jubiläumstour direkt mit „Gran Gala“ vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 2012 – und werden auch dafür frenetisch bejubelt. Im mittlerweile gesteckt vollen Backstage Werk geht derweil nichts mehr: Statt eines Pogo ist vor der Bühne nurmehr Schiebepit und Gruppenkuscheln möglich – und auch zur Bar ist kein Durchkommen mehr. Reibung erzeugt bekanntlich Wärme und so dauert es nicht lange, bis die Temperaturen im Backstage ins kaum noch erträgliche steigern: Das Kondenswasser tropft von der Decke, und wenn der klatschende Nebenmann alle Umstehenden in seinem Schweiß duscht, wird nebenbei endlich klar, woher das Wort „klatschnass“ kommt.

Warum hier alles so eskaliert, ist objektiv betrachtet nicht so ganz klar: Der Sound ist eher undifferenziert, die Songs von TALCO sind – von einer Handvoll Hits und dem Klassiker-Cover „Bella Ciao“ abgesehen – eher Ska-Punk-Hausmannskost, und auch als Liveband haben die Italiener eigentlich nur mittelmäßige Anlagen: Zwar trifft Sänger Dema mittlerweile die Töne – ein wirklich guter Ska-Sänger oder auch ein charismatischer Frontmann ist er deswegen aber noch lange nicht. Wessen Herz nicht ausschließlich im Off-Beat-schlägt, wäre nach 60 Minuten durchaus gewillt, die 40 € Ticketpreis als reingearbeitet anzusehen. Doch diese Rechnung wurde ohne TALCO gemacht: Stolze 110 Minuten lang arbeiten sich die Italiener durch ihre nun 20-jährige Historie – nicht nur bei den vorherrschenden Temperaturen eine stramme Leistung.

Publiziert am 14. Januar 2025 von Moritz Grütz

Fotos von: Afra Gethöffer-Grütz