Konzertbericht: Swallow the Sun w/ Mar de Grises, Sólstafir

2010-12-01 Steinbruch Theater, Mühltal

Dichtes Schneetreiben, Temperaturen weit unter dem Gefrierpunkt, eingebrochene Dunkelheit und verlassene Straßen prägten den Abend des 1. Dezember 2010 : Beste Voraussetzungen also für einen Abend gefüllt mit düsterem Doom-Metal, dargeboten von SWALLOW THE SUN, die von den Chilenen von MAR DE GRISES und den Isländern von SÓLSTAFIR supported wurden. Das Schneetreiben erschwerte die Anreise etwas, zumal sich der Steinbruch in Darmstadt auf einer kleinen Anhöhe befindet, dennoch kamen wir pünktlich zum Beginn des Konzertes an und beschlossen ziemlich genau in dem Moment, vor die Bühne zu treten, als MAR DE GRISES begannen.

Sehr gespannt war ich auf das chilenische Quintett von MAR DE GRISES, da ihnen doch ein recht guter Ruf vorauseilt, auch wenn ihr Bekanntheitsgrad sich hierzulande durchaus in Grenzen hält. Sehr gemächlich ging es los, doch wenn es eines gibt, was einem bei MAR DE GRISES sofort auffiel, dann dass die Chilenen definitiv gute Musiker sind: Post-Rock-artige Gitarren, durchaus auch mit abwechslungsreichen Leads durchsetzt, und seichte Keyboards treffen auf die finsteren Vocals von Fronter Juan Escobar. Beeindruckend auch das Drumming von Schlagzeuger Alejandro Arce, der an seinem Schlagzeug einiges zur Variabilität der Chilenen beiträgt, denn so viele fließend und derart stimmig ablaufende Taktwechsel, die den Songs von MAR DE GRISES eine progressive Note verleihen, hat man selten erlebt. Auch das Publikum schien meine Auffassung zu teilen, denn der Raum war zu Beginn wirklich sehr ordentlich gefüllt. Spätestens nach dem zweiten oder dritten Song war dann auch der Bann bei den skeptischen Fans im Raum gebrochen und es wurde gebangt, was das Zeug hält. Das einzige Manko war die Abmischung des Sounds, denn die Keyboards des guten Escobar standen zu deutlich im Vordergrund und drängten vor Allem Leadgitarrist Rodrigo Morris in den Hintergrund. Das besserte sich jedoch mit der Zeit und so wurde aus den Tönen, die man nur bei genauem Hinhören vernahm, eine amtliche Soundwand, und gerade die Post-Rock-gleich wabernden Gitarren erzeugten nun eine wirklich dichte Atmosphäre, auch Rhythmusgitarrist Sergio Alvarez legte sich dementsprechend ordentlich headbangend ins Zeug. Und man muss sagen, je besser der Sound wurde, desto besser wurde auch die Stimmung im Publikum: Jeder Song des Quintetts wurde von abgehenden Metalheads begleitet und auch der Applaus konnte sich jeweils durchaus sehen und hören lassen. Fronter Escobar tat leider nicht viel dazu, um die Stimmung im Publikum noch ein wenig zu heben und beschränkte sich auf sehr kurze Ansagen, man mag es ihm jedoch angesichts der knapp bemessenen Spielzeit nachsehen. Gesanglich lieferte er nämlich auch eine sehr gute Leistung ab, egal ob leises Flüstern, tiefes Growlen, oder hier und da auch mal ein paar Takte cleaner Gesang, eine durchaus überzeugende Darbietung war das schon. So hätte ich mir gewünscht, dass MAR DE GRISES eine etwas längere Spielzeit gegönnt bekommen hätten, denn mit ihrem Sound wurde ich deutlich eher warm als mit den darauffolgenden SÓLSTAFIR. Nach einer kurzen Verabschiedung verließen MAR DE GRISES dann die Bühne, lungerten aber noch den ganzen Rest des Abends am Merch-Stand rum und ließen so auf ihren sympathischen Auftritt noch das ein oder andere Pläuschchen mit interessierten Fans folgen.

(PS)

Und kaum hatten die fünf sympathischen Chilenen die Bühne des Steinbruch Theaters verlassen, folgte auch schon das Highlight des Abends. Zumindest, wenn man nach der Masse an Zuschauern und dem relativen Anteil von SÓLSTAFIR-Schriftzügen auf T-Shirts ging. Für mich persönlich immer noch etwas unverständlich, dass SWALLOW THE SUN den Headlinerslot bekamen und nicht die Isländer, die seit dem Erscheinen ihres dritten Albums „Köld“ gehypet werden, als ob sie ein Heilmittel gegen Krebs wären. Ich werde jetzt mal kurz sehr subjektiv und sage geradeheraus, dass mein Verhältnis zu SÓLSTAFIR – wahrscheinlich auch gerade wegen dem Hype – ein ziemlich angespanntes ist. Ich kaufte „Köld“ nach dem zweimaligen Genuss von „Pale Rider“ quasi auf einem Auge blind für gar nicht so kleines Geld und schon beim ersten Durchlauf konnte ich mich eines Gedankens einfach nicht erwehren: „DAS ist es? DAS sind die so hochgelobten SÓLSTAFIR?“. Kurzum: „Köld“ war für mich ein furchtbar langweiliges Album, der größte Fehlkauf des Jahres 2009 und hat sich in den letzten ~11 Monaten nicht ein einziges Mal in meiner Anlage gedreht, resp. wann immer ein Song davon in meiner Winamp-Playliste aufploppte klickte ich ihn schneller weg, als man „Reykjavik“ sagen kann.
Ob mich das jetzt dazu prädestiniert, zu beschreiben, wie SÓLSTAFIR sich an besagtem Abend im Steinbruch Theater schlugen? Wer weiß, wahrscheinlich bin ich dazu genau so wenig geeignet, wie die Die-Hard-Fans, die für den ganzen Hype verantwortlich sind. Aber ich will versuchen so unvoreingenommen wie möglich an die Sache heran zu gehen.
Was gar nicht so einfach ist, wenn man sich mal anschaut, wie der Gig der Isländer schon anlief. Der Sound war in den ersten Minuten eine einzige Katastrophe, Sänger Aðalbjörn Tryggvason konnte gegen die Gitarrenwand von Sæþór Maríus Sæþórsson überhaupt nicht ankommen, schaffte es aber mühelos, eine Feedbackschleife nach der anderen durch die Boxen zu jagen, ansonsten klang das alles sehr schwammig, verrauscht und dreckig. Was gerade angesichts des sehr ordentlichen Sounds gegen Ende des MAR DE GRISES-Auftritts irgendwie zu Denken aufgibt. Und auch ansonsten schaffte die Band es eindrucksvoll, sich nicht wirklich mit Ruhm zu bekleckern. Sæþórsson hatte sich in grob geschätzt acht Sekunden in Trance gespielt, hing nur noch mit geschlossenen Augen vor seiner Gitarrenbox herum und machte eine Kunst daraus, sich quasi permanent zu verspielen, Bassist Svavar Austman sah man nur in den wenigsten Augenblicken so etwas wie Spielfreude an, die meiste Zeit schien er damit beschäftigt, seinen Kopf so geschickt hin und her zu bewegen, dass seine blonden Zöpfe interessante Muster in die Luft malten. Und Sänger Tryggvason selbst konnte spätestens bei der ersten Ansage nicht mehr darüber hinweg täuschen, wie extrem betrunken er war, lallte irgend etwas in gebrochenem Englisch daher und musste sich gegen Ende des Auftritts, als er sich seiner Gitarre entledigt hatte, mit aller Kraft am Mikroständer festkrallen. Was die Musik angeht… Naja, abgesehen von den zahlreichen Spielfehlern von Seiten Sæþórsson und dem mieserablen Sound, der sich im Laufe des Auftritts nur minimal besserte, war’s halt einfach SÓLSTAFIR. Mir persönlich waren die Songs auf dauer zu lang und zu monoton, aber wem der prinzipielle Sound der Band auf Platte gefällt, dem wird er auch live gefallen.
Und ohne jetzt wirklich zu wissen wieso – handwerklich war der Auftritt eine Katastrophe und musikalisch mag ich die Band halt einfach nicht – kann ich nicht behaupten, dass SÓLSTAFIR einen schlechten Gig abgeliefert hätten. Tatsächlich gefiel mir persönlich sogar gar nicht so wenig, was ich da sah. Wahrscheinlich liegt es an der Passion, der Hingabe, die drei der vier Isländer (abzüglich Bassmann Austman halt, der wirklich nicht den Eindruck machte, gerne da zu sein, wo er war) für ihre Musik aufbringen. Denn auch wenn das Drumherum hier nicht stimmte, die Begeisterung, die vor allem Tryggvason an den Tag legte, war ganz einfach durchweg ansteckend. Und den hünenhaften blonden Vokalisten muss man sowieso lobend hervorheben. Egal wie betrunken der gute Mann war, er hat einfach eine ganze Wagenladung Charisma auf’s Parkett gebracht, die selbst Leute, die mit der Musik des Quartetts nicht viel anfangen können, über die offensichtlichen Mängel hinwegsehen ließen. Für ihre Mühen wurden SÓLSTAFIR mit achtbarem Applaus und auch ein paar „Zugabe“-Rufen entlohnt, den Hype versteh‘ ich immer noch nicht, dass die Isländer besser ankamen als MAR DE GRISES auch nicht, aber die Band mal live zu sehen war schon recht interessant.

Bezeichnend auch, dass ein gar nicht so geringer Teil des Publikums sich nach SÓLSTAFIR verabschiedete und den eigentlichen Headliner des Abends, die Finnen von SWALLOW THE SUN, in eine gar nicht so besonders gut gefüllte Location blicken ließen. Das Doom-Sextett um Gitarrero Juha Raivio (wenn ich mich nicht täusche mit Ersatzdrummer im Gepäck, da schien mir nicht Kai Hahto hinter der Schießbude zu sitzen) ließ sich trotzdem nicht lumpen und legte gleich mit zwei lupenreinen Brechern, namentlich „These Woods Breathe Evil“, dem Opener des aktuellen Albums, sowie dem absoluten Klassiker „Hold This Woe“ los. Technisch war endlich alles in bester Ordnung, der Sound kam richtig fett und trotzdem schön transparent abgemischt durch die Boxen, auch die Leistung von Sänger Mikko Kotamäki konnte man definitiv nicht bemängeln.
Zumindest nicht die Vokale. Denn an allem anderen hapert es dem guten Mann ganz ordentlich. Schon allein seine altbekannte Aufmachung mit fingerlosen Handschuhen, Schal und tief ins Gesicht gezogener Schirmmütze, dazu aktuell noch ein Finntroll-Shirt… Irgendwie stand Kotamäki so zwischen seinen Mitstreitern, als ob er überhaupt nicht da hingehören würde. Auch sonst klammerte er sich quasi permanent am Mikroständer fest und zeigte keine gesteigerte Begeisterung bezüglich des Auftritts. Kotamäki ist ein begnadeter Vokalist. Aber ein guter Frontmann ist er nicht.
Da half auch die Spielfreude der anderen fünf Musiker nur bedingt, die – sofern vorhanden – heftig das Haupthaar kreisen ließen und auch sonst ordentlich Bewegung auf die Bühne brachten. Vor allem Bandgründer Juha Raivio und Keyboarder Aleksi Munter muss man lobend hervorheben, die beiden haben wirklich viel Freude an dem, was sie tun.
Immerhin ließ das Publikum sich von den Musikern ordentlich zum Mitmachen motivieren. Kotamäkis Anticharisma zum Trotz wurden die Finnen nicht zu knapp abgefeiert und spielten sich technisch einwandfrei einmal komplett durch ihre Karriere, boten natürlich viel vom aktuellen Album, allerdings auch einige Klassiker und zu meiner persönlichen Freude recht wenig vom schwachen „Ghosts Of Loss“. Wobei sicherlich kein Auftritt für die Ewigkeit abgeliefert wurde. Das sollte aber sowieso niemand erwartet haben, dafür sind SWALLOW THE SUN meiner Ansicht nach aber auch einfach die falsche Band. Gerade im Bezug auf ihr Genre. Ihr Doom/Death Metal ist einfach wenig experimentierfreudig, gradlinig, geht gut in’s Ohr und macht Spaß solange es dauert, ohne irgendwie in die Verlegenheit zu kommen, weltbewegend zu sein. Das lässt sich so ganz gut auf den kompletten Auftritt übertragen. Die Darbietung der Band hörte sich gut und machte Spaß und nachdem das Sextett die Bühne geräumt hatte wurde auch brav eine Zugabe verlangt (die prompt mit dem noch ganz versöhnlich hörbaren „The Giant“ beantwortet wurde), aber als deren letzte Takte verklungen waren, reichte es auch dem Publikum. Weitere Zugaben wurden weder verlangt, noch gewährt, Kotamäki bedankte sich nochmal fix und weg war die Band.

(CH)

Und als um wirklich auf die Sekunde genau 23.30 Uhr SWALLOW THE SUN die Bühne verließen, konnte man dann auch zufrieden wieder in die eisige Kälte zurückgehen. Respekt an die Veranstalter, die es geschafft haben, ein stimmiges und abwechslungsreiches Billing zusammen zu stellen, mit drei Bands, die zwar in die selbe Richtung gehen, aber doch jeweils ihren ganz eigenen Sound haben. Auch die Location war sehr passend gewählt, waren die Bands doch jeweils direkt am Publikum und kam der Sound auch sehr direkt aus den Boxen. Ein Manko waren die meiner Meinung nach etwas zu hohen Merch-Preise, denn 20€ sind für ein T-Shirt dann doch nicht wenig und bewegen einen im Zweifel dazu, sich einen Kauf zu sparen (so geschehen bei mir). Der Auftritt von SÓLSTAFIR war zwar auch in meinen Augen zwischendurch eher eine belächenswerte oder bemitleidenswerte Angelegenheit, hauptsächlich wegen dem sturzbetrunkenen Fronter, und weil ich mit seinem cleanen Gesang einfach mal gar nichts anfangen konnte, dennoch entschädigten zwei in meinen Augen klasse Darbietungen, made in Finnland und Chile, für diese kleinen Mankos.

(PS)

Publiziert am von Pascal Stieler

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