Bereits seit 1988 wird im beschaulichen Brand bei Marktredwitz das Sticky Fingers Festival veranstaltet. Ursprünglich eine Veranstaltung für eher bluesbetonten Rock, hat sich das Festival über die Jahre als feste Größe in der alternativen Musikszene Frankens etabliert. Schon in den letzten Jahren konnte man mit Bands wie Napalm Death, We Butter The Bread With Butter, Evergreen Terrace oder auch Vader echte Hochkaräter für die Headlinerposition gewinnen, doch 2015 konnte mit SEPULTURA und MADBALL ein vorläufiger Höhepunkt erreicht werden. Grund genug für metal1.info das kleine, charmant-familiäre Festival mit seiner gelungenen Mischung aus Metal und Core sowie Ska und Punk einmal genauer unter die Lupe zu nehmen.
Freitag, 31.07.2015
Die Ehre am Freitag die Veranstaltung eröffnen zu dürfen, haben THE ANDERSONS, eine regionale Punkband, deren „Alleinstellungsmerkmal“ die Verwendung eines Banjos ist. Schade, dass dieses im Mix etwas untergeht. Stören tut das keinen, hält sich doch das Groß der bereits anwesenden Besucher noch auf dem Zeltplatz auf. Etwas abwechslungsreicher könnten die Songs sein. Doch für den Anfang ist das schon ganz nett anzuhören.
Weiter geht’s mit KALIBOS aus Berlin und damit mit einer ordentlichen Portion Doom. Zähe Lavariffs lassen an Bands wie Black Sabbath, Cathedral oder Candlemass denken. Dennoch verfügen KALIBOS über genügend Eigenständigkeit, um nicht als bloße Epigonen durchzugehen. Leider befinden sich noch immer kaum Menschen vor der Bühne. Schade, denn was die Gruppe abliefert wirkt für eine so unbekannte Band höchst professionell und stimmig. Spielfreude und technisches Können gehen hier Hand in Hand und so bleibt unterm Strich ein fetter Daumen nach oben für einen mitreißenden Auftritt.
Einem deutlich moderneren Sound hat sich dagegen die Band Il aus meiner Heimatstadt Helmbrechts verschrieben. Als „New Alternative Stoner Noise“ beschreiben die vier Jungs ihren Sound irgendwo zwischen Nine Inch Nails, Kyuss, massiven Gitarrenwänden und Kreischgesang. Auffällig ist dabei besonders das Auftreten der Band: In weiße Masken und schwarze Kapuzenpullis gehüllt zelebrieren die Musiker souverän ihre Songs, die sie durch Sprachsamples und dezente Elektro-Klänge atmosphärisch miteinander verbinden. Dabei schleicht sich mit der Zeit leider eine gewisse Monotonie ein. Dass die Gruppe allerdings Potenzial hat, lässt sich nicht bestreiten und so ist der Gesamteindruck insgesamt positiv.
Langsam aber sicher wird die Menschenmenge vor der Bühne größer. MOUNT SHASTA COLLECTIVE zünden mit ihrem selbsternannten Alternative-Post-Rock ein atmosphärisches Feuerwerk. Unterstützt von einer düsteren Videosequenz, die während des gesamten Auftritts in Dauerschleife läuft, bieten die Jungs ein stimmiges Miteinander aus hart und zart dar, das bei aller Melancholie auch den Abgehfaktor nicht außen vor lässt. Doch nicht nur die Musik und das Spiel, sondern auch das Auftreten der sechs Franken wirkt gekonnt. So ist es wenig verwunderlich, dass die Formation beim Publikum gut anzukommen scheint.
Wesentlich partytauglicher wird’s anschließend bei BAD SHAKYN aus Ravensburg, die mit ihrem flotten Ska nicht wenige der Anwesenden zu exzessivem Tanzen animieren. Kein Wunder, wenn die Musiker so viel Spaß auf der Bühne haben, wie das bei BAD SHAKYN ganz offensichtlich der Fall ist. Das muss sich einfach auf das Publikum übertragen. Und so wippt hier auch bei mir, der ich wirklich kein allzu großer Ska-Fan bin, unweigerlich der Fuß mit.
STAATSPUNKROTT, die bereits mehrfach auf dem Sticky Fingers Festival auftreten durften, stellen nun ein Highlight für alle Punk-Fans dar. Aus der Konserve konnte mich die Band nie wirklich überzeugen, doch live sieht das anders aus. Zu energiegeladen kommt die Mischung aus Deutschpunk und Hardcore-Einflüssen aus den Boxen. Der Platz vor der Bühne ist rappelvoll und schnell entwickelt sich im vorderen Bereich des Zuschauerraums ein beeindruckend großer Moshpit, der über den gesamten Gig hinweg bestehen bleibt. Folglich fühlt sich die Band, die das Sticky Fingers als ihr Lieblingsfestival tituliert, sichtlich wohl und wird sicherlich auch in den nächsten Jahren ein willkommener Gast sein.
Mit MADBALL konnte als Freitagsheadliner eine echte Legende des New York Hardcore verpflichtet werden. Und der Vierer macht seinem Ruf alle Ehre. Dabei ist der agile Frontmann Freddy Cricien zwar eindeutig der Fixpunkt der Bühnenshow, während sich seine Musikerkollegen an den Instrumenten eher etwas bewegungsfaul geben, doch die energetische Musik der Gruppe weiß das Publikum jederzeit mitzureißen. Und so wird der bei STAATSPUNKROTT begonnene Moshpit fleißig weitergeführt. Was die Songs anbelangt, so scheint die Formation den Fokus auf ihre aktuelle Platte „Hardcore Lives“ zu legen. Alte Klassiker wie „Set It Off“ oder „Lockdown“ kommen aber ebenso zum Zug. Schade ist lediglich, dass es wohl kleine Probleme beim Sound zu geben scheint und der ansonsten hervorragende Sound gerade beim Headliner dadurch gestört wird, dass zuweilen ein leichtes Grisseln durch die Boxen dringt.
Samstag, 01.08.2015
Der Samstag startet mit Weißwurst-Frühschoppen. Musikalisch umrahmen dürfen dies DIE WEIHERER, die ausgerüstet mit Akustikgitarre, Bass und Cajon die Hits von S.T.S., Wolfgang Ambros und Co zum Besten geben und damit schon die ersten feierwütigen Metaller auf die Bierbänke treiben.
Das Samstagsprogramm auf der Bühne startet wie schon im Vorjahr mit der MARKTREDWITZER BLASMUSIK. Die Idee, eine lokale Blaskapelle auftreten zu lassen, hat man sich wohl von großen Festivals wie dem Wacken oder dem Summer Breeze abgeguckt, wo das schon lange gang und gäbe ist. Die bereits anwesenden Besucher haben aber ganz offensichtlich ihren Spaß und beginnen bereits jetzt zu pogen.
Anschließend darf das FUNKENSTEIN PROJECT, die Band der Lebenshilfe Werkstatt Marktredwitz, auf die Bühne und setzt dort ein Statement dafür, dass man Menschen mit geistiger Behinderung keineswegs unterschätzen sollte. Dabei ist es regelrecht herzerwärmend, wie viel Freude die Gruppe daran hat, was sie tut. Eine Freude, die sich auf die Zuschauer zu übertragen scheint. Und so versammelt sich trotz leichtem Nieselregen eine für diese Uhrzeit beachtliche Menschenmenge vor der Bühne, feiert die Gruppe, die sich durch ein Set aus Covers und eigenen Songs spielt, durch ausgiebige Tanz- und Headbanging-Einlagen und bittet schließlich sogar um eine Zugabe.
Nun sollten eigentlich BADABOOM! aus Bayreuth auf der Bühne stehen. Doch da diese aufgrund Krankheit des Sängers leider absagen mussten, darf nun die Stoner-Funk-Band MANDRAX QUEEN auftreten. Und tatsächlich passt der Begriff „Stoner Funk“ ganz gut, klingen die Jungs doch so, als hätten sich die Queens Of The Stone Age einen Funk-Gitarristen engagiert und zu viel 70s Rock gehört. Dabei macht das Power-Trio seine Sache außerordentlich gut. Das groovt und macht ordentlich Laune.
Es folgen SHOT DONE WON. Die Nürnberger liefern irgendwo zwischen Death Metal, Hardcore und Beatdown eine Schlachtplatte vor dem Herrn ab. Dabei beherrschen die Franken groovige Breakdowns ebenso wie Highspeed-Blast-Gewitter.
Im Anschluss gibt es von JOHNNY FLESH & THE REDNECK ZOMBIES Rockabilly mit Horror-Touch auf die Ohren, der vielleicht atmosphärisch etwas stimmiger daherkäme, würden die Musiker ihr Konzept auch visuell umsetzen. Etwas Schminke oder Kostüme würden in diesem Fall den Entertainment-Faktor immens steigern. So bleibt letztendlich solide gespielter Rockabilly mit gelegentlichen Schlenkern in Richtung Punk und Metal, der nett anzuhören, aber eben auch nichts Besonderes ist.
Mit GUTALAX folgt nun ein Act, auf den offensichtlich viele Besucher des Sticky Fingers Festivals gewartet haben, denn bereits in der Umbaupause nimmt die Zahl der Kostümträger vor der Bühne um ein Vielfaches zu. Kaum beginnen die Tschechen, ihren Gore-Grind aufs Publikum abzufeuern, beginnt der Pit zu toben. Stilecht dreht sich hier in der Tradition von Bands wie Rompeprop alles um jene Substanzen, die aus diversen Körperöffnungen ausgeschieden werden. Folglich fliegen bald nicht nur Ballons und Wasserbälle, sondern auch Klobürsten durch die Luft. Spätestens als beim letzten Song die feierwütige Meute die Bühne stürmt ist klar: GUTALAX sind der erste richtige Abräumer des Tages.
Doch mit der schwedischen Punk-Band THE BABOON SHOW steht der nächste Abräumer bereits in den Startlöchern. Mit einer derartigen Power zocken sich die Jungs und Mädels durch die Songs ihrer mittlerweile schon sechs Studioalben, dass derjenige, den diese Show nicht mitreißt, entweder taub oder tot sein muss. Besonders beeindruckend: Frontfrau Cecilia Boström, die mit ihrer kratzbürstigen Rockröhre mehr als nur ein wenig an Patti Smith erinnert und als energiegeladene Rampensau allen bisherigen Frontmännern des Festivals locker die Show stiehlt.
Das Beste kommt aber natürlich zum Schluss: Direkt aus Wacken kommen die brasilianischen Thrash-Metal-Legenden von SEPULTURA auf den Weidersberg nach Brand bei Marktredwitz. Da der Auftritt im Rahmen ihrer 30th Anniversary Tour stattfindet, lässt die Setlist kaum Wünsche offen und so wird jedes Studioalbum mit Ausnahme von „Nation“ und „A-Lex“ mit mindestens einem Song bedacht, wobei der Schwerpunkt mit jeweils vier Songs auf „Chaos A.D.“ und „Roots“ liegt. Der Moshpit tobt derweilen weiter, wenn auch etwas weniger exzessiv als bei den Core- und Punkbands. Eine Tatsache, die wahrscheinlich vor allem dem Umstand geschuldet ist, dass SEPULTURA auch überdurchschnittlich viele Altmetaller vor in Richtung Bühne locken. Letztere kommen besonders bei alten Klassikern wie „From The Past Comes The Storms“ vom Zweitling „Schizophrenia“, „Inner Self“ von „Beath The Remains“ oder „Dead Emryonic Cells“ und dem Titeltrack von „Arise“ auf ihre Kosten. Auch wenn die Studiowerke der Band seit beinahe zwei Dekaden nicht mehr auf ganzer Linie zu überzeugen wissen, gibt es live absolut keinen Grund zur Beanstandung. Besonders Frontmann Derrick Green – ständig in Interaktion mit dem Publikum – entpuppt sich als talentierter Entertainer, doch auch der Rest der Band agiert mehr als souverän, weshalb von SEPULTURA auf dem Sticky Fingers Festival wohl niemand enttäuscht worden sein sollte.
Alles in allem kann man der mittlerweile schon siebenundzwanzigsten Ausgabe des Sticky Fingers Festivals also nur vollen Erfolg konstatieren. Ich jedenfalls habe mich auf der kleinen aber feinen Veranstaltung jederzeit wohl gefühlt und gerade der Eintrittspreis von 11 Euro im Vorverkauf und 14 Euro an der Abendkasse ist mehr als fair, kostet doch ein Einzelkonzert von SEPULTURA allein schon gut das Doppelte. Zieht man dann noch die sehr gute Organisation des Festivals und das erstklassige Händchen der Veranstalter für interessante Nachwuchsbands in Betracht, dann kommt man kaum umhin, eine klare Besuchsempfehlung auszusprechen.