Ein Film ist zu 51% Bild und zu 49% Ton. Er kann noch so bildgewaltig sein – die passende Musik ist oft der eigentliche Emotionsträger. Kein Wunder also, dass der ein- oder andere Filmscore ebenso bekannt ist wie der dazugehörige Film, oder der Score dessen Bekanntheitsgrad noch überflügelt. So lud das VENEZIA FILM ORCHESTRA & CHOIR zur Sommernacht der Filmmusik in den Brunnenhof der Münchener Residenz, um dort die größten Soundtrack-Hits in passender Open-Air-Atmosphäre zu präsentieren.
Das Orchester eröffnete den Abend mit einem Medley aus bekannten Melodien aus der Zeit, als die Filme noch Schwarz-Weiß waren. „Singing In The Rain“, „Somewhere Over The Rainbow“ und „Guilty Of Loving You“ waren nur einige der Stücke, die dabei angeschnitten wurden. Nach einer Begrüßung und Moderation durch Schauspielerin und Synchronsprecherin Marieke Oeffinger folgten weitere Klassiker und Medleys wie beispielsweise zu „Ben Hur“, „James Bond“ und der zauberhaften Welt von „Harry Potter“. Das epische „Conquest of Paradise“ wurde sogar mit Chor vorgetragen. Und auch nach der Pause waren mit träumerischen Melodien aus „Forrest Gump“ und „Titanic“ eigentlich einige Stimmungsgaranten dabei.
Leider jedoch konnte sich genau diese Stimmung während des ganzen Konzerts nicht wirklich auf das Publikum übertragen. Das Soundbild war denkbar ungünstig, selbst wenige Meter vor der Bühne klang die Musik seltsam indirekt und kraftlos, als wäre sie gar nicht aus den Instrumenten gekommen, die man vor sich sah. Auch die Mischung der einzelnen Instrumente klang an vielen Stellen seltsam verkehrt. Daher ist es schwer zu sagen, ob das eigentliche Soundproblem nun am Soundpult oder doch eher am Orchester selbst lag. Wer ein wenig Ahnung von Orchesterklang hat, suchte bei diesem Konzert meistens vergeblich nach penibler Intonation und kontrastreicher Dynamik. Einzig Dirigent Nayden Todorov demonstrierte körperliche Dynamik für mehr als nur einen Menschen und leitete sein Orchester mit ansteckend guter Laune und Energie, selbst durch die kniffeligsten Passagen. So ergab sich streckenweise die ein oder andere wirklich schöne Phrase, die einen die Soundprobleme vergessen ließ und zum Träumen, zum „Kino im Kopf“ einlud. Dass die Musiker für sich sehr gut spielen können, zeigten exemplarisch jeweils ein Solist und eine Solistin an der Geige, die bei „Der Duft von Lavendel“ und „My Heart Will Go On“ ihre Virtuosität bewiesen. Trotzdem hätten sich die Musiker gegen die Klangausgleich-Schwierigkeiten noch zwei- dreimal zusätzlich auf der Bühne einstimmen sollen.
Ebenfalls etwas unglücklich verlief die Moderation des Konzertabends. Marieke Oeffinger wusste zwar einige interessante Details zu den Werken zu erzählen, doch es fehlten Witz und Spritzigkeit, um sie unterhaltend zu verpacken. Da hätte gerade sie als „Frau vom Fach“ etwas freier sprechen, mehr improvisieren und ein wenig aus dem Nähkästchen plaudern können.
Die Filmmusik-Auswahl gestaltete sich leider ähnlich überraschungsarm. Natürlich erwartet der Durchschnitts-Konzertbesucher in einer solchen Setlist die berühmte Filmmusik aus James Bond, Harry Potter, Herr der Ringe, Fluch der Karibik und Co. – doch ist das nicht etwas zu generisch? Etwas zu selbstverständlich? In über 100 Jahren Filmgeschichte hat das Genre durchaus mehr zu bieten als nur diese grandiosen, aber eben dauerpräsenten Klassiker. Und nicht nur in über 100 Jahren – nein, auch im letzten Jahrzehnt hätte es viel Schönes gegeben. Denn wer einen Blick auf die Setlist wirft merkt schnell: kein Score ist jünger als 2003. Sind wir in der Zeit stehen geblieben? Natürlich sind neue Partituren nicht günstig, und viele moderne Soundtracks leben heutzutage von außergewöhnlicher Instrumentierung und/oder viel Elektronik, die man live mit einer Standard-Orchesterbesetzung gar nicht umsetzen kann. Dennoch hätte man die Stückauswahl etwas zeitgemäßer gestalten können. Warum denn nicht Adeles „Skyfall“ an das James Bond Medley anhängen, warum das Publikum nicht statt „Fluch der Karibik“ mit Hans Zimmers „Sherlock Holmes“ Soundtrack überraschen? Und wenn man schon einen Chor im Gepäck hat, warum sich nicht an „Avatar“ wagen? „Drachenzähmen leicht gemacht“, „Argo“, „Inception“, „Ratatouille“ … die Auswahl wäre groß gewesen um zumindest ein Werk dieses Jahrzehnts in die Setlist mit einfließen zu lassen.
So blieb die Sommernacht der Filmmusik in München zwar ein entspannter Konzertabend, aber leider hinter den Erwartungen zurück. Gerade verglichen mit der „Die große Welt der Filmmusik“-Tour des Klassik Radio Pop Orchestras vor einigen Jahren wusste diese Sommernacht der Filmmusik nicht vollends zu überzeugen. Man hatte fast durchgehend das Gefühl, nur eine abgespeckte Version dessen zu hören, was das VENEZIA FILM ORCHESTRA & CHOIR eigentlich zu leisten vermag. Erst gegen Ende, und vor allem bei der Zugabe „O Fortuna“ aus Carl Orffs „Carmina Burana“, schien sich der Schleier ein wenig zu heben, wuchtig und kraftvoll verschmolzen Orchester und Chor zu einer der epischsten Melodien der Musikgeschichte. Und entließen so ihr Publikum mit einer Gänsehaut in die kühle Sommernacht.
Setlist:
01. Schwarz-Weiß-Medley
02. Ben Hur
03. Dr. Schiwago
04. James Bond-Medley
05. Star Wars-Medley
06. Harry Potter-Medley
07. Conquest of Paradise
Pause
08. Disneyland-Medley
09. Der Duft von Lavendel
10. Herr der Ringe-Medley
11. Forrest Gump
12. Titanic – My Heart Will Go On
13. Fluch der Karibik-Medley
Zugabe:
14. Carmina Burana – O Fortuna
Diese Konzertkritik hat mir gut gefallen. Ich bin der gleichen Meinung. Die ganzen
Arrangements waren weit entfernt von den Originalen. Die Musiker haben teilweise gespielt wie ein Schulorchester. Offensichtlich fachkundige Zuhörer haben schon nach wenigen Titeln das Gelände verlassen. Auch ich war sehr ent-
täuscht. Wenn ich nicht extra deshalb 500 km angereist wäre, hätte ich mich
wahrscheinlich auch vorzeitig entfernt.