Wie feiert man seinen 10. Geburtstag? Richtig, mit alten Freunden, Weggefährten und gerne gesehenen Gästen. Die Hälfte aller Bands bzw. Künstler des Samstags war bereits im ersten Jahr 2007 mit von der Partie im beschaulichen Höchstadt. Alle anderen Combos haben dem Festival im Laufe der letzten Dekade mindestens einen Besuch abgestattet – und offenbar Eindruck hinterlassen. Warum die Veranstalter genau diese Kapellen zur großen Sause zurückholen, beweisen jene auf individuelle Art der Reihe nach.
„Singt! Feiert! Vögelt!“ appelliert Arachon von der TROLLFAUST bereits am Mittag an die ersten Besucher. Mit traditioneller Marktmusik beschallen die Schwaben zunächst die Hauptbühne und dann während der Umbaupausen den Markt nebenan. Dabei bietet der Fünfer aus dem Süden Deutschlands nicht nur etwas fürs Ohr, sondern auch fürs Auge. Mit ihren Kostümen werden die fünf Musiker ihrem Namen zweifellos gerecht, musikalisch gerät der Tageseinstieg mit „Stelle Splendens“ und Co. insgesamt sehr traditionell.
Eine ganze Spur härter dringen anschließend NACHTGESCHREI über die Lautsprecher. Ihr Set eröffnen die sieben Folkmetaller mit dem instrumentalen „Kerberos“, welches fließend in „Eden“ vom letzten Longplayer „Staub und Schatten“ mündet. Mit ausgeprägtem Fokus auf Gitarre und Schlagzeug, die melodisch mit Dudelsack und Drehleier unterfüttert werden, präsentiert das Septett weiter vorwiegend neue Vorzeigenummern wie „Die wilde Jagd“, „Das Nichts“ oder „Monster“. Während „Spieler“ unterteilt Martin die Menge in Team Tilman und Team Sane, die sich – mit ordentlich Elan auf beiden Seiten – im Hinblick auf Lautstärke duellieren. Musikalisch offenbart das Septett nicht nur bei der Songauswahl immer noch einige Parallelen mit der 2007er Besetzung, wenngleich Sänger Martin seit einigen Jahren eine andere, neue Qualität ans Mikro bringt. Trotz seines Geburtstages verzichtet Sackpfeifenspieler Nik aus Zeitgründen auf einen Ausflug in die Menge, doch auch ohne direkten Körperkontakt erreichen NACHTGESCHREI ihre Publikum und lassen ihre energiegeladene Show schließlich mit „Schlaflos“ gediegen ausklingen.
Beim diesjährigen „Das Spectaculum rockt“ noch vor Nachtgeschrei am Start, entern METUSA dieses Mal nach den Folkmetallern die Bühne. Im Vergleich zu Parsberg präsentieren die sieben Musiker ein etwas anderes Set, das neben dem neuen Album „Dreckfresser“ auch vermehrt Traditionelles wie „Raggle Taggle Gypsy“ umfasst. Diese Mischung sorgt ebenfalls für rundum gelungene Stimmung im Burghof, wenngleich METUSA mit ihrer Version von „Wenn ich tot bin“ nicht ganz den Level von Tir Nan Og am Vortag erreichen. Dafür transportieren die ganz in rot und schwarz gekleideten Musikanten bei „Barfuß am Strand“ einige Menge Urlaubsfeeling und machen bei „Hüter der Meere“ inklusive Plastikdelfinen ihren Support für die Umwelt (und namentlich Sea Shepherd) deutlich. Als großes Plus des Siebeners erweist sich die Erfahrung von Frontmann Domenicus der Saitenreiter, der mühelos seine Mitmusiker und die Zuschauer einbezieht. Nach viel Folk, einer guten Prise Punk-Rock und etwas Mittelalterromantik überraschen die Marktveteranen bei der Zugabe mit ihrer Version des „Gummibärchen“-Titellieds. So verabschiedet sich die Band am Ende zu lautem Applaus mit einem Augenzwinkern.
„Mahlstrom“ lautet der Name des neuen Werks von ERIC FISH & FRIENDS. Wenige Tage vor dem offiziellen Release nutzt der Subway-to-Sally-Sänger die Gelegenheit an der Aisch zur ersten Feuerprobe für das neue Material. Diese glückt mit den zwei neuen erdigen Songs „Mahlstrom“ und „Kreuzfahrt“ direkt zu Beginn des rund einstündigen Sets. Die Musik des Barden entschleunigt das bisherige Tagesprogramm, das Publikum lauscht und nimmt zwischenzeitlich sogar fast geschlossen Platz. Lediglich als es ans kollektive Singen, ans „Anders sein“, geht, erklingen die Stimmen im gemeinsamen Chorus zu dünn und zart. Eric selbst kann dies nicht passieren, kraftvoll schmettert er Irisches à la „The Lilly Of The West“ und überführt das mystische „Voodoo“ von Godsmack in eine Singer/Songwriter-Fassung der Extraklasse. Keine Frage, in diesen Auftritt und in diese Musik steckt der Bandleader all sein Herzblut, sowohl lyrisch als auch musikalisch. Auch ohne Schlagzeug und Gitarrist Uwe, der die Freunde verlassen hat, ist der Sound voll und auf seine ganz eigene Art intensiv, besonders bei seiner Hannes- Wader-Interpretation von „Es ist an der Zeit“. Lediglich die Hommage an den Wikingergruß der Isländer bei der Fußball-EM 2016 wirkt etwas künstlich, der Fluss der Musik vom Anfang bis hin zum Blind-Guardian-Cover „Bard’s Song“ am Ende ist hingegen völlig natürlich, homogen und ruht in sich selbst.
War 2011 noch eher nicht das Jahr von TANZWUT auf dem Schlosshof Festival, so präsentieren sich Teufel und seine Männer dieses Jahr von ihrer Schokoladenseite. Mit im Gepäck haben sie ihre neue Scheibe „Schreib es mit Blut“, von der es neben des Titeltracks u.a. noch „Reicher als ein König“ zu hören gibt. Als Vorgeschmack auf die Tour im Herbst eine weise Entscheidung, zumal das aktuelle Material wieder deutlich mehr Substanz aufweist als die Veröffentlichungen davor, wie auch das schwache „Freitag der 13.“ als Teil des Sets beweist. Unter dem Strich musizieren sich TANZWUT erfolgreich mit viel Feierlaune, Pfeffer im Hintern und ohne Hits wie das Die-Ärzte-Cover „Bitte bitte“, „Der Arzt“ oder „Weiße Nächte“ durch ihr Semiheadliner-Set. Der „Rückgratreißer“ darf ein letztes Mal Festival-Atmosphäre schnuppern, wie Teufel ankündigt, und besonders zu Beginn vereinen die Berliner beinahe das gesamte Publikum hinter sich. Elektro-rockige Evergreens wie „Ihr wolltet Spaß“ und traditionell Modernes wie die aufgepeppte Version der Merseburger Zaubersprüche tragen dazu bei, dass sich das Stimmungshoch lange hält. Am Ende überraschen TANZWUT mit einer Zugabe, die „Stella Splendens“ mit einer Choreografie aller Bandmitglieder vereint, welche zusammen das Tanzwut-Logo oder wahlweise das Cover von „Schreib es mit Blut“ bilden.
Als krönender Abschluss heißt es: Manege frei für den „Zirkus Zeitgeist“! Die Spielleute von SALTATIO MORTIS feiern ihre triumphale Rückkehr zum Schlosshof Festival und haben den Besuchern erneut etwas mitgebracht. Nachdem umfangreiche Pyro-Elemente zu „Prometheus“ bis dato eher den Marktauftritten der Karlsruher vorbehalten blieben, feuern die Totentänzer dieses Mal auch bei ihrer Rockshow im wahrsten Sinne des Wortes aus allen Rohren. Wilde Flammenspiele erhellen den Nachthimmel, während Alea eine der zeitgenössischsten Zirkusfragen an das Publikum richtet („Wo sind die Clowns?“) oder die Gier anprangert („Des Bänkers neue Kleider“). Ein furioser Auftakt für rund zwei Stunden (!) feinsten Folkrock, der sich komplett emanzipiert hat und sich vor keiner anderen Band mehr verstecken muss. Erst nach rund zehn Liedern wird es erstmals weniger tanz- und feierwütig im Schlosshof: „Nachts weinen die Soldaten“ regt zum Nachdenken an, ehe Trommler Lasterbalk den bitterbösen „Hochzeitstanz“ mit einer seiner berühmt-berüchtigten Ansagen einleitet: Viele Frauen würden den Song trotz des Inhalts gerne auf ihrer Hochzeit spielen…weil die Melodie so schön ist. Ein kurzes Lachen geht durch die Menge, ehe SaMo wieder in den Partymodus schalten und „Satans Fall“ sowie „Sündenfall“ folgen lassen. Nimmermüde treffen die Spielmänner auch mit ihren Ansagen zu ernsten Songs wie „Todesengel“ den richtigen Ton. Das Lied erzählt Geschichte der Zwillinge Eva und Miriam Mozes. Die beiden Geschwister gerieten im Vernichtungslager Auschwitz in die Fänge von Josef Mengele, der wegen seiner grausamen medizinischen Experimente an eineiigen Zwillingen bekannt wurde und den Spitznamen „Todesengel“ trug. Der Song wirkt wie ein Mahnmal an diese Zeit.
Nach dem regulären Set ist der Konzertabend noch längst nicht beendet: Nach dem Klassiker „Tritt ein“ und dem neumodischen „Trinklied“ betritt sogar Veranstalter Thomas Ackermann die Bühne, bedankt sich bei allen Beteiligten für die zehn Jahre und erteilt SALTATIO MORTIS noch die „offizielle Genehmigung“ für einen allerletzten Song. Die Wahl fällt auf „Geradeaus“ und dieser beendet dann standesgemäß das Jubiläumsfestival endgültig.
Zum 10-jährigen Festivalgeburtstag halten alle Bands, was man sich im Vorfeld von ihnen versprechen konnte. Mehrheitlich liefern sie sogar noch ein bisschen mehr ab, gehen an ihre Grenzen und sorgen bei bestem Festival-Wetter für einen fulminanten Samstag, den auch die Besucher entsprechend würdigen – egal ob vor der Hauptbühne oder bei den zahlreichen Marktartisten. In dieser Form dürften die ersten zehn Jahre beim Schlosshof Festival nur der Anfang sein, wahrscheinlich zukünftig mit mehr als nur einem Ausrufezeichen am Samstag, sondern einem Freitag als Anheizer-Tag. Oder auch einem Sonntag als Ausklang?
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von:
Bernd Sonntag / http://www.konzertreport.de – dort findet ihr unter anderem die vollständige Galerie zu diesem Festival!