Festivalbericht: Ragnarök Festival 2017

21.04.2017 - 22.04.2017 Lichtenfels, Stadthalle

Es wird wieder ins Horn geblasen: Pünktlich am Wochenende nach Ostern lädt das Ragnarök Festival zu seiner 14. Auflage in die Stadthalle nach Lichtenfels ein. Vor Ort: Spielfreudige Bands und feierwütige Horden von Metalheads, die deren Auftritte gebührend abfeiern.

Freitag, 21.04.2017

Die Ehre, das Festival zu eröffnen, haben die Berliner Folk-Metaller KULTASIIPI, die mit ihren überwiegend flötenlastig-beschwingten Klängen den frühen Vögeln unter den Festivalgängern 40 Minuten lang Mittelaltermarkt-Flair in die Stadthalle zaubern.

Einen routinierten Auftritt legen im Anschluss die Pagan-Metaller von FIRTAN hin. Technisch kann dem Fünfer aus Lörrach in Baden-Württemberg niemand einen Vorwurf machen: Riffs und Rhythmus sitzen auf den Punkt. Allein, es fehlen der Dreck und der Wahnsinn, die eine Metal-Show zu einer Erfahrung machen, die über den reinen Party-Aspekt hinausgeht. Das Keyboard-Orchester vom Band nimmt den an sich schlüssigen, durchdachten Songs manchmal die Luft zum Atmen, die Persönlichkeiten der Musiker wirken im Kontext der im Schwarzmetall verwurzelten Musik verwirrend brav und kantenlos. Auch die Versuche der Band, das Publikum zum Mitklatschen zu animieren, sind häufig deplatziert. So bleibt unterm Strich ein solider Auftritt im Gedächtnis. Nicht weniger, aber gewiss auch nicht mehr.

Wer nach mehr Tiefgang sucht, tut gut daran, in der Halle zu bleiben: ANOMALIE, das Solo-Projekt von Marrok, Live-Gitarrist der später ebenfalls noch auftretenden HARAKIRI FOR THE SKY, bringt seinen melodisch-atmosphärischen Black Metal zu Gehör. Session-Musiker machen dabei die Bandbesetzung komplett. Vor der Bühne hat sich mittlerweile eine beachtliche Menschenmenge angesammelt. Allein schon die Hirschgeweihe an den Mikrofonständern machen deutlich, was das Publikum erwartet: Eine Reise ins Reich naturmystischer Spiritualität in Form melodischer und melancholischer Black-Metal-Meditationen mit teils fast psychedelischer Wirkung. Dass der Auftritt die wie gebannt lauschenden Zuhörer nicht vollends in einen dunkel schillernden Strudel zu ziehen vermag, muss man wohl  auf die noch frühe Tageszeit schieben – der Auftritt beginnt um 15.50 Uhr. Zu späterer Stunde mit etwas mehr Schwere und Erschöpfung im Leib, hätte der Auftritt von ANOMALIE das Zeug zu einem Tageshighlight gehabt.

Am späten Nachmittag ist es Zeit für die Italiener VOLTUMNA, dem Ragnarök-Publikum eine Lehrstunde in etruskischer Geschichte näherzubringen. Mit einem prätentiösen Bühnenbild, das unter anderem Mönchsroben, Totenschädel und Engelskulpturen beinhaltet, bietet die Gruppe manchem Zuschauer vielleicht etwas zu viel Theatralik. Relativ indiskutabel erscheint hingegen die musikalische Darbietung: Wer mit südeuropäischer Heißblütigkeit rechnet, irrt gewaltig, stattdessen gibt es skandinavisch anmutenden Black Metal mit brachialem Death-Metal-Einschlag auf die Ohren. Ob VOLTUMNA dabei Eigenkreationen wie „Disciplina Etrusca“ oder „Roma Delenda Est“, oder aber eine Cover-Version des Venom-Klassikers „Black Metal“ präsentieren, sowohl Songs als auch Musiker überzeugen live auf ganzer Linie. Umso mehr ist es bedauerlich, dass der kurzweilige Auftritt letzten Endes nicht annähernd die Zuschauerdichte, die die Italiener damit verdient hätten, für sich verbuchen kann. (Pascal W.)

Die Italiener von VOLTUMNA sind mit ihrem drollig klischeetriefenden Corpsepaint quasi die Quoten-Pandas des Festivals. Für solch elaborierte Schminkkünste möchte man den Südländern am liebsten eine tröstliche Umarmung zukommen lassen. Auf der Bühne sind zwei Aufsteller mit Engelsfiguren zu sehen, die sich ausnehmen wie von einem beliebigen, mittelmäßig designten Gothic-Shirt eines einschlägigen Merchandise-Händlers kopiert. Davor die Musiker, gehüllt in mönchsähnliche Roben und ein Sänger, der an einem Altar mit einem Schädel herumfuhrwerkt. Auch die Musik, die sich wohl in Tradition von Bands wie Behemoth oder Necrophobic irgendwo zwischen Black- und Death Metal bewegen soll, sorgt zuweilen für Stirnrunzeln: Dann etwa, wenn auf traditionell norwegische Tremolo-Gitarren und eisiges Keifen ein Metalcore-Breakdown folgt. So kommt es auch, dass die meisten Besucher es vorziehen, die Spielzeit von VOLTUMNA für ein Bier, ein Nickerchen auf dem Zeltplatz oder einen Spaziergang über den großen Metal-Markt zu nutzen. Die ohnehin schon spärlich gefüllte Halle wird während des Gigs eher noch leerer als voller. (Nico S.)

Ein Zustand, der sich schlagartig ändert, als ELLENDE zu spielen beginnen. Die österreichischen Post-Black-Metaller gehören definitiv zu den Aufsteigern der Szene. Sie haben allen Grund, die Zuhörer mit einem herzlichen „Dankeschön! Ihr seid großartig!“ zu begrüßen, denn das Lichtenfelser Publikum frisst der Gruppe förmlich aus der Hand und lässt sich widerstandslos in den Gefühlsstrudel der Klänge hineinziehen. Selbst die vom Band zugespielten Instrumentalstimmen, Sprach- und Schreisamples wirken hier keinesfalls wie Fremdkörper. Das liegt auch am Sound, der gleichermaßen druckvoll wie differenziert daherkommt – erstaunlich in Anbetracht der Tatsache, dass die Lichtenfelser Stadthalle als akustisch schwierige Location gilt. Besonders Frontmann Lukas, der auf Platte alle Instrumente selbst übernimmt, macht seinen Job außerordentlich gut. Die Screams des jungen Manns aus Graz, der zu den charismatischsten Musikern des Festivals gehört, gehen durch Mark und Bein. Da braucht es keine übertriebene Bühnenshow, um faszinierende Gefühlswelten von depressiv-erhabener Schönheit zu öffnen.

An Charisma mangelt es auch dem Fronter der nächsten Kapelle keinesfalls: Seuche von der Hamburger Punk-Black-Metal-Institution FÄULNIS stürmt die Bühne mit Sakko, Feinripp-Unterhemd und Hosenträgern über dem Bierbauch. Die Show ist von Anfang an auf auf den Sänger fokussiert, der springt, rennt und sich auf der Monitorbox in Rockstar-Posen ergeht. Das Publikum in den ersten Reihen vor der Bühne begrüßt die Nordlichter, die auf dem Ragnarök Festival offenbar auf eine stattliche Riege von Die-Hard-Fans zählen können, frenetisch. Räudig beginnt das Set mit „Metropolis“, dem Opener des noch taufrischen Albums „Antikult„. Räudig geht es mit „Weil wegen Verachtung“, dem Quasi-Hit der Vorgängerscheibe „Snuff II Hiroshima„, weiter. Das Publikum stellt gute Materialkenntnis unter Beweis, sodass bald ein lautes „Eskalation, Dekonstruktion“ durch die Halle schallt und sich ein Meer aus Fäusten der Bühne entgegenreckt. Die Euphorie ebbt selbst dann nicht ab, wenn Seuche mit „Thanatos II“ einen „Blick in die Vergangenheit“ ankündigt. Ihren eindeutigen Höhepunkt erreicht die Stimmung während „Weiße Wände“, das Marrok von ANOMALIE und HARAKIRI FOR THE SKY als Gastsänger unterstützt. Wohl zum ersten Mal an diesem Festivaltag ergibt sich dabei ein kleiner Pit. Einziges Manko: Seuches Gesang geht im Mix stellenweise unter. Doch letztlich unterstreicht diese Unperfektion nur die Punk-Attitüde der Band. Wer von einem FÄULNIS-Gig eine glattgeleckte Darbietung erwartet, hat etwas grundlegend falsch verstanden.

Die Avantgarde-Metaller von FJOERGYN hingegen dürften durchaus auf Perfektion aus sein. Allein an den Bühnenaufbauten ist ersichtlich, dass die folgenden 40 Minuten ganz der großen Geste gewidmet sein werden. In zwei Pyro-Elementen flambieren die Thüringer künstliche Menschenherzen. Der Gig steht im Zeichen der komplexen Kompositionen des aktuellen Studioalbums „Lvcifer Es„. Vertrackten Nummern wie „Terra Satanica“, „Viva la Inquisition“ oder „Blut Samen Erde“ spielt der einmal mehr herrlich transparente Sound in die Hände: Wer genau zuhört, kann jedes Wort von Sänger Stephan L. verstehen. Der Blockbuster-Breitband-Metal der Jenaer funktioniert auf der Bühne sogar besser als im Studio, wo das Material schnell überladen wirkt.

Zwischen trist-melancholischem Avantgarde-Sound tut eine gewisse Auflockerung ganz gut und so ist es nun an den italienischen Power-Folk-Metallern ELVENKING, für ausgelassene Feierstimmung zu sorgen. Im krassen Gegensatz hierzu steht wiederum der Auftritt von HARAKIRI FOR THE SKY. Die Depressive-Post-Black-Metaller aus Österreich verstehen es geradezu meisterhaft, die in ihrer Musik vorherrschende Tristesse von den bisherigen drei Studioalben auf die Live-Bühne zu transportieren. So liefert die Truppe um Sänger und Texter J.J. sowie Gitarrist M.S. einen Auftritt ab, der keineswegs an Atmosphäre geizt und gar eine gewisse meditative Wirkung beim Zuhörer erzielen kann. Zu dieser trägt allerdings nicht unerheblich die Songauswahl bei, bei der man vielleicht ein besseres Gespür hätte walten lassen können, weil das dargebotene Material mit der Zeit doch ein wenig gleichförmig wirkt. Nichtsdestotrotz lässt sich HARAKIRI FOR THE SKY eine tolle Live-Präsenz bescheinigen, die besonders von J.J. ausgeht, der es auch ohne großartige Interaktion mit dem Publikum schafft, eben jenes vollends in seinen Bann zu ziehen.

INSOMNIUM spielen daraufhin als Headliner am ersten Festival-Abend auf und schon alleine die im Vergleich zu anderen Auftritten des Tages schier gewaltige Zuschauermenge macht deutlich, dass die Melodic-Death-Metaller eine der Hauptattraktionen des Festivals sind. Wer die Gruppe schon auf der Bühne erlebt hat, weiß, dass es sich um eine sehr fähige Live-Band handelt, und auch bei ihrem Ragnarök-Debüt zeigen die Jungs von INSOMNIUM ihr Können. Der dunkle, triste Klang des Albummaterials kommt auch vor dem Publikum in vollem umfang zur Geltung, hält Selbiges jedoch nicht davon ab, die Band und die Musik gebührend zu feiern. Dazu gibt es auch allen Grund, denn wer meinte, dass er vom neuen Ein-Song-Album „Winter’s Gate“ live nichts zu hören bekommen wird, hat sich getäuscht. Die Finnen nutzen die erste Hälfte ihres Auftritts, um den Song auf die Ragnarök-Bühne zu transportieren. Genug Zeit für alle Klassiker aus der bandeigenen Diskographie bleibt danach verständlicherweise nicht mehr, aber besonders das hitverdächtige „While We Sleep“ vom Vorgängeralbum „Shadows Of The Dying Sun“ bleibt noch lange nach dem Gig im Gedächtnis der Zuschauer.

Die Party-Fraktion kommt mit FINSTERFORST wieder voll auf ihre Kosten. Hier sticht zuerst der Mann mit dem Schifferklavier ins Auge und weckt Assoziationen zum Musikantenstadl. Und obgleich die Band live deutlich erdiger daherkommt als auf den sehr keyboardlastigen Platten, handelt es sich doch letztlich bei einem großen Teil der Songs um schwermetallisch lackierte Wirtshausgesänge – inszenierte Waldarbeiter-Romantik und Trinkhorn-Heroik inklusive. Ein Festivalpublikum  stört das nachts um halb zwölf angesichts des steigenden Alkoholpegels naturgemäß kaum. Die deutschrockigen Mitgröhl-Refrains erklingen gefühlt aus Tausend Kehlen und das Feiervolk kommt den zahlreichen Abgeh-Aufforderungen von Sänger Oliver bereitwillig nach. Spätestens als Equilibrium-Fronter Robse und Philipp von FIRTAN Unterstützung am Mikro anbieten, brechen alle Dämme.

Den Festivaltag beschließt ein Akustik-Set von DORNENREICH. Das polarisiert. So kommt es, dass sich die Reihen vor der Bühne sicher nicht nur aufgrund der späten Stunde deutlich lichten. Wer die Halle verlässt, tut dem Konzert jedoch eindeutig unrecht. Evíga und ínve geleiten mit schluchzenden Geigen- und warmen Akustik-Gitarren-Klängen in die Nacht. Das Bühnenlicht bleibt dabei dezent, wechselt die Farbgebung von Song zu Song und konzentriert sich  ansonsten darauf, die beiden im richtigen Farbenkleid auszuleuchten. Die Musiker scheinen so sehr in ihren Klängen aufzugehen, dass sie sich hin und wieder fast verliebte Blicke zuwerfen. Die Fans dürfen sich an Nummern wie „Traumestraum“, „Zauberzeichen“, „Hexenwind“, „Jagd“ oder „Dem Wind geboren“ erfreuen. Nachtschwärmende Träumer geben sich innigen Ausdruckstänzen hin, als existiere der Rest der Welt nicht mehr.

 

Samstag, 22.04.2017

Nachdem mit MUNARHEIM und FERNDAL zwei noch eher unbekannte Bands als Eröffnungsdoppel fungieren, fahren die Melodic-Black-Metaller von MALLEVS MALLEFICARVM immerhin Robse Dahn, seines Zeichens Sänger von Equilibrium, auf. Doch obgleich man diesem zutrauen würde, ein wirkungsvolles Zugpferd zu sein, bleibt die Halle vergleichsweise leer. An Energie mangelt es der Band aber nicht und so tönt das Material des pünktlich zum Ragnarök Festival erschienenen Debüt-Albums „Homo Homini Lupus“ kraftvoll und präzise umgesetzt durch die Konzerthalle. Trotzdem vermag der Funke vermutlich größtenteils nur auf die Schlachtenbummler direkt vor der Bühne überzuspringen, denn signifikant mehr Zuschauer können MALLEVS MALLEFICARVM im Laufe ihrer 40 Minuten Spielzeit leider nicht generieren.

Weniger ungestüm, dafür aber umso atmosphärischer geht es bei den Ungarn von SEAR BLISS zu. Optisch sticht zunächst der Posaunen-Mann ins Auge, der sein Spielgerät, wenn es gerade schweigen muss, wie eine E-Gitarre hält und damit rockstarmäßig posiert. Während das Blechblasinstrument in den ersten Songs der Gruppe noch im Mix vergraben bleibt, kämpft es sich im Laufe des Konzerts doch an die Oberfläche und sorgt auf ungewöhnliche Weise für eine heroische Breite im Sound – und das weitestgehend kitschfrei. Überhaupt setzen SEAR BLISS nicht auf technische Protzerei oder Dicke-Hose-Bombast, sondern lassen vielmehr die epischen Melodien sprechen, für welche die Formation eindeutig ein Händchen beweist. Für große Euphoriestürme im Publikum vermag das nicht zu sorgen, obwohl der Platz vor der Bühne auch zu so früher Stunde schon gut gefüllt ist.

Auf dem Ragnarök Festival darf auch anno 2017 traditioneller Viking Metal selbstredend nicht fehlen. Wenn ASENBLUT diesen auf der Bühne abliefern, bleibt kaum eine Haarmähne ungeschüttelt. Im Gegensatz zum Ragnarök-Debüt der Göttinger im Jahr 2013 ist die Bandbreite an Songs nun größer, sodass nebst aktuellem Material wie dem rasanten Opener „Berserkerzorn“ oder „Helden des ewigen Sturms“ auch Kracher wie „Mehr als nur Worte“ oder der Bandklassiker „Asenblut“, der zugleich als fulminanter Konzertabschluss dient, mit an Bord sind. Die Oben-Ohne-Nummer des Fronters Tetzel hinterlässt zwar den Eindruck unnötiger Selbstdarstellung, stört die gute Stimmung im Publikum, die  sich in einem energetischen Mosphit entlädt, jedoch nicht.

Wessen Durst nach Pagan Metal danach noch immer nicht gestillt ist, der tut gut daran, sich gleich im Anschluss an Asenblut vor der daneben liegenden Bühne einzufinden. Dort spielen nämlich BLACK MESSIAH auf und zelebrieren eine wirkungsvolle Schwarzmetall-Pagan-Folk-Mischung. Nach zehn Jahren Absenz vom Ragnarök Festival wird die Rückkehr der Gruppe von einer recht großen Zuschauermenge erwartet und BLACK MESSIAH enttäuscht diese keineswegs. Die Band sorgt für Stimmung und spätestens wenn der Party-Hit „Wildsau“ ausgepackt wird, ertönt dessen deutschrockiger Refrain auch aus der letzten bisher schweigsamen Kehle.

Spannend wird es beim Auftritt von PILLORIAN, der Band um John Haughm, dem ehemaligen Frontmann der mittlerweile aufgelösten Post-Black-Metal-Pioniere von Agalloch. Das im März erschienene Debütalbum der Formation, „Obsidian Arc„, konnte in vielen Szene-Medien gute bis euphorische Kritiken einheimsen. Ein Umstand, der die an die Live-Umsetzung des Materials geknüpfte Erwartungshaltung in luftige Höhen hievt. Dass die Band diesen Erwartungen gerecht werden kann, daran hat man zu Beginn des Gigs noch berechtigte Zweifel. Die Gruppe wirkt zunächst distanziert, scheint es kaum zu schaffen, eine Beziehung zu ihrem Publikum aufzubauen. Auf eine Ansage wartet man bis zuletzt vergebens. Das ändert jedoch nichts daran, dass die Musiker, zu denen auch Uada-Drummer Trevor Matthews und Maestus-Bassist Stephen Parker gehören, ihre Songs auf der Bühne perfekt umsetzten können – böse Zungen könnten behaupten: zu perfekt. Und doch: In der zweiten Hälfte des Sets, als Musiker und Publikum sich aufeinander eingestimmt haben, legt sich die Skepsis und dem Dreier gelingt es, die Sogwirkung zu entfalten, die seinem Studio-Material innewohnt. Auf alte Agalloch-Klassiker müssen die Fans allerdings vergeblich warten.

AGRYPNIE sorgen für den ersten Stimmungshöhepunkt des Tages und mit Post-Black-Metal voller urbaner Kälte für Kontrastprogramm zu den eher warmen, organischen Klängen von PILLORIAN. Überwiegend blaues Bühnenlicht verleiht den Musikern in Verbindung mit – diesmal dezentem und geschmackvollem – Corpsepaint einen unwirklichen Schimmer. Selbst der sehr künstliche Bass-Drum-Sound passt wunderbar zur Musik, die ihren Reiz gerade aus dem scharfen Kontrast zwischen technoider Sterilität und emotionalen Texten zieht. Als Paradebeispiele dienen Nummern wie „Erwachen“ oder „Schlaf“, die auch live den Spagat zwischen Wehmut und Härte perfekt hinbekommen, sodass viele Fäuste in die Höhe gehen. Sogar eine Überraschung hat die Band parat: Die Premiere einer Nummer vom neuen Studioalbum, das gerade in Arbeit ist. „Aus Zeit erhebt sich Ewigkeit“ heißt das Stück, das Evíga von DORNENREICH mit Text und Screams veredelt. Auch live ist er als Gast mit von der Partie und liefert dabei einen gewohnt expressiven Vortrag ab. Für Fans beider Gruppen besteht Gänsehautgarantie!

Die nächste Band hat bereits viel Ragnarök-Erfahrung und so läuft auch der nunmehr fünfte Auftritt von OBSCURITY beim Festival vollends routiniert und gekonnt ab. Die fünf Musiker servieren schwarzmetallisch angehauchten Viking Metal, der live nicht weniger brachial daherkommt und Eindruck schindet wie auf den durchweg starken Alben der Band. Die Gruppe gibt sich gewohnt spielfreudig und reißt das Publikum mit. Dass OBSCURITY eine Band ist, die sich nicht davor scheut, besondere Highlights zu ihren Festival-Gigs mitzubringen, beweist die Gruppe auch 2017: So ist die Darbietung des neuen Songs „Streitmacht Bergisch Land“ vom kommenden, noch unbetitelten Album der Gruppe, der vor einigen Wochen seine Premiere in Videoform erfahren hat, unbestreitbarer Höhepunkt des Auftritts, der von den Anhängern der Gruppe entsprechend inbrünstig und lauthals begleitet wird.

Mit HELRUNAR folgt Pagan Metal der eher räudigen, angeschwärzten Gangart. Es gelingt den Münsteranern, die Lichtenfelser Stadthalle in erhabene Weltuntergangsstimmung zu versetzen. Vom ersten Song „Niederkunfft“ an, der auch Opener des aktuellen, gleichnamigen Albums ist, machen die Mannen keine Gefangenen und wagen den Frontalangriff auf gleichermaßen Hirn und Nackenmuskulatur. Das kommt gut an, zumal sich die Gruppe in den vergangenen Jahren in Sachen Gigs rar gemacht hat. Authentische Musik mit Qualität braucht eben, wie Frontmann Marcel Dreckmann selbst sagt, „keine Schwerter und kein Feuer auf der Bühne“, um bedingungslos mitzureißen. Der studierte Volkskundler, der sich im HELRUNAR-Kontext Skald Draugir nennt, trägt seine Texte, die von nordischer Mythologie und der Geschichte des mittelalterlichen Europas inspiriert sind, im Gestus eines apokalyptischen Propheten vor und versteht sich darauf, die Menge mit einer extra großen Ladung an Charisma in seinen Bann zu ziehen. Gefühlt erreicht die Stimmung ihren Höhepunkt während der „Frostnacht„-Nummer „Unten und im Norden“, doch auch „Niederkunfft„-Material wie „Devils, Devils Everywhere“ und „Magdeburg brennt“ oder das „Sól I„-Highlight „Nebelspinne“ finden  Anklang und lassen besonders in den ersten Reihen die Haare fliegen.

Und schon steht der zweite Auftritt von DORNENREICH auf der Running Order. Diesmal jedoch mit elektrischer Gitarre und Drums. Für die zahlreich anwesenden Fans des deutschsprachigen Avantgarde-Black-Metals stellt auch die Show in der Metal-Besetzung ein emotionales Highlight dar, sodass sich vor der Bühne eine beachtliche Menge an Die-Hard-Fans einfindet, die alle Texte aus dem Stegreif drauf hat. Los geht es mit Evígas obligatorisch geflüsterten „Was zieht her von welken Nächten?“, ehe mit dem sich anschließenden „Eigenwach“ das Inferno losbricht. Besonders Evíga merkt man auf der Bühne ein ums andere Mal an, dass er seine Kunst lebt und selbst in Tausendfach gespielten Klassikern wie „Trauerbrandung“ oder „Leben lechzend Herzgeflüster“ noch gänzlich aufblühen kann. Die Setlist orientiert sich einmal mehr an derer der 2016er-Jubiläumstour. So finden Songs wie „Flammenmensch“, „Der Hexe flammend Blick“ oder die Metal-Version der „In-Luft-geritzt„-Nummer „Jagd“ ihren Weg auf die Ragnarök-Bühne. Hier wäre mal wieder ein wenig Variation angesagt. Doch diese spart sich die Band wohl für die Tour zum neuen Album auf, das gerade entsteht.

PRIMORDIAL liefern im Anschluss einen routinierten Gig ohne große Überraschungen ab. Sicher, Hymnen wie „Where Greater Men Have Fallen“ oder die sich niemals abnutzenden „Coffin Ships“ können ihre Wirkung überhaupt nicht verfehlen und wecken ein ums andere Mal Glückgefühle in jedem Fan epischen Metals. Auch Alan Averills Charisma ist ungebrochen. Der Ire hat bei den Konzerten seiner Band die Rolle eines Hohepriesters inne, auf den sich alle Blicke richten. Die anderen Bandmitglieder verkommen dabei fast schon zu Statisten. Das ist faszinierend anzusehen und doch mischt sich zuweilen ein fader Beigeschmack unter die Begeisterung, da Ansagen und Posen mit der Zeit doch recht einstudiert wirken. Wer darüber hinwegsehen kann, bekommt musikalisch mit „Babel’s Tower“,  „No Grave Deep Enough“, „Traitors Gate“ oder „Rome Burns“ trotzdem seine Vollbedienung. „Are you afraid?“, ruft der Frontmann seinem Publikum entgegen. Tut mir leid, lieber Alan: Diesmal leider nur ansatzweise.

Wie bereits 2016 mit Marduk hat das Ragnarök Festival auch in diesem Jahr wieder einen schwedischen Black-Metal-Hochkaräter am Start, der am zweiten Festivaltag als Headliner fungiert. Die Rede ist von DARK FUNERAL, deren erster Ragnarök-Gig für eine bis zum Anschlag gefüllte Halle sorgt. Vor der Bühne, im hinteren Bereich der Halle, auf den Rängen, überall finden sich Festivalbesucher, denen der Sinn nach Dunkelheit steht, zusammen, um der schwarzen Messe, die Lord Ahriman und seine Mannen stilecht mit Corpsepaint und Killernieten abhalten, beizuwohnen. Besonders für die langjährige Hörerschaft DARK FUNERALs handelt es sich bei diesem Auftritt auch um eine emotionale Angelegenheit, ist die Band doch erst seit vergangenem Jahr wieder vollends zurück auf der Bildfläche. Entsprechend kann es nicht verwundern, dass viel Zeit des einstündigen Auftritts für Material des aktuellen Albums „Where Shadows Forever Reign“ aufgewendet wird. So leitet das unheilvoll-düstere Intro des Openers „Unchain My Soul“ auch den Ragnarök-Gig ein und Kracher wie „As I Ascend“ oder der Album-Titelsong dürfen natürlich ebenfalls nicht fehlen. Selbstverständlich lassen es sich die Schweden jedoch nicht nehmen, Klassiker wie „666 Voices Inside“ oder „My Funeral“ darzubieten, deren Lyrics durch den neuen Frontkeifer Helharmadr gekonnt umgesetzt werden. Somit überzeugen DARK FUNERAL sowohl durch ansprechende Live-Künste als auch eine ausgewogene Setlist und können diesen Auftritt als vollen Erfolg für sich verbuchen.

Wer die schwarzmetallische Raserei von DARK FUNERAL unbeschadet überstanden hat, darf mit CRUACHAN nun wieder fröhlich und fidel sein Trinkhorn schwingen. Die folkigen Klänge von der grünen Insel verbreiten zu später Stunde noch einmal gute Stimmung in der Halle. In Sachen Songauswahl mischen die Jungs aus Dublin alte Lieblinge wie „The Morrigan’s Call“ oder das Christy-Moore-Cover „Ride On“, das heute leider ohne weiblichen Gesangspart auskommen muss, mit Songs neueren Datums wie „Blood For The Blood God“ oder „Born For War“. Ulkig anzuhören übrigens, wie viel Freude Fronter Keith Fay daran findet, gefühlt jedem zweiten Substantiv ein „fucking“ voranzuschicken.

Als um 0.20 Uhr die Dame und die Herren von TODTGELICHTER die Bühne betreten, beginnt nicht nur das letzte Konzert des Ragnarök Festivals 2017, sondern auch auch die letzte Show einer deutschen Post-Black-Metal-Institution, deren Karriere reich an künstlerischen Highlights ist. Die Hamburger lösen sich aus privaten Gründen auf und stehen nun ein letztes Mal auf der Bühne. Die weißen Outfits und Gesichter der Musiker schimmern im diffusen Bühnenlicht bläulich. Eine kaum greifbare Magie macht sich breit. Eine treue Fanschar vor der Bühne feiert zum letzten Mal ihre Lieblingsband. Als am Ende des eröffnenden Songs „Zuflucht“ eine Orgel erklingt, wirkt es, als spiele sich die Band ihr eigenes Requiem. Ein Studioalbum soll es noch geben, bevor endgültig Schluss ist. Und doch: „Wir verabschieden uns nicht für immer. In der einen oder anderen Konstellation wird man uns noch zu sehen bekommen“, kündigt Sängerin Marta an. Dass es trotzdem schade ist um TODTGELICHTER, machen Klassiker wie „Café Of Lost Dreams“ und „Phobos & Daimon“ vom Album „Angst“ oder der rasende „Blutstern“ vom Zweitling „Schemen“ genauso deutlich wie die gesetzteren Nummern von „Apnoe“ und „Rooms“: „Embers“, „Ghost“ oder „Pacific“ etwa. Auch der langjährige Gitarrist Claudio darf noch einmal die sechs Saiten bedienen. Was bleibt, ist die Erinnerung an ein rundum gelungenes Abschiedskonzert mit unvergleichlicher Atmosphäre. Einziger Wermutstropfen: Die  eingeforderte und verdiente Zugabe bleibt der Gruppe verwehrt. So muss das Abschiedskonzert ohne den Band-Klassiker „Moloch“ auskommen.

Abnutzungserscheinungen lässt das Ragnarök Festival nach 13 Jahren noch nicht erkennen. Im Gegenteil: Auch 2017 sind wieder sämtliche Qualitäten, die das Festival ausmachen, vorhanden: Großartige und abwechslungsreiche Bands, vielfältige Einkaufsmöglichkeiten für CDs, LPs, Merchandise und Schmuck, kompetentes und freundliches Personal sowie Speisen und Getränke zu erschwinglichen Preisen. Ein besonderes Lob gilt abermals dem Veranstalter Ivo Raab und dem Organisationsteam, die gekonnt für geregelte Abläufe, Auftrittsanfänge ohne große Verzögerungen und einen insgesamt besseren Live-Sound als noch im Vorjahr sorgen. Somit lohnt sich die Reise nach Lichtenfels abermals in vollem Umfang.

Publiziert am von Nico Schwappacher und Pascal Weber

Fotos von: Stefanie Mohlfeld

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