Eines der vielen wunderbaren Dinge, die Musikfans wieder und wieder auf Festivals zieht, ist zweifellos das dort herrschende Gemeinschaftsgefühl. Auf kaum einer Musikveranstaltung spürt man jedoch solch eine Zusammengehörigkeit wie auf dem Prophecy Fest. Das Festival, das 2015 von Prophecy Productions eigens für die bei dem Label unter Vertrag stehenden Acts ins Leben gerufen wurde, ist im Grunde eine große Zusammenkunft von musikästhetisch Seelenverwandten.
Ganz so wie Familientreffen ein Wechselbad der Gefühle sein können, war es auch das Prophecy Fest insbesondere im Jahr 2023. Einem hochkarätigen Lineup mit einigen exklusiven Highlights wie Agallochs überraschender Rückkehr auf die Bühne oder der (vorerst) einzigen Show von Gràb sowie dem wie immer eindrucksvollen Setting der Balver Höhle standen diesmal leider allerlei organisatorische Probleme gegenüber. Bedauerlicherweise sollten die technischen Komplikationen beim elektronischen Ticketversand, die Absagen von Bethlehem und Publikumsmagnet Arthur Brown sowie die Verwirrung um den Timetable und die diesjährig erstmals aufgestellte zweite Bühne nicht die einzigen Wermutstropfen bleiben…
Donnerstag, 07.09.2023
Schon bei der Ausgabe der Festivalbändchen bekommt man einen Vorgeschmack auf ein Phänomen, das für den weiteren Verlauf der restlos ausverkauften Veranstaltung bezeichnend sein wird: endloses Schlangestehen. Am ersten Tag, der wie im Vorjahr unter dem Namen „Prophetic Overture“ eine entmetallisierte Einstimmung darstellt, beschränkt sich das Warten in Folge allerdings noch auf den Ausschank des wahlweise hellen oder dunklen Freibiers der lokalen Landbrauerei Tobias Mohrmann.
Um 17:20 Uhr eröffnet ERNIE FLEETENKIEKER – ehemals Sänger der Band Fäulnis, inzwischen Metal-YouTuber („KrachmuckerTV“) und Autor – das Festival auf der im Gegensatz zum Vorjahr leider recht karg ausgestatteten Outdoor-Bühne mit einer Lesung seines „Metal Manifest“ auf äußerst launige Weise. Kauzig und ein wenig schwafelnd, wie man ihn aus seinen Videos kennt und liebt, erzählt der charmante Alleinunterhalter von seiner frühen und doch immer wieder neu entdeckten Liebe zum Metal, von seiner Beinahe-Scheidung wegen musikalischer Differenzen und von ulkigen Kultbands wie Metalucifer. Dabei steckt er das Publikum gekonnt mit seinem Enthusiasmus an – etwa, indem er dieses mit Trivialfragen zu Napalm Deaths „You Suffer“ einbindet und sich am Ende mit einem Lemmy-Zitat verabschiedet.
Als erster Musik-Act des Abends steht zwar die Post-Rock-Band ILLUDIUM auf dem Plan, tatsächlich gehört die Bühne aber allein Frontfrau Shantel Amundson und ihrer Gitarre. Auch im Zuge des Solo-Sets vermitteln ihre melancholischen Songs jedoch dieselbe erdige Kraft wie auf ihrem Debütalbum „Ash Of The Womb“ und die wunderbar filigranen Arrangements kommen so noch deutlicher zur Geltung. Vor allem beeindruckt Amundson, die beim Tuning zwischen den Stücken von deren Hintergründen erzählt, allerdings mit ihrer immensen Stimmgewalt, die den Lauschenden einiges an Anerkennung abringt und nach dem einen oder anderen Höhepunkt mit begeisterten Zurufen kommentiert wird.
- Semper Virens
- Soma Sema
- Ätopa
- Where Death And Dreams Do Manifest
Bei THURNIN sitzen im Anschluss zwar schon zwei Gitarristen auf der Bühne, der Auftritt des durchwegs stoisch dreinschauenden Duos gestaltet sich jedoch um einiges geruhsamer. Feinfühlig und perfekt aufeinander abgestimmt umspielen die beiden einander mit verträumten, angenehm flüssigen Gitarrenmelodien, die ganz ohne Gesang im Geiste ein wundersames Märchenland entstehen lassen. Erst im letzten Stück, als der Himmel sich bereits verdunkelt und vor der Bühne nur noch eine Feuerschale Licht spendet, verdüstert sich auch die Musik der Band – ein stimmiger Ausblick auf das noch Kommende.
- Winds Of Decay
- Vicariously, We Rest
- Utiseta
- Voyage
- Acquiescence
- Saera
- Tristam
- Trials Of Menhir
Im Vergleich zum übrigen Lineup der „Prophetic Overture“ erscheinen 1476 mit ihrer Besetzung aus zwei Gitarristen, einem Bassisten und einem Trommler geradezu maximalistisch. Dennoch wirkt das beschwingte Set der Band aus Salem keinesfalls überfrachtet. So sticht in den mystisch anmutenden Liedern, die durch die Trommel eine packende Dynamik besitzen, insbesondere Robb Kavjians gefühlsgeladene Performance heraus. Gerade dadurch ist leider allzu offensichtlich, dass dem Bandkopf an mehreren Stellen die Songtexte entfallen, was diesen sichtlich frustriert. Der mitreißenden Stimmung tut dies jedoch keinen Abbruch. So singen einige Fans in der ersten Reihe etwa inbrünstig die Backing-Vocals zu „Tristesse In Exile“, wobei man ihnen anhört, dass sie die Musik der Band gut kennen und nicht bloß wahllos mitgrölen. Einer solchen Leidenschaft können ein paar Patzer nichts anhaben.
- Where Kings Fall
- A Dream In Exile
- Sorgen
- Tristesse In Exile
- Solitude (Interior)
- Beyond The Meadows, Beyond The Moors
- Our Ice Age
Bei der letzten Show des Abends wird die inzwischen völlig im Dunkeln liegende Bühne schließlich doch noch atmosphärisch in Szene gesetzt. In einem stimmungsvollen Setting aus Kerzen, Knochenschmuck und mit Runen besetzten Fahnen spielen VRÎMUOT ein entsprechend düsteres Set, das vor allem aufgrund des nebulösen Gitarrensounds musikalisch durchaus interessant ist, allerdings von ein paar technischen Problemen und dem allzu pathetischen Gesang beeinträchtigt wird. Zudem zeigt sich hier einmal mehr, dass Neofolk mit Vorsicht zu genießen ist: Mögen VRÎMUOT heute auch keine offenkundig bedenklichen Botschaften vermitteln, so gibt der Umstand, dass die Band einen ihrer Songs nach dem in rechtsnationalistischen Kreisen gebräuchlichen Symbol der Wolfsangel benannt hat, in Kombination mit dem militaristischen Drumming und der vagen Modernitätsfeindlichkeit der Band Anlass zur Skepsis. Das Publikum scheint sich daran jedoch nicht zu stören und bleibt auch nach dem Ende des Auftritts um 22:00 Uhr noch in großer Zahl vor Ort, um die „Prophetic Overture“ mit einem Schlummertrunk ausklingen zu lassen.
- Holles Rat
- Folkhoolistik Minnesang
- Die Mär vom steinernen Mann
- Hateful Visions
- An den Mond
Freitag, 08.09.2023
Am ersten in der Balver Höhle stattfindenden Tag des Festivals sieht man sich leider mit allerlei organisatorischen Unstimmigkeiten konfrontiert: Vor dem Zelt, in dem Wertmarken als Zahlungsmittel für die nicht gerade günstige Verpflegung erstanden werden können, und insbesondere vor dem Merchstand sind die Warteschlangen von Anfang an kaum zu überblicken. Noch unerfreulicher ist jedoch die Einteilung der Auftritte auf der Zweitbühne im hinteren Teil der Höhle. Dort spielen die „kleineren“ Bands zwischen den Shows auf der Main Stage jeweils ein in zwei 15-20 Minuten lange Teile aufgespaltenes Set – eine, gelinde ausgedrückt, befremdliche „Lösung“. Der Übersichtlichkeit halber werden diese Auftritte in Folge in jeweils einem Absatz zusammengefasst.
Die Aufgabe, den in der Höhle stattfindenden Teil des Festivals einzuläuten, fällt in diesem Jahr YEAR OF THE COBRA zu. Die um 15:00 Uhr auf der Second Stage startende Show des Stoner-Doom-Duos ist bereits gut besucht und der ideale Weckruf für alle, die vom Vorabend noch übernächtigt sind. Mit nichts als einem Bass und einem Schlagzeug kreiert das verheiratete Paar mächtige Grooves und Frontfrau Amy Tung Barrysmith macht Shantel Amundson mit ihrer kräftigen Stimme ordentlich Konkurrenz. In der zweiten Hälfte wird die Musik der Band zwar ein wenig träge und der Bass allzu undifferenziert dröhnend, alles in allem gelingt dem Zweigespann jedoch ein starker Tagesauftakt.
Im Gegensatz zum nahbaren Opening-Act geben LASTER sich im Anschluss auf der Main Stage als Sonderlinge. Die schlaksigen Gestalten mit ihren außerirdisch anmutenden Schädelmasken spielen Black Metal der avantgardistischen Sorte und präsentieren sich entsprechend eigenartig. Eindringliche Screams, geisterhaft geraunte Clean-Vocals und intensive Instrumentierungen wechseln sich mit jazzig verspielten und doch subtil unheimlichen Parts ab, während die Musiker geschmeidig über die Bühne tänzeln und im Hintergrund surreale Videosequenzen projiziert werden. Letztlich bleibt der Auftritt des Trios als einer der interessantesten der Veranstaltung in Erinnerung.
- Wachtmuziek
- Vacuüm ≠ Behoud
- Kunstlicht
- Andermans Mijne
- Zomersneeuw
- Schone Schijn
- Vorm Alleen
- Stenen Spiegel
- Bitterzoet
Musikalisch anspruchsvoll sind auch die als Nächstes auf der Hauptbühne aufspielenden DISILLUSION. Die deutsche Band kombiniert brachialen Death Metal mit luftigen Prog-Rock-Passagen und setzt neben den üblichen Metal-Instrumenten gelegentlich auch ein Keyboard, ein E-Cello und eine Trompete ein, was im Gesamtsound allerdings leider nur selten herauszuhören ist. Auch sonst prägt sich die technisch tadellose, aber nicht sonderlich mitreißende Darbietung des Sextetts leider kaum ein, mag die Band sich mit ihrer freundlichen Art und Publikumsnähe auch Sympathiepunkte verdienen und einiges an Zuspruch vom Publikum bekommen.
- Am Abgrund
- Driftwood
- The Black Sea
- Alea
- Tormento
- The Mountain
Nach ihrer folkigen Akustik-Show vom Vortag entfesseln 1476 im Zuge ihres Metal-Sets, das vor allem die drängenderen Stücke ihres aktuellen Albums „In Exile“ enthält, einen Wirbelsturm der Emotionen. Heute sind beide Sänger textsicher und legen all ihre Wut in ihre Stimmen, während die dem Punk verwandte Instrumentierung das Blut der Anwesenden zum Kochen bringt. Gerade angesichts der schieren Wucht der Show ist es umso bedauerlicher, dass der aufgeheizten Stimmung durch die entzweiten Sets auf der kleineren Stage mittendrin allzu prompt ein Ende gesetzt wird. Der hörbaren Begeisterung des Publikums nach zu urteilen, hätten 1476 jedenfalls einen Slot auf der Main Stage verdient.
- Lost In Exile
- Lapis Fire: Through The Mist
- Jade Fire: A Paragon
- Carnelian Fire: The Gallows
- Winter Of Winds
- Ettins
Horror-Fans dürfen sich im Anschluss an einem frühabendlichen Schauermärchen erfreuen: Mit ihrer Show rufen THE VISION BLEAK die Geister der Vergangenheit in Gestalt ihres Debütalbums „The Deathship Has A New Captain“ wach. In einem schummrigen Setting vor einer projizierten Abbildung des Grafen Nosferatu höchstpersönlich führt die Band um die Herren Schwadorf und Konstanz die Platte in voller Länge auf. Obgleich Konstanz seine Rolle als Gruselgeschichtenerzähler überzeugend verkörpert und der stampfende Dark Metal der Besatzung des Todesschiffs wie dafür gemacht ist, das Publikum zu animieren, fühlt man sich von der eher routiniert wirkenden Darbietung nicht so recht mitgerissen. Albträume wird nach dieser soliden, aber nicht wirklich denkwürdigen Show wohl niemand haben.
- A Shadow Arose
- The Night Of The Living Dead
- Wolfmoon
- Metropolis
- Elisabeth Dane
- Horror Of Antarctica
- The Lone Night Rider
- The Grand Devilry
- Deathship Symphony
DARKSPACE müssen hingegen kein Seemannsgarn spinnen, um den ihrem Auftritt Beiwohnenden Furcht einzuflößen. Mit einer dröhnenden Gitarrenriffwand, deren Anfang und Ende man nicht zu erkennen vermag, getragenen mechanischen Beats und atmosphärischen Ambient-Klangflächen vertonen die Schweizer ein alles verschlingendes schwarzes Loch. Die Bandmitglieder selbst, die in den kalten Schein einer Lichtkugel in der Mitte der Stage getaucht sind, zeigen sich von ihrem eigenen Schaffen unbeeindruckt und stoisch wie intergalaktische Overlords, denen das Erlöschen von Sternen kaum einen Augenaufschlag wert ist. Als normalsterblicher Musikfan kommt man demgegenüber nicht umhin, DARKSPACE für diese Show zu bewundern.
Den letzten Slot des Tages auf der Second Stage füllen CRONE aus. Im Gegensatz zu ihrem recht schalen Akustik-Auftritt im Vorjahr kann die Band diesmal all ihre Stärken ausspielen. Die abwechslungsreiche Setlist deckt alle Facetten ihres Dark-Rock-Sounds ab und Frontmann sG, der seine heiseren Screams hier gefühlt öfter als auf Platte einsetzt, ist in Höchstform. Dass das Keyboard zwischen den übrigen Instrumenten nur sehr vereinzelt zur Geltung kommt und das Publikum ein wenig ausgedünnt ist, mag zwar etwas bedauerlich sein. Zumindest letzteres machen jedoch ein paar besonders enthusiastische Anwesende wett, die am Ende lautstark (wenn auch aus zeitlichen Gründen freilich vergebens) nach einer Zugabe verlangen.
- Abyss Road
- The Ptilonist
- Quicksand
- Towers Undergound
- Houses Of Gehenna
- Gemini
- Waiting For Ghosts
- Silent Song
Eine der renommiertesten „externen“ Bands, die das Lineup zusätzlich zu den labeleigenen Prophecy-Acts ausschmücken, ist MY DYING BRIDE. Die britische Musikgruppe, die einst den Death/Doom mitbegründet hat, stellt mit ihrer irrsinnig schwermütigen Performance eindrucksvoll unter Beweis, dass sie auch über dreißig Jahre nach ihren Anfängen noch zur Speerspitze ihres Genres gehört. Im hervorragend ausgewogenen Klang hört man alles heraus, was den Stil der Band auszeichnet – von Aaron Stainthorpes klagevollem Gesang und grimmigen Screams bis hin zur schluchzenden E-Geige. Während Stainthorpe, wie üblich in Begräbniskluft gekleidet, sich beim Singen vor Seelenqual krümmt und flehend nach dem Himmel langt, ist das Publikum offenkundig hin und weg – insbesondere, als die ersten Töne von „The Cry Of Mankind“ erklingen, was mit tosendem Applaus gewürdigt wird. Um diesen Zuspruch haben MY DYING BRIDE sich voll und ganz verdient gemacht.
- Your River
- Your Broken Shore
- Like Gods Of The Sun
- Catherine Blake
- The Cry Of Mankind
- She Is The Dark
- Turn Loose The Swans
- The Dreadful Hours
Wer nach dem langen Festivaltag und der bedrückenden Darbietung der Vorband auf der Main Stage bereits erschöpft ist, wird vom letzten Act des Abends bis an die Belastungsgrenze getrieben. AMENRA sind schließlich nicht gerade dafür bekannt, Easy Listening zu bieten. Wie üblich ist ihre Show ein bedeutungsschweres, audiovisuelles Erlebnis, das von harschen Kontrasten geprägt ist. Minimalistische, desolate Post-Rock-Passagen werden wie aus dem Nichts von brutalen Sludge-Ausbrüchen zerschlagen, die äußerst gezielt eingesetzten Scheinwerfer lassen wieder und wieder ein Blitzlichtgewitter über die Bühne hereinbrechen und im Hintergrund werden trostlose Schwarz-Weiß-Szenerien gezeigt. Dass Sänger Colin H. van Eeckhout grundsätzlich vom Publikum abgewandt ins Mikro schreit, erfüllt heute nicht bloß einen schwer nachvollziehbaren künstlerischen Zweck, sondern verbringt praktischerweise über weite Strecken, dass ihm im Zuge des Sets mehr und mehr die Hose im Schritt aufreißt. Amüsement über dieses Missgeschick lassen AMENRA mit ihrer unglaublich erschütternden Performance jedoch ohnehin gar nicht erst aufkommen.
- Thurifer Et Clamoir Ad Te Veniat
- PlusPrès De Toi
- Razoreater
- De Evermens
- Am Kreuz
- A Solitary Reign
- Diaken
>> Lies hier TEIL 2 …
… unter anderem mit GRÀB, DYMNA LOTVA, DARKHER und AGALLOCH sowie dem abschließenden Fazit.