PARTY.SAN bleibt PARTY.SAN: Auch in diesem Jahr konnten sich die Extreme-Metal-Fans Deutschlands und der Welt darauf verlassen, auf dem Flugplatz Schlotheim-Obermehler in der zentralthüringischen Provinz das zu bekommen, was sie gewohnt sind. Keine Experimente, sondern Bands, Bands, Bands, nette Gemeinschaft auf dem Camping-Platz, Bier, Cuba Libre, Merchandise über Merchandise und ein mehr als solides kulinarisches Angebot.
Wer seinen Festival-Urlaub hier verplant hatte, konnte sich freuen, denn größere Wetterkapriolen, wie sie etwa dem Wacken Open Air kurz zuvor immens zu schaffen gemacht hatten, blieben aus – wer einen Grund zu klagen finden wollen würde, könnte sich vielmehr über Hitze als über Nässe beschweren. Und so stand einem entspannten, übrigens wieder bestens organisierten Festival-Wochenende nichts im Wege.
Donnerstag, 10.08.2023
Die Ehre, die Hauptbühne des diesjährigen PARTY.SAN zu eröffnen, gebührt im Jahr 2023 den Polen von MENTOR. Ob die Leute insbesondere Lust auf diese Band haben oder nur nach vorne kommen, um den Beginn des kontrollierten Lärms beizuwohnen, ist schwer zu sagen, doch eins steht fest: Das Quartett macht es dem Publikum leicht, in Feierlaune zu kommen und bietet sein Set mit einer geballten Ladung Spielfreude und Energie dar. Gitarrist Raum’s Chord spielt eine kirschrote SG im Stil von Angus Young, doch mit AC/DC hat der hardcorelastige Mix der Combo aus Thrash und ein wenig Black Metal wenig zu tun. In den Ansagen wird der Frontmann seinem Künstlernamen King of Nothing gerecht und zeigt sich bescheiden und dankbar: „This is our first show in your beautiful country and we’re loving it already!“ Ein würdiger Einstieg! [MF]
Für ORBIT CULTURE geht es spätestens seit vergangenem Jahr, als die Schweden von ihren Landsmännern In Flames auf deren US- und Europatournee mitgenommen wurden, steil bergauf. Das Quartett aus Jönköping muss sich heute mit einer mutmaßlich etwas kleineren Crowd, als es auf jener Konzertreise vor sich hatte, zufriedengeben, doch der Vierer gibt Gas und ist wie schon Mentor mit einem herrlich drückenden Sound ausgestattet. Dabei kommt es der Band zugute, dass sie ihren modernen Death Metal mit deutlich mehr Groove als Melodie darbietet, denn auf dem PARTY.SAN geht es traditionell etwas krachiger zu. Die Live-Routine, die die Combo in letzter Zeit aufbauen konnte, merkt man ihr an und sie erreicht damit einige Achtungserfolge bei den Publikumsreaktionen – der berühmte Funke will zu dieser Tageszeit aber wohl noch nicht überspringen. [MF]
Etwas traditioneller gehen danach ANGELUS APATRIDA zu Werke, das deutet schon die Jackson-Gitarre aus der Rhandy-Rhoads-Serie von Frontmann Guillermo Izquierdo an. Und wenn schon von Instrumenten die Rede ist, muss lobend erwähnt werden, wie wahnsinnig tight die Spanier ihre Songs darbieten. Vielleicht liegt es lediglich daran, dass die Meute vor der Bühne auf dem PARTY.SAN erfahrungsgemäß linear mit der Stundenanzeige auf der Uhr anwächst, vielleicht sind viele nur neugierig auf eine der wenigen Bands auf dem Festival mit – einigermaßen – klarem Gesang, aber Fakt ist: Der Old School Thrash der Spanier mag nicht die Neuerfindung des Rades sein, aber er kommt – zu Recht – gut an und wird mit den ersten ernstzunehmenden Pits des Tages belohnt. [MF]
SUBORBITAL spielen im Zelt bereits vor einer stattlichen Anzahl von Leuten – und auch die Animationsversuche des beschwörende Blicke in die Menge werfenden Fronters gelingen zu dieser noch recht frühen Zeit solide. Das gilt auch für die teils anspruchsvollen Rhythmen, mit denen der eine leicht moderne Kante zeigende Death Metal der Nordrhein-Westfalen daherkommt. Dass der Rest der Gruppe eher zurückhaltend agiert, fällt da gar nicht weiter ins Gewicht. Das vermutlich Lovecraft’sche Monstrum auf den Bannern tut den Rest. [NS]
Definitiv ihre Fans finden auch die Jungs von GATECREEPER auf der Main-Stage. Die US-Amerikaner grooven tight, rocken stellenweise richtiggehend und präsentieren ihre fiesen Downbeats nicht nur kompetent, sondern auch mit fielen verminderten Noten in den Riffs. Der Sound macht vor allem im vorderen Teil des Festivalgeländes viel her. Insbesondere auch das Stage-Acting der Gruppe ist Beweis genug dafür, dass die Band gerade zu Recht auf der großen Bühne stehen darf: Chase füllt als agile Frontsau den Platz voll aus und reckt die Fäuste in die Luft, während sich der Rest der Band teils im guten alten Propeller-Banging ergeht. Klar also, dass sich die Menge nicht zweimal zu einem Circle-Pit auffordern lässt. [NS]
Melodischer, aber nicht weniger energetisch geht es im Zelt bei den Italienern von HELSLAVE zur Sache. Auch hier gibt der Sänger den Aktivposten, krümmt sich, ballt die Faust, während der Bass ein solide groovendes Fundament legt. Ob im walzenden Midtempo oder Abwechslung mit Doublebass – dieser Gig macht durchaus was her. Fans des melodischen Death Metal dürfen den Fünfer gerne antesten, sofern nicht schon geschehen. [NS]
Nicht unbedingt jedermanns Sache sind hingegen ARCHSPIRE mit Hawaii-Shorts und selbst noch auf dem Bass x Saiten: Technischer als bei diesen Kanadiern wird es heuer auf dem Party.San nicht mehr und in mancherlei Hinsicht bestimmt auch nicht abgedrehter. Ob das in diesem Fall ein Qualitätskriterium ist, muss jeder für sich selbst entscheiden. Fans moderner, hart dreschender Frickel-Mucke haben hier sicherlich ihre Freude, während manch traditioneller ausgerichtete Zeitgenosse sich angesichts der röhrenden, an Doubletime-Rap erinnernden Vocals eher verwundert die Ohren reibt. Fest steht: Technisch ist das ganz schön beeindruckend, auch wenn die Doublebass für den Geschmack des Autors dieser Zeilen doch etwas zu uninspiriert durch die Songs klackert. [NS]
Ein Glück für alle Nicht-Frickel-Freunde, dass BALMOG im Zelt dazu ein taugliches Kontrastprogramm liefern: Schon die matschige Gesichtsbemalung verrät, dass es bei den Galiziern in Richtung okkulten Black Metal geht, der von den ruppigeren Watain einiges gelernt hat. Da dringt eine formidable Soundwand durch die Boxen. [NS]
Mit TRIBULATION hat das Festival auch bei dieser Auflage eine typische Sonnenuntergangs-Band auf die Hauptbühne gebucht, die auch romantische bis schöngeistige Anwandlungen befriedigen kann. Bestens eingespielt, wie man es von derart routinierten Profis erwartet, zockt die Band in Wällen aus Nebel und vorwiegend blauem Licht und vor dem bislang größten Backdrop des Tages einen Gig herunter, an dem es nicht viel auszusetzen gibt, außer dass er vielleicht doch ein wenig ZU routiniert daherkommt. Oder mag dieser Eindruck daran liegen, dass mit Jonathan Hultén ein charismatischer Gitarrist fehlt, der mit der fledermausgleichen Präsenz bis vor Kurzem noch einen Fixpunkt der Live-Shows darstellte? Das heißt nicht, dass der Rest der Band schlecht performen würde, denn insbesondere auch heute wissen die Gitarristen, die sich zum Riffen Rockstar-like zusammenstellen oder Podeste zur Erhöhung nutzen, auch an dieser Front genau, was sie tun. Und auch wenn der geneigte Fans sicherlich schon zündendere TRIBULATION-Gigs erlebt hat, bleibt eine gute Dreiviertelstunde mit Gothic Metal der unpeinlichsten Art im Gedächtnis zurück, in den es sich ein ums andere Mal wunderbar hinein fallen lässt. [NS]
Ihre letzte Show für lange Zeit spielen im Zelt die Spanier von GRAVEYARD – und reißen dabei ab, als wollten sie sich mit einem fetten Ausrufezeichen vor der drohenden Vergessenheit bewahren. Angenehm unprätentiös, zugleich aber auch intensiv und bedeutungsschwanger, ohne jemals drüber zu sein. Die Leidenschaft für ihren gerne mal schleppend, mit Blastbeats über walzenden Riffs daherkommenden Death Metal kauft man diesen Männern jedenfalls zu jeder Sekunde gerne ab. Ein Glück, dass zum Schluss des Gigs noch das Versprechen zu vernehmen ist: „Wir kommen zurück!“ [NS]
NILE machen bei ihrem Auftritt auf der Main-Stage zu fortgeschrittener Stunde einen deutlich runderen und stimmigeren Eindruck als 2017 beim letzten Mal an dieser Stelle, zeigen den ähnlich gelagerten Bands dieses Festivals, wie technischer Metal geht, ohne den Song als solchen aus den Augen zu verlieren. Daran können auch die einmal mehr hart getriggerten Drums nichts ändern, die sich hier zum Glück gut in den Gesamtsound einfügen. Und so weiß die Gruppe trotz eher zurückhaltenden Stage-Actings ihr Auditorium auf dem überaus gut gefüllten Infield in ihren Bann zu schlagen. [NS]
Statisch, aber einnehmend: Das lässt sich so auch als Fazit für DEICIDE formulieren, denen das Wetter diesmal deutlich besser in die Hände spielt als der sintflutartige Wolkenbruch im Jahr 2019. Unter zum Bandlogo passenden Rotlicht machen sich die einstigen bösen Buben aus Florida daran, maximalen Fan-Service zu liefern: Immerhin steht an diesem Abend unter anderem das komplette „Legion“-Album von 1992 auf der Setlist – quasi zum 30. Jubiläum. Dabei wirkt Glen Benton – ja, der mit dem auf der Stirn eingebrannten umgedrehten Kreuz – eher zahm – als Mensch wohlgemerkt, nicht als Vokalist. Denn da kommen sowohl die tiefen Grunzer als auch die hohen heiseren Einwürfe so herrlich grantig wie eh und je. [NS]
OBITUARY auf dem PARTY.SAN auftreten zu lassen ist ungefähr so, wie Brathendl und Schweinshaxn auf dem Oktoberfest zu servieren: eine sichere Nummer, die sich in der Vergangenheit bewährt hat und von den meisten Besucher:innen freudig angenommen wird. Als würdiger Donnerstagsheadliner gebucht, ist es bereits die vierte Show der Florida-Death-Metal-Walze auf dem Festival in Thüringen. Dass man genau deswegen nach Obermehler kommt, um eine Band wie die Szene-Veteranen aus den USA zu sehen, lässt sich an dem vollgepackten Platz vor der Bühne gut beobachten, noch bevor die ersten Töne des Openers „Redneck Stomp“ erklingen. Das Quintett bringt mittlerweile zusammen 271 Lebensjahre auf die Bühne und die aktuelle Tour heißt selbstironisch „Barely Alive in Europe & UK“, doch davon merkt man angesichts der kraftvollen Performance nichts: Die Gebrüder John und Donald Tardy röcheln und grunzen bzw. knüppeln und bolzen immer noch, als gäbe es kein Morgen (mit einem weiteren Gig auf dem Brutal Assault Open Air) und die Finger der drei Saiteninstrumentler arbeiten weiterhin auf Höchstniveau. Und mögen OBITUARY auch zum alten Eisen gehören, so tut die Setlist dies nicht: Ganze sechs der insgesamt 15 Stücke stammen vom starken aktuellen Album „Dying Of Everything“. Dass der finale Song trotzdem „Slowly We Rot“ heißt, war dabei genauso vorhersehbar wie die Tatsache, dass OBITUARY einer der Höhepunkte des gesamten Festivals werden. Doch wie sagt man in den Staaten so schön: If it ain’t broke, don’t fix it. [MF]
Freitag, 11.08.2023
In die ruhmvolle Riege rabiater Kapellen wie Spasm, Gutalax, Guineapig oder Cliteater reihen sich an diesem Tag BRUTAL SPHINCTER ein, denn erfahrene PARTY.SAN-Gänger:innen wissen: Der Opening-Slot am Freitag steht ganz im Zeichen ausgelassener Grindcore-Feierei. Und so drängt die Menge auch dieses Jahr schon vor 12 Uhr in Scharen Richtung Infield, um mit grenzdebil-lustigen Verkleidungen von Super Mario bis Tyrannosaurus rex und allerlei aufblasbaren Gadgets dem akustischen Abriss auf der Bühne mit ausgelassenem Froh- und Blödsinn vor der Bühne zu begegnen. „Hijab Is Feminism“ bildet sogleich den Auftakt für den ersten gemütlichen Circle-Pit, der – nach Aufforderung der Belgier – bei „The Art Of Squirting“ auf einen rein weiblichen Circle-Pit reduziert und schließlich zum Show-Ende in den größten Circle-Pit des Festivals mit dem Mischpultturm im „Auge des Sturms“ transformiert wird. Seinem Slogan „Make Goregrind Great Again“ – zugleich Songtitel auf dem immer noch aktuellen 2018er Studioalbum „Analhu Akbar“ – wurde das Quartett heute also eindeutig gerecht. [MF]
Während es oft zu beobachten ist, dass nach der anfänglichen Sause die Zuschauer:innen haufenweise wieder abwandern, ist dies bei BE’LAKOR nicht der Fall. Dabei wäre der melodische Death Metal der Australier mit seinen atmosphärischen, teils überlangen Tracks in den dunklen Abendstunden zweifellos besser aufgehoben. Doch sei’s drum, die Band macht das Beste aus ihrem frühen Slot, und das ist anscheinend mehr als gut genug, denn das Publikum lauscht andächtig und belohnt die Jungs aus Down Under mit begeisterten Reaktionen. Womöglich war es auch reines Kalkül der Veranstalter, dem stumpfen Geballer von Brutal Sphincter progressive Komplexität folgen zu lassen – funktioniert hat es in jedem Fall. [MF]
ENDSEEKER sind derweil wieder so urtypisch für das Festival in Obermehler, man könnte meinen, sie seien aus der DNS des PARTY.SAN gezüchtet worden: klassischer Todesstahl schwedischer Prägung mit einem Schlagzeug wie eine Panzerhaubitze und Gitarren wie Kettensägen, die aber auch das eine oder andere melodische Solo nicht missen lassen. Dazu tigert Frontmann Lenny mit einem Blick von einem Bühnenrand zum anderen, bei dem sich selbst Klaus Kinski in die Hosen machen würde, gibt sich in den Ansagen aber umso sympathischer und bodenständiger. Die Hamburger bieten eine Show, deren Großteil Stücke der noch aktuellen 2021er Platte „Mount Carcass“ ausmachen, die von vorne bis hinten mehr als grundsolide ist. Sommer, Sonne, Death Metal – was will man mehr? [MF]
Als Power-Duo eröffnen am Freitag SPIRIT POSSESSION das Programm auf der Zeltbühne, die an diesem Tag ganz im Zeichen der Zwickauer Qualitäts-Death-Metal-Schmiede Sepulchral Voice steht. Wobei: nicht ganz. Denn Spirit Possession stehen eigentlich bei Profound Lore unter Vertrag. Da allerdings Gitarrist und Frontmann S. später auch noch als Bassist von Black Curse auf der Bühne stehen wird und die Mucke sich mit ihrer gewalttätigen Ernsthaftigkeit gut einfügt, tut das der Sache keinen Abbruch. Hier mischt sich eine dreckige Thrash-Kante der kompromissloseren Sorte mit Anleihen aus Death und Proto-Black vom antikosmischen Friedhof. Dass Drummerin A. dabei die Felle mit unbeugsamer Intensität verdrischt und S. an den sechs Saiten teils beeindruckende Geschwindigkeiten hinlegt – und das stets im Dienste des Songs –, verleitet dabei zu mehr als nur einem anerkennenden Kopfnicken. [NS]
Deutlich schlechter funktioniert da leider im Anschluss die Musik der griechischen Black-Metaller von YOTH IRIA, die auf den Bühnen dunkler Clubs sonst durchaus zu gefallen weiß. Mystisch gestikulierende Typen mit Corpsepaint wirken bei strahlendem Sonnenschein einfach nicht. So kommt es, dass der Funke insgesamt nicht so recht überspringen möchte, auch wenn es musikalisch an dieser Darbietung nicht wirklich etwas zu mäkeln gibt – insbesondere die tollen Twin-Leads an den Gitarren sind eine feine Sache und verleihen den Songs ein angenehmes Quäntchen Melancholie. [NS]
HORNS OF DOMINATION hingegen reißen danach im Zelt alles ab und präsentieren einen der energiegeladensten Gigs des gesamten Festivals. Wenn eine so höllische Soundwand aus den Boxen brettert, braucht es noch nicht einmal höllisch viel Stageacting. Ein Glück, dass im schummrigen Zelt Raum für eine ausreichend morbide Atmosphäre ist. Denn auch diese Manifestationen von Angst, Hass und Unmenschlichkeit würden grelles Tageslicht schlecht vertragen. Die dissonanten Triller in den Gitarren kommen sauber, ebenso das unbarmherzig treibende Drumming. Kein Wunder, haben sich die Mitglieder der Gruppe ihre Meriten doch bereits bei anderen großartigen Vertretern schwefelgetränkter Schwarz- und Todeskunst erworben: Excoriate, Venenum, Krater. [NS]
Dass KANONENFIEBER vor dem bislang größten Backdrop des Tages auftreten, den Auftritt mit einem Schuss aus dem Flakgeschütz beginnen und auch die Pyros nutzen, zeigt, wie groß die Band in kurzer Zeit geworden ist und mit welchem Anspruch sie antritt. Nichts klingt nach Newcomer oder sieht im Entferntesten so aus. Sehr sauber und aufeinander eingespielt erklingen die eingängigen, schwarzmetallischen Kriegsgeschichten wie „Die Schlacht zu Tannenberg“, „Grabenlieder“ und „Der Füsilier“, wobei insbesondere die schleppenden, drückenden Passagen durchaus heftig und beklemmend wirken. Historische Samples verleihen dem noch mehr Glaubwürdigkeit. Auch in ihre Bühnenoutfits hat die Gruppe durchaus etwas Mühe gesteckt. Während sich die Musiker verhüllt mit weißen Hemden und Militärmützen präsentieren, sticht der Frontmann, ebenfalls verhüllt, durch eine olivgrüne Uniform, wie sie das Deutsche Kaiserreich im Ersten Weltkrieg verwendete, und Pickelhaube hervor. Das ist nicht nur gute Unterhaltung – sondern für den, der sich auch inhaltlich darauf einlässt, eine valide, nicht beschönigende Geschichtsstunde. [NS]
Nach der furiosen Darbietung von Horns Of Domination können die Iren von VIRCOLAC im Zelt eigentlich nur verlieren. Tun sie aber nur bedingt. Zwar ist der Sound leider etwas undifferenziert, doch ist der Truppe anzumerken: Hier stehen Typen auf der Bühne, die einfach Spaß daran haben, was sie da tun. Am Mikro ist mit Darragh O’Laoghaire übrigens der Inhaber des Qualitätslabels Invictus Productions. Und so erklingt eine geballte Ladung irische Leidenschaft – mancher Text spart auch nicht an Lokalkolorit – vor einem leider nur schütter besetzten Zelt. Auch die hier bereits live präsentierten Nummern vom kommenden Album überzeugen. Das groovt teils wie die Hölle und hätte definitiv mehr Aufmerksamkeit verdient. [NS]
Der Gig von DROWNED wirkt dann auf der Zeltbühne leider trotz über alle Zweifel erhabenem Songmaterial eher statisch. Und so bleiben die Reaktionen auf diese versiert dargebotene Show auch eher verhalten – was aber auch beim sicherlich so langsam einsetzenden Frühabend-Tief des zweiten Festivaltags liegen könnte. Mit der Zeit groovt sich die Gruppe allerdings immer mehr ein und rettet ihre Darbietung schließlich doch noch aus der Mittelmäßigkeit. [NS]
CONCRETE WINDS holzen sich mit großen Zuspruch und irrer Intensität durch ihr Set. Das Zelt ist dabei deutlich besser besucht als bei den vorherigen Bands. Kein Wunder, offenbart die chaotische Musik dieser Truppe doch live viel schlagkräftigere Reize als auf Platte. [NS]
Nachdem die Kult-Norweger von Urgehal ihre Nagel-Nieten-Bondage-Modeschau auf der Main-Stage beendet und damit weit mehr Euphorie beim Publikum als beim schreibenden Redakteur ausgelöst haben, sind die Midtempo-Death-Metaller ILLDISPOSED an der Reihe. Es liegt wohl am groove-orientierten Sound der Dänen, dass hier eher gemütliches Kopfnicken statt Moshpit-Eskalation angesagt ist, und so kann man sich den Gig auch ohne unfreiwilligen Körperkontakt bequem aus den vorderen Reihen ansehen. Die Band weiß sicher selbst, dass die Alben aus dem ersten Jahrzehnt der 2000er zu den besten ihrer über 30-jährigen Karriere gehören – daher ist es so logisch wie erfreulich, dass es der eine oder andere Song von „1-800 Vindication“ oder „The Prestige“ in die Setlist geschafft hat. Wie üblich würzt Frontmann Bo Summer die Show mit lustig-dämlichen deutschsprachigen Ansagen und sorgt für Lacher, als er der vom Publikum bejahten Frage „Wollt ihr mehr?“ selbstironisch hinterherschiebt: „Warum? Es spielen noch andere Bands!“ [MF]
Das tun sie in der Tat. MIDNIGHT zum Beispiel – und das nicht zum ersten Mal. Um genau zu sein, macht Solo-Mastermind Athenar mit seiner Live-Band nach 2015 und 2019 dieses Jahr den Hattrick voll. Nun wird eine Gruppe in der Regel nur wiederholt gebucht, wenn sie beim Publikum gut ankommt, und genau das trifft hier ab der ersten Minute zu. Den Zunder, der dem Genre-Mix aus Speed Metal, Punk und Black ’n’ Roll innewohnt, weiß das Power-Trio gekonnt zu entzünden: Athenar und sein Gitarrist sammeln ordentlich Schritte, spurten von links nach rechts und übertragen die Energie aufs Publikum, das die Show mit hochgereckten Fäusten, Crowdsurfing und … einem von der Band provozierten Schwarm an Richtung Bühne fliegenden Pfandbechern goutiert. In diesem Sinne: Auf ein viertes Mal, MIDNIGHT! [MF]
Mit BLACK CURSE wird es im Zelt unfassbar laut und brutal. Alles andere wäre ja auch eine Enttäuschung gewesen, steht hier doch die Supergroup der Stunde im undergroundigen Extreme-Metal auf den Brettern. Und was soll auch schiefgehen, wenn Mitglieder von Blood Incantation, Spectral Voice, Khemmis und Primitive Man gemeinsam aufspielen. Das Ergebnis ist, wie es Ernie von Krachmucker TV jüngst treffend formulierte, das reinste „Gewaltverbrechen“. Die dichte Menge vor der Bühne lässt sich ganz darauf ein, sich in den Mahlstrom fallen zu lassen. Klar kommen da auch Assoziationen auf zu rumpeligen War-Metal-Kapellen wie Revenge – doch gestalten BLACK CURSE ihren Lärm eine Spur eigenständiger und auch zugänglicher. Ob es an den ein Stück deutlicher durchscheinenden Wurzeln im Death Metal der alten Schule liegen mag? Der Zuhörer jedenfalls fühlt sich im besten Sinne, als läge er in den Ketten, die den Mikroständer zieren. „Live zerficken die alles“, sagt ein Zuschauer hinter dem Autor dieser Zeilen. Und damit ist im Grund auch schon alles gesagt. [NS]
Nach der immensen Soundwand von Black Curse muss man sich als Zeltbesucher an den vergleichsweise reduzierten Trio-Sound von SIJJIN erst wieder gewöhnen. Doch natürlich liefert auch die aus der Asche von Necros Christos erstandene Gruppe um Front-Grunzer Mors Dalos Ra – das Organ ist unverwechselbar – einen beinahe makellosen, tighten Auftritt ab. Die orientalischen Melodiebögen der Riffs dringen klar und wuchtig aus den Boxen. Was das Publikum zu würdigen weiß, da vorne rasch Bewegung in die Menge kommt. Da mag sich das Fan-Herz auch noch so sehr nach Necros Christos sehen – an dieser Darbietung gibt es nun wirklich nichts auszusetzen. [NS]
Nachdem die mitternächtliche Asche von der Bühne gekehrt ist, wird es mit DECAPITATED wieder technischer, wenngleich auch der Groove in der musikalischen Ausrichtung der polnischen Death-Metaller nicht zu kurz kommt. Insofern steht die Combo sowohl vom Stil als auch vom Billing her zwischen den vorangegangenen Illdisposed und den nachfolgenden Dying Fetus – mit zwei dreckig-rotzigen Bands namens Midnight und (zumindest in der Planung) Mantar als Zwischenpuffer. Mangelnden Abwechslungsreichtum in der Running Order kann man den Festivalmachern also nicht vorwerfen. Und doch: Zwar gibt die Band – allen voran Frontmann Rasta – mal wieder alles und auch das aktuelle Studioalbum „Cancer Culture“ bietet einige absolute Knaller für die Live-Setlist, aber das Publikum hat sich anscheinend bei der vorherigen Show etwas ausgepowert. Schade, doch trotzdem eine kurzweilige und grundsolide Dreiviertelstunde, die Gitarrist Wacław Kiełtyka und seine Kollegen auf die Bretter legen. [MF]
Dass ausgerechnet GRAVE MIASMA für MANTAR – Frontmann Hanno hatte den Gig aus Krankheitsgründen absagen müssen – auf die Hauptbühne nachrücken, tut dem Vierer nicht gut: Der atmosphärische dichte Black Metal hätte von der intensiveren Stimmung im bedrängteren Ambiente des Zelts nur profitieren können. Hinzu kommen Soundprobleme: Am Anfang besteht der Klang zu gefühlten 70 Prozent aus Bass und Snare-Drum. Der Platz vor der Bühne ist um diese Zeit auch nicht sonderlich gut gefüllt. Und so läuft manche breitbeinige Pose der Musiker ins Leere. Immerhin hat das Festival der Gruppe ein paar Feuersäulen spendiert. Dass dieser Gig nicht zündete, lag sicherlich am wenigsten an der Band. [NS]
Sicherere Erfolgsaussichten haben da DYING FETUS: Als absolute Stammgäste auf dem PARTY.SAN sind sie mit dem diesjährigen Auftritt beeindruckende sechs Mal in der Festivalgeschichte vertreten. Sogar das todesmetallische Double-Feature am Samstag in Kombination mit Hypocrisy gab es in dieser Form bereits 2013. Nun ist Death Metal eine zeitlose Angelegenheit, insofern gilt hier: Was vor zehn Jahren gut war, kann heute nicht schlecht sein, und wer das nicht glaubt, bekommt es von dem Trio aus Baltimore mit Nachdruck in den Schädel gehämmert. Mit „One Shot, One Kill“ und „Subjected To A Beating“ als anfängliche Doppelbedienung nehmen die Herren das Publikum fachgerecht auseinander, präzise wie ein Seziermesser und zugleich effektiv wie eine Motorsäge. Die wenige Tage vorm Festival veröffentlichte EP „Throw Them In The Van“ – ein Appetizer aufs neue Album „Make Them Beg For Death“ – ist mit zwei Songs vertreten, die sich mit Klassikern wie „Grotesque Impalement“ und „Praise The Lord (Opium Of The Masses)“ abwechseln. Dass sich DYING FETUS trotz aller Brutalität selbst nicht allzu ernst nehmen, zeigt nicht nur der obligatorische Outro-Song „Celebration“ vom Band, sondern auch Gitarrist John Gallagher, der das Intro von „From Womb To Waste“ – ein weinendes Baby – in Echtzeit mit den Worten „Weeeeh! I have diarrhea!“ nachäfft. Billig, aber lustig. Ganz im Gegensatz zum Gig an sich, der eher mit den Worten „erbarmungslos, aber herrlich“ passend beschrieben ist. [MF]
Können Peter Tägtgren und Co. das noch toppen? HYPOCRISY sind zweifellos eine Institution im Melo-Death, und doch kommt beim Gig der Schweden ein wenig „Post-Headliner-Feeling“ oder „After-Show-aber-ohne-die-Party“-Stimmung auf. An mangelndem Interesse kann es nicht liegen, der Publikumsraum ist weiter dicht gefüllt, und auch die eindrucksvolle Lightshow mitsamt imposanter Kulisse sowie die Darbietung von Hits wie dem Opener „Fractured Millennium“, „Adjusting The Sun“ oder „Eraser“ recht früh in der Setlist kommen gut an. Demgegenüber stehen aber auch alte Schinken wie „Mind Corruption“ oder „Inferior Devoties“, für die es – wenn wir schon über gut abgehangenes Fleisch aus der HYPOCRISY-Diskografie reden – festivaltauglichere Alternativen gegeben hätte. Darüber hinaus macht auch die Band heute in puncto Bühnenpräsenz und Energie einen ordentlichen Eindruck – mehr aber auch nicht. Und mit einem ebensolchen stapft man nach den letzten Tönen dann auch vom Infield. [MF]
Samstag, 12.08.2023
Death Metal der alten Asphyx- und Bolt-Thrower-Schule eröffnet den Samstag auf der Hauptbühne: ATOMWINTER ziehen hier kompromisslos ihr Ding durch – auch wenn die Gruppe immer wieder mit Gitarren-Ausfällen zu kämpfen hat. Florian Bauer, ansonsten Bassist bei Burden Of Grief, hat seit 2020 den Posten am Mikro inne und macht dort – inklusive sympathischer weißer Wallemähne – einen tollen Job. Auch dass Bassist Martin bedauerlicherweise im Krankenhaus liegt und nicht für die Party.Sanen aufspielen kann – die Band schickt ihm von der Bühne Genesungswünsche ans Krankenlager –, tut der Sache keinen Abbruch: Mit Dominik, der bei Burden Of Grief die Gitarre bedient, ist ein wertiger Ersatzmann am Start. Ein mehr als würdiger Auftritt, den jene, die sich bereits auf das sonnendurchflutete Infield gewagt haben, auch zu würdigen wissen. [NS]
FROZEN SOUL konnten im Frühjahr schon als Tour-Opener von Dying Fetus deutsche Live-Luft schnuppern und betreten die bereits gut besuchte Hauptbühne heute mit entsprechendem Selbstbewusstsein. Sänger Chad Green fordert direkt zu Beginn einen Circle-Pit und tritt dabei so forsch und überzeugend auf, dass die Menge dem direkt Folge leistet. Immer wieder animiert der Frontmann das Publikum, aktiv zu bleiben und sorgt damit als Speerspitze einer Gruppe, die schon zur frühen Mittagszeit eine äußerst energetische Show abliefert, für konstante Bewegung vor der Bühne. Dass sich der Old School Death Metal des Quintetts mit seinen Stampfpassagen und Ufta-ufta-Rhythmen hervorragend zum Tanzen eignet, kommt als positiver Effekt hinzu. Ebenso wenig geizt Green jedoch auch mit warmen Worten und zeigt sich immer wieder dankbar dafür, dass sie es als kleine Band aus Texas über die Staats- und Landesgrenze auf die internationalen Bühnen geschafft haben. Sympathisch und mitreißend! [MF]
Die wütenden Kanadier von SPECTRAL WOUND aus Kanada haben in den vergangenen Jahren ganz schön hohe Wellen in der Black-Metal-Szene geschlagen. Und live macht diese Nietengürtel- und Lederjacken-Fraktion sogar noch mehr Alarm als auf den bereits stürmischen Alben („Infernal Decadence“ und „A Diabolical Thirst“), wenngleich auch hier gilt: In einem dunklen Club, in dem der Schweiß von der Decke tropft – oder alternativ im Zelt – wäre diese Gruppe wohl besser aufgehoben gewesen. Dennoch: Die Tremolo-Gitarren schwirren in bester Bienenschwarm-Manier um die Ohren, feine kleine Melodiebögen schälen sich aus dem Getöse. Das wirkt in Sachen Attitüde auf eine Art wie sehr abgefuckter Rock ’n‘ Roll. Als auch hier eine Gitarre ausfällt, geht bei den anderen zunächst alles weiter, als wäre nichts. Toll! Da zieht sogar der zuvor tiefblaue Himmel etwas zu. [NS]
„No Speed – No Punk“ steht auf der Flagge über ihren Verstärkern, als die Kult-Crust-Combo SKITSYSTEM ihr Set spielt. Man könnte den Slogan auch auf „No Engagement – No Energy“ ausweiten. Die Gruppe hat zwar Underground-Credibility, macht ordentlich Krach und hat mit Andreas Axelsson (u. a. Disfear, ex-Edge Of Sanity) und Martin Larsson (u. a. At The Gates) auch ein paar sehr bekannte Musiker aus der schwedischen Szene in ihren Reihen. Doch wenn sich zusätzlich zur Gleichförmigkeit der Songs die Interaktion – wenn überhaupt – zum Großteil darauf beschränkt, in den Ansagen etwa die verbleibenden Tracks in der Setlist herunterzuzählen, kann man der Band nur eine ziemlich blutleere Darbietung konstatieren, von der auch der müde, kleine Moshpit nicht ablenken kann – skandinavische Reserviertheit hin oder her. [MF]
Im Zelt dürfen heute Ván-Records ihr im allerbesten Sinne eigenwilliges, auf mystische bis okkulte Ästhetik bedachtes Roster präsentieren. Den Anfang machen die noch nicht allzu lange bestehenden TABULA RASA aus dem Dunstkreis der Funkenfluag Society, die im österreichischen Abtenau alljährlich ihr House-Of-The-Holy-Festival abhält. Auf der Bühne feiert der Vierer in einer punkigen Orgie den Rausch und nimmt die Menge im bereits gut gefüllten Zelt mit auf einen Trip durch die psychedelisch verzerrte, von alten Sagengestalten heimgesuchte Alpenwelt. Das Samhain-Shirt des Gitarristen und das Nosferatu-Shirt des Sängers deuten dabei optisch mehr als deutlich an, wohin die musikalische Reise geht. Kein Wunder, dass sich schnell ein tanzender und pogender Pulk bildet. Da fügt sich sogar ein Cover des „Lieds von der Anstrengung, böse zu sein“ aus Reinhard Lakomys bekanntem Kinderhörspiel „Der Traumzauberbaum“ nahtlos ein. Sicherlich einer der polarisierendsten Auftritte des Festivals – aber nur, weil es sich auch um einen der eigenständigsten handelt. [NS]
Dass draußen nun ein Regenbruch einsetzt, könnte zu den depressiven Post-Metal-Klängen von ELLENDE nicht besser passen. Und so folgt auf den punkigen Abriss im Zelt quasi die wunderbar melancholische Antithese auf dem Fuße. In dichten Bühnennebel gehüllt liefern die Musiker eine höchst professionelle Show ab, bei der das authentische Gefühl trotzdem nicht zu kurz kommt. Besonders Eindruck schindet dabei L.G., der Kopf des Projekts, mit seinem Knochenumhang und charismatischen Posen: ob mit gen Himmel geballter Faust oder auf der Monitorbox kauernd. Die Samples aus der Konserve stören dabei nicht, sondern untermauern die Intensität der Musik. Einen emotionalen Höhepunkt des Sets markiert noch immer die „Ballade auf den Tod“ vom großartigen 2016er Album „Todbringer“. [NS]
Im Zelt dann wieder Kontrastprogramm: Hier kommen nun die Fans klassischer Heavy-Metal-Klänge auf ihre Kosten – zumindest diejenigen, die noch immer bedauern, dass In Solitude sich nach ihrer großartigen Metal/Post-Punk-Symbiose aufgelöst haben. THE NIGHT ETERNAL bieten da eine mehr als nur würdige, weil durchaus eigenständige Ersatzdroge. Nicht umsonst werden die Essener unter Szenegängern als eine der Bands der Stunde gehandelt. Dass die Männer es selbst feiern, diesen Gig spielen zu dürfen, ist ihnen von der ersten bis zur letzten Sekunde anzusehen – und das überträgt sich auf das Publikum, das im vorderen Teil dicht an dicht feiert und manchen Chorus lautstark mitsingt, angestachelt von Sänger Ricardo, der auf Tuchfühlung mit der Menge geht und selbst das Dosenbier großzügig fließen lässt. Anzuhören sind der Band definitiv die Stunden im Proberaum und die inzwischen gesammelte Erfahrung auf der Bühne, denn hier greift ein Rädchen perfekt ins andere. Von diesem Fünfer ist sicherlich noch viel zu erwarten! [NS]
Ein harter Bruch stellen nun SKINLESS dar, die mit ihrem brutalen Death Metal ganz andere Töne abstimmen. „It’s about five o’ clock, it’s time for the heavy metal happy hour“, verkündet Frontmann Sherwood Webber und verspricht sogleich: „This is an old school set! Old Old! Old!“ Dass auf der Hauptbühne gleich eine ganz andere Energie herrscht als bei Ellende, stellt die geborene Rampensau mit Kutte und Cowboyhut sicher und heizt der Menge ordentlich ein. Warm dürfte auch dem Drummer werden, vor dessen Kit eine horizontale Leitung entlangläuft, die unentwegt Flammen speit. Mithilfe der standardmäßig auf der Bühne installierten Feuertonnen machen die Amis so ihrem Bandnamen alle Ehre und das Publikum goutiert es mit emporgereckten Fäusten. Als Witzbold Webber stolz seine Deutschkenntnisse mit einer A-capella-Darbietung von „Mein Hut, der hat drei Ecken“ präsentiert, zählt das zu den harmloseren Späßen der New Yorker, die für ihren kranken Humor („Crispy Kids“, „Fetus Goulash“) bekannt sind. [MF]
Im Zelt zeigt mit STORMKEEP ein weiterer gefeierter Newcomer, was er kann. Ein mit Spannung erwarteter Gig, waren doch die Vinyl-Auflagen des Debüts „Tales Of Othertime“ allesamt rasch vergriffen. Und auch live enttäuscht die Gruppe mit ihrem an die 90er-Jahre angelehnten, mittelalterliche Fantasy-Themen behandelnden Symphonic Black Metal nicht. Alles andere wäre auch eine Überraschung gewesen, haben doch die Mitglieder allesamt schon Live-Erfahrung in einer Vielzahl von Bands sammeln dürfen, darunter relativ große Namen wie Blood Incantation und Wayfarer. Nahezu perfekt gelingt den US-Amerikanern der Spagat, den Bombast auf Platte auf die Bühne zu transportieren, und dabei gleichzeitig erdig genug zu klingen, um glaubwürdig und nicht allzu verkitscht zu wirken. Einzig könnten die subtilen Klangtexturen unter der E-Gitarren-Wucht noch etwas differenzierter aus den Boxen schallen. Fun Fact: Die Zauberer-von-Oz-Zipfelmütze des Keyboarders wippt beim Bangen so possierlich, dass man sich als geneigter Zuschauer in Immortals „Call-Of-The-Wintermoon“-Video wähnt. Ein Gig, der durchaus länger hätte dauern dürfen, denn in 25 Minuten bringen es STORMKEEP auf gerade einmal zwei Songs. [NS]
IMMOLATION konnten nach der Absage von Vital Remains sehr schnell aus dem Hut gezaubert werden und einen passenderen Ersatz gibt es wohl kaum, sind doch beide im selben Genre unterwegs, stammen aus dem Nordosten der USA und wurden Ende der 1980er gegründet. Der Wechsel im Billing dürfte sogar unterm Strich vermutlich für mehr lachende als weinende Augen gesorgt haben, haben IMMOLATION doch unumstritten die größere Fangemeinde – und im Gegensatz zu den verhinderten Kollegen mit „Acts Of God“ von 2022 ein noch relativ frisches Album in der Hinterhand. Diesem bieten die New Yorker in der Setlist auch viel Raum und legen eine solide Show auf die Bretter, die vom Publikum aufmerksam, aber nicht überschwänglich aufgenommen wird. Mit etwas mehr (zweifellos vorhandenem) Old-School-Material wäre da vielleicht mehr drin gewesen, aber womöglich tut der Menge vom stumpfen War-Metal-Geprügel der zuvor aufgetretenen Impiety einfach noch die Ohren weh. Das Metal1-Team nutzt jedenfalls den folgenden Gig von Endstille, um den ihrigen etwas Stille zu gönnen und für die restlichen Konzerte des Abends Kraft zu sammeln. [MF]
Bei BORKNAGAR füllt sich das Infield angesichts der fortgeschrittenen Stunde verhältnismäßig schleppend, doch am Ende steht trotzdem eine große Menge an Menschen vor der Bühne. Alles andere wäre ob der Qualität des Dargebotenen auch ein Sakrileg. Hier wird echte Tonkunst im eigentlichen Sinne geboten, die die Grenzen des Black Metal, denen die Gruppe schon Ende der 1990er-Jahre entwuchs, längst völlig transzendiert hat und nunmehr erhaben-melodische Meisterstücke darbietet, die sich einer einfachen Zuordnung entziehen. Zwar geht auch hier manch feine Nuance im Live-Sound eher unter, doch das ändert nichts daran, dass der Gig zu einer einzigen Schwelgerei gerät. Zu verdanken haben es die Zuhörer zu guten Teilen Lars A. Nedland von Solefald, der nicht nur das Keyboard bedient, sondern auch Clean-Vocals zum Niederknien darbietet, die die Parts von ICS Vortex (außerdem am Bass) perfekt ergänzen. Dass Nummern wie „Up North“, „The Fire That Burns“ und „Voices“ positiv hervorstechen, spricht dafür, dass die Gruppe mit ihrem jüngsten Album „Up North“ auch eines ihrer besten abgeliefert hat. [NS]
THE RUINS OF BEVERAST ereilt zum Glück nicht das Schicksal von Grave Miasma am Vortag: Hier auf der Zeltbühne haut das mit der Atmosphäre voll und ganz hin. In dichten Nebel gehüllt zelebriert die Gruppe um Alexander von Meilenwald eine anspruchsvolle, hypnotische Messe. Einzig eine abwechslungsreichere Setlist wäre gewiss nicht die schlechteste Idee gewesen – wenngleich bei einer Band mit langen Songs und kurzer Festival-Spielzeit schwer umzusetzen –, denn so schiebt sich die bleierne Masse zwar beeindruckend finster über das Auditorium hinweg, lullt auf die Dauer leider mehr ein, als dass sie aufhorchen lässt. Schade, denn die Alben der Band klingen in ihrer schier erschlagenden Komplexität oft geradezu visionär. [NS]
Was Dark Funeral im vergangenen Jahr am Samstagabend waren, sind in diesem Jahr KATAKLYSM – nämlich eine klassische Einsteiger-Band innerhalb ihres Subgenres. Mit 32 Jahren auf dem Buckel macht die kanadische Szene-Institution keine Gefangenen: Sei es synchrones Headbangen und Posen auf den Podesten der drei stehenden Mitglieder oder der obligatorische Seitenwechsel von Gitarrist und Bassist – KATAKLYSM liefern eine perfekt durchchoreografierte Show ab. Frontmann Maurizio Iacono animiert die Menge mit dem klassischen Links-vs.-rechts-Spiel, fragt provokativ, ob das Publikum schon schlafe und fordert zu „Serenity In Fire“ den größten Circle-Pit des Abends, ehe er zum Rausschmeißer „The Black Sheep“ einen „Security-Stresstest“ ankündigt und zum ausgiebigen Crowdsurfing einlädt. Dass er ebenjenen Song mit der alten Leier der Metalheads als nonkonformistische Außenseiter der Gesellschaft ankündigt, während Genrekollegen wie Amon Amarth die Arenen füllen – geschenkt. Die Menge feiert es, ein voller Erfolg für das Quartett aus Nordamerika. [MF]
ENSLAVED bieten auf der Hauptbühne zum Abschluss des Festivals noch einmal ganz, ganz großes Kino: Erstmals spielt die Gruppe außerhalb ihrer norwegischen Heimat in Bergen ihr noch heute überraschend vielschichtiges Debüt „Vikingligr Veldi“ – das unterschätzte Meisterwerk der Band – in voller Länge live. Damit steckt die Gruppe alle anderen Szene-Legenden, die diese Position in den vergangenen Jahren innehatten – seien es Mayhem, Emperor oder Watain – locker in die Tasche. Die Musiker haben sichtlich Spaß an dem Ausflug in die Frühzeit ihrer Karriere, auch die Lichtshow gibt noch einmal alles und stilecht werten leuchtende Runen das Bühnenbild auf. Die klaren Melodiebögen kommen bei fantastischem Sound, der so druckvoll wie differenziert erklingt, voll zur Geltung. Wer sich darauf einlässt, kann sich dazu gut in die richtige Trance wiegen, um danach beseelt ins Zelt zu fallen. Ergreifend! Und die Musik-Nerds unter den Party.Sanen versetzt Grutle auch noch mit der Anmerkung in Glückseligkeit, dass die hier zu Ehren gekommene Platte gleichermaßen vom deutschen, elektronischen Krautrock von Klaus Schulze und Kraftwerk inspiriert sei wie von den tschechischen Black-Metal-Vorreitern Master’s Hammer. So großartig sieht man selbst ENSLAVED selten. Es kann sich eben durchaus lohnen, ausgetretene Setlist-Pfade einmal zu verlassen. Beeindruckend! [NS]
Was bleibt zu sagen nach nunmehr 16 PARTY.SAN Metal Open Airs und einer erneut erfolgreichen Auflage? Das Festival scheint weiterhin perfekt durchorganisiert zu sein, sodass man von dem Arbeitsaufwand hinter den Kulissen als Besucher weitestgehend nichts mitbekommt. Dabei steht die extreme, sehr harte musikalische Ausrichtung nach wie vor im Kontrast zur Atmosphäre vor Ort, denn das PARTY.SAN ist und bleibt deutschlandweit eines der gemütlichsten, angenehmsten Metal-Großereignisse mit den entspanntesten Menschen – das gilt für die Fans wie auch für das Personal.
Das Erfolgsrezept, ein Szenetreffen mit Fokus auf der Musik an sich und ohne Eventisierungsauswüchse zu veranstalten, spielt dabei sicherlich eine zentrale Rolle. Hinzu kommt die bereits bekannte profunde Auswahl an Essens- und Merch-Ständen, die wohl kaum Wünsche offen lässt. So war die Absage von Mantar, einer recht weit oben im Billing stehenden Band, am Auftrittstag selbst (hier bleibt auch dem besten Veranstalter wenig Handlungsspielraum) der einzige Wermutstropfen eines ansonsten reibungslos abgelaufenen Festivals, mit dem es auch das Wetter dieses Jahr gut gemeint hat. Wer Spaß an Metal der härteren Gangart und Lust auf ein bodenständiges Open Air mit bewährtem Konzept hat, für den ist der Flugplatz Obermehler auch nächsten August für ein langes Wochenende die erste Anlaufstelle.