Konzertbericht: Paradise Lost w/ Hangman’s Chair

23.10.2022 München, Backstage (Werk)


In keinem Land der Welt haben PARADISE LOST öfter gespielt als in Deutschland. Ob es diesem Umstand zu verdanken ist, dass die Briten hierzulande eine große Fanbase haben oder ob sie sich mit den vielen Shows viele Fans erarbeitet haben, ist ein Henne-Ei-Problem. Fakt ist: Selbst in den aktuell schwierigen Zeiten, in denen viele Touren abgesagt oder in kleinere Hallen verlegt werden, dürfen sich PARADISE LOST über großen Zuspruch freuen: Die Show im Backstage München wird bereits im Vorfeld von der Backstage Halle ins deutlich größere Backstage Werk verlegt – und wer zum Einlass um 19:00 Uhr erscheint, muss sich in eine Schlange einreihen. So nervig das ist, so schön ist es andererseits auch zu sehen, dass Livekultur 2022 nicht gänzlich abgeschrieben ist.

Ärgerlich wird es allerdings für alle, die erst pünktlich zum Veranstaltungsbeginn erscheinen und die einzige Vorband des Abends sehen wollten – denn obwohl auch um 19:00 Uhr draußen noch Fans Schlange stehen, werden HANGMAN’S CHAIR bereits um 18:50 Uhr und damit ganze zehn Minuten früher als angekündigt auf die Bühne geschickt. Dass das Backstage Werk trotzdem bereits gut gefüllt ist, zeigt, dass die Franzosen als Vorband von Paradise Lost definitiv eine gute Wahl waren. Eingehüllt in dichten Nebel, der bereits vor Showbeginn die ganze Halle eingenommen hat und sich erst über den Verlauf der Show hinweg etwas lichtet, spielen HANGMAN’S CHAIR kraftvollen Doom mit Post-Metal-Einsprengseln, der durch den wuchtigen Sound, schöne Melodien und eine Prise Post-Hardcore-Aggression im Stateacting direkt begeistert. Über 40 Minuten Spielzeit hinweg zu unterhalten gelingt HANGMAN’S CHAIR mit Leichtigkeit – wobei insbesondere das Material ihres großartigen aktuellen Albums „A Loner“ (2022) zu begeistern weiß. Dass das Quartett nach der Show kräftig bejubelt wird, ist mehr als verdient – die bereits 2005 in der französischen Kleinstadt Crosne in der Île-de-France gegründete Formation hat den internationalen Erfolg mehr als verdient.

  1. An Ode To Breakdown
  2. Cold & Distant
  3. Who Wants To Die Old
  4. Loner
  5. Dripping Low
  6. 04/09/16
  7. Naïve

Eine knappe halbe Stunde nach dieser gelungenen Eröffnungsshow ist es auch schon Zeit für den Headliner. Und um den Zuspruch ihrer Fans brauchen sich PARADISE LOST heute wirklich nicht lange zu sorgen. Nicht nur ist die Anzahl der alten und neuen PARADISE-LOST-Shirts im Publikum exorbitant hoch – auch der Jubel, mit dem die Briten begrüßt werden, ist bemerkenswert. Selbst der zunächst extrem undifferenzierte, brummelige Sound vermag die Freude der Fans über den Opener „Enchantment“ und alles, was da folgt, nicht zu schmälern. Dass dieser über den Verlauf der Show zwar besser wird, aber nicht durchgängig gut bleibt, ist dennoch schade.

Selbiges gilt leider für die Performance: Während manche Songs der 16 Stücke umfassenden Best-of-Setlist die Stimmung der Alben großartig einfangen, wirken PARADISE LOST bei anderen leider auffällig schlecht aufeinander eingespielt. Das mag damit zusammenhängen, dass die Gruppe nach dem Ausstieg von Schlagzeuger Waltteri Väyrynen im September erst seit wenigen Wochen mit Guido Montanarini zusammenarbeitet – bei einer Band mit knapp 35 Jahren Bühnenerfahrung ist das aber eigentlich keine Entschuldigung dafür, dass die Gitarristen bisweilen nicht im Stande sind, das Tempo zu halten.

Etwas eigenwillig ist auch Nick Holmes’ Stageacting – oder genauer: Der zum Markenzeichen kultivierte Verzicht auf ebendieses. Wie man es von ihm auch bei Bloodbath kennt, singt Holmes seine Texte mit starrem Blick gen Hallenausgang herunter, die reine Existenz des Publikums quasi komplett ignorierend. Dasselbe gilt für die Pausen zwischen den Songs, die Holmes mit minimalistischen Ansagen wie „Come on!“ nur rudimentär füllt. Mehr ist allerdings zugegebenermaßen auch nicht nötig, um das Publikum mitzureißen: Bisweilen reicht eine angedeutete Handbewegung, um dem Publikum einen Refrain zu entlocken – etwa bei „As I Die“ oder dem finalen „Ghosts“ im drei Songs umfassenden Zugabeblock.

  1. Enchantment
  2. Forsaken
  3. Blood And Chaos
  4. Faith Divides Us – Death Unites Us
  5. Eternal
  6. One Second
  7. Serenity
  8. The Enemy
  9. As I Die
  10. The Devil Embraced
  11. The Last Time
  12. No Hope In Sight
  13. Say Just Words
  14. Darker Thoughts
  15. Embers Fire
  16. Ghosts

Dass PARADISE LOST bei genauerer Betrachtung etwas „under-rehearsed“ wirken, nimmt ihnen hier und heute niemand krumm. So dürfen sich die Briten nicht nur über ein unerwartet großes, sondern auch ein rundum zufriedenes Publikum und entsprechenden Jubel freuen. Dass HANGMAN’S CHAIR als Support zudem einen großartigen Job machen und viele Fans für ihre Musik begeistern können, macht den Konzertabend zu einer runden Sache, die für ein paar Stunden vergessen lässt, dass die Konzertbranche tief in einer Krise steckt.

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