Konzertbericht: Obscura w/ Fallujah, Allegaeon, First Fragment

18.02.2019 Wien, Arena

Für Technical-Death-Metal-Fans ist die Musiklandschaft derzeit ein wahres Schlaraffenland: Erst im vergangenen Jahr haben OBSCURA mit „Diluvium“ eine weitere umjubelte Platte herausgebracht, FALLUJAH und ALLEGAEON stehen mit ihren kommenden Alben bereits in den Startlöchern. Der Zeitpunkt für eine gemeinsame Tour könnte also kaum besser gewählt sein. Komplettiert wird dieses Tech-Death-Paket der Spitzenklasse von den aufstrebenden Kanadiern FIRST FRAGMENT – was soll da noch schiefgehen?

FIRST FRAGMENT mögen noch nicht den Bekanntheitsgrad ihrer Brüder im Genre erreicht haben, dennoch ist die kleine Halle der Arena Wien, als die Kanadier pünktlich um 19:30 Uhr die ersten Töne anschlagen, schon ganz gut gefüllt. Bereits jetzt besteht kein Zweifel mehr daran, welcher Stilrichtung der heutige Abend gilt: Das Quintett spielt sich mit seiner gleichermaßen brutalen wie komplexen Musik um Kopf und Kragen. Dabei sind FIRST FRAGMENT sichtlich darum bemüht, die Zuschauer bereits zu dieser noch frühen Stunde in ausgelassene Stimmung zu versetzen. Gelingen will das allerdings leider nicht so ganz. Das Spiel der Band ist allzu wirr und lässt kaum Strukturen erkennen, was wohl auch an dem schlecht gemixten Sound liegt, in dem der sechsseitige Bass die anderen Instrumente viel zu sehr übertönt. Erst gegen Ende der halbstündigen Show kristallisiert sich das haarsträubende Shredding heraus, das FIRST FRAGMENT an den Gitarren zustande bringen. Fazit: spieltechnisch top, kompositorisch und soundtechnisch leider eher ein Flop.

Da machen es ALLEGAEON ihrem Publikum mit ihrem betont melodischen Tech-Death schon wesentlich leichter, dem Fluss der Musik zu folgen. Anspruchsvolles Gefrickel und halsbrecherisches Tempo bestimmen die Musik der Amerikaner zwar gleichermaßen, allerdings in einem deutlich geradlinigeren Rahmen. Vermutlich ist es gerade diesem Umstand zu verdanken, dass ALLEGAEON nicht einfach nur stocksteif einen Song nach dem anderen spielen, sondern eine energetische Performance hinlegen, die auch die Zuschauer in helle Aufregung versetzt. Wie ein aufgescheuchtes Tier hechtet Sänger Riley McShane über die Bühne, während er screamt und growlt, was seine Lungen hergeben, und Bassist Brandon Michael geht derart in seinem Spiel auf, dass er es einfach nicht lassen kann, ulkige Grimassen zu schneiden. In puncto Sound hat die Band zudem bessere Karten als der erste Act des Abends: Der Ton ist größtenteils ausgewogen, sodass jeder der fünf Musiker auf der Bühne hin und wieder im akustischen Rampenlicht stehen darf. Die ihnen zugestandene gute halbe Stunde lassen ALLEGAEON mit ihrer schweißtreibenden Show wie im Nu vergehen und ernten dafür zum Abschluss überschwänglichen Applaus.

  1. All Hail Science
  2. Gray Matter Mechanics – Apassionata Ex Machinea
  3. Gravimetric Time Dilation
  4. 1.618
  5. Stellar Tidal Disruption
  6. Behold (God I Am)

Gibt es im heutigen Line-Up eine Gruppe, die die Zuschauerschaft nicht bereits im Vorhinein voll und ganz auf ihrer Seite hat, dann sind es FALLUJAH. Nachdem die Amerikaner auf ihren letzten beiden Alben einen einzigartigen Mix aus Tech-Death und Ambient zum Besten gegeben hatten, verließ Sänger und Programmer Alex Hofmann die Band. Die beiden Vorab-Tracks der kommenden Platte „Undying Light“, auf denen statt Hofmanns mächtigen Growls Antonio Palermos eher im Deathcore angesiedelte Screams zu hören waren und die den sonst so besonderen Stil der Band vermissen ließen, kamen bei den Fans leider nicht sonderlich gut an. Erfreulicherweise spielen FALLUJAH heute ohnehin in erster Linie Songs von ihrer letzten Veröffentlichung „Dreamless“, sodass zwischen dem brachialen Geballer immer wieder auch sphärische Töne an die Oberfläche dringen.

Zwar sind es diesmal die Drums, die den anderen Instrumenten im Gesamtsound den Raum stehlen, doch das, was man von den spacigen Gitarrenleads zu hören bekommt, ist durch die Bank weg herausragend. Der bisher noch unveröffentlichte, neue Track „Last Light“ lässt mit seiner verträumten Hauptmelodie zudem die Hoffnung aufkeimen, dass das kommende Album vielleicht doch kein gänzlicher Totalausfall wird. Die starke Setlist und Palermos hitzige Performance, die seine gesanglichen Schwächen ziemlich gut ausgleicht, stellen somit unter Beweis, dass FALLUJAH vorerst weiterhin eine Band bleiben, bei der es sich lohnt, sie live zu sehen. Kein Wunder also, dass die Fans nach dem abschließenden Höhepunkt „The Void Alone“ in Jubel ausbrechen und nach einer Zugabe verlangen.

  1. Carved From Stone
  2. Ultraviolet
  3. Adrenaline
  4. Sapphire
  5. Abandon
  6. Last Light
  7. Scar Queen
  8. Amber Gaze
  9. The Void Alone

Anstatt einer Zugabe bekommen die Zuseher nach dem Set von FALLUJAH jedoch bald schon das nächste und letzte Highlight des heutigen Line-Ups präsentiert. OBSCURA lassen sich erst mal durch das erste von mehreren stimmungsvollen Samples ankündigen, ehe die Deutschen sich daran machen, das Publikum mit ihren instrumentalen Fähigkeiten in Staunen zu versetzen. Mit chirurgischer Präzision spielen die Technical-Death-Metaller die kompliziertesten Tonfolgen und Rhythmen, was Sänger und Gitarrist Steffen Kummerer und Bassist Linus Klausenitzer jedoch nicht davon abhält, dem Publikum das eine oder andere freundliche und auch ein wenig selbstzufriedene Lächeln zu schenken. Zwischen den Songs stellt Kummerer mit ein paar euphorischen Ansagen ungezwungene Nähe zum Publikum her – und sorgt mit seinem stolzen Hinweis, dass die Band seit ihrer letzten Show in Wien (noch) keinen ihrer notorischen Besetzungswechsel durchgemacht hat, auch für etwas Amüsement.

Die Deutschen machen trotz aller musikalischer Komplexität, die glücklicherweise nie in Chaos ausartet, im Zuge ihrer Show somit einen angenehm bodenständigen Eindruck. Da passt es nur zu gut, dass es ausgerechnet OBSCURA sind, die erstmals am heutigen Abend ein paar simple Stampf-Passagen einstreuen und damit zum fröhlichen Headbangen animieren. Dass Kummerers nicht übermäßig stimmgewaltige Screams in all dem Trubel etwas untergehen, fällt da kaum störend ins Gewicht. Mit ihrem überschwänglichen Zuspruch verdienen sich die Fans zuletzt eine kurze Zugabe in Form von „The Anticosmic Overload“, dann werden noch ein paar Plektren in der ersten Reihe verteilt und sowohl OBSCURA als auch die Leute vor der Bühne ziehen wunschlos glücklich von dannen.

  1. Emergent Evolution
  2. Ten Sephiroth
  3. Diluvium
  4. Akróasis
  5. Septuagint
  6. Mortification Of The Vulgar Sun
  7. Bass Solo
  8. Ode To The Sun
  9. Incarnated
  10. Perpetual Infinity
  11. An Epilogue To Infinity
    ___
  12. The Anticosmic Overload

Ein Konzert wie das heute in der Arena Wien veranstaltete will erst mal verdaut werden, schließlich gibt es gewiss einfachere Formen der Unterhaltung als vier Bands dabei zuzuhören, wie sie mehr Noten spielen, als man zählen kann, und dann auch noch zum Teil mit dem zu dominanten Sound einzelner Instrumente zu kämpfen haben. Nach dem etwas zu sperrigen Auftakt von FIRST FRAGMENT weicht die Überforderung jedoch dem Staunen. ALLEGAEON begeistern einmal mehr mit einem dynamischen Auftritt, FALLUJAH haben es live trotz des Sängerwechsels immer noch drauf und auch OBSCURA erfüllen heute sämtliche an sie gestellten Erwartungen. Selbst am Abend vor einem Arbeitstag sollte man sich eine solche Darbietung virtuoser Fingerfertigkeit nicht entgehen lassen.

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Fotos von: Stephan Rajchl

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