Konzertbericht: Norma Jean w/ The Chariot & Support

2012-03-10 München, Hansa 39


Auch wenn das Genre des sogenannten Post-Hardcore sich in den letzten Jahren einer stetig wachsenden Popularität erfreuen konnte sowie mit Bands wie Glassjaw oder Thursday Bands hervorgebracht hat, die auch über Szenekreise hinaus Bekanntheit erreicht haben, kann man doch insgesamt nicht davon sprechen, dass diese Musikrichtung im Mainstream angekommen ist. Umso schöner ist es, dass sich die Liebhaber dieser Musikrichtung immer wieder dazu motivieren lassen, in beeindruckenden Mengen vor die Bühnen des Landes zu strömen. Auch die derzeitig laufende „Evil Tiger Vultures“ Tour bietet für den geneigten Fan mit einem überragenden Headliner-Doppel und zwei spannenden Support-Bands gute Gründe, die Couch gegen den Moshpit einzutauschen. So machen derzeit niemand geringeres als Norma Jean und The Chariot, unterstützt von Dead And Divine und Admiral’s Arms gemeinsam die Bühnen Europas unsicher. In München macht der Trupp am Samstag, den 10.3. im (für derartige Veranstaltungen nahezu prädestinierten) Hansa 39 Halt, und auch wenn beim Betreten der Halle durch den „Hintereingang“ klar wird, dass heute auf Grund des neben der Bühne eingezogenen Vorhangs nicht mit einer ausverkauften Show zu rechnen ist, füllt sich die verkleinerte Halle bis zu Konzertbeginn doch mit einer stattlichen Anzahl Menschen.

So empfängt um 20.30 Uhr eine bereits zu gut ¾ gefüllte Halle die Franzosen ADMIRAL’S ARMS. Die fünf sympathischen Jungs schmettern dem Publikum ihre teilweise an Poison The Well erinnernden Post-Hardcore-Hymnen mit viel Leidenschaft entgegen. Der Gesang von Frontmann Hendrik ist, im Gegensatz zu seiner etwas statischen Bühnenpräsenz, energetisch und mitreißend, die teilweise umwerfenden Melodien und intelligentes Songwriting tun ihr Übriges, um das Publikum zum rhythmischen Kopfnicken zu motivieren. Einige verhallte Gitarrenmelodien lassen ADMIRAL’S ARMS in manchen Momenten sogar als eine härtere Version von Dredg erscheinen – vergleichbar mit den poppigen Anleihen der neuen Caliban-Platte. Die nahezu ohne Akzent vorgetragene und grammatikalisch nahezu fehlerfreie deutschsprachige Ansage von Basser Matthew sorgt für anerkennenden Applaus, der darauffolgende Dialog mit Sänger Hendrik („What did he just say?“ „Baguette!“) wird vom Publikum mit Humor aufgenommen. Leider lässt sich das Hansa 39 während des 30-minütigen Sets trotz der mitreißenden Musik nicht zu mehr Bewegung hinreißen, was nichts daran ändert, dass der Applaus warm und laut ausfällt. Mit ein bisschen mehr Energie auf der Bühne und ein wenig mehr Struktur im Klangkonzept kann die junge Band aus Paris allerdings durchaus mit den ganz großen des Genres mithalten.

Dass sich innerhalb eines Genres durchaus unterschiedlich klingende Bands tummeln, beweisen die nach einer kurzen Umbaupause die Bühne enternden Kanadier von DEAD AND DIVINE. Im Gegensatz zu den vor ihnen aufspielenden Franzosen ist ihr Sound wesentlich klassischer im Hardcore angesiedelt und bietet satte Breakdowns und mitreißende Energie auf der Bühne. Die Gitarren- und Rhythmus-Fraktion, besonders aber Sänger Matt Tobin zeigen, was die Band unter dem Begriff „Einsatz“ versteht: Bereit kurz nach Beginn des Sets fordert Matt „more energy“ vom Publikum und startet an dieser Stelle einen – im Laufe des Konzerts häufiger folgenden – Trip ins Publikum. Hierdurch sorgt er zwar für kurzzeitige Steigerungen in der Bewegungsrate des Publikums, welches allerdings bei der Rückkehr des Frontmanns auf die Bühne augenblicklich wieder in Mitwippen, Mitnicken und geballte Fäuste zurückfällt. Den Kanadiern ist hier insgesamt kein Vorwurf zu machen: Mit Leidenschaft rotzen sie ihren teilweise durch dreckige Rock’n’Roll-Elemente angereicherten Hardcore weiter ins Publikum und der Frontmann erinnert mit seiner Stimme an eine Mischung zwischen Daryl Palumbo von Glassjaw und Chino Moreno von den Deftones in seinen härteren Momenten. Im Gegensatz zu Admiral’s Arms wirkt das 30-minütige Set von DEAD AND DIVINE, vielleicht auch wegen der stumpfen Bedienung eines aggressiven Sounds, allerdings ein wenig zu eintönig – dem Publikum ist das weitestgehend egal und die fünf Kanadier werden mit artigem Applaus verabschiedet.

Der tatsächliche Grund, warum viele Münchner an diesem kühlen März-Abend ihr warmes Zuhause verlassen haben, liegt allerdings wohl weniger an den beiden Support-Bands, sondern am Headliner-Doppel mit Norma Jean und THE CHARIOT. In der erneut sehr kompakten Umbaupause füllt sich das verkleinerte Hansa 39 bis auf den letzten Platz. Der Ruf der US-Band aus Georgia als eine der energetischsten Livebands des Planeten tut sicherlich das Übrige, um erwartungsvolle Gesichter in der Menge aufscheinen zu lassen. Adäquat zu beschreiben, was in den folgenden 50 Minuten passiert, ist dann allerdings nahezu ein Ding der Unmöglichkeit. Von dröhnendem Gitarrenfeedback unterstützt winkt Sänger Josh Scogin – früherer Shouter und Gründer der im Anschluss aufspielenden Norma Jean – das Publikum zu sich heran, und gibt die Richtung des Abends vor: „Everyone up front! This is a celebration! This microphone is your microphone! This stage is yours!“ Der folgende Opener „Evan Perks“ vom aktuellen Album „Long Live“ öffnet augenblicklich die sieben Pforten zur Hölle: Bassist Jon Kindler springt mit dem ersten Ton ins Publikum, die Gitarren fliegen unkontrolliert durch die Gegend, Josh drückt sein Mikrophon immer wieder in die Gesichter frenetisch mitbrüllender Fans, das blanke Chaos bricht aus – und trotzdem klingt jeder Song fett und auf den Punkt. Zu Beginn des zweiten Songs „Teach“ übergibt Jon seinen Bass an Josh und rennt auf den Händen des Publikums durch die Halle, um bei seiner Rückkehr wie ein Wahnsinniger den Gesang zu übernehmen, außerdem schleudert er während des Konzerts seinen Bass mit aller Gewalt ins Publikum – nur einige Beispiele für die wahnwitzige Energie, die THE CHARIOT versprühen. Dass sich Josh Scogin zunächst noch mit Sweater vor das Publikum stellt, um im Verlauf des Sets immer mehr Schichten loszuwerden und auf einmal mit frischem Hemd auf der Bühne zu stehen, verwundert niemanden. Dass auf die Ansage „The next song is called ‚My Generation’“ tatsächlich eine kurze Coverversion des The Who-Klassikers erfolgt – beinahe logisch. Das Publikum brüllt jede Textzeile bis zur drohenden Bewusstlosigkeit mit, die Temperatur im kleinen Hansa 39 erreicht subtropische Regionen und jeder ist glücklich. Der chaotische Mathcore-Hardcore-Punk-Mix mit seinen intelligenten, häufig durch christliche Themen charakterisierten Texten reißt jeden und jede in der Halle mit. Im finalen Song baut Josh das Schlagzeug von David Kennedy während des Songs ab und Jon stellt sich mit seinem Bass mitten ins Publikum. Auf einmal ist es still und das blanke Chaos verschwindet. Zurück bleibt ein frenetisch jubelndes Publikum und die Gewissheit, dass hier gerade eine Band die Bühne verlässt, die jedes The Dillinger Escape Plan-Konzert wie einen Stehempfang mit Häppchen wirken lässt.


Wie soll man eine derartige Show toppen? Ist das überhaupt möglich? Diese nahezu unerfüllbare Aufgabe obliegt dem offiziellen Headliner des Abends: NORMA JEAN. Die etwas längere Umbaupause – zurückzuführen auf den Schlagzeugwechsel – leert das Hansa 39 zunächst. Dennoch stehen beim Erlöschen des Lichts ebenso viele Menschen vor der Bühne wie bei dem vorangehenden Tornado The Chariot. Was sich den erwartungsvollen Gesichtern in der folgenden Stunde bietet, sorgt bei einem Großteil zwar für Begeisterung – dies ändert allerdings nichts daran, dass ein Musikredakteur auf Grund der Abfolge der Bands nur den Kopf schütteln kann. Sicherlich, NORMA JEAN stehen auf Platte den musikalisch ähnlich gelagerten The Chariot nur wenig nach – vor allem selbstverständlich in ihren alten, noch von Josh Scogin mitgeschriebenen Songs. Im Vergleich zu der „Nachfolgeband“ Scogins wirkt das, was die Band um den ’neuen‘ Sänger Cory Brandan an diesem Samstagabend bietet allerdings über weite Strecken viel zu statisch und vor allem: zu brav. Die Energie der Songs wird vom permanenten Dauergepose der Band nahezu vernichtet (exemplarisch sei an dieser Stelle die permanente Aufforderung zum Zeigen der „Devil-Horns“ genannt) und die nahezu wütenden Schubser des Shouters gegen manche Fans zeugen von Arroganz. Sogar die alten, chaotischeren Songs wirken energieleer und insgesamt wirkt das Konzert auf Grund seines permanent gleich bleibenden Tempos wie ein langgezogener Breakdown ohne spannende Passagen. Dem Publikum scheint dies egal zu sein: Die Circle Pits drehen ihre Runden, die Songs werden mitgesungen und schließlich wagt sich auch Josh Scogin für eine kleine Einlage auf die Bühne. All das kann allerdings nicht darüber hinwegtäuschen, dass der Abend nach dem Auftritt von The Chariot ein schlüssigeres und rühmlicheres Ende genommen hätte, als durch diese insgesamt stark enttäuschende Show einer eigentlich tollen Band.

Wie kann man diesen Abend zusammenfassen? Zwei legendäre Bands geben sich auf einer gemeinsamen Tour die Ehre, beide zeichnen sich durch ihre christlich geprägten und intelligenten Texte aus – nur einer allerdings ist der Ruf als legendäre Live-Band zurecht zuzusprechen. Insgesamt kamen an diesem Samstagabend in München musikalisch sicherlich alle Fans härterer Musik auf ihre Kosten – gegen eine Headliner-Show von The Chariot, eventuell mit einer Support-Band, hätte aber wohl auch niemand etwas einzuwenden gehabt.

Publiziert am von

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert