Konzertbericht: Motörhead w/ Anthrax, Support

01.12.2012 München, Zenith


Wie schnell die Zeit doch vergeht, wird einem immer dann vor Augen geführt, wenn ein alljährliches Event ansteht – Silvester, Geburtstag, Weihnachten oder das vorweihnachtliche MOTÖRHEAD-Konzert.
Die schon wieder hier, schon wieder ein Jahr verstrichen? – man könnte fast sentimental werden in Anbetracht solcher Regelmäßigkeit und dem darin manifestierten Dahinrasen der Zeit. Doch zum Trübsal blasen gibt es wahrlich passendere Momente. Denn sind MOTÖRHEAD allein schon ein Garant für Feierstimmung, gibt es in diesem Jahr noch einen zweiten Top-Act obendrauf: Neben Support-Act Diary Of A Hero sind die Kult-Thrasher ANTHRAX mit von der Partie.

Die Vorfreude auf dieses Gespann bekommt jedoch zunächst durch den Münchner Nahverkehr einen kleinen Dämpfer verpasst. Dessen Belastbarkeit wird heute nämlich hart auf die Probe gestellt, finden mit dem MOTÖRHEAD-Konzert (Zenith), dem Auftritt der Toten Hosen (Olympiahalle) sowie dem Spitzenspiel des FC Bayern gegen die Borussia aus Dortmund (Allianz-Arena) mehr oder minder zeitgleich drei über die selbe U-Bahn-Strecke erreichbare Großevents statt. Ist dieses Hindernis jedoch überwunden und das Zenith um kurz nach 18:00 schließlich erreicht, geht es überraschend reibungslos weiter: Keine Schlange vor der Halle, keine Schlange an der Garderobe und angenehme Leere im Bereich vor dem Wellenbrecher sorgen für Verwunderung – schließlich war als Einlasszeit 17:30 angekündigt und bereits im Vorhinein der Ausverkauf vermeldet worden.

Diaries-Of-A-Hero-logo

Bis um 19:00 DIARIES OF A HERO beginnen, füllt sich das Zenith jedoch ansehnlich, so dass die Newcomer aus London für ihre Show schon vor eine gut gefüllte Halle vorfinden. So richtig Stimmung will während des Gigs der erst 2010 gegründeten Band dann trotzdem nicht aufkommen. Verwunderlich ist dies mitnichten, passt die Band mit ihrem – wer hätte das bei dem Namen gedacht – Core-Einschlag stilistisch auch nicht unbedingt perfekt ins Programm. Dabei ist das, was die Briten abliefern, weder musikalisch noch hinsichtlich der überraschend souveränen Bühnenshow schlecht – viel mehr hat man das Gefühl, dass das Publikum bei den recht vertrackten Riffs der Band mitunter etwas ratlos zurückbleibt. Wirklich mitreißend klingt das, was DIARIES OF A HERO darbieten, aber auch nicht: Abgesehen von einigen interessanten, jedoch wenig eingängigen Passagen geht die Musik der Band sowie sie auf der einen Seite rein geht, auf der anderen Seite auch schon wieder heraus – den Kalauer Diarrhea Of A Hero kann man sich in diesem Kontext kaum verkneifen.

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Nach der halbstündigen Show des Openers sowie einer schnellen Umbaupause von knapp 15 Minuten stehen bereits um 19:45 ANTHRAX auf der Bühne.
Ob der Tatsache, dass die Band aus Yonkers, New York seit einer gefühlten Ewigkeit nicht mehr in München zu Gast war, dürfte der ein oder andere Fan heute gar vornehmlich wegen der Amerikaner gekommen sein – kein Fehler, wie sich schnell zeigt. Von der ersten Minute an brennt hier die Luft: Moshpits werden gestartet, Crowdsurfer versuchen ihr Glück und auch ANTHRAX selbst wirken mehr als angetan von der Kulisse, die sich ihnen bietet. Tatsächlich stimmt hier heute aber auch alles. Vom Start weg knallt der Sound nicht nur in amtlicher Lautstärke, sondern auch überraschender Klarheit aus den Boxen und bietet so beste Rahmenbedingungen für einen herausragenden Auftritt. Egal ob „Indians“, zu welchem sich der umtriebige Joey Belladonna einen Indianer-Federschmuck aufzieht, das Dimebag Darrell und Ronnie James Dio in Form von Portrait-Sidedrops gewidmete „In The End“ oder der Opener des ’84er-Debüt-Albums „Fistfull Of Metal“, „Deathrider“, welchen Scott Ian seinem großen Vorbild Motörhead widmet – ANTHRAX präsentieren sich heute in Hochform. Und das, obwohl die Band in leicht verändertem Lineup auf der Bühne steht: Statt Stamm-Drummer Charlie sitzt auf dieser Tour Jon Dette (Killing Machine, Ex-Testament) hinter den Kesseln. So souverän, wie dieser seine Arbeit macht, dürfte das aber wohl wirklich nur den echten ANTHRAX-Fans aufgefallen sein.
Nach ziemlich genau einer Stunde, die jedoch wirklich wie im Fluge verging, ist mit dem Rausschmeißer „I Am The Law“ Schluss – und wenn man ehrlich ist, muss man sagen: Wäre der Konzertabend bereits an diesem Punkt beendet, man hätte immer noch einen adäquaten Gegenwert für sein Geld bekommen … gerade, wenn man bedenkt, wie viel andere Bands bisweilen für weniger Spielzeit mit geringerem Unterhaltungswert verlangen.

Setlist ANTHRAX:
— Intro: Worship
01. Caught In A Mosh
02. Fight ‚Em ‚Til You Can’t
03. Antisocial (Trust-Cover)
04. Indians
— Hymn 1
05. In The End
06. Deathrider
07. Madhouse
08. Got The Time (Joe Jackson-Cover)
09. The Devil You Know
10. I Am the Law
— Long Live Rock’n’Roll (Rainbow-Song)

Motörhead
Doch logischerweise ist der Abend noch nicht beendet – denn auch, wenn man bei Anthrax nicht das Gefühl hatte, einer Vorband bei der Arbeit zuzusehen, ist erst jetzt der wahre Headliner des Abends an der Reihe.
Um 21:15 ist es dann so weit: die selbsternannten „Kings of the Road“ stehen in Form von Mikkey Dee, Philip Campell und Lemmy Kilmister auf der Bühne.
Dass MOTÖRHEAD sich in Sachen Lautstärke von einer Vorband nichts vormachen lassen würden, war klar – entsprechend wenig überrascht es, dass der Rock’n’Roll des Trios hier nach der sowieso schon lauten Show der Ami-Thrasher ohrenbetäubend laut aus den Boxen brüllt. Soweit, so gut – weniger gut ist indessen der Sound an sich: Statt des differenzierten Klangs, den man bei Anthrax genießen durfte, matscht hier zunächst alles vor sich hin. In mitten des Soundbreis geht Lemmys Stimme bisweilen fast komplett unter – wie sich nach kräftiger Sound-Korrektur einige Zeit später zeigt, liegt dies jedoch nicht allein am Mischer. Ob der Meister heute nur etwas übermüdet ist, oder ob es vielleicht doch die Alterserscheinungen sind, ist schwer zu sagen; Fakt ist: gerade in den Ansagen nuschelt Lemmy derart leise vor sich hin, dass höchstens jeder zweite Satz verständlich ist.
Zumindest gute Laune scheint der Mann jedoch zu haben, huscht ihm bei gelegentlichen Witzchen wie der Ansage „This song is from 1916 … the album, not the year!“ zu „The One To Sing The Blues“ doch ein schelmisches Grinsen über sein Gesicht.
Besondere Erwähnung verdienen heute dafür die Soli von Mikkey „the best drummer in the world“ Dee sowie Philip „Wizzo“ Campell, welcher mit einer von innen heraus beleuchteten Gitarre die Blicke auf sich zieht: Mag Fronter Lemmy heute vielleicht auch einen schlechten Tag erwischt haben – die beiden Herren, so enthusiastisch, wie hier getrommelt und gefrickelt wird, definitiv nicht.
Auch die Setlist birgt einige Überraschungen – vor allem durch die Songs, die sie eben nicht birgt: So finden die neueren Alben, angefangen mit „Inferno“ über „Kiss Of Death“ bis hin zu „Motörizer“ mit keinem einzigen Song Erwähnung, und selbst vom aktuellen Album, „The Wörld Is Yours“ hat es lediglich „I Know How To Die“ ins entsprechend oldschoolig ausgelegte Set geschafft. Für langjährige Die-Hard-Fans mag das vielleicht eine Offenbarung sein und sicherlich ist auch der Gedanke, die Songauswahl im Vergleich zur letztjährigen Show zu variieren, löblich – dennoch wird ein Set durch das Weglassen von Hits wie „Rock Out“, „Sucker“ oder „Killers“ nicht zwingend besser. Das Publikum stört sich an solchen Details jedoch scheinbar wenig und feiert die Rock-Legende gebührend mit Moshpits, Crowdsurfern und tatkräftiger Gesangsunterstützung ab.

Nach 75 Minuten (inklusiv geplanter Zugabe) ist schließlich Schicht im Schacht und die drei Herren verabschieden sich herzlich vom Münchner Publikum, welches sie frenetisch feiert. Und das – selbstverständlich – nicht zu Unrecht … auch, wenn man MOTÖRHEAD schon bessere Shows hat spielen sehen. Angefangen beim Sound, über Lemmys Verfassung bis hin zur etwas arg oldschooligen Setlist war hier heute sicher nicht alles optimal – am Ende jedoch immer noch MOTÖRHEAD.
In diesem Sinne: Frohe Weihnachten, einen guten Rutsch ins neue Jahr, alles Gute zum Geburtstag und bis zum nächsten Mal!

Setlist MOTÖRHEAD:
01. I Know How To Die
02. Damage Case
03. Stay Clean
04. Metropolis
05. Over The Top
06. Doctor Rock
— Gitarrensolo
07. The Chase Is Better Than The Catch
08. Rock It
09. You Better Run
10. The One To Sing The Blues (mit Schlagzeugsolo)
11. Going To Brazil
12. Killed By Death
13. Ace Of Spades

14. Are You Ready (Thin Lizzy-Cover)
15. Overkill

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