Das „Openluchttheater“ im uralten, niederländischen Städtchen Valkenburg zählt zu einem der urigsten, gemütlichsten Freiluftlocations Europas. Wie ein Mini-Amphitheater aufgebaut, bietet es inmitten herrlicher Natur Sitzplätze mit Blick auf die Bühne, deren Backstagebereich dahinter direkt in Fels gehauen ist. Doch die wenigen guten Sitzplätze im vorderen Bereich bringen auch einen kleinen Kampf mit sich: Die Fans sind Stunden vor Einlass an der Location, um dann vorne die besten Plätze zu besetzen und auch nicht mehr herzugeben. Das Midsummer Prog Festival ist seit 2020 aus den bekannten Gründen bereits zwei Mal verschoben worden, was zur Folge hat, dass es seit langem ausverkauft ist. Die ursprünglich bestätigten Bands um Headliner LEPROUS bleiben jedoch im Billing.
Bei herrlichstem Wetter eröffnet gegen 12:30 Uhr die einheimische Band PERFECT STORM das Festival. Diese Band gab im letzten Jahr mit ihrem Album „No Air“ ihr Debüt in der Prog-Welt. Sofort wird klar, dass die Akustik im Openluchttheater hervorragend ist. Sicherlich wurde beste Technik verwendet, aber auch das Verbleiben der Musik in der kegelförmigen Location hat einen besonderen Reiz. Und so kann Vokalist Adel Saflou besonders punkten. Auch seine Bandkollegen sprühen vor Motivation und ihr jazziger Prog scheint dem Publikum zu gefallen, wenngleich sie am meisten damit zu kämpfen haben, dass die Sonne genau in ihre Gesichter scheint und blendet. Doch sie lassen sich nicht ablenken, ist es doch ihr bisher größter Auftritt. Die Spielzeit erlaubt es ihnen, fünf Songs ihres ersten Albums zu spielen. Zusätzliche weibliche gesangliche Unterstützung gibt es von Hiske Oosterwijk, welche sich besonders hineinsteigert und sogar kurz auf Knien performt. All dies führt zur ersten Standing Ovation des Tages.
- The Search
- Sun For Life
- No Air
- Strength
- How It Ends
Die Umbaupausen benötigen natürlich etwas Zeit, in der Regel mindestens 45 Minuten. Aber für das leibliche Wohl ist auf dem Festivalgelände natürlich gesorgt. Es geht auch alles überraschend schnell in Punkto Bedienung. Bezahlt werden kann nur mit Tokens, die extra gekauft werden müssen. Lediglich das Band-Merch darf in bar oder mit Kreditkarte bezahlt werden. Das Festival punktet mit vielen und besonders sauberen WCs, die zu keinem Zeitpunkt überlaufen sind. Auch darf man mit einem Bändchen das Theater verlassen und kann so zwischendurch die schöne Umgebung genießen, sollte man einmal eine Pause von der Musik brauchen.
Gegen 14 Uhr betritt die französische Band KLONE die Bühne. Vielen dürften sie als ehemalige Support-Band von Leprous ein Begriff sein, aber natürlich haben sie sich über die Jahrzehnte einen hervorragenden Ruf als gute Live-Band erspielt, von der eher härteren Gangart bis hin zu mehr Melancholie auf ihrem aktuellen Album „Le Grande Voyage“. Ihren eigenen kleinen Fanclub scheinen sie auch mitgebracht zu haben, den Reaktionen von Band und Publikum nach zu urteilen. Der Hitze trotzdend in Schwarz gekleidet spielen sie sich quer durch ihren Alben-Katalog und bestechen besonders durch ihre Hingabe auf der Bühne. Die Gitarristen als Poser zu bezeichnen, wäre natürlich übertrieben. Deshalb sagen wir es so: ihre epischen, treibenden Stücke werden durch besonders viel körperlichen Einsatz unterstrichen. Ihre Fans lieben sie dafür. Als KLONE am Ende als Zugabe das Björk-Cover „Army Of Me“ anstimmen, stehen erstmals gefühlt alle Zuschauer auf und rocken zusammen mit der Band ab.
- Yonder
- Rocket Smoke
- Immaculate Desire
- Grim Dance
- Keystone
- Immersion
- Nebulous
- Silver Gate
- Army Of Me (Björk-Cover)
Dass es offensichtlich nicht nur in der Metal-Welt, sondern auch in der Prog-Musikszene Tradition zu sein scheint, sich schwarz zu kleiden, beweisen auch die Herren von RPWL, die um 15:45 Uhr die Bühne betreten. Sie vertreten Deutschland bei diesem Festival. Aus einer Pink-Floyd-Coverband hervorgegangen, schreiben sie aber schon seit vielen Jahren auch eigene Musik. Und so präsentieren sie heute nach langer Live-Abstinenz unter anderem auch ihr Album „Tales From Outer Space“ dem Festivalpublikum, welches allerdings nicht unbedingt in Begeisterungsstürme verfällt. Wie nicht anders zu erwarten, findet auch ein Pink-Floyd-Cover seinen Weg in die Setliste, nämlich „Cymbaline“. Hierbei lassen sie gekonnt Fragmente ihres Tracks “Atom Heart Mother, Part 2” einfließen. Bei diesem Stück können natürlich vor allem die Gitarristen mit ihrer Leistung glänzen. Auch auch das Bob-Dylan-Cover „Masters Of War“, sowie “Opel” von Syd Barret werden performt. Da RPWL die beachtliche Spielzeit von einer Stunde und 15 Minuten haben, bleibt natürlich noch genügend Zeit, um die eigenen Tracks zu spielen. Frotmann Yogi Lang, welcher beinahe Leprous Konkurrenz macht, was das edle Bühnenoutfit betrifft, liebt es, sich auf der Bühne zu präsentieren und saugt jede Reaktion des Publikums genüßlich auf. Alles in allem dürften sie die Fans, die wegen ihnen gekommen sind, nicht enttäuscht haben, auch wenn hier die Standing Ovations ausbleiben.
- Hole In The Sky (Pt. 1 und 3)
- A New World
- Light of the World
- What I Really Need
- Opel (Syd-Barret-Cover)
- Masters Of War (Bob-Dylan-Cover):
- Cymbaline (Pink-Floyd-Cover)
- Unchain The Earth
- Roses
Um 17:45 Uhr wird es international, als MYSTERY aus Quebec/ Kanada die Bühne betreten. Ihr charismatischer Frontmann Jean Pageau weiß sofort, wie man mit dem Publikum flirtet. Viele haben offensichtlich lange darauf gewartet, die Band endlich einmal live zu sehen. Die Neo-Prog-Band hat eine tragische Geschichte, doch dies würde hier zu weit führen. Die Fans jedoch genießen daher jede Sekunde des Auftritts maximal. Mit sehr viel rockigigerem Sound als die vorherigen Bands sorgen MYSTERY für ein gutes Kontrastprogramm beim Midsummer Prog. Die Bühne, auf die man von jedem Punkt des Geländes gute Sicht hat, tut ein Übriges, um den Konzertgenuss zu vervollständigen. Mit räudiger Stimme und viel Herzschmerz im Songwriting, sorgt die Band für viele theatralische Highlights in der Show, während sie sich durch ihr großes Repertoire an Songs spielt. Die Fans danken es ihnen, indem die Standing Ovations wieder aufgenommen werden.
- Delusion Rain
- Chrysalis
- Where Dreams Come Alive
- The Willow Tree
- Shadow Of The Lake
- A Song For You
- The Preacher’s Fall
Bei immer noch herrlichstem Sonnenschein betreten die Briten von ANTIMATTER um 19:45 Uhr die Bühne, nachdem sie schon beim Line-Check Applaus abgreifen konnten für stimmgewaltige Momente. Bei dieser Band beißen sich die Musikjournalisten die Zähne aus an dem Versuch, den Stil um Frontmann Mick Moss korrekt zu kategorisieren, hat er doch gefühlt schon alles ausgetestet in seinen 7 Alben, unter anderen auch weiblichen Gesang. Hier beim Midsummer Prog ist es wieder eine reine Herrenrunde. Etwas düsterer als bei den Vorgängerbands kann man die Musik aber in jedem Fall bezeichnen. Gediegen und melancholisch werden die Stücke dargeboten und man setzt vor allem auf emotionsgeladene Mimik, während ansonsten nicht viel passiert auf der Bühne. Im Vordergrund stehen die Songs des letzten Albums “Black Market Enlightenment”. Aber trotz allem kann die Band ihre Fans überraschen, als sie eine eigene Version von Pink Floyd’s „Welcome To The Machine“ anstimmen. Mit gewohnt großzügigem Applaus des Midsummer-Prog-Festivalpublikums ended dieser Gig.
- The Third Arm
- Can Of Worms
- Partners In Crime
- Black Eyed Man
- Monochrome
- Paranova
- Wide Awake In The Concrete Asylum
- Redemption
- Welcome To The Machine (Pink-Floyd-Cover)
- Between The Atoms
- Sanctification
Nun wird es voller in Bühnennähe, denn LEPROUS, die sich ihren Headliner-Status in über 20 Jahren hart erarbeitet haben, stehen für den Line-Check bereit. Gefühlt 50% aller Besucher tragen ein Leprous-Shirt und es waren Fans aus mindestens 8 verschiedene Nationen anwesend, die wegen Leprous angereist waren. Die tolle Kulisse im Openluchttheater scheint die Norweger zu faszinieren, wie sie später während des Gigs auch bestätigen, und so entern sie um 21:45 Uhr die Bühne für den ersten Festival-Headliner-Gig ihrer Karriere. Es war auch aus dem Grund ein besonderer Auftritt, weil die Kartenkäufer des Midsummer Prog im Voraus die Setliste durch ein Oline-Voting bestimmen durften.
Und so starten LEPROUS mit einem der emotionalsten Lieder vom neuen Album „Aphelion“ namens „Out Of Here“. Offensichtlich setzen sie die schwierigsten Stücke an den Anfang des Gigs, denn sogleich folgen „Illuminate“ und „At The Bottom“. Letztgenanntes Stück gehört zu einem der fehler-anfälligsten Live-Stücke laut Interview-Aussagen einiger Bandmitglieder. Das Publikum geht ordentlich mit. Obwohl es eigentlich die Pflicht gibt, auf den Plätzen sitzenzubleiben, hält es bei etlichen Stücken viele Zuschauer nicht auf ihren Sitzen. Man springt auf und tanzt.
Im Anschluss folgt eine Reihe Songs, die vorhersehbar waren, nicht zuletzt, weil es entweder neue Stücke waren, oder schon immer die „Lieblinge“ der Fans, wie „The Price“, der meistgespielte LEPROUS-Song überhaupt. Oder auch „Castaway Angels“, das wohl der von den weiblichen Fans meistgecoverte Song ist. Dieser wird traditionell von Einar Solberg mit einer kurzen Rede verbunden, in welcher er der Ukraine seine Unterstützung bestätigt. Überraschend dagegen war, dass es auch „The Flood“ wieder einmal in die Setliste geschafft hatte. In Kombination mit dem fast perfekten Sound im Venue und der langsam untergehenden Sonne gibt es nun viele sphärische Momente zu bewundern. Auch die Laune der Band scheint bestens. Sie scherzen mit den Fans, Solberg hält die eine oder andere Kurzrede, und nach dem Auftritt nehmen sie sich weit über eine Stunde Zeit, um mit den Fans zu reden. Es ist alles in allem ein gelungener, zufriedenstellender Auftritt für alle Beteiligten und es gibt natürlich auch hier Standing Ovations.
- Out Of Here
- Illuminate
- At The Bottom
- Running Low
- Below
- The Price
- Castaway Angels
- The Flood
- From The Flame
- Alleviate
- Distant Bells
- Slave
- Rewind
- The Sky Is Red
Ab dem kommenden Jahr wird das Festival zu einem 2-Tages-Festival ausgeweitet. Dies lädt natürlich dazu ein, es mit einem Kurzurlaub im wunderschönen Valkenburg zu verbinden. An Hotels in unmittelbarer Nähe des Openluchttheaters mangelt es in keinem Fall. Das Städtchen lebt auch ohne Konzerte gut vom Tourismus. Der Ticketverkauf hat bereits begonnen, obwohl es noch keine Band-Bekanntgaben gibt. Aber für Prog-Fans lohnt es sich sicherlich, den Geschehnissen zu folgen.