Konzertbericht: Megaherz w/ Hämatom, Cold Rush

2012-03-17 Backstage, München

Alle Wege führen nach Paris. Naja, fast alle. Im Falle der NDH-Deutschrocker MEGAHERZ führt der Abschluss der „Götterdämmerung“-Tour die Musiker in ihre Heimat München. Doch wie es besonders Bahnreisende kennen: Manche Reisen verzögern sich. Und so mussten auch MEGAHERZ ihren angedachten Termin von Oktober 2011 auf März 2012 verlegen. Grund genug also es vor dem Festivalsommer noch einmal mit reichlich Verspätung richtig krachen zu lassen. Am Ende fehlt dem Headliner jedoch etwas der lange Atem.

Mit dem Lokal-Support COLD RUSH haben Megaherz am letzten Tourabend eine weitere Band im Schlepptau. Diese pendeln musikalisch irgendwo zwischen Metal, Elektro und Industrial – ohne dabei besondere Akzente zu setzen, aber auch ohne sich größere Fauxpas zu leisten. Sänger K.L. mit seinen trainierten Oberarmen ist eine imposante Erscheinung, wirkt aber fernab des sehr ordentlichen Gesangs manchmal noch ein wenig verloren auf der Bühne. Immerhin beherrschen die Jungs trotz ihrer bis dato überschaubaren Bekanntheit bereits Publikumsinteraktion, so dass in den ersten Reihen durchaus Stimmung aufkommt. So erweisen sich COLD RUSH als kurzer und brauchbarer Einstieg in den Konzertabend, wobei der musikalische Langzeitnährwert überschaubar bleibt.

Deutlich bleibender ist der Eindruck, den HÄMATOM beim Münchner Publikum hinterlassen. Seit 2004 treiben die vier maskierten Musiker unter den Pseudonymen Nord, Ost, Süd und West ihr Unwesen in der Musiklandschaft. Obwohl Stammschlagzeuger Süd an diesem Abend anderen Verpflichtungen nachkommen muss, feiert die übrige Band eine wahnsinnige bzw. eher wahnwitzige Party mit der inzwischen gut gefüllten Halle. Die anfängliche Verwunderung über das extravagante Erscheinungsbild der Musiker löst sich blitzschnell auf: Bereits beim zweiten Song „Auge um Auge“ können alle den Refrain mitsingen und spätestens bei der darauffolgenden EAV-Coverversion von „Neandertal“ tut es beinahe jeder. Während Sänger Nord mehr schreit als singt und zwischenzeitlich ein zusätzlicher Percussionist im Gorillakostüm über die Bühne fegt, zeigt sich mehr als deutlich, dass HÄMATOM heute zur richtigen Zeit am richtigen Ort sind. München liebt die durchaus umstrittene Band und selbst wenn bei „Circus Maximus“ das Akkordeon nur aus der Konserve stammt, kennt die Stimmung bald keine Grenzen mehr. Besonders das neue Album der Franken namens „Wenn man vom Teufel spricht“ hinterlässt live einen ausgesprochen starken Eindruck. Der Anspruch bzw. das Niveau in Texten wie „Spieglein“ oder der Zugabe „Leck mich“ mag überschaubar sein, doch besonders im Liveumfeld geht das Konzept auf, wenn sich das Publikum auf die abgedrehte Freakshow einlässt. Dabei können HÄMATOM auch anders: Selbst ernsthafte Botschaften wie im sarkastischen „Schau, sie spielen Krieg“ zünden dank des Ohrwurmfaktors. Spätestens jetzt gibt es mit HÄMATOM eine musikalisch härtere Alternative zu Knorkator, J.B.O. und Co. – selten konnte ein Support die Messlatte für den Headliner dermaßen hoch legen.

Setliste:
Kiste
Auge um Auge
Neandertal
Circus Maximus
Totgesagt doch neu geboren – Teil 2
Eva
Spieglein
Schau, sie spielen Krieg
Sturm

Leck mich

Und von der Hämatom-Euphorie profitieren MEGAHERZ von Anfang an: Das Publikum wirkte beinahe ekstatisch, als Alexander „Lex“ Wohnhaas zusammen mit seinen Mitmusikern die Bühne betritt. Die Rocker sind ganz eindeutig gekommen, um (zunächst) keine Gefangenen zu nehmen. Mit „Glas und Tränen“ sowie „Beiß mich“ wurde mit zwei Klassikern ordentlich losgerockt. Die schön ausdifferenzierten Gitarren- und Schlagzeugklänge fliegen dem Publikum nur so um die Ohren – begleitet von einer starken Lichtshow mit vereinzelten Nebeleffekten. Neben Lex dabei ständig in Bewegung: Christoph und Christian an den Gitarren. Ersterer ist erst seit 2011 offizielles Bandmitglied, scheint sich aber bereits prima eingelebt zu haben. Gut gelaunter Deutschrock mit wohldosierten Showelementen und einem charismatischen Frontmann: So sieht er aus, so hört er sich an. Nach dem eher ernsten „5. März“, indem tragischer Verlust bzw. Verlustängste thematisiert werden, bittet Lex am Mikro einige Fans auf die Bühne: Via Facebook haben MEGAHERZ dazu aufgerufen, als Clown verkleidet nach München zu kommen. Einige wenige sind dieser Botschaft gefolgt und dürfen nun bei einem der bekanntesten MEGAHERZ-Stücke schlechthin („Kopfschuss“) zusammen mit den Rockmusikern auf der Bühne die Köpfe kreisen lassen. Die Süddeutschen nehmen mit ihrem rocklastigen Abendprogramm die Steilvorlage von Hämatom weiterhin dankend auf und präsentieren im Anschluss mit ihrer Videoauskopplung „Jagdzeit“ (der ersten seit „Freiflug“ 1997) vergleichsweise spät den ersten Song aus ihren aktuellen Album „Götterdämmerung“. Zieht man in Betracht, dass jene Veröffentlichung die bis dato erfolgreichste in der illustren Bandgeschichte ist, kann dies durchaus als Überraschung gewertet werden. Aber der weitere Verlauf des Abends liefert mögliche Gründe für diesen Schritt.
Bis die letzten Riffs zu eben jenem Stück verklungen sind, haben MEGAHERZ alles richtig gemacht: Mit dem eher tragenden „Herz aus Gold“ schlagen sie daraufhin erstmals neue, ruhige Töne an. Und im Zuge der nächsten Songs im Mittelblock scheinen die Musiker langsam, aber stetig ihr Publikum zu verlieren. Jedenfalls ebbt die Stimmung zwischen „Mann im Mond“ und „An deinem Grab“ spürbar ab. Qualitativ waren diese Stücke auch nicht in der Lage, die sich schnell ausbreitende Lethargie einzufangen. Erst mit dem rockigen Duo „Prellbock“/„Rabenvater“ können MEGAHERZ wieder kleine (Rock-)Akzente setzen, bevor die reguläre Setliste mit „Gott sein“ ein (nicht unbedingt nötiges) ruhiges Ende findet.
Im Rahmen des Zugabenblocks spricht Lex über Medienkritik an seinen Texten und verteidigt die teils schonungslose, offene Sprache darin. Nach lautem Szenenapplaus gipfelt der erste Zugabenblock im starken „Heuchler“. Danach wird es Zeit für Fangeschenke: So darf der offizielle Megaherz-Fanclub unter gütiger Mithilfe der Bandmercherin auf die Bühne und jedem Musiker ein persönliches Geschenk überreichen. Im Zuge dessen erhält z.B. Lex ein Kochbuch und Chris eine Schachtel Pralinen. Die Freude der überraschten Musiker wirkt ehrlich, wenngleich sich die gesamte Einlage etwas in die Länge zieht. Am Ende gibt es noch eine Runde T-Shirts für alle und schließlich beendeten die neu eingekleideten MEGAHERZ mit dem obligatorischen „Miststück“ einen Konzertabend, der furios begann und später spürbar nachließ. Für einen Tourabschluss in der Heimat etwas zu wenig, um der bösen Band mit E… im Namen und A… am Mikro ernsthaft Paroli bieten zu können. So war auch das Backstage Werk an diesem Abend nicht voll, sondern gut gefüllt. Ein passender Vergleich zu den beiden ehemaligen MEGAHERZ-Mitgliedern, die mit ihrem neuen Erfolgsprojekt wenige Wochen zuvor eine etwas bessere Show vor einem etwas volleren Haus gespielt haben.

Setliste:
Glas und Tränen
Beiß mich
5. März
Kopfschuss
Jagdzeit
Herz aus Gold
Mann im Mond
Dein Herz schlägt
An deinem Grab
Prellbock
Rabenvater
Feindbild
Gott sein

Licht am Ende der Welt
Abendstern
Heuchler

Heute Nacht
Miststück

Publiziert am von und Uschi Joas

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