Wenn eine 65-jährige Rocklegende nach zwei Stimmbandoperationen wie eine 40 Jahre jüngere Nachtigall klingen will, ist das ein optimistisches Vorhaben. Wenn eben jene Legende namens MEAT LOAF in den knapp 2,5 Stunden davor bereits an den einfachen wie schwierigen Tönen kläglich gescheitert ist, verkommt jenes Vorhaben bei „For Crying Out Loud“ zu einem verhängnisvollen Wagnis. So geschehen auf der Abschiedstournee des Sängers, der seinen Zenit inzwischen deutlich überschritten hat und speziell bei seinen Vorzeigenummern zu einem Schatten seiner früheren Selbst mutiert ist.
Rückblickend betrachtet wirkt es wie bittere Ironie, dass der Marathonabend unter anderem mit „Life Is A Lemon (And I Want My Money Back)“ anfängt. Eben jener Wunsch der Konzertbesucher wäre bei Ticketspreisen von 55 bis 95 Euro mehr als gerechtfertigt. Direkt bei den ersten Takten scheppern die Instrumente über die riesige Anlage, während MEAT LOAF selbst am Mikro kaum zu hören ist – selbst wenn er zwischen den einzelnen Songs nur zur Menge in der gut gefüllten, aber nicht ausverkauften Olympiahalle spricht. Von „Wagnerian Rock“ ist zunächst weder etwas zu sehen, geschweige denn etwas zu hören, obwohl sich beispielsweise „Dead Ringer For Love“ als eine Art Rock-Sketch für eine entsprechende Live-Adaption anbietet. Dafür fallen die Reaktionen auf die tragische Hommage an längst vergangene Zeiten überraschend positiv aus. Dies mag auch der starken Band sowie der weiblichen Duettpartnerin geschuldet sein, die mit vereinten Kräften und trotz Soundproblemen den Rockveteranen notdurftig durch das Konzert hieven und seine Schwächen teilweise kompensieren. Ein bisschen erinnert dieses Szenario an Rock Meets Classic, da etliche Vorzeigenummern weniger anspruchsvoll gestaltet sind und keine 5-Oktaven-Stimme mehr erfordern. Doch selbst in dieser Light-Version gelingt dem Texaner wenig bis nichts und er lebt auf seinem letzten Zwischenstop in München rein vom Nostalgiefaktor. In der ersten Hälfte verkommt besonders „Objects In The Rear View Mirror May Appear Closer Than They Are“ fernab des Piano-Intros zu einer sechsminütigen Katastrophe, bei der man mehrfach das Gefühl hat, als ob ein durchgeschwitzter MEAT LOAF demnächst umfallen und nicht wieder aufstehen könnte. Eine Abschiedstour im wörtlichen Sinne sozusagen…
Nach der fünfzehnminütigen Pause bessert sich das Programm etwas und der Hauptprotagonist wirkt deutlich erholter. In Videoeinspielern mit deutscher Synchronisation werden kleine Anekdoten und Randnotizen zu „Bat Out Of Hell“ erzählt. Diese arten zwar schnell in Lobhudelei um das Jahrhundertwerk aus, doch wenn es nicht gerade darum geht, dass der Produzent Jim Steinman, die Musiker oder MEAT LOAF selbst das Album lieben, entdeckt man manch Interessantes in den Einspielern: So genügt bei „You Took The Words Right Out Of My Mouth“ bereits die Klaviermelodie am Anfang für einen Plattendeal. Live kam der „Hackbraten“ in früheren Zeiten seinem weiblichen Stimmpendant wiederum oftmals näher als vorgesehen und manch Inszenierung des Albums artete auf der Bühne in hemmungslose Zungenküsse aus.
Die Bühnenperformance anno 2013 rettet das Drumherum inklusive aufblasbarer Fledermäuse freilich wenig, abgesehen davon dass MEAT LOAF vor „Heaven Can Wait“ und anderen Klassikern die Pausen zum Verschnaufen nutzt. Dennoch zittert er bei den anspruchsvollen Passagen am Mikro weiterhin unaufhörlich mit seinem roten Seidentuch in der Hand und nicht einer seiner lang gehaltenen Töne sitzt an diesem Abend. Die Folge ist Gänsehaut einmal anders: „Two Out Of Three Ain’t Bad“ wäre im Hinblick auf die Treffer bei den gesungenen Tönen eine ordentliche Quote gewesen, doch so verkommt auch jener Song mitsamt texanisch eingesprochener Ankündigung zu einer akustisch verteufelt schlecht verpackten Sparversion des Originals. „For Crying Out Loud“ bezeichnet MEAT LOAF schließlich als das „Masterpiece“ von Mastermind Steinman und den besten Liebessong aller Zeiten. Darüber lässt sich in der aktuellen Version streiten. Dass der Sänger selbst vor jener Ballade in Tränchen ausbricht, wirkt ebenfalls ein wenig übertrieben. Einzig und allein seinen Einwurf, er hätte in den Videoeinspielern sagen sollen, dass es ihn berührt wieviele Menschen „Bat Out Of Hell“ lieben anstatt wieviele es kauften, wirkt aufrichtig.
Irgendwann hat man als geneigter Konzertbesucher jedoch seinen Seelenfrieden mit diesem Auftritt geschlossen und so ist „I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That)“ als beinahe finale Zugabe dann keine Überraschung in negativer Hinsicht mehr. Wieder sind es die weibliche Sängerin und seine Band, die MEAT LOAF in den finalen Applaus retten, während dieser immer mehr nach Luft japst. So bietet sich besonders am Schluss erneut ein mitleiderregender Anblick eines Mannes, der musikalisch zweifellos mehr erreicht hat als viele seiner Weggefährten. Einzig und allein seinen Absprung hat er um ein paar Jahre verpasst. Zumindest hätte man sich als Musikliebhaber „Bat Out Of Hell“ an jenem Abend lieber im heimischen CD-Player angehört.
Setliste:
01. Runnin‘ For The Red Light (I Gotta Life) / Life Is A Lemon (And I Want My Money Back)
02. Dead Ringer For Love
03. If It Ain’t Broke, Break It
04. Los Angeloser
05. The Giving Tree
06. Objects In The Rear View Mirror May Appear Closer Than They Are
07. Out Of The Frying Pan (And Into the Fire)
Bat Out Of Hell
08. Bat Out Of Hell
09. You Took The Words Right Out Of My Mouth
10. Heaven Can Wait
11. All Revved Up With No Place To Go
12. Two Out Of Three Ain’t Bad
13. Paradise By The Dashboard Light
14. For Crying Out Loud
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15. I’d Do Anything for Love (But I Won’t Do That)
16. Boneyard / Free Bird / All Revved Up With No Place to Go