Konzertbericht: Marillion w/ Lifesigns

18.07.2016 Stuttgart, LKA

Im September diesen Jahres soll das neue, mittlerweile 18. Album „FEAR (F*** Everyone And Run)“ von MARILLION erscheinen, von dem neben dem Titel bis dato nicht mehr als ein äußerst unterhaltsamer Promo-Clip bekannt ist. Nichtsdestotrotz befinden sich die britischen Prog-Rocker bereits auf Welttournee, die sie an diesem Abend auch ins südliche Deutschland gebracht hat. Und die vor der Halle stehenden Leute, die noch die eine oder andere Karte zu kaufen versuchen, machen gleich klar: Es wird voll werden heute Abend.

Tatsächlich ist das LKA in Stuttgart äußerst gut gefüllt, wenn sich auch im hinteren Bereich der Halle noch die berühmte Armlänge Abstand realisieren lässt. Im vorderen Bereich merkt man jedoch schon eine knappe Stunde vor Beginn, was zu einem veritablen Problem des Abends werden sollte: Die enorme Hitze. Ist die Luft außerhalb der Halle schon stickig und schwer erträglich, so erreicht die Luft im Inneren der Halle im Verlauf des Abends geradezu tropische Verhältnisse. Geplant oder nicht: Die anwesende Gastronomie kann sich über eine Vielzahl sehr durstiger Gäste freuen.

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Den Beginn des Abends machen auffallend pünktlich die Briten von LIFESIGNS, die 2013 ihr Debüt „Lifesigns“ veröffentlichten und dafür weitestgehend positive Reaktionen erhielten. Musikalisch – aber auch in puncto sympathisches Auftreten – passt die Band wunderbar zu ihren Landsleuten von Marillion. Die Band um Sänger und Keyboarder John Young bietet stilechten Neoprog, der live vor allem durch den mehrstimmigen Gesang sowie das kernige Drumming und die teils halsbrecherischen Gitarrensoli von Niko Tsonev besticht, dessen Highspeed-Tapping einen deutlichen Kontrast zur Spielweise eines Steve Rothery darstellt. Die vier Musiker spielen ergo auf technisch höchstem Niveau und erweisen sich zudem als sehr sympathische Gesellen – allen voran John Young gelingt es, die Leute vor der Bühne für sich zu gewinnen. Seine (wenigen) Ansagen, die er nahezu komplett auf Deutsch macht, sind humorvoll und pointiert; so kündigt er den Song „At The End Of The World“ als einen fröhlichen Song an, nachdem zuvor auf den desolaten Zustand der Welt hingewiesen wird und auch der Brexit seine Erwähnung findet. Young vermeidet allerdings das Politisieren, sondern lächelt nur etwas gequält, zieht die Schultern hoch, raunt ein kurzes „Sorry“, bevor mit dem erwähnten „At The End Of The World“ der beste Song des recht kurzen Sets geboten wird. Nach gerade einmal vier, zugegebenermaßen überlangen Songs ist bereits Schluss und LIFESIGNS werden mit gebührendem Beifall verabschiedet.

  1. Lighthouse
  2. Kings
  3. At The End Of The World
  4. Carousel

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Es folgt eine angemessen lange Umbaupause, während der nicht nur der weiter oben schon erwähnte Promoclip gezeigt, sondern auch mittels Videobotschaft darum gebeten wird, während des Konzerts doch bitte keine Smartphones zu benutzen. Vor allem letzere Bitte führt bei Teilen des Publikums zu lautstarkem Beifall und wer in letzter Zeit einmal auf einem Konzert gewesen ist, weiß, wie anstrengend es sein kann, die Bühne nur mehr durch den Bildschirm seines Vordermanns sehen zu können. Auch wenn letztlich doch nicht alle der Bitte der Band nachkommen werden, die meisten nach oben gestreckten Hände bleiben im Verlauf des Abends leer.
Und dann wird es endlich dunkel und MARILLION beginnen ihr Set mit „The Invisible Man“. Wie bereits bei den Vorgängern Lifesigns ist der Sound ausgesprochen klar, differenziert und hat genug Druck und in wenigen Minuten ist die Halle angefüllt mit der warmen, kräftigen Stimme von Steve Hogarth und den schwebenden Soli von Steve Rothery, der gewohnt schüchtern ins Publikum lächelt. Mit größter Routine entwickeln MARILLION ihre Show und haben ihre Fans von Anfang an fest im Griff. Es ist keine Neuheit, dass MARILLION-Fans sich durch eine tiefsitzende Treue „ihrer“ Band gegenüber auszeichnen und Konzerte ab und an den Charakter eingespielter Familienfeiern annehmen. Man lächelt auf der Bühne, man lächelt vor der Bühne und lässt sich von den Wanderungen durch emotionale Höhen und Tiefen von Klassikern wie „Fantastic Place“, „Neverland“, „You´re Gone“ oder dem immer wieder grandiosen „This Strange Engine“ einhüllen und vergisst dabei manchmal sogar die mittlerweile schier unerträgliche Hitze, die im LKA herrscht. Hogarth agiert auf gewohnt dramatische Art und Weise und schauspielert sich, unterstützt durch eine sehr gelungene Licht-Show, durch die Stimmungslandschaften von insgesamt 14 Songs, wobei er sich stimmlich in bester Form zeigt. Seine Schrei-Eskapaden am Ende von „This Strange Engine“ führen bei mir auch nach Jahren immer noch zu anhaltender Gänsehaut.
Neben den erwähnten Klassikern der Hogarth-Ära spielt die Band mit „Power“ auch ein Stück des letzten, eher schwachen Albums „Sounds That Can´t Be Made“ und kündigt dann einen Song vom neuen, noch unveröffentlichten Album an. Leider vergreift sich Hogarth in der Ankündigung des Songs „The New Kings“ im politischen Ton. Die Kapitalismuskritik, die dem Song eingeschrieben ist – die „neuen Könige“ sind eben jene kapitalstarken Existenzen, deren Weltbezug beinahe refeudalisierend ist – verkürzt sich in der Ankündigung des Stückes zu einer plumben Schelte auf „die russischen Oligarchen“ und „die Saudis“. Die „neuen Könige“, die dann allerdings im Video zum Song gezeigt werden, ähneln auf auffallende Art den alten Königen – und die sitzen bekanntlich in London, New York, Frankfurt etc. Kurz und gut: Songs mögen Medien gesellschaftlicher Kritik sein; Ansagen sind es meistens nicht. „The New Kings“ präsentiert sich sodann als überlanges, in mehrere Teile zerfallendes Stück, das vor allem gegen Ende hin Fahrt aufnimmt und spannungsreiche Momente präsentiert. Die erste Hälfte erinnert allerdings fatalerweise an die schwächsten Augenblicke des letzten Albums. Es bleibt ergo ein etwas fader Beigeschmack übrig.
Nach der ersten Zugabe („This Strange Engine“) kommt die Band noch einmal auf die Bühne, obwohl, wie Hogarth meint, er angesichts der Luftqualität in der Halle kurz vor der Ohnmacht stünde. Deswegen müsse eben jetzt das Publikum singen. Es kommt das unvermeidliche „Kayleigh“, gefolgt von „Lavender“ und „Bitter Suite“, alles lautstark vom Publikum mitgesungen. Dann geht das Licht an und die Leute drängen nach draußen, um zuerst einmal eins zu tun: Einatmen.

  1. The Invisible Man
  2. You´re Gone
  3. Power
  4. Fantastic Place
  5. The New Kings
  6. Goodbye To All That
  7. The Great Escpace
  8. Afraid Of Sunlight
  9. Quartz
  10. Neverland
  11. This Strange Engine
  12. Kayleigh
  13. Lavender
  14. Bitter Suite

Ich kann mir nicht helfen: Ich liebe diese Abende mit MARILLION. Und wer sich wie ich auf einen Abend mit theatralischen Gesangseinlagen und ausschweifenden Gitarrensoli gefreut hat, der dürfte im überhitzten LKA voll auf seine Kosten gekommen sein. Mit 41 Euro durfte der Prog-Fan zu noch halbwegs moderaten Preisen einer der sympathischsten Gruppen der Szene lauschen und bekam mit Lifesigns noch einen richtig guten Opener dazu.

Publiziert am von Manuel Förderer

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