Konzertbericht: Lindemann w/ Aesthetic Perfection, Jadu

17.02.2020 München, Zenith


Till Lindemann ist ein umtriebiger Mann. Wenn er nicht gerade bei Rammstein seinen Keyboarder flambiert, mit Joey Kelly auf den Schultern durch den Yukon watet oder (mutmaßlich) das ukrainische Pop-Sternchen Svetlana Loboda schwängert, musiziert der Berliner seit einigen Jahren unter dem Banner LINDEMANN mit dem schwedischen Tausendsassa Peter Tägtgren. War „Skills In Pills“ (2015) noch ein klassisches Studioprojekt-Album, wagen LINDEMANN mit ihrem zweiten Album „F & M“ nun den Sprung auf die Bühne.

Mit dabei: JADU und AESTHETIC PERFECTION als Support und allabendlich um die 5.000 Fans in ausnahmslos ausverkauften Hallen. Nicht dabei: Fans unter 18 Jahren (haben aus Jugendschutzgründen keinen Zutritt) und ein Fotograf von Metal1.info (hätte Zutritt gehabt, allerdings nur zu unerfüllbaren Konditionen *).

Dass LINDEMANN das Münchner Zenith im Alleingang ausverkaufen, ist bei der Personalie Till Lindemann wenig verwunderlich. Verwunderlich ist hingegen, dass gefühlt schon alle 5.800 Fans um 20:00 Uhr in der Mehrzweckhalle in München Freimann stehen, um sich auch die Support-Acts anzusehen. Während JADU als so softe wie musikalisch belanglose Goth-Pop-Nummer im harten Military-Look daherkommen, sorgen AESTHETIC PERFECTION mit ihrem EBM/Aggro-Tech-Mix im Stile von Bands wie Combichrist zumindest für etwas Stimmung unter den Lindemann-Fans.

Nötig wäre das nicht gewesen: Auch ohne einen einzigen Support hätten die Fans LINDEMANN wohl nicht weniger euphorisch empfangen, als diese mit kalkulierter 15-Minuten-Verspätung auf der Bühne erscheinen, um sich erst einmal für ihre bloße Anwesenheit feiern zu lassen. Warum für die Shows eine Altersbeschränkung von +18 Jahren gilt, wird relativ schnell klar: Schon beim Opener „Skills In Pills“ gibt es auf der Leinwand die ersten intimen Details im Großformat zu sehen. Doch wenngleich das, was da über die Leinwände flimmert, mitunter auch eine Marketing-Kampagne des  Erotikportals sein könnte, über das die letzten beiden LINDEMANN-Videos veröffentlicht wurden: Wirklich spektakulär oder gar provokant sind die oft gewollt „arty“ inszenierten Geschlechtsteil-Shots („Golden Shower“) nicht. Mit viel gutem Willen und etwas Humor könnte man dem Visualisierungskonzept aber zumindest Body-Positivity attestieren („Fat“).

In seiner Rolle als Entertainer beschränkt sich Till Lindeman derweil vornehmlich auf die Rolle des „traurigen Clowns“ – ein Bild, das durch das von Kopf bis Fuß weiße Outfit noch verstärkt wird. Das fallengelassene Mikrofon ist sein Running-Gag, dazwischen verbiegt er mal etwas unmotiviert einen Mikrofonständer oder lässt sich auf einer ausfahrbaren Stange ein paar Meter nach oben fahren („Knebel“).

Wer hier das Spektakel einer Rammstein-Show sucht, wird erwartungsgemäß enttäuscht: Bei LINDEMANN brennt nichts – im Gegenteil: Zum stimmig in rotem Licht performten „Blut“ setzt am Bühnenrand feuchter Sprühnebel ein. Eine Parallele zu Rammstein lässt sich dann aber doch entdecken: Die wenigen Show-Elemente im Set wirken ähnlich modular und choreografiert. Zu „Allesfresser“ schleudern die Musiker gut zehn Sahnetorten ins Publikum. Bei „Platz Eins“ fahren Peter und Till in der transparenten Blase aus dem Musikvideo durch das Publikum. Und in „Fish On“ beginnt der Sänger erneut eine Essensschlacht mit dem Publikum und pfeffert Fisch aus einer umgeschnallten Trommel in die Menge. Wie um die reißerischen Pressestimmen zu dieser Showeinlage („Till Lindemann zerschneidet Tiere auf Bühne – und wirft Köpfe ins Publikum“) zu kommentieren, legt Lindemann noch einen drauf: Ist die Trommel erst leer, geht es mit einem Fisch-Katapult weiter, ehe er kurzerhand den kompletten restlichen Inhalt einer Kühlbox ins Publikum schleudert – und das Behältnis gleich hinterher.

All das kann man machen, muss man aber nicht: Vielleicht wäre der Auftritt ganz ohne diese etwas trashig anmutenden Einlagen sogar stimmiger gewesen. Denn musikalisch hat der Abend fraglos seine Höhepunkte: „Frau & Mann“ und „Knebel“ gehören dazu, aber auch „Ladyboy“ vom Debüt „Skills in Pills“. Wie auf den Alben hat aber auch längst nicht jeder Song im Set das Zeug zum Hit. Obwohl die Halle aus allen Nähten platzt, bleibt die Stimmung lange verhalten. Erst die knackige Pain-Version von „Ach so gern“, das aus tausend Kehlen mitgesungene „Steh auf“ und das finale „Gummi“ zeigen, wie gut das Konzept LINDEMANN tatsächlich funktionieren kann.

Nach knapp 90 Minuten ist dann Schluss, LINDEMANN verbeugen sich artig, Till Lindemann bedankt sich mit der ersten und einzigen Ansage des Tages knapp beim Münchner Publikum und über die Leinwand flackert zum Abschied das Video zu „Till The End – Von der Hand in den Mund“. Diesmal mit echter Pornografie, Lindemanns Pillermann und tatsächlich: Werbung für das Sex-Portal.

  1. Skills In Pills
  2. Ladyboy
  3. Fat
  4. Frau & Mann
  5. Ich weiß es nicht
  6. Allesfresser
  7. Knebel
  8. Home Sweet Home
  9. Cowboy
  10. Golden Shower
  11. Blut
  12. Platz Eins
  13. Praise Abort
  14. Fish On
  15. Ach so gern (Pain-Version)
  16. Steh auf
  17. Gummi

Mit ihrem Showkonzept bieten LINDEMANN gerade genug kalkulierten Skandal für mediales Drama: Wie ein Fisch im Moshpit wird im Boulevard die Frage breitgetreten, ob nun die Essensverschwendung oder die Pornografie der fragwürdigere Bestandteil der Show ist. Wirklich spektakulär ist jedoch weder das eine noch das andere – zum Skandal taugt es nur, weil es als Subkultur in einer Mehrzweckhalle stattfindet und nicht als Hochkultur im Theater.

Musikalisch wie auch hinsichtlich der Show funktioniert manches besser, manches schlechter als erhofft – ein finales Urteil über die Qualität des Gebotenen fällt da schwer: „Entweder man liebt es, oder man hasst es, oder man findet’s mittelmäßig.“, wie schon Marc-Uwe Kling in „Die Känguru-Offenbarung“ (in anderem Kontext) denkwürdig prägnant formulierte. „Obwohl es bestimmt auch Leute gibt, die finden’s gut, also definitv besser als mittelmäßig, aber lieben es nicht“.

* Liebe Leserinnen und Leser,
die Bebilderung dieses Berichts ist natürlich mit einem Augenzwinkern zu betrachten. Sie hat allerdings einen ernsten Hintergrund: Leider sahen wir uns nicht im Stande, die Auflagen des Bandmanagements für eine Fotoakkreditierung (z. B. zeitlich limierte Publikation der Fotos im Internet, keine Nutzung in den sozialen Medien, …) zu erfüllen.
Aus redaktioneller Sicht sehen wir dies sehr kritisch, da Fotojournalismus so unnötig erschwert wird.
Um euch trotzdem einen visuellen Eindruck der Show zu verschaffen, sind wir dem Beispiel der Kollegen von Stormbringer.at gefolgt, lieber die Show als den Vertrag zu zeichnen: An dieser Stelle vielen Dank an den Illustrator Lucas Reiner, der den LINDEMANN-Auftritt für uns gezeichnet hat.
Wir hoffen auf euer Verständnis,
die Redaktion

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