Konzertbericht: Life Of Agony

16.02.2024 München, Backstage (Arena)

LIFE OF AGONY haben vielleicht nicht den Sprung in die ganz großen Arenen geschafft – und doch ist die 1989 in New York gegründete und seitdem mehrfach aufgelöste und reaktivierte Band eine feste Instanz in der Alternative-Metal-Szene geblieben. Dass sich Fronterin Mina Caputo 2011 als Transgender-Person geoutet hat, kostete die Band fraglos einige „Fans“ – dass es um diese absolut nicht schade ist, zeigt ein Abend wie das Debüt der „An intimate Evening with LIFE OF AGONY – Up close & unplugged“ Tour im Backstage München.

Um die 300 Fans haben sich – dem stolzen Preis von 88,35 € zum Trotz – in der „Arena“ hinter dem eigentlichen Backstage-Areal eingefunden. Seitlich abgehängt und teilbestuhlt bietet die für ein Event in diesem Rahmen eigentlich viel zu große Location einen durchaus passenden Rahmen für die Veranstaltung, deren erster Teil die Halle zum Kino werden lässt.

Von 19:00 Uhr bis 20:30 Uhr wird die Band-Dokumentation „The Sound Of Scars“ von Leigh Brooks gezeigt. Der bietet so schockierende Einblicke in die zerrütteten Familienverhältnisse, aus denen die Bandmitglieder stammen, wie auch interessante Details über den Werdegang der Band. Doch viele Fans wirken noch nicht so richtig „angekommen“ im Abendprogramm: Je länger der Film läuft, desto mehr Personen widmen sich eher angeregten Gesprächen als der Leinwand.

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Ganz anders ist die Atmosphäre glücklicherweise ab dem Moment, in dem Mina Caputo, Alan Robert und Joey Z. um 20:40 Uhr die Bühne für den zweiten Teil des Programms betreten: ein knapp einstündiges Q&A mit Fanfragen. Während die Fans an den Lippen des Trios hängen, zeigen LIFE OF AGONY, wie man diese ungewohnte Situation perfekt bewältigen kann: Ohne ihre Nervosität oder sonstigen Emotionen zu verstecken, stellen sich die Musiker den vorab eingereichten Fan-Fragen. Dass bei Mina bereits früh erste Tränen fließen, macht genauso wenig wie die eine oder andere vielleicht etwas zu ausschweifende Antwort. Denn genau darin liegt der Charme der Situation: Hier führen nicht Medienprofis ein Interview auf einem Pressetermin, hier führen Menschen ein Gespräch. Dazu passen die Fragen, die die Band ausgewählt hat: Diese klopfen scheinbar Belangloses („Mögt ihr Freizeitparks?“) ebenso ab wie Emotionales – etwa welche Erinnerungen die Musiker an Szenelegende und Band-Freund Pete Steele haben. Dazwischen lässt Gitarrist Joey Z, der das Q&A moderiert, seinen Kolleg*innen viel Zeit zum Palavern und Fachsimpeln. Dass dafür im Gegenzug nicht sonderlich viele Fragen beantwortet werden, macht nichts – ergeben sich dafür doch spannende Gespräche wie ein Exkurs über die Metal-Szene im New York der 1990er.

Nachdem diese Herausforderung gemeistert ist, muss sich das Trio direkt der nächsten Prüfung stellen: der Akustik-Show. Auch hier machen LIFE OF AGONY keinen Hehl aus ihrer Nervosität, so „völlig nackt“ und „verletzlich“ vor Publikum zu sitzen – immerhin handelt es sich um den ersten komplett akustikschen Auftritt der Band seit dem Lowlands Festival 1997.

Doch auch diese Aufgabe bestehen Mina, Joey und Alan mit Bravour: Aufgelockert durch mal unbeholfene, mal unterhaltsame Ansagen präsentieren LIFE OF AGONY ein Set voller Überraschungen: Mit Tracks wie „Wicked Days“ oder „Day He Died“ werden vornehmlich selten gehörte Nummern dargeboten – von den ansonsten fast immer gespielten Hits der New Yorker gibt es nur „Weeds“ zu hören. Dafür streuen LIFE OF AGONY das eine oder andere Cover ein – manche erwartbarer, wie „Home“ (damals noch von Keith Caputo veröffentlicht) oder den 1995 auf „Ugly“ veröffentlichten „Redemption Song“ von Bob Marley, andere völlig unerwartet: Mit Nirvanas „Something In The Way“, gesungen von Joey Z., hätte hier und heute wohl niemand gerechnet. Das Schönste daran ist jedoch, dass all das nicht mit irgendeinem Kalkül zu passieren scheint: Hier will keine Band einem Publikum gefallen – hier haben drei Menschen Freude daran, Musik, die sie lieben, mit Menschen zu teilen, die diese Musik ebenso lieben. Und das zündet: Nicht nur gelingt es LIFE OF AGONY und dem Publikum, in den gemeinsam gesungenen Passagen das Gänsehaut-Feeling eines Stadion-Rock-Konzerts auf Club-Atmosphäre einzukondensieren – sondern auch in jeder anderen Hinsicht erfüllt sich die Versprechung des „intmate Evening“. Anders als sonst üblich, passiert an diesem Abend alles ausschließlich im hier und jetzt – denn tatsächlich halten sich nahezu alle Fans an die Bitte der Band, die Handys in der Tasche zu lassen. So nehmen alle heute echte Erinnerungen mit nach Hause – an Gänsehautmomente, die sich sowieso nicht in Fotos oder wackligen Videos einfangen lassen.

Dass sich bereits während des finalen „Weeds“ nahezu alle erheben, um LIFE OF AGONY nach rund 60 Minuten mit Standing Ovations zu feiern, ist vollkommen verdient. In einer Welt, in der sich alles nur noch um Spektakel und Perfektion dreht, zeigen LIFE OF AGONY mit ihrer eigentlich völlig unspektakulären und ganz gewiss nicht lupenreinen Darbietung, worum es bei Live-Musik eigentlich geht: um Authentizität, Nahbarkeit und echte Emotionen.

Dass die Band im großen Jubel nach der Show nur kurz für einige Fan-Fotos zur Verfügung steht, weil anschließend eine Autogrammstunde exklusiv für Käufer des VIP-Tickets (+ 75 €) abgehalten wird, will nicht so recht in die familiäre Atmosphäre des Abends passen – zumal eine einfache Signier-Session bei einem solchen Event und einem Ticketpreis von knapp 90€ eigentlich für alle Anwesenden impliziert sein sollte. Andererseits muss man den Käufern des VIP-Tickets aber eher dankbar sein – bekommen diese doch vergleichsweise wenig für ihr Geld*, sichern damit aber in Zeiten gestiegener Produktionskosten vermutlich die finanzielle Rentabilität der Tour ab.

Immerhin: LIFE OF AGONY sind sich durchaus bewusst, dass auch der reguläre Ticketpreis schon kein Pappenstiel ist: Gleich mehrfach bedankt sich Mina im Verlauf der Show bei allen, die „good money“ für dieses exklusive Event gezahlt haben. Auch das ist eine überaus sympathische Geste – und längst keine Selbstverständlichkeit.

  1. Wicked Ways
  2. Angry Tree
  3. The Day He Died
  4. Let’s Pretend
  5. Something In The Way (Nirvana-Cover)
  6. Redemption Song (Bob-Marley-Cover)
  7. Home (Keith-Caputo-Cover)
  8. I Surrender
  9. Tangerine
  10. My Mind Is Dangerous
  11. Weeds


* VIP Upgrade enthält: private Signing-Session mit Foto-Option mit Mina Caputo, Joey Zampella & Alan Robert; laminierter VIP-Pass; Full-Color Event Poster (limitiert); Enamel-Pin (limitiert)

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