Konzertbericht: Karnivool w/ The Ocean

„Verschoben“ ist nach „abgesagt“ im Konzertbusiness wohl das Unwort der letzten Jahre. Auch KARNIVOOL und THE OCEAN konnten nicht wie geplant durch Europa reisen: Statt im September 2021 oder im Mai 2022 konnte das Zweigespann seine „The Regeneration-Tour“ erst im dritten Anlauf im Januar 2023 antreten. Die Fans sind ihren Bands dennoch treu geblieben: Das bereits vorab in stimmungsvolles blaues Licht getauchte Backstage Werk ist schon kurz nach dem Einlass mehr als nur gut gefüllt.

Dass es ohne weiteren Support-Act direkt mit einem ersten „Headliner“ losgeht, tut der Stimmung keinen Abbruch – im Gegenteil: Als THE OCEAN um kurz nach 20:00 Uhr mit „Triassic“ beginnen, geht mit einem Schlag all die so lange aufgestaute Vorfreude in pure Begeisterung über. Dafür gibt es aber auch allen Grund: Die massive Soundanlage und die große Bühne des Backstage Werk bieten THE OCEAN gemeinsam mit der selbst mitgebrachten Lichtinstallation das perfekte Setting für den so wuchtigen wie gefühlvollen Post-Metal der Truppe. Vor allem aber gelingt es THE OCEAN, diese perfekten Rahmenbedingungen in eine rundum stimmige, intensive Show zu überführen.

Aufeinander eingespielt wie eine symbiontische Lebensgemeinschaft können THE OCEAN heute alle Facetten ihrer Songs reproduzieren und ihnen mit ihrer hingebungsvollen Performance noch jenes Quäntchen Energie mitgeben, das nur live gespielte Musik zu transportieren vermag. Dass dabei während eines Songs sogar für einige Augenblicke die gesamte Soundanlage ausfallen kann, ohne dass dies die Musiker aus dem Tritt bringt oder das Publikum aus seiner Euphorie reißt, sagt alles über die Performance. Dass diese – trotz formellem Vorband-Status – knapp 60 Minuten andauert und lediglich zwei Songs Überschneidung mit der Setlist der letzten München-Show 2019 (als Support von Leprous) aufweist, krönt diesen Auftritt, der allein jeden Cent des überaus fairen Ticketpreises von knapp 25€ im Vorverkauf wert ist.

Nach umfassendem Bühnenumbau sind um 21:30 Uhr KARNIVOOL an der Reihe – und auch wenn die Band aus Perth im fernen Australien nicht unbedingt ein komplett anderes Klientel bedient, merkt man doch, dass jede der Bands ihre eigenen Fans mitgebracht hat. Waren es für The Ocean genug, um sich herzlich willkommen geheißen zu fühlen, bekommen KARNIVOOL das volle Fan-Paket, das von inbrünstig, mit geschlossenen Augen und Vers um Vers mitgesungenen Texten bis hin zum Moshpit reicht. Dass die Reaktionen des vergleichsweise jungen Publikums so unterschiedlich ausfallen (können), ist die direkte Konsequenz aus der dargebotenen Musik.

KARNIVOOL klingen mal hart und verkopft, dann wieder sanft und melodisch. Dank „Dropped B“-Tuning (B-F#-B-G-B-E) wuchtige Metalcore-Riffs wechseln sich mit verspielten Cleangitarren-Parts ab. Ein sechssaitiger Bass findet in den proggigen Kompositionen ebenso Verwendung wie eine siebensaitige Gitarre. Dazwischen sorgen Elektronica für einen modernen Anstrich, den man eher von einer Newcomer-Band erwarten würde als von einer Band, die schon 25 Jahre im Geschäft ist. Und dann ist da natürlich noch Fronter Ian Kenny, der zwar weder das typische Frontmann-Charisma, noch eine extraordinär gute Stimme hat – seine Fans aber trotzdem im Handumdrehen und über die gesamte Distanz von rund 80 Minuten voll hinter sich hat.

KARNIVOOL und THE OCEAN sind ein perfekter Match und doch keiner: Extrem viele Attribute, mit denen sich Musik grundsätzlich beschreiben lässt, passen auf beide Bands – und doch könnten die Shows, die Bands und ihre Fans kaum unterschiedlicher sein. Da diese Tour zwei vollwertige Headliner-Sets zulässt, macht das gar nichts. Ob nun Fan des kraftvollen Post-Metal von THE OCEAN, Anhänger der proggig-corigen KARNIVOOL oder offen für alles – heute kommt jede und jeder auf seine Kosten.

Publiziert am 31. Januar 2023 von Moritz Grütz

Fotos von: Afra Gethöffer-Grütz