O tempora, o mores: Inmitten der Pandemie hätte Century Media seinem, dem grundsätzlich ersten Metal-Online-Festival weltweit, keinen passenderen Namen als ISOLATION FESTIVAL geben können. Beide Worte zusammen könnten gegensätzlicher nicht sein; umso interessanter, wie Century Media dieses Oxymoron in einem Stream lösen möchte.
„Obwohl man eine echte Live-Erfahrung natürlich niemals ersetzen könnte, werden Century Media und EMP zumindest eine einigermaßen ähnlich Festivalatmosphäre in eure Wohnzimmer bringen“ heißt es laut Pressemitteilung des Labels. Gelingen soll das dank eines Line-Ups von 13 Bands aus dem Roster des Labels, angeführt von Insomnium, Borknagar und Voivod als Headliner, allesamt live aus den Proberäumen, Tonstudios und heimischen Wohnzimmern zugeschaltet.
Nachdem sich die Label-Mitarbeiter Stefan, Soyan und Lea als sich abwechselndes Moderationsteam vorgestellt haben, beginnen die Dänen von BAEST ihr knapp 25-minütiges Set; als Opener für ein so bisher noch nicht dagewesenes Festival bringt das Quintett aus Aarhus von der ersten Minute an so viel Dynamik in die Stube, dass die ersten Berührungsängste gegenüber dem Format zügig verschwinden. Wer schwedischen Death Metal à la Bloodbath und Lik mag, wird von BAEST gut unterhalten. Erfrischender Death Metal, knackig und energiegeladen direkt aus dem Proberaum, dazu ein astreiner Sound und eine Bildführung, die das Auge ebenso wenig langweilt wie BAEST die Ohren. Guter Einstieg!
Stefan meldet sich nach dem Auftritt zu Wort, um die nächste Band vorzustellen, HIDEOUS DIVINITY. Musikalisch auf einem wesentlich komplexeren Level unterwegs, kommen hier vorallem Fans von Technical-/ Brutal-Death-Metal voll auf ihre Kosten; Lautstärke auf Anschlag und ab geht’s!
Visuell weniger ansprechend, zeigen HIDEOUS DIVINITY die Grenzen eines solchen Online-Festival-Unterfangens auf: Es mangelt an mitreißenden Momenten. Beide Gitarristen tun es dem Bassisten gleich, was das starre Anblicken der spielenden Hand angeht und der Drummer ist lediglich hörbar, aber nicht im Bild – sehr schade, denn diese Gebolze an der Doublebass bei diesen High-Tempo-Nummern wäre definitiv auch etwas für das Auge gewesen.
Soyan kündigt im Anschluss SVART CROWN an, eine französische Death-Metal-Band, die ihr aktuelles Album „Wolves Among The Ashes“ zuletzt bei der gemeinsamen, schlussendlich abgebrochenen Tour mit Gost vorstellte. Wie auch bei ihren Vorgängern im stimmigen schwarz-weiß gehalten, präsentieren sich SVART CROWN in einer hohen Schnittrate, weil sich lediglich beide Gitarristen im gleichen Raum aufhalten.
Die Franzosen bringen erstmalig eine gewisse Atmosphäre ins ISOLATION FESTIVAL; mit ihrem starken Black-Metal-Anstrich, dem stimmungsvollen wie kräftigen Gesang sowie den druckvollen, langsameren Parts bringen die Franzosen etwas Unheilvolles ins Wohnzimmer; definitiv der erste Gewinn des Abends.
Weiter geht es in die nächsten Wohnzimmer, nun in die von THE OFFERING. Die Amerikaner warten mit dem bisher spannendsten Intro auf: Ein leerer Stuhl in einem heruntergekommenen Raum, ominöse Hintergrundbeschallung. Umso farbenfroher und musikalisch erheiternder ist das, was das Quartett dann zeigt: Eine Mischung aus Heavy Metal mit etwas Death- und überwiegend Power-Metal-Anleihen, getragen von einer klaren Singstimme.
Nicht nur, dass die zweite Katze des Abends ihr Festival-Debüt gibt, auch mit ihren verwendeten Bildeffekten fallen die US-Amerikaner aus dem bisherigen Rahmen. Und außerdem: Wir gucken zwanzig Minuten in die Stuben der Musiker. Zwar stehen wir nicht direkt in der ersten Reihe vor ihnen an der Bühne, aber wir sehen ihre privaten Bilder auf den Regalen stehen und ihre halb gefüllte Teekanne auf dem Beistelltisch vor der Couch. Das ist ein verbindendes Element, denn #stayathome, wir stecken alle in der gleichen Misere.
Nach dem äußert unterhaltsamen Auftritt verkündet Stefan als nächstes die Show von BONDED, einer Dortmunder Thrash-Metal-Band, die mit “Rest In Violence“ erst in diesem Januar debütierte. Besetzt mit ehemaligen Mitgliedern von Sodom sollte der Auftritt eigentlich eine runde Sache werden, stattdessen überraschen BONDED mit einer eher kurzweiligen Veranstaltung; der Funken will nicht so richtig überspringen, zu einförmig ist das Gebotene.
Als nächstes überrascht Maik von Heaven Shall Burn mit der Ankündigung, dass seine Landsmänner von DESERTED FEAR an der Reihe sind, dem wohl heißesten Death-Metal-Export aus Thüringen. Live aus dem Jenaer Eisensoundstudio knüppelt sich das Trio durch ihre Interpretation des Genres: Mid-Tempo-Oldschool-Death-Metal trifft auf Melodik und Ansagen in feinster Thüringer Mundart. Fans dürfte es besonders freuen, dass die Band einen guten Querschnitt ihrer Diskografie gibt, von den älteren, harscheren Songs hin zu den neueren, melodischeren Tracks.
Lea stellt danach mit ANGELUS APATRIDA die zweite Thash-Metal-Band des Abends vor, dieses Mal aus Spanien. Wo es bei BONDED an Power und Abwechslung mangelte, legen die vier Herren, die dieses Jahr ihr zwanzigjähriges Bestehen als Band feiern, eben genau eine Schippe von beidem obendrauf. Rasantes Riffing, High-Tempo-Passagen, lautstarkes Drumstick-Gewitter: So macht Thrash Metal Spaß!
Soyan kündigt mit OMNIUM GATHERUM den ersten Headliner des Abends an, der sich zugleich als Windei herausstellt: Die Finnen spielen lediglich einen Track. Und den sogar in der bisher kraftlosesten Soundqualität des ganzen Online-Festivals. Wurde hier tatsächlich ein großer Name ins Rennen geschickt, um die Anzahl der Views anzuheben? Oder wollte man nicht die Fans verärgern, die im letzten Monat knapp neun Euro bezahlt haben, um die Melodic-Death-Metaller zusammen mit Insomnium im Stream zu stehen?
Nachdem man den Schock überwunden hat, dass Stefan nach nur einem Song bereits die nächste Band ankündigt, findet man sich im Proberaum der Okkult-Rocker LUCIFER wieder. Die Band mit Mitgliedern aus Berlin, London und Stockholm brachte im März ihr drittes Album heraus, nutzt ihren Auftritt allerdings nur bedingt, um ihr Spektrum zwischen Retrorock und Doom zu zeigen.
Mit BORKNAGAR meldet sich im Anschluss der nächste Hochkaräter aus Skandinavien, dem der wohl großartigste Moment des gesamten Online-Festivals dank des Songs „Voices“ vom aktuellen Album „True North“ gelingt. Eine grandiose Steigerung, Gänsehaut pur. Danke, Lars! Dass der zweite Song zugleich der letzte sein wird, ist bedauerlich, hat man sich doch gerade mit ICS Vortex eingegroovt.
Im Anschluss stellen die kanadischen Metal-Urgesteine VOIVOD zwei Songs ihres aktuellen Albums „The Wake“ vor, die aufgrund von Sänger Snakes gut gemeinten, aber dennoch leicht bizarr wirkendem Outfit eine gewisse unterhaltsame Note erhalten.
Der Auftritt von INSOMNIUM ist in ebenso schwacher Bildauflösung und vergleichsweise kraftlosen Klang gehüllt wie der ihrer Landsmänner, denn der Mitschnitt stammt von eben jenem gemeinsamen Stream-Auftritt. Mit immerhin 15 Minuten Spielzeit wird den Fans zwar mehr Melodic Death Metal geboten als bei Omnium Gatherum, aber mal ehrlich: der Anblick, wie eine so namenhafte Band mutterseelenallein in einem großen Raum auf einer Bühne steht, vor der kein Mensch zu sehen ist, bringt die volle Wortbedeutung von Isolation Festival auf den Punkt.
Den Abschluss des Online-Festivals bilden die Hard-Rocker von DEAD LORD. Zwar schwimmen die vier Herren auch auf der Retro-Welle oben auf wie LUCIFER, allerdings verleihen die Schweden ihrer Songauswahl wesentlich mehr bissige Nummern.
Ob das Format des Online-Festivals eine Zukunft haben wird, wird weniger vom Gusto der Viewer abhängig sein als vielmehr von der weiteren Entwicklung in der Covid-19-Krise. Zwar mag der Live-Stream das Medium der Stunde sein, dennoch ist auch er nur ein schwacher Ersatz für das, was fehlt. Denn obwohl der Blick ins heimische Wohnzimmer der Musiker eine gewisse private Atmosphäre schafft, wiegt er nicht die fehlende Interaktion auf.
Dennoch, obwohl sich die Spielzeit der Bands ab der zweiten Hälfte deutlich verringert, summieren sich die Auftritte der 13 Bands dennoch auf stattliche vier Stunden Spielzeit bei größtenteils guten bis sehr guten Soundverhältnissen – für den Unkostenbeitrag von genau null Euro. Für Konzertgänger ist das in Zeiten der Quarantäne ein Geschenk, für die Bands aber leider noch immer keine rentable Möglichkeit, um die hohen Ausfallkosten ihrer abgesagten Touren begleichen zu können.