Erneut wurde im Hamburger Rieckhof zum „Heathen Rock Festival“ geladen. Der Veranstaltungsort hat eine vielleicht etwas zu helle Ausstattung für die teilweise sehr düsteren Klänge, die hier heute erklingen sollen, aber der ungewöhnliche, gestufte Aufbau schafft viele gute Gelegenheiten, vor allem auch mal von oben Blicke auf die Bühne zu werfen. Auf der treten heute zwölf Stunden lang vorwiegend Bands aus den Richtungen Black Metal und Hard Rock auf.
Am frühen Samstagmorgen um gerade mal zwölf Uhr reiben sich die meisten müden Metaller noch den Schlaf aus den Augen und erschrecken sich vor der eigenen noch vom Vortag nachklingenden Bierfahne, als KRYPTONITE die Bühne des sich langsam füllenden Rieckhofs betreten. Fürchtet man sich nicht allzu sehr vor optisch orientierten Klischeeschubladen, dann präsentieren sich einem ein Gitarrist wie aus dem romantischen Post-Grunge, ein Gitarrist wie aus dem oldschool Blues Rock, ein Bassist wie aus dem Screamo, ein Drummer wie aus dem Punk Rock und ein Sänger wie aus dem Post-Metalcore. Die fünf Musiker bringen jedoch einen Hard Rock mit, der das Genre vielleicht nicht neu erfindet, es mit interessanten Gitarrensoli und einer hervorhebenswerten Stimme aber bestens bedient. Doch abgesehen von der Musik selbst erscheinen sie nicht wirklich wie eine Einheit, da die Interaktion untereinander nahezu fehlt – und die mit dem Publikum leider auch weitgehend. Allerdings bleibt bei KRYPTONITE die Freude an gutem Hard Rock – bei den Musikern wie den Menschen vor der Bühne.
WOLVES DEN, oder: Wie schon beim Check des Mikrofons modrig hassgequälte Stimmbänder Todesangst verbreiten. In blauen Nebel gehüllt beginnt ein Riese – Helge Stang, einst bei Equilibrium – zu singen, zu dem uralte nordische Gottheiten aufblicken könnten. Wie ein Spielzeuginstrument, klein und zart, wirkt der Bass in seinen Händen. Dazu ein Black Metal, der mal in eine Welt atmosphärischer Trauer einlädt, mal beeindruckenden Weltschmerz und -hass in seiner Brutalität transportiert – und manchmal beides. Deutsche Texte, Lederhosen, melodische und für Black Metal sehr eingängige Passagen, lange Haare, sakral anmutende Klänge, Härte, Atmosphäre und vielleicht genau der richtige Hauch von Monotonie in der Vortragsweise des Gesangs. WOLVES DEN gehen ihren Weg und sie tun es ausgesprochen gut, sodass das Debutalbum „Deus Vult“ eine unbedingte Reinhörempfehlung verdient.
WHISKEY HELL bringen dann Aufsteller mit auf die Bühne, auf denen wohlgeformte Damen in kaum mehr als Tattoos und Flammen gehüllt sind und die Worte „Bad Ass Boogie“ die Hamburger treffend zusammenfassen. Am groovenden Bass, der nicht zum Beiwerk degradiert ist, ein Mann, dem anzusehen ist, dass der Rhythmus längst zu seinem Herzschlag geworden ist. An den Drumms ein tätowiertes Tier, das in einem Cagefight nur lebensmüde Gegner finden würde. Und an der präzisen, starken Gitarre, die die Geschichte des Rocks ehrt und sich dabei trotzdem neu erfindet, ein harter Cowboy mit Stimmbändern die der Gott des Whiskeys eigens für das Mikrofon destilliert hat. Der southern Rock ’n‘ Boogie bringt Bewegung in die bisher eher unbeweglichen Metallerglieder, sodass heute schon um 14 Uhr gefeiert wird, als hätten wir viertel vor Sperrstunde. Ich bin sicher, Elvis und Lemmy, wo auch immer sie anstoßen, hören das neue Album „Bullets & Burritos“ von WHISKEY HELL.
CTULU haben Corpsepaint-Skimasken, schwarze Kapuzen, verstümmelte Leichenattrappen, einen Opferaltar und Saiteninstrumente dabei, mit denen sonst Daedrafürsten aus Oblivion um sich schlagen. Musikalisch etwas zu viel Becken, etwas zu volumenarme Base, Gitarren etwas zu standard und auch Gegrunze kann halt doch nicht jeder. Dass ein beträchtlicher Teil dieser Mängel auf die schlechte Abmischung zurückzuführen sind, rettet CTULU nach ein paar Korrekturen am Pult. Von Song zu Song wärmt sich die Stimme auf und die Gitarren werden interessanter, das Schlagzeug kann allerdings nicht überzeugen. Die Stimmung ist allerdings nicht schlecht: Es fliegen Fäuste, es wehen Haare und sogar ein kleiner Moshpitversuch wird gestartet. Während CTULU anfangs eher albern als gut rüberkommen, avancieren sie im Laufe ihres Auftritts zu solidem Black Metal.
Nun sind RABENWOLF dran. Während die epische Musik lauter wird, löst sich der blaue Nebel auf, als plötzlich ein gewaltiger Schrei den Saal beben lässt. Die sieben Musiker präsentieren einen Pagan Metal, der seinesgleichen sucht. Die Gitarre-Gitarre-Bass-Schlagzeug-Gesang-Kombo wird verstärkt durch ein alles untermalendes Keyboard und eine sehr präsente Flöte. Die Kombination aus der unglaublichen Extrem-Guttural-Stimme des Hauptsängers mit dem klaren mittelalterlichen Gesangs des Keyboarders erzeugt Gänsehaut – und einen beträchtlichen Moshpit. Die jungen Musiker haben sich die Gesichter und Arme schwarz verziert und Bass sowie Flöte mit talentierten Damen besetzt. Bei RABENWOLF treffen die volle Härte des Extrem Metals auf die melodischen, fröhlichen Elemente des Folk Rocks und es entsteht wunderschöne Musik – gespielt von ebenso schönen Menschen.
SPITFIRE haben Bock, haben Energie und haben den Sound, den Rieckhof zum Beben zu bringen. Die unkomplizierten, eingängigen Rocksongs grooven wegen eines dominanten Basses und einer coolen Stimme. Vielleicht ein wenig zu cool und etwas abwechslungsarm, aber für das Publikum anscheinend genau richtig. Einfache, wortlose Mitgröl-Gelegenheiten und in die Beine gehende Rhythmen machen SPITFIREs Auftritt zu einer Party. Anstrengend nur, dass der Pogobereich mittlerweile von recht kräftigen und etwas zu brutalen Männern beherrscht wird. Ihren selbstbenannten „KickAss Rock’n’Roll“ präsentieren die Münchener auch auf ihrem zweiten Album „Welcome To Bone City“.
Aber zurück zu finster-bös-schwarzer Musik: FJOERGYN spielen nach einem recht langen Intro ohne Übergang zu ihrer Livemusik Black Metal mit Folk-Elementen und zwei Sängern. Einer mit mittelalterlichem Vortragsduktus und Flüstergesang, der andere mit hartem, langsamen und gleichförmigen Grunzen, beide auf deutsch. Nach der vorangegangenen Eingängigkeit, ist diese skurrile Truppe weniger leicht verdaulich bis hin zu ungereimt. Die Sänger machen den Eindruck ziemlich angehipsterter Models, woran auch ihre bösen Blicke nichts ändern. Das ist mitnichten eine Absage an ihre Musik, aber ein wenig an ihre Selbstpräsentation. Unbestritten bleibt, dass es sich wirklich lohnt, ins FJOERGYN-Album „Monument Ende“ hineinzuhören.
PICTURE kündigen sich selbst als „Oldschool Metal from Holland“ an. Die überwiegend älteren Rocker bringen Motivation, Spaß und Qualität in Form von klassischem Hard Rock auf die Bühne. Während der hörenswerten Gitarrensoli springt der Sänger umher und schüttelt sein langes, schneeweißes Haar. Die Musik ist nicht sehr kompliziert und relativ eingängig, aber wo die Jugend noch in selbstverliebt-affektierter Coolness badet, sind diese Altrocker ganz sie selbst und gerade dadurch die Coolsten. Trotz der Begeisterung des Publikums wird es langsam wieder leerer im Saal, doch der Applaus transportiert großen Respekt und die Zugabe-Wünsche erfüllen PICTURE gern.
Die dritte Band mit Wolf im Namen heißt WOLFCHANT und bringt große Drachenbanner mit. Sie spielen eine kurze Probe, verabschieden sich und erhalten Zugabe-Rufe, bevor sie ihren eigentlichen Auftritt genregerecht mit epischen Klängen beginnen. In ihrem Pagan Metal klingen die beiden Sänger wie ein ganzer Chor, wie eine Gruppe brutaler mittelalterlicher Söldner. Die Klargesang-Passagen sind jedoch zu leise, um wirklich gehört zu werden. Die Musik, mitunter episch wie Power Metal, mitunter brutal wie Extreme Metal, sorgt nicht direkt für Begeisterungsstürme, aber noch weniger für Langeweile. Wer mehr von WOLFCHANT hören möchte, kann des mit dem zuletzt erschienenen Album „Embraced By Fire“ tun.
Gemäß dem Konzept von ungefähr abwechselndem Hard Rock und Black Metal ist zum Abschluss nun wieder Hard Rock an der Reihe. MOTORJESUS machen mit ihrem groovenden Südstaatensound Laune und motivieren für den Endspurt auf dem diesjährigen Heathen Rock Festival. Mit eingängigen, aber nicht uninteressanten Songs schaffen sie ein letztes Mal an diesem Abend pure Partystimmung und holen sogar die Fans auf die Bühne. Eine gehörnte Hand für MOTORJESUS und eine für die Veranstalter des Abends. Die Band kann man auch auf ihrem aktuellen Album „Electric Revelation“ hören, das Team wird uns hoffentlich nächstes Jahr wieder mit einem so gelungenen Festival begeistern.
Fazit: Das Heathen Rock Festival war ein Erfolg – mindestens für die Ohren, hoffentlich auch für die Veranstalter, sodass es nächstes Jahr wieder in den Saal des Rockhofs zurückkehrt. Der Wechsel von Hard Rock und düsteren Klängen zwischen Black und Pagan Metal ist gelungen, auch wenn meiner Meinung nach die beiden Höhepunkte des Tages zu früh verpulvert wurden. WHISKEY HELL waren mit ihrem Hard Rock’n’Roll der vielleicht feinste Tropfen des ganzen Ladens. Daneben spielten RABENWOLF die interessanteste musikalische Mischung, die die Ohren des Publikums heute abbekommen haben. Aber auch all die anderen Bands haben diesen langen Tag angenehm gerockt.
Fotos von Kryptonite (1) bis Rabenwolf (5): Jan Termath
Fotos von Spitfire (6) bis Picture (8): Toni B. Gunner
Fotos von Wolfchant und Motorjesus: Wolfgang Kühnle