Es mutet in diesen Tagen ein bisschen zynisch an, wenn Weltkriegs-Metal Hochkonjunktur hat. Inwieweit das Aufflammen des Krieges mitten in Europa dazu beiträgt, sei dahingestellt: Fest steht, dass neben den Ukrainern 1914 auch das deutsche Ein-Mann-Projekt KANONENFIEBER derzeit einen massiven Aufschwung erlebt – trotz dessen nicht mal dreijährigen Bestehens. Gemeinsam auf ausgedehnter Europatour sind KANONENFIEBER mit GRIMA. Als Band aus Russland sorgen die nicht nur aus weltpolitischen Gründen für Aufhorchen, denn auch der atmosphärische Black-Metal-Sound des Brüderpaares ist ungemein zeitgeistig. Doch zumindest an diesem Abend im Hamburger Logo stehen GRIMA als Headliner deutlich im Schatten ihrer vermeintlichen Vorband.
Es ist kurz vor 20 Uhr, also tatsächlich wenige Minuten vor dem regulären Veranstaltungsbeginn, als bereits die letzten Töne von WARFECT verklingen. Der schwedische Thrash-Metal-Dreier leistet eifrigen Support, daran besteht kein Zweifel. Ärgerlich bleibt, dass veranschlagte Zeiten heutzutage so oft keinen Wert mehr haben. Glücklicherweise ist das Logo bereits gut gefüllt und WARFECT müssen sich als Anheizer sicher nicht verheizt fühlen.
Nur rund 20 Minuten dauert es, bis der heimliche Headliner des Abends loslegt – oder sollten wir sagen, der „unheimliche“? Was KANONENFIEBER in nicht einmal einer Stunde Spielzeit auf die Bühne bringen, lässt sich am besten als martialisches Schauertheater beschreiben. Auch nach vielen Vorschusslorbeeren weiß die gruselige Mischung aus Strumpfmasken und Weltkriegsuniformen fast erschreckend gut zu überzeugen, obwohl die Showelemente des auf ein Quintett angewachsenen Projektes so weit bekannt sind. Aber es ist nicht allein das Outfit: Vielmehr schafft die durchdringende Präsenz, insbesondere von Mastermind Noise, eine erschütternde Atmosphäre – trotz kleiner Bühne in dem wenige hundert Menschen umfassenden Club.
So mimt Noise unter seiner Pickelhaube gleichsam den strengen Offizier, der sogar die Gitarre seines Kameraden inspiziert – und das, ohne im Ansatz peinlich oder klamaukig zu wirken. Die fordernden Gesten, die Körpersprache, hier stimmt einfach alles, um das Logo in einen Schützengraben zu verwandeln. Das Element der Strumpfmasken, die die Soldaten auf der Bühne in anonyme Schaufensterpuppen verwandelt, verstärkt die beklemmende Atmosphäre noch. Das ist mehr als Gimmick, das ist Gesamtkunstwerk.
Und natürlich ist da auch noch die Musik: Zwar feuert der Sound zu Beginn noch etwas unrund aus den Rohren, doch KANONENFIEBER überzeugen vom Fleck weg mit ihrer Mischung aus melodischem Death/Black und Doom Metal. Gekonnt werden die Sprach- und Maschinerie-Samples in Szene gesetzt; spielfreudig leisten sämtliche Mitglieder der Einheit ihren Dienst, sodass der Auftritt keineswegs zur One-Man-Show verkommt. Einzelne Songs, vor allem „Grabenlieder“ sowie die beiden von Tannenbäumen (!) und Kunstschnee illustrierten „Füsilier“-Teile, evozieren sogar Publikumsbeteiligung – keine Selbstverständlichkeit bei diesem brachialen Sound. Wir sind uns sicher: KANONENFIEBER werden künftig kaum mehr auf so kleinen Bühnen zu sehen sein und noch viel Staub aufwirbeln. Stellt sich nur die Frage, wie weit sich das monothematische Kriegskonzept noch trägt. Veränderungen bei KANONENFIEBER sind indes schon angekündigt.
- Die Feuertaufe
- Dicke Bertha
- Die Schlacht bei Tannenberg
- Grabenlieder
- Grabenkampf
- Die Fastnacht Der Hölle
- Der Füsilier I
- Der Füsilier II
- The Yankee Division March
Nach diesem intensiven Auftritt haben es GRIMA nicht leicht. Und tatsächlich ist das Logo beim eigentlichen Headliner schon etwas leerer geworden. Dabei haben GRIMA kaum weniger in ihre Präsenz investiert: Spukhafte Holzmasken und Geistergewänder verzieren den ohnehin schon atmosphärischen Sound der beiden Brüder, die sich ebenso anonymisierte Live-Unterstützung an Gitarre und Schlagzeug geholt haben. Ohne Assoziationen mit Groot aus „Guardians of the Galaxy“ wären die Masken allerdings noch einen Tick wirkungsvoller.
Doch der Sound wirkt. Die gleichsam schwerfälligen wie klirrenden Riffs setzen sich fest, hypnotisches Drumming lässt die Welt da draußen weit weg sein. Damit allerdings erschöpft sich die Show von GRIMA leider schon. Über die volle Spielzeit von mehr als einer Stunde gibt es schlichtweg keine Höhepunkte – vielleicht ist das nicht Sinn der Übung. Denn auch die Musiker begnügen sich mit sanften Bewegungen, die den trance-haften Charakter der sibirischen Soundwand unterstreichen. Die Spannungskurve ist so allerdings schwer aufrechtzuerhalten.
Im Schnitt scheint sich das Logo indes einig: So stark GRIMA auch performen, KANONENFIEBER hatten mehr vom Abend. Es erschließt sich tatsächlich nicht ganz, warum die Reihenfolge so gewählt wurde; vielleicht sieht es an anderen Abenden der umfangreichen Tour anders aus. Idealerweise besteht natürlich kein Wettbewerb zwischen den Künstler*innen eines Abends. Halten wir also abschließend fest, dass diese gemeinsame Tour hoffentlich an allen Orten so viel Erfolg wie am gut gefüllten Logo hat. Kaum 20 Euro für Eintritt, gleichsam ausgesprochen faire Merch-Preise – so wünschen wir uns Konzerte.