Ganze acht Jahre sind ins Land gezogen, seit SCHANDMAUL zum letzten Mal am Ende des Jahres in ihrer Heimatstadt München das Funkenflug Festival veranstalteten. Viel hat sich in der Zwischenzeit getan, nicht nur bei den Folkrock-Urgesteinen. Den Headliner-Spot lassen sich die Lokalmatadoren erwartungsgemäß nicht nehmen, doch im Vorprogramm finden sich anno 2014 nicht New Model Army oder Zeraphine, sondern FEUERSCHWANZ und RUSSKAJA.
Erstere präsentieren direkt die ersten Überraschungen des Abends. Nicht nur, dass FEUERSCHWANZ das Festival 15 Minuten früher als geplant eröffnen – nein, des Hauptmanns geiler Haufen spielt auch vor den hierzulande deutlich unbekannteren Wienern Russkaja. Dies trübt den Eindruck allerdings zu keiner Zeit. Im Gegenteil, FEUERSCHWANZ wirken bis in die Methörnerspitzen motiviert und spielen einen mehr als starken Eröffnungsgig. Dazu stimmt die Inszenierung: Direkt beim dritten Song „Herz im Sturm“ fällt Prinz Hodenherz vor Geigerin Johanna auf die Knie und überreicht ihr ein Bündel Herzluftballons. Apropos Hodi: Der Prinz entwickelt sich immer mehr zum Gesicht von Feuerschwanz und erfüllt die Rolle des Sprachrohrs und Publikumanpeitschers in Personalunion mit Bravour. Wenn der Mix stimmt bzw. das Publikum mitzieht, verzeiht man auch literarisch Übersichtliches wie „Blöde Frage, Saufgelage“ vom letzten Studioalbum. Jener Song funktioniert als Anheizer mit dem erwartungsgemäßen Schreiduell der beiden Hallenseiten im Refrain hervorragend. Gerade als alle Beteiligten ordentlich auf Betriebstemperatur agieren, drücken FEUERSCHWANZ mit dem sehr persönlichen „Auf Wiederseh’n“ auf die Tempobremse. Musikalisch kein zwangsläufig notwendiger Schritt, aber ein nachvollziehbarer aus menschlicher Sicht, behandelt der Song doch den Tod von Benjamin Metzners Mutter vor einigen Jahren (so der bürgerliche Name des Prinzen). Insgesamt machen Hauptmann, Hodi und Co. mit diesem Auftritt viel Lust auf ihr nächstes München-Gastspiel im April 2015. Dann allerdings als Hauptact im zweiten Block der „Auf’s Leben“-Tour.
Mit RUSSKAJA beginnt anschließend das russische Roulette – im wahrsten Sinne des Wortes. Vor allem im Kreis des Schandmaul-Publikums besitzt die russische Ska-Formation im Vergleich zu Feuerschwanz kein nennenswertes Standing. Dies änderte sich anno 2014 beim Funkenflug ähnlich wie zwei Jahre zuvor bei den Eisheiligen Nächten wenige Kilometer entfernt: 2005 versammelte Georgij Alexandrowitsch Makazaria einige erfahrene österreichische Musiker, die mit Saxophon, Trompete und Tuba für gänzlich andere Akzente sorgen als Sackpfeife, Flöte und Schalmei. Die russische Turbo-Polka startet zunächst instrumental, ehe Georgij als letzter die Bühne betritt und sich mit ausufernden Gesten sofort dem Publikum widmet. Dieses ist erwartungsgemäß skeptisch, obwohl die Formation mit „Energia“ sehr früh einen ihrer stärksten Songs rausfeuert. So dauert es seine Zeit, bis der „Psycho Traktor“ ins Rollen kommt. Beim dazugehörigen Spiel, einer abgeschwächten Version des Circle Pits, zeigt sich das Zenith erstmals feierbereit, wenngleich deutlich weniger enthusiastisch als an anderer Stelle Ende 2012. RUSSKAJA lassen sich dadurch jedoch nie entmutigen und mixen ihren charakteristischen Sound wie gewohnt mit verschiedenen choreografischen Elementen. Im Verlaufe des Auftrtitts fordert Georgij die Zuschauer schließlich auf, sich durch lauten Jubel all ihrer Probleme zu entledigen. Nachdem ihm die Reaktionen zunächst zu verhalten ausfallen, erklärt der charismatische Fronter mit messerscharfem Akzent, dass es in Russland ein Rezept dafür gibt: Wenn man keine Probleme hat, denkt man sich einfach kurzfristig welche aus. Ebenso improvisionsbereit zeigen sich RUSSKAJA: Kurz vor Schluss spielen die Österreicher eine Coverversion von Aviciis Chartbreaker „Wake Me Up“ und brechen damit den Bann endgültig. Die Krönung des Auftritts liefert schließlich Geigerin Ulrike mit ihrem Solo-Medley.
An der Geige können SCHANDMAUL ebenfalls punkten, genauer gesagt Diplom-Violinistin Anna Kränzlein. Nach etlichen Schandmäulchen und daraus resultierenden Vertretungen sind die Gastspiele der Mäuler in ihrer eigentlichen Besetzung selten geworden. Der Unterschied wird bereits beim inzwischen etablierten Live-Opener „In Deinem Namen“ deutlich. Im Ursprungssechser groovt es sich doch immer noch am besten. Das zeigt sich auch anschließend bei „Teufelsweib“, einem der größten Schandmaul-Hits aller Zeiten. Im Vergleich zur Frühjahrstour haben die Süddeutschen etwas an ihrer Songauswahl gefeilt. So feiern „Mit der Flut“ und „Mittsommer“ vom neuen Album „Unendlich“ ihre München-Debüts. Dazu mischt sich mit „Dunkle Stunde“ – als Fortsetzung von „Trafalgar“, wie Thomas am Mikrofon erklärt – ein beinahe vergessener Song aus „Mit Leib und Seele“-Zeiten. Zusammen mit etablierten Krachern wie „Traumtänzer“, „Leb“ und „Vogelfrei“ sowie balladesken Rausschmeißern gerät das Ergebnis nicht ganz so rund und kompakt wie in der ersten Jahreshälfte, dafür stimmt die Umsetzung. So holen SCHANDMAUL bei „Dunkle Stunde“ mit einer modifizierten Version nebst dreistimmig männlich-weiblichem Gesang aus dem Original noch einmal deutlich mehr heraus. In jenen Momenten wird besonders deutlich, wie gut die Stimmen von Thomas, Anna und Birgit aufeinander eingespielt sind – und dass sie nur in dieser Kombination auf jenem Level funktionieren.
Im Zugabenblock singt Thomas wiederum zusammen mit Georgij von Russkaja und Prinz Hodi von Feuerschwanz „Der Teufel…“, ehe er am Bühnenrand Platz nimmt, um von dort ein wenig aus dem bandeigenen Kinderbuch „Schandmäulchens Abenteuer“ vorzulesen. Anschließend spielt die Band mit „Pirat“ einen der elf Songs von der dazugehörigen CD. Ein nicht zu gewagtes Experiment, da die Kindermusik sich stilistisch sehr am erprobten Schandmaul-Mix orientiert, aber letztlich auch kein echter Mehrwert an diesem Abend. Eben jenen liefert „Willst Du“ als finale Zugabe nach „Euch zum Geleit“, welches im Zenith zum Ausklang des Jahres im direkten Vergleich den etwas Kürzeren zieht.
Alle drei Bands liefern zum Jahresende mindestens gute Leistungen ab und so kann das Funkenflug trotz überschaubarer Publikumsmenge zumindest musikalisch als Erfolg gewertet werden. Folkfans mit einer Ader für Ska und Blechbläser dürften bei Russkaja fündig geworden sein, alle anderen bekamen eine starke Feuerschwanz-Show zu Beginn und einen würdigen Abschluss von Schandmaul selbst geboten. In dieser Form darf das Funkenflug Festival gerne wieder dauerhaft aufleben.