Das Feuertanz Festival zählt auch nach 19 Jahren weiterhin zu den festen Institutionen im Festivalkalender der Folk- und Mittelaltergemeinde. Ein Jahr vor dem 20-jährigen Jubiläum fahren die Veranstalter bereits am ersten Tag einiges auf – und treffen mit dem abwechslungsreichen Programm trotz Höchsttemperaturen meist ins Schwarze. Das gilt sowohl für die Bandauswahl wie auch für Coppelius-Diener Bastille, der erstmals als Moderator fungiert und sich für seine Aufgabe eigens ein ganzes Konzept ausgedacht hat. Egal ob im Bademantel oder Anzug, Tee verteilend oder crowdsurfend, er gibt dabei immer eine gute Figur ab und begeistert die Besucher. Ähnlich variabel wie die Moderation gestaltet sich auch das musikalische Programm.
Das Festival eröffnen dürfen TROLLFAUST, die dreckig und verlaust als verrohte Spielleute die Bühne in Beschlag nehmen. “Nach zehn Jahren auf dem Markt haben wir hässlichen Wixxer es endlich auf die Bühne geschafft”, bemerkt Frontmann Arachon grinsend. Ganz offensichtlich sind TROLLFAUST für die neue Herausforderung bestens gerüstet: Mit allerlei Schlagwerk, Dudelsäcken und Schalmeien ausgerüstet spielen die Speluden mächtig auf, so dass sich trotz Mittagshitze doch einige Festivalbesucher feiernd unter der prallen Sonne versammeln. Egal ob sich das Volk hinknien oder die Hörner erheben soll, die Mitmach-Motivation ist durchweg hoch. TROLLFAUST wissen mit ihrer Kombination aus eigenen Stücken und neu interpretierten Mittelalter-Klassikern zu überzeugen und haben sich den Opener-Slot am Freitag mehr als verdient. Sogar ein Liebeslied hat es ins Set der Trolle geschlichen – doch keine Sorge, “die Frau stirbt am Ende”.
Einen holprigen Start erwischen hingegen TIR NAN OG. Im Gegensatz zu den härteren Mittelalter-Melodien von gerade eben will der launige Irish Folk nicht so richtig funktionieren: Einerseits streikt die Technik direkt beim Opener „O’Hanlon’s Last Words“, andererseits ist auch die Menge vor der Bühne deutlich träger unterwegs als man das bei den feierwütigen Wahliren für gewöhnlich erlebt. Lediglich wenn sich die Franken von ihren Eigenkompositionen lösen und auf Altbewährtes wie „Star Of The County Down“ oder „Raggle Taggle Gypsy“ setzen, kommt etwas mehr Bewegung in den Zuschauerraum. „From The Gallows“ heißt die letzte Veröffentlichung der Irish Folker, die Songauswahl ist an diesem Tag erwartungsgemäß maßgeblich vom neuesten Material beeinflusst. Bis zum Vorzeigesong „Shaun O’Malley“ müssen sich die Fans allerdings gedulden, dafür gibt es neben vielen Geschichten auch die ein oder andere instrumentale Einlage wie das „Bastard Reel“ sowie eingestreute Flöten- und Geigensolos. An Trollfaust reichen Tir Nan Og beim Feuertanz trotz ihrer offenkundigen Qualitäten aber nie wirklich heran.
Nach einjähriger Schaffenspause können es nun auch die Herren von COPPELIUS nicht lassen, wieder zurück ins Rampenlicht zu steigen. In vielerlei Hinsicht wäre eine längere Pause ein großer Verlust für die Soundvielfalt der Szene gewesen. Erstmals auf Burg Abenberg mit dabei ist Neuzugang Herr Linus von Doppelschlag, der Schlagzeuger Nobusama an den Drums ersetzt. Zu Beginn erfahren die Berliner zunächst das gleiche Schicksal wie Tir Nan Og: Beim modifizierten “I Get Used To It” oder auch “Risiko” dringt der Sound noch denkbar schlecht über die Lautsprecher: Die Stimmen sind kaum zu verstehen, die Klarinetten nur eine blecherne Randnotiz. Das bessert sich bis “Luftschiffharpunist” und spätestens mit dem Herausholen der Gießkanne durch Bastille bei “Das Moor” haben COPPELIUS wieder den Klang, den ihre anspruchsvolle Musik verdient hat – und die vorderen Reihen eine willkommene Abkühlung. Besonders mit den alten Hits wie “Urinstinkt” können die Multiinstrumentalisten an diesem Tag punkten und überzeugen abseits der Musik mit ihren Showeinlagen: So bekommt ein Pärchen auf der Bühne ein Dinner spendiert (= sitzend auf Kästen ein Bier serviert), während um sie herum der musikalische Orkan losbricht. An anderer Stelle steht Caspar erhöht auf einem Podest im Publikum und liefert nicht nur ein beeindruckendes Solo ab, sondern sich auch mit Max Coppella ein schwindelerregendes Klarinettenduell. Ungewöhnlicherweise muss während “Reichtum” der Auftritt sogar kurz wegen zu großer Publikumsmotivation kurz unterbrochen werden: Nach dem Spendenaufruf wird so viel Hartgeld geworfen, dass sich die Musiker (besonders in Form von Sissy Voss) um ihre Instrumente und ihr Wohlergehen fürchten. Im Anschluss an das ungeplante Intermezzo beenden COPPELIUS ihren Auftritt mit beliebten Stücken wie “Operation”, “Schöne Augen” und einem toll gesungenen “To My Creator”. Zwar wirkt die Kombo als Gesamtkunstwerk noch immer besser in geschlossenen Räumen, aber auch bei über 30 Grad sind die Rückkehrer bei Festivals wie diesem eine wohltuende Abwechslung.
Still ist es um HAGGARD geworden. Viele Jahre sogar sehr still. Nach einer kleinen Hallen-Tour im letzten Jahr meldet sich Frontmann Asis mit seinem Orchester nun auch auf den Festival-Bühnen zurück – viele davon bereist er bereits seit einigen Jahren regelmäßig, so auch das Feuertanz. Wer sich nach all den Jahren der Stille auf neues Material gefreut hat, wird zunächst enttäuscht: Die anhaltenden Gerüchte rund um ein Konzept-Album zu den Märchen der Gebrüder Grimm manifestierten sich nicht in neuen HAGGARD-Songs. Folglich bietet das klassisch-mittelalterliche Metal-Orchester bzw. das mittelalerlich-metallische Klassiker-Orchester ein kleines Best-of seiner bisherigen Werke. Erfreulicherweise spielt die Technik mit, so dass trotz einer Vielzahl an verschiedenen Musikern und Instrumenten kein nennenswerter Delay im Timetable entsteht. Dazu feiert Sopranistin Janika an diesem Festival-Freitag ihren Geburtstag, was neben Hits wie „Herr Mannelig“ oder „Awaiking The Centuries“ nochmals für einen kleinen zwischenzeitlichen Stimmungsschub sorgt. Über das gesamte Set verteilt spricht Asis wie gewohnt über seine Inspirationsquellen wie Galileo Galilei und was daraus entstanden ist – im konkreten Fall die Komposition „Eppur Si Muove“, die genau wie alle anderen Stücke schon einige Jahre auf dem Buckel hat. Durch die längere Abstinenz und viele neue Gesichter auf der Bühne kommt etwas frischer Wind in die ansonsten eher lauwarme (und vor allem hinlänglich bekannte) Kost. Nach dem Comeback und dem Aufwärmen des alten (und zweifellos einzigartigen) Stils täten sich HAGGARD spätestens jetzt mit neuem Material einen großen Gefallen, um nicht plötzlich wieder sang- und klanglos von der Bildfläche zu verschwinden.
Sehr amüsant angekündigt werden schließlich VERSENGOLD, deren Wikipedia-Eintrag von einem crowdsurfenden Bastille vorgetragen wird. Mit “Nordlicht” veröffentlicht die Band ihr neuestes Studioalbum im Rahmen des Feuertanz – und zwar just an diesem Freitag. Als offizielles Release-Konzert testen die Jungs aus dem hohen Norden vor dem größten Publikum des Tages ihre neuen Songs auf Live-Tauglichkeit. Aus erfreulichen privaten Gründen kann Gitarrist Daniel nicht dabei sein und wird von Gastmusiker Ulrich bestmöglichst vertreten – einzig beim fetzigen neuen Stück “Butter bei die Fische” muss Eike am Bass übernehmen. VERSENGOLD funktionieren auch mit Ersatz wie geschmiert und geteert, und so ist es keine Überraschung, dass sowohl die alten wie auch die neuen Stücke auf sehr viel Gegenliebe stoßen. Wie immer, wenn man etwas Neues vorsetzt, muss sich das Publikum in noch nie gehörte Stücke wie “Teufelstanz” oder “Durch den Sturm” trotz großer Feiertauglichkeit erst reinhören, lässt die Nordlichter aber in punkto Stimmung nie hängen. Interessant ist dabei, dass die “alten” VERSENGOLD-Zeiten wohl Stück für Stück zurückgelassen werden, denn auf der Setlist findet sich außer “Hoch die Krüge” und “Fass voller Wein” kein Stück, das älter als vier Jahre ist. Als “neu entdeckte” Stimmungsgranate darf auch “Purple Otten” einen Kurzauftritt einlegen: Eike, gekleidet in ein pinkes Glitzersakko, spielt Classic Rock von “Smoke on the Water” bis “Highway to Hell”, oder animiert das “Firedance” in bestem Denglish zu einem Circle Pit. Wie man es dreht und wendet, VERSENGOLD sind die Folk-Aufstreber der letzten Jahre und haben sich mit Fleiß und Mut zur Veränderung auf die Semi- und Headliner-Positionen der landesweiten Festivals gespielt. Stimmung und Publikumsmenge beweisen auch auf Burg Abenberg: Zurecht!
Als Headliner an diesem ersten Festivaltag zelebrieren ELUVEITIE ihren Folk-Metal. Mit ihrer Härte sind die Eidgenossen im Line-Up des Feuertanz Festivals immer ein stückweit Fremdkörper. Mit geballter Gitarren-Power, angereichert durch Flöten, Dudelsäcke, Drehleier und Geige, beweisen Frontmann Chrigel und seine Mitmusiker, dass ihr hoher Bekanntheitsgrad nicht von ungefähr kommt. Der Burggraben ist sehr gut gefüllt, viele Pommesgabeln ragen in den Nachthimmel und die Folk-Metal-Urgesteine erwischen einen guten Tag. Mit „Ategnatos“ eröffnen ELUVEITIE direkt mit dem Song zum gleichnamigen Album, das im April 2019 erschienen ist. Im Laufe des Sets setzt das Nonett jedoch hauptsächlich auf Altbewährtes. Nur eine handvoll brandneue Songs wie „Worship“ oder „Breathe“ können an diesem Abend live gehört werden, für die volle Dröhnung des aktuellsten Materials müssen sich die Fans bis zur Herbst-Tour gedulden. So ergibt sich auf dem Feuertanz eine abwechslungsreiche Setlist, bei der sowohl die Metal- als auch die Folk-Fans auf ihre Kosten kommen. Besonders beeindruckt Ausnahmetalent Fabienne Erni, deren kraftvolle Stimme jede noch so schwere Tonfolge fast traumwandlerisch meistert. Besonders bei „Artio“, das minutenlang nur ihren Gesang, gelegt über Regengeräusche, in den Fokus stellt, verstummt das Publikum andächtig.
Der ganze Auftritt der Schweizer ist wie gewohnt hochprofessionell und durchgetaktet, dadurch aber natürlich auch unpersönlich und wenig individuell, da das Live-Konzept wenig Spielraum für Improvisation lässt. Das ändert jedoch nichts daran, dass die musikalische und Produktions-Qualität in punkto Headlinertauglichkeit für die Fans der härteren Klänge kaum Wünsche offen lässt. Egal ob gitarrenlastige Stücke wie „Deathwalker“, beliebte Ohrwürmer wie „A Rose for Epona“ oder der Klassiker „Inis Mona“ nebst Pulikum-Chorus – ELUVEITIE wissen ihr Publikum an diesem Abend mitzunehmen und zu begeistern.
Progmetal um Mitternacht, das ist schon etwas Besonderes auf einem Burgfestival. So treibt es viele Neugierige in den gemütlichen Burgsaal zu ALLY THE FIDDLE, bestehend aus Folkgröße Ally Storch und ihrer Band aus ebenso virtuosen Musikern. Wer sich trotz der späten Stunde ein bisschen auf Progressive einlassen kann, wird von Allys charmanten Ansagen (“Man muss mich aufhalten, ich rede zu viel!”) durch die Nacht, und mit ätherischen Geigenklängen durch fremde Welten geführt. Dabei kommen gleich mehrere besondere Instrumente zum Einsatz. So präsentiert Ally stolz ihre sechssaitige E-Geige aus Holz, die ihr größere Flexibilität ermöglicht, und der frisch gebackene Musik-Bachelor Rouven beweist sein Können am hierzulande noch recht unbekannten Chapman Stick – auch wenn aufmerksame Szenekenner das ungewöhnliche Instrument sicher schon bei Saltatio Mortis entdeckt haben. An diesem Abend darf Rouven als Solist bei einem Cover von “Pagan Poetry” von Björg brillieren und weckt sofortige Faszination für das schöne Instrument. Der Großteil der Stücke auf der nächtlichen Setlist stammt jedoch aus Allys Feder und/oder aus der ihres Leadgitarristen Robert. Da Ally mittlerweile auch singt, wechseln sich instrumentale Stücke wie “Aphotic Zone” mit ihren Gesangsparts ab. Wie auch bei Subway to Sally und zeitweise bei Schandmaul ist es ein Genuss, der sympathischen Frontfrau beim Musizieren zuzusehen – und das liegt nicht nur an den meterlangen, mitschwingenden Haaren, sondern vor allem an dem glücklichen und zufriedenen Gesichtsausdruck, den Ally hat, sobald sie den Bogen an ihr Instrument legt.
Das FEUERTANZ 2019 sorgt trotz mörderischer Hitze und wenig Schatten für viel Freude, besonders bei musikalisch weniger festgefahrenen Besuchern. Wem es ab und an zu soft, zu hart oder zu experimentell wurde, der konnte sich auf dem angeschlossenen Markt eine (oft bitter notwendige) Pause im Schatten gönnen. Wer sich alle Acts zu Gemüte führte, der bekam eine bunte Palette geboten: von progressiven Tönen über harte Gitarren und gefälligem Folk-Pop bis zu wenig traditionellen Dudelsäcken und Irish Folk – sowie Bastille als geboreneb Alleinunterhalter, der als kleines Highlight charmant und lustig durch den Tag führte.