Festivalbericht: Festival-Mediaval XV – Tag 3

06.09.2024 - 08.09.2024 Selb, Goldberg

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… unter anderem mit CORVUS CORAX und IN EXTREMO!

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… unter anderem mit SCHANDMAUL und LORD OF THE LOST!

Foto @ Oliver Richter

Beim AWARD SPIELMANN wird es dieses Jahr wieder maritim: Gleich zwei der drei Bands haben sich grob dem Piratenthema verschrieben, namentlich SPP UND DIE 7 GENERÄLE sowie DEUS CULT. Erstere können den Contest am Ende knapp für sich entscheiden. Die Leipziger nennen ihre Musik selbst „akustischen Piratenschmauch“ und erinnern als Kollektiv etwas an YE BANISHED PRIVATEERS. Plakative Songtitel wie „Leinen los“ oder „Das Leben eines Piraten“ passen zur gewählten Marschrichtung und werden dynamischer präsentiert als es die generischen Titel nahelegen. Dass es als Merch auch noch Fusel zu kaufen gibt, rundet die gelungene Präsentation bei SPP ab. Lediglich die Gesangsstimmen dürften zukünftig gerne etwas lauter sein. In Selb könnte sich das Hafenviertel als neues Zuhause für die Piraten herauskristallisieren. Das gilt auch für DEUS CULT, bei denen es sich ebenfalls oft ums Seemannsgarn dreht und die sich mit einem charismatischen Auftritt ebgenso für weitere Shows empfehlen. Was mit dem „Arr B C“ beginnt, geht mit „Bauchnabel & Sauf“ (nebst wirklich pointierter Referenz an die bekannte Schöfferhofer-Werbung) weiter und mündet in einer Art Live-Rollenspiel mit vielen weiteren gelungenen Piratenöiedern. Mit einer ruhigen, gediegenen Musik fallen LICHTZEIT als dritte Band dann etwas aus der Reihe und bedienen mit ihrem pagan-orientierten Folk ein komplett anderes Publikum. So richtig vergleichen lässt sich der Vierer mit den anderen beiden, eher auf Party und Unterhaltung getrimmten Bands nicht.

Foto @ konzertreport.de

Als erster Act auf der Hauptbühne beweisen die Rock-Contest-Gewinner des Vorjahres, FOGGY DUDE, dass ihr frischer Irish-Folk-Punk auch auf einer größeren Stage problemlos funktioniert: Mit ungebremster Spielfreude erspielen sich die Tschechen früh am Tag nach und nach immer mehr Publikum, das sich bei bester Feierlaune präsentiert und die Musiker sichtlich freut. THUNDERCROW ziehen anschließend mit ihrer besonderen Mischung aus Musik, Tanz und Überraschungsgästen ebenfalls eine große Zuschauermenge zur Burgbühne. Besonders beeindruckend: die Tänzerinnen von Kahira und Hermine, letztere ist die Tochter des Mediaval-Haus-und-Hof-Jongleurs Kelvin Kalvus. Während Hermine bei dem selten gespielten Stück „Apu Apu“ mitwirkt – einer hypnotischen Darbietung mit einem Dragon Staff, der mit grünen Scheiben geschmückt war – begeistern die Kahira-Vertreterinnen mit ihrer energiegeladenen Performance zur Drehleier. Alle Beteiligten der immer größer werdenden „THUNDERCROW-Familie“ trotzen der erbarmungslosen Hitze erfolgreich: Auch Kelvin Kalvus und Beatrice lassen es sich nicht nehmen, bei einigen Stücken mit ihrer Kontaktjonglage mitzuwirken und so für noch mehr Action auf der bereits gut gefüllten Bühne zu sorgen. An manchen Stellen werden dazu Frauenstimmen vom Band eingespielt, was in Anbetracht des Live-Erlebnises gar nicht notwendig gewesen wäre. Eine schönes Symbol ist wiederum die Aborigines-Flagge, die in die Show integriert wird. Einen letzten Höhepunkt heben sich die Niederländer bis zum letzten Song auf: Mitgründer Rob kehrt für diesen Moment zurück und wird vom Publikum frenetisch gefeiert. Mit einer gelungenen Mischung aus Tradition und Innovation überzeugen THUNDERCROW dieses Jahr als großes Wohlfühl-Get-Together am Nachmittag.

Foto @ Oliver Richter

TOMÁŠ KOČKO & ORCHESTR spielen anspruchsvolle Weltmusik und bringen osteuropäischen Flair auf den Goldberg. Irgendwo zwischen Balkan-Folk, Polka und Rock-Elementen findet sich der Sound der Tschechen wieder und lädt zum ausgelassenen Tanzen ein. Leider ist nicht so viel Publikum vor der Bühne wie die Band von ihrer musikalischen Qualität her verdient hätte, doch die Anwesenden lassen sich von der ausgelassenen Spielfreude bereitwillig anstecken. Sänger Tomáš erzählt schließlich, dass er gesagt bekommen habe, dass das deutsche Publikum nicht sehr freundlich und einladend sei eine These, die er bei den lachenden, fröhlichen Menschen am Goldberg nicht bestätigt sieht. Mit einem Doppelsolo an Drums und Percussion sowie einer außerplanmäßigen Zugabe darüber, wie man als Frau einen guten Mann findet, verabschieden sich die Musiker wieder von der Bühne.

Foto @ konzertreport.de

Sonntag Nachmittag findet traditionell das VARIETÉ DER KLEINKÜNSTLER statt. Das 15. Festival-Mediaval setzt auf Alltbewährtes und bietet auch bei den Kleinkünstlern ein vielfältiges Programm mit einigen bekannten Gesichtern. Beispielhaft seien hier einige der Talente, die ihre Kunst auf den Markt- und Theaterbühnen präsentieren, genannt: BASSELTAN und FORZARELLO wissen fingerfertig und humorvoll zu unterhalten. Die Tänzerinnen von KAHIRA überzeugen wieder mit fließenden, bunten Gewändern und taktvoller Präsentation, während KELVIN KALVUS und BEATRICE mit magischer Kontaktjonglage verzaubern. Außerdem bauen die Kinder und Jugendlichen von ARTISTICA ANAM CARA Menschentürme in schwindelerregende Höhen. Zum ersten Mal dabei und mit einem originellen Konzept begeistert auch die LARP-Band TRANCAS‘ TRABANTEN, die mit spontanen Konzerteinlagen überall auf dem Gelände und auf dem Camping-Platz für gute Laune sorgt bis weit hinein in die Nacht und dieses Mal unterstützt von SÖREN VOGELSANG.

Foto @ Michael Przegendza

Normalerweise kommen DIE STREUNER bei ihren Shows gut ohne eine Setliste aus. Zu ihrem 30-jährigen Jubiläum machen sie am Goldberg allerdings eine Ausnahme und laden die Besucher zu einer vergleichsweise strukturierten Zeitreise über die letzten drei Dekaden ein, Mit ihren Saufgeschichten und Trinkliedern, aber auch Stücken wie „10 Orks“ war die Combo prägend für eine gesamte Szene und hat den ein oder anderen Grundstein für Marktbands gelegt, die sich später mehr dem Rock oder Metal zugewandt haben. DIE STREUNER sind ihren Ursprüngen bis heute immer treu geblieben: Wer mittelalterlich-inspirierter Musik etwas abgewinnen kann und sich auch nicht an einigen Klischees stört, der ist bei diesem Auftritt goldrichtig. Dazu sind die Veteranen um Abwechslung bemüht: mit drei Streichern, Mathias von Schandmaul am Bass und mehr Percussion als für gewöhnlich musizieren sich die Spielleute durch ihr knapp 120-minütiges Set, bei dem sie selbst zu zweit, sechst oder auch neunt auf der Bühne stehen. In Sachen Publikumsbezug und -interaktion macht ihnen dabei niemand etwas vor. „Wein, Weib und Gesang“ fasst es schlussendlich passend zusammen, um was es bei DIE STREUNER bis heute geht und vermutlich auch immer weiter gehen wird. Wer es gerne ursprünglich(er) und trinkfreudig(er) mag, ist hier bei ihnen bestens aufgehoben. Alle anderen werden vielleicht die ein oder andere bekannte Melodie wiedererkennen.

Foto @ Oliver Richter

Als heiß erwarteter Headliner des Tages legen VERSENGOLD direkt mit „Glimmer und Gloria“ los, einem der poppigsten Gute-Laune-Songs ihres letzten Albums. Obwohl es für den ESC-Vorentscheid nicht gereicht hat, sind die verbliebenen Fans in Selb fast ausnahmslos sofort mit dabei. Mit „Niemals sang- und klanglos“ und „Verliebt in eine Insel“ setzen die Chartstürmer auf Altbewährtes, bevor „Wir feiern den Norden“ die Stimmung auch im Süden weiter anheizt. Die Band präsentiert sich bei bester Laune und auch die Wettergötter sind gnädig: Das bereits mit Bangen erwartete und für mitten im Set angekündigte Gewitter bleibt aus, so dass alle Fans den lauen Konzertabend ohne Regen und Co. genießen können. „Labyrinth“ und „Tod und Trommeln“ bilden schließlich den vielleicht stärksten Live-Block des Abends, der so noch nicht mehrere Festivalsommer gesehen hat. Vor „Braune Pfeifen“ positionieren sich VERSENGOLD politisch sehr deutlich gegen rechts, wofür sie gerade im Nachgang nicht überall gefeiert werden, aber ein dickes Lob verdienen. Im Zugabenblock spannen die Nordlichter noch einmal gekonnt den Bogen zwischen Feierlaune und nachdenklichen Momenten: „Die letzte Runde“ passt sinnbildlich zu „Lautes Gedenken“, und „Butter bei die Fische“ ist der finale, überlange Party-Kracher, bei dem die Fans einen fröhlichen Circle-Pit starten und Bassist Eike in der Menge zu verschwinden droht. Ein würdiger Abschluss, bei dem VERSENGOLD nochmals ihr gesamtes aktuelles Spektrum in komprimierter Form präsentieren, teilweise untermalt von stimmiger Pyro und immer gewürzt mit viel guter Laune.

Foto @ Oliver Richter

Bevor das Festival 2024 endet, wird auf der Bühne nochmals sehr emotional: Nach 15 Jahren übergibt Veranstalter Bläcky sinnbildlich den Staffelstab an seinen Nachfolger Ulf, vielen Besuchern bereits als „Der Admiral“, Sänger der Blackbeers und aus der ehemaligen Piratenbucht bekannt. Bläcky richtet noch einmal einige Worte an die Menge und wird zurecht für sein Vermächtnis lange gefeiert. Vom niederländischen Online-Radio CeltCast erhält er noch einen Preis für sein Lebenswerk.
Mit dem Gothic-Special und kürzlich bestätigten Bands wie VNV Nation oder Diary of Dreams geht das FESTIVAL MEDIAVAL bereits im kommenden Jahr etwas andere Wege. Der Geist des Mediaval und die besondere Stimmung sind in den letzten Jahren und Jahrzehnten allerdings stets erhalten geblieben, selbst nach den harten Corona-Jahren und mit weniger „musikalischen Entdeckungsreisen“. Für dieses besondere Etwas findet jeder mittlerweile seine eigenen Worte und daran wird sich voraussichtlich auch unter der neuen Leitung nichts ändern. Dafür dürfte Ulf zu sehr mit dem FM in seiner jetzigen Form verwurzelt sein.

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