Festivalbericht: Festival-Mediaval XIV – Tag 3

07.09.2023 - 10.09.2023 Selb, Goldberg

Foto @ konzertreport.de

Der 3. Tag beginnt traditionell wie die meisten Samstage am Goldberg mit dem ersten Teil des Nachwuchs-Contests, in der Kategorie „Spielmann“. Im Gegensatz zu den letzten Jahren treten mit SORION und BERNSTEIN & EBENHOLZ nur zwei Bands gegeneinander an. Musikalisch begegnen sich beide Bands auf Augenhöhe: Sorion-Sängerin Stefanie als frischgebackene Mama überzeugt stimmlich am frühen Festivalmorgen und auch die Kompositionen gelingen. Zweifelsohne hilft es der jungen Band, dass viele Mitglieder bereits in anderen Projekten wie Zwielicht aktiv waren oder sind. Über Bernstein & Ebenholz lässt sich ein ähnliches Urteil fällen, allerdings gelingt dem zum Duo geschrumpften Trio die dynamischere Performance und stärkere Publikumsinteraktion, so dass sie später den Goldenen Zwerg mit nach Hause nehmen. Sorion wären als Sieger für viele der Anwesenden allerdings auch in Ordnung gegangen.

Foto @ Oliver Richter

Parallel zum Contest dürfen VERA LUX als Sieger des Vorjahres in der Kategorie „Mittelalter-Rock“ die Schlossbühne eröffnen. Die noch jungen Musiker präsentieren sich auch als Tages-Opener energiegeladen und geben alles, um mit Dudelsack und E-Gitarren in der Mittagshitze für ordentlich Stimmung zu sorgen. Das gelingt ihnen auch; jedes weitere Jahr auf der Bühne scheint den Musikern gut zu tun und noch mehr Selbstsicherheit zu geben, wenngleich nach wie vor nicht jeder Song kompositorisch vollends überzeugt und die Kapelle hoffentlich bald den nächsten Schritt geht. So beenden VERA LUX mit einer am Ende guten Show und ungemein reflektierten Ansagen zum politischen Weltgeschehen ihre Festival-Saison 2023.

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PURPUR und THE BLACKBEERS zählen am Goldberg zu den bekanntesten Gesichtern, die beiden Rauscher-Schwester bereits seit den Anfangsjahren und die Piraten dank der letzten Auflagen. Beide Bands haben sich im Laufe der Zeit auch ihr Publikum erspielt, trotz oder gerade wegen komplett unterschiedlicher Ausrichtungen: PURPUR treten beim FESTIVAL-MEDIAVAL XIV mit einigen Gästen wie Harfenistin Maria auf, die den Gig nutzt, um mit ihrem virtuosen Spiel auch ein bisschen Eigenwerbung für ihre erste Solo-Platte zu machen. Diese könnt ihr hier über Crowdfunding mitfinanzieren. Musikalisch erstreckt sich die purpuristische Bandbreite dieses Mal von eigenen Songs wie „Wolfskind“ als wahrscheinlich stärkster Eigenkomposition über ein Blind-Guardian-Cover von „The Bard’s Song“ bis zu „Into The West“ aus dem Herr-der-Ringe-Universum. Gesangstechnisch kann man Zwillingen keinerlei Vorwurf machen, wenngleich man den Auftritt in sehr ähnlicher Form am Goldberg schon mehrfach sehen konnte. Bei den BLACKBEERS geht es erwartungsgemäß nicht nur bei „Fuck The King“ etwas rauer und ungesitteter zu. Noch immer setzen die Freibeuter auf einen Mix aus Eigenkompositionen und thematisch passenden Cover-Songs wie „A Bottle A Day“ von Fiddler’s Green. Ähnlich wie bei Vera Lux wirkt sich die wachsende Bühnenroutine positiv auf das Gesamtergebnis aus, welches noch viel Raum für mehr Eigenständigkeit im erdigen Piraten-Kosmos bietet. So ein bisschen zählen beide Gruppen zu den Altzweckwaffen des Festivals, die gefühlt schon zu (fast) allen Zeiten auf (fast) jeder Bühne gespielt haben. Das wird voraussichtlich auch zukünftig so bleiben, wenngleich das ein oder andere Jahr Pause die Wiedersehensfreude steigern könnte.

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Die spanischen HIJOS DEL TERCER ACORDE sorgen dann wiederum für frischen Wind, sind sie doch zum ersten Mal am Goldberg zu sehen. Zwar braucht das Publikum etwas, bis es sich bei heißen Temperaturen zu den rockigen Klängen vor der Bühne versammelt, doch die Musiker agieren davon unbeirrt: Spielfreudig covern sie erst Bonny Ms „Rasputin“ dann „Get To France“ und zweckentfremden den Anfang von Black Sabbaths „War Pigs“ für einen anderen Song. In einem Medley finden sich später unter anderem „Tri Martolod“ und „Drunken Sailor“ wieder. Neben ihrem englisch-spanischen Mix bieten HIJOS DEL TERCER ACORDE auch etwas für’s Auge, wenn sich Bass und Gitarre duellieren, eine Geige klassisch einsteigt und immer allerlei hektische Betriebsamkeit auf der Bühne herrscht, die musikalisch nie in Beliebigkeiten endet.

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DES TEUFELS LOCKVÖGEL gehören zusammen mit Purpur und den Blackbeers sozusagen zum Inventar am Goldberg. Auch 2023 führt Sänger und Frontstimme Marcus van Langen souverän durch das Programm, inklusive den obligatorischen Witzen über Schweizer. Musikalisch gibt es erwartungsgemäß eine Mischung aus Traditionellem wie „Ai Vis Lo Lop“ oder „La Jument de Michao“ und ebenfalls bereits lange live-etablierten Eigenkompositionen wie „Der Spielmann von Pertenstein“. Die Lockvögel selbst dürfen immer noch nicht singen, dass der Papst ein Arschgesicht ist, das Publikum übernimmt diesen Part allerdings wie gewohnt nur zu gerne. Am Ende wird es dann emotional, als neben Dandelion Wine, Thundercrow und Poeta Magica noch zahlreiche weitere Musiker die Bühne entern und gemeinsam das „Palästinalied“ anstimmen. Ein wahnsinnig gelungenes Ende für einen ansonsten unspektakulären Auftritt des nimmermüden Spielmanns nebst Anhang, die fernab des Schlusses genau das abliefern, was man vorab erwarten durfte.

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Aller guten bzw. der besten Dinge sind drei: Zum dritten Mal treten GARMARNA dieses Jahr beim FESTIVAL-MEDIAVAL und zum dritten Mal zählt der Auftritt der schwedischen Folk-Rocker zu den unumstrittenen Highlights des gesamtes Festival-Wochenendes. Mit „Förbundet“ haben die Nordeuropäer ein Album im Gepäck, welches zwar schon drei Jahre alt, aber noch nicht am Goldberg zu hören gewesen ist. Gerade die neuen, modernen Elemente der Platte wie treibende Beats und wummernde Sound-Teppiche in Songs wie „Ramunder“ veredeln den GARMARNA-Mix live vollends. Dabei ist es noch immer die Stimme von Emma Härdelin, die wie keine zweite „Herr Mannelig“ und „Vänner och fränder“ trägt. Ein jeder Ton sitzt und transportiert Gefühl, dazu ist musikalisch alles wunderbar eingebettet. Stefan Brisland-Ferner ist im Vergleich zu den anderen beiden Shows in Selb selten an der Drehleier zu sehen, überzeugt dafür an der Violine und spielt sich zusammen mit dem Rest der Band durch ein abwechslungsreiches und hervorragend ausbalanciertes Set. Gegen Ende beweisen alle Musiker in einem großen instrumentalen Finale, mit welchem Talent jeder einzelne gesegnet ist und wie wunderbar ihr Zusammenspiel funktioniert. Alles andere als ein Headliner-Spot wäre für weitere GARMARNA-Shows eine Überraschung. Besser geht es nicht.

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POETA MAGICA schaffen dann wie gewohnt eine magische Atmosphäre für alle, die für diese Art ruhiger Weltmusik offen sind. Holger Funke und seine musikalische Truppe, bestehend aus seiner Frau und mehreren talentierten Musikern, sind Stammgäste des Festivals und haben doch immer wieder eine neue Idee oder ein besonderes Schmankerl dabei. Diesmal ergänzen eine chinesische Guzheng und eine afrikanische Kora die charakteristische Nyckelharpa und sorgen für eine einzigartige Klangvielfalt. Der diesjährige Auftritt präsentiert die Nyckelharpa noch prominenter als sonst, da direkt mehrere dieser Instrumente zu sehen und auch zu hören sind. Sängerin Saga Björling ist ebenfalls wieder mit an Bord, zusammen kreieren die fünf Frauen auf der Bühne bezaubernd schöne Harmonien. Mit einer gekonnten Mischung aus skandinavischen Melodien führen POETA MAGICA durch ein stimmungsvolles Programm. Besonders beeindruckend ist der fließende Übergang von einem instrumentalen Stück zu einem a cappella Song, der die Vielseitigkeit der Band unterstreicht. Holger weiß zudem mit Anekdoten über die einzelnen Instrumente und die Geschichten hinter den Liedern zu unterhalten. Egal, ob es um alte Wikingerlegenden oder poetische Liebesballaden geht, die Hingabe und Leidenschaft von POETA MAGICA sind in jeder Note spürbar.

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Zu den überraschendsten Entdeckungen des FESTIVAL-MEDIAVAL XIV gehört sicherlich das AFRO CELT SOUND SYSTEM. Obwohl es dieses spannende Projekt bereits seit 1995 gibt, scheinen die wenigsten Festival-Gäste etwas von ihm gehört, geschweige denn es live gesehen zu haben. Als schließlich der wilde internationale Mix an bunt gekleideten Musikern die Bühne betritt, blicken sie in viele gespannte Gesichter. Direkt mit dem ersten Song reißen sie schließlich die sprichwörtliche Hütte ab. Der ungewöhnliche Mix aus afrikanischen und keltischen Klängen, verfeinert mit Instrumenten sowie Musikelementen der ganzen Welt und unterlegt mit einem elektronischen Unterbau, der direkt in die Füße wummert, bringt den Goldberg zum Tanzen. Eine der schwarzen Sängerinnen in bunten Gewändern tritt auch auf der Bühne immer wieder nach vorne, um sich ausgelassen zu bewegen. Sofort bekommen AFRO CELT SOUND SYSTEM energiegeladenes Feedback aus dem Publikum. Beim Song „Dessert Billy“ reißt es bis in die hinteren Reihen die Hände nach oben. Aber auch bei etwas ruhigeren Tönen wie beim ätherischen „Release“, das die Truppe 1999 zusammen mit Sinéad O’Connor aufgenommen haben, ziehen die kontrastreichen Einflüsse den Zuhörer in den Bann. Unglaubliche Soli an der Bodhrán, an einer Schultertrommel, der indischen Dhol und weiteren interessanten, speziellen Schlaginstrumenten lassen die Zuhörer mehr als nur staunend zurück. Ob es an der Faszinations-Starre oder einfach am fehlenden Rhythmus-Gen der Deutschen liegt, dass im Publikum leider niemand entschlossen genug auf 1 und 3 klatschen kann, bleibt im Laufe des Abends dennoch offen. Gegen Ende des Konzerts spielen AFRO CELT SOUND SYSTEM noch ein Erinnerungslied für verstorbene Weggefährten, bei dem ein Handy-Lichtermeer die Dunkelheit vertreibt. Ein Konzert voller Überraschungen und wundervoller Entdeckungen, das wohl kein Besucher so schnell vergessen wird.

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NEMUER sorgt im harten Kontrast zum Vorprogramm beim Mitternachtskonzert anschließend für eine düstere Atmosphäre, die das Publikum in eine andere Welt entführen soll. Mit einer doch sehr saftigen Verspätung wird es auch, passend zum Ambiente, fröstelnd kalt. Die dunklen Klänge und die eindrucksvollen Schattenspiel-Visuals schaffen durchaus eine intensive Stimmung, wirken jedoch recht schnell etwas monoton. Die Kombination aus alten Sprachen und modernen Elementen hat jedoch durchaus Potential, geht es doch sehr in Richtung HEILUNG, wenn auch deutlich reduzierter. Der Einsatz ungewöhnlicher Instrumente prägt den Sound der Band, bleibt jedoch nicht immer im Gedächtnis haften. Insgesamt hinterlässt das Mitternachtskonzert gemischte Gefühle und wird so wohl für manche zu einem besonderen Erlebnis, während andere sich mehr Abwechslung erhofft hätten.

Unter dem Strich bietet der dritte Tag somit wieder für jeden Geschmack etwas: Wer gerne seine altbekannten Favoriten sehen will, hat dazu mittags und nachmittags die Gelegenheit. Neues zu entdecken gibt es dafür am Anfang und am Ende des Festival-Tags. Besonders hervorzuheben sind die Auftritte von GARMARNA, die wieder einmal beweisen, welche Vorreiterrolle sie im Folk einnehmen, und das AFRO CELT SOUND SYSTEM, die einen Hauch vom „Der König der Löwen“-Musical an den Goldberg bringen.

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