Das Festival neigt sich dem Ende zu und so langsam sind Zelte und Kleidung durchgeweicht. Dennoch sind Publikum und Bands weiterhin bester Laune und bemühen sich, die Kälte und die Nässe weiterhin zu ignorieren.
Beim sonntäglichen Contest um den goldenen Zwerg in der Kategorie „MA-Rock“ stehen sich dieses Jahr DEUS VULT, VISCUM und die KAPEIKEN gegenüber. Bei DEUS VULT erweist sich die Bühnentechnik als heftigster Gegner der Musiker, die sich zum Großteil selbst nicht hören und dementsprechend unrund klingt der Mittelalter-Rock aus der Oberpfalz auch. Zwischen Cover-Versionen von Saltatio Mortis mischen die sieben Musiker auch erste Eigenkompositionen wie „Träume und Schmerz“. So richtig überzeugen mag der genretypische Mix aus Gesang, Gitarre und Dudelsack nicht, eine zweite Chance haben die Newcomer indes verdient. Ähnliches gilt für VISCUM, denen es in ihrem Set allerdings deutlich besser gelingt, den Dudelsack auf einem für die Ohren bekömmlichen Niveau einzusetzen. Die Sachsen zählen unter anderem In Extremo, Heidevolk und Falkenbach zu ihren Einflüssen, im Vergleich zu DEUS VULT dominieren folglich auch die metallischen Riffs und härteren Rhythmen. Bei den Frontmännern zieht Viscum-Sänger Ulan allerdings deutlich den Kürzeren, seine Stimme ist auf Dauer sogar das größte Makel der Combo. Gänzlich aus dem Rahmen fallen die späteren Sieger, die KAPEIKEN: Die Barden gehen optisch wie musikalisch in eine gänzlich andere Richtung. Ganz im Sinne des Rokoko gekleidet vermengt die Truppe unterschiedlichste Musikrichtungen wie Polka, Rock oder Folk zu einem stimmigen Ganzen. Besonders LARP und Fantasy-Freunde kommen dabei auf ihre Kosten. In ihren Texten erzählen die Hamburger von alltäglichen Themen einer typischen Fantasy-Rollenspiel-Welt, so gibt es zum Beispiel einen Tango über das Monster aus dem Wald auf die Ohren oder auch einen Walzer über eine Tavernenbekanntschaft. Mit Kontrabass und Cajon bieten die KAPEIKEN auch instrumentale Abwechslung, so dass der goldene Zwerg seine Reise am Ende zurecht in den Norden antritt – wenngleich Mittelalter-Rock als Obergriff wahrlich wenig mit der Musik der Gewinner zu tun hat.
Die tschechischen BRAN überzeugen anschließend mit ihren ausdrucksstarken Kompositionen, besonders allerdings mit einer Cover-Version von „Ye Jacobites By Name“. Bretonische Folklore und Traditionals mischen die Osteuropäer mit eigenem Material, welches teils in Landessprache präsentiert wird. Mandoline, Akkordeon und Kontrabass bereichern die insgesamt ruhige, wenngleich intensive Klangwelt von BRAN hörbar und in den 60 Minuten mausert sich die Kapelle zu einem der (versteckten) Highlights der gesamten Festival-Wochenendes. Alle Musiker liefern gleichermaßen ab, gleiches gilt für Sänger Robert, und als homogenes Ganzes haben BRAN vielen andere Genre-Vertretern einiges voraus.
THE ABERLOUR’S aus Halle können das Niveau direkt aufrecht erhalten und scharen schnell viele Tanzende um sich. Schon beim instrumentalen „St. Bonifatius‘ Jig“ wird klar, dass die Band die letzten 20 Jahre nicht im Tiefschlaf verbracht hat, sondern sich auf ein beachtliches musikalisches Niveau hochgearbeitet hat. Besonders viel Freude macht der gute Humor, den THE ABERLOUR’S immer wieder durchblitzen lassen – so beginnen sie „Fair Hair“ erst einmal mit einem mehrstimmigen, inhaltlich passenden „17 Jahr, blondes Haar“, spielen ein anspruchsvoll-schnelles Instrumental, das sie „0815“ getauft haben, oder kündigen einen Protestsong gegen den Schokoweihnachtsmann im September an. Aber auch historisch wird man fortgebildet, so lernt man während des Konzerts von Kinderliedern aus früheren Jahrhunderten in Amerika („Mad Man“), oder vom Lilting, das für sinnfreies Lallen steht und im keltischen und deutschen Liedraum weit verbreitet ist („The Judelo“). Ihr Set beenden die Folker mit dem bekannten und beliebten Stück „Nobody’s Reel“, das man vor allem mit Terrence Hill in Verbindung bringt, der sich dazu durch ein irisches Freudenhaus geschlägert hat. Kein Wunder, dass THE ABERLOUR’S durchgehend zu Tanzkreisen und Polonaisen herunterblicken können.
In der Goldberg-Bucht haben MINNEPACK durch den Regen zu kämpfen. Dank wenig überdachten Plätzen ist die Anzahl derer, die dem fröhlichen Folk lauschen und mittanzen, zwar überschaubar, doch die Musiker beweisen, dass sie zurecht eine Chance bekommen haben, mehr zu sein, als nur das musikalische Rahmenprogramm für Katrin la Coquillarde. Besonders Neu-Geigerin Lisa, die ansonsten unter anderem mit Haggard auf der Bühne steht, präsentiert ihr Talent an diesem Tag eindrucksvoll. Am Ende gibt es 75 Minuten stimmungsvollen Mittelalter-Folk, der durch höhere Gewalt nicht die Wirkung entfalten kann wie bei Sonnenschein oder einfach nur trockenem Marktwetter. Vielleicht sind bei MINNEPACK aller guten Dinge drei.
„Die Danceperados haben sich an die Spitze einer Bewegung gesetzt, die den irischen Stepptanz aus den Klauen der großen Produzenten befreien und ein Stück menschlicher, freier und ursprünglicher machen möchten.“, so beschreiben sich die DANCEPERADOS OF IRELAND auf ihrer Website. Das Konzept klingt selbstverständlich, doch die hunderten erfolgreichen Playback-Irish-Dance-Shows mit Tänzern ohne irischen Hintergrund beweisen, dass man es aussprechen muss: Am schönsten ist der Irish Step Dance mit Live-Musik, mit echten irischen Stepptänzern, mit Künstlern, die eine Liebe für die irische Kultur mitbringen und diese weitergeben wollen. Auf den ersten Blick kann man die DANCEPERADOS also mit Lord of the Dance und Co. vergleichen, doch schnell zeichnen sich die Unterschiede nur allzu klar ab. Hier wird leidenschaftlich musiziert – abwechslungsreiche Musik mit unterschiedlichsten Instrumenten, fast jeder der Live-Musiker kann auch singen, und in jedem Gesicht lässt sich die pure Spielfreude ablesen. Sie sitzen nur im Hintergrund leicht erhöht, bleiben auf ihrem Platz, und doch würde es die regelmäßig auftretenden Tänzer/innen eigentlich gar nicht brauchen, so unterhaltsam und kurzweilig ist die musikalische Darbietung. Die Tänzer/innen selbst sind ungewohnt divers in ihrem Körperbau, müssen nicht alle wie Klone aussehen, und begeistern mit tänzerischer Vielfalt. Trotz starkem Regen verbreiten die DANCEPERADOS eine herrlich gute Laune und gehören definitiv zu den Highlights des Festivals.
Das VARIETÉ DER KLEINKÜNSTLER ist wie jedes Jahr vor allem für Konzertbühnenhopper eine tolle Gelegenheit, die vielen Gaukler und Akrobaten komprimiert und kurzweilig in Aktion zu sehen. Durch das „New Steps“-Konzept fehlen dieses Jahr bekannte Größen wie Beatrice oder Kelvin Kalvus – nur Basseltan konnten die Ausladung als neu formiertes DUO KELLERBIER mit Perücke und Sonnenbrille äußerst kreativ umgehen. Egal wie oft man schon gesehen hat, wie sie aus dem Mund eines „Freiwilligen“ neuzeitlich gebacken Brot herausjonglieren: Die beiden haben diese erfrischende Situationskomik und Schlagfertigkeit, die nur den wahren Entertainern im Blut liegen, und machen die Nummer so auch immer wieder frisch und spritzig für die, die sie schon kennen. Ebenfalls spritzig und dabei komödiant-erotisch zeigt sich OPUS FURORE, zwei spanisch gekleidete Herren, die sich beim Jonglieren nicht nur bis auf das knappe Höschen entkleiden, sondern sogar das Outfit des anderen wieder anziehen. Seriöser geht es bei DUO TALAMOS zu, bei denen zu spanischer Gitarrenmusik feurig getanzt wird – feurig auch im wörtlichen Sinne, denn die Tänzerin verwendet verschiedene brennende Requisiten. Eine besonders schöne Entdeckung für das Festival-Mediaval sind allerdings die FLUGTRÄUMER. Das Artisten-Ensemble aus Berlin überzeugt auf ganzer Linie mit einem gekonnten Mix aus hervorragender Körper-Akrobatik, Gaukelei und Feuershow. Tolle Kostüme und sehr gute Musikauswahl runden die diversen Auftritte ab. So ist das VARIETÉ trotz Regenschauer insgesamt wieder ein sehr sehenswertes und unterhaltsames Vergnügen.
Die Polen KROKE beschließen das Festival-Mediaval 2019 auf der Burgbühne mit ihrer Weltmusik. Seit 1992 sind die drei Musiker mit Geige, Kontrabass und Akkordeon unterwegs, eine entsprechende Routine ist dem Trio auch bei nasskaltem Wetter also durchaus anzumerken. Am Ende gerät dies zum Vorteil, da sich KROKE auch durch die widrigen Umstände nicht unterkriegen lassen und zeigen, warum sie mit ihrer Musik unter anderem in David Lynchs „Inland Empire“ zu hören sind. Alle drei Bandmitglieder sind ganz offenkundig hervorragend ausgebildet an ihrem jeweiligen Instrument, dürfen unabhängig voneinander und im Kollektiv ihr Können beweisen und kreiieren dadurch ihre ganz eigenen Stil in der Symbiose aus Klezmer- und Weltmusik.
Als finaler Headliner des Festival-Wochenendes zelebrieren schließlich ELUVEITIE ihren Folk-Metal erstmals im Goldberg. Der Festival-Sommer führte Mastermind Chrigel und seine Mitmusiker bereits nach Burg Abenberg zum Feuertanz. Erwartungsgemäß gleichen sich die Shows und die Songauswahl, wenngleich das Festival-Mediaval ohne Drehleier-Spielerin Michalina auskommen muss. Ihre Spuren kommen folglich vollständig vom Band, ohne Hinweis darauf, dass und warum die Musikerin bei diesem Auftritt fehlt. Wirklich störend fällt dies nicht ins Gewicht, überzeugen die Eidgenossen erneut mit geballter Gitarren-Power, angereichert durch folkige Instrumente wie Flöten oder Dudelsäcke und entsprechende Melodieführungen. Obwohl die Besucher beim Mediaval eher sanftere Töne gewohnt sind, werden ELUVEITIE anständig gefeiert und das Gastspiel der Szene-Veteranen entwickelt sich zu einem würdigen Abschluss des diesjährigen Festivals. Wie schon beim Feuertanz setzen die Schweizer im Vorfeld ihrer Herbst-Tour weniger auf ihr neues Werk „Ategnatos“, sondern vielmehr auf einen bunten Querschnitt ihres Schaffens mit festivalerprobten Nummern wie „Helvetios“, „The Call of the Mountains“ oder dem Klassiker „Inis Mona“. Vokalistin Fabienne erwischt genau wie der gut aufgelegte Sänger Chrigel einen guten Tag und die beiden konträren Stimmen prägen die Headliner-Show mit hohem Klargesang und tiefen Growls jeweils auf ganz unterschiedliche Art und Weise.
„New Steps“ ist das Motto, und in gewisser Weise fühlt sich das Festival-Mediaval 2019 durch das fehlende „Grundinventar“ durchaus auch anders an als in den vielen Jahren davor. Es fehlt die Heimeligkeit des Altbewährten – dafür kommen viele spannende Neuentdeckungen hinzu. Das mutige, wenn auch umstrittene, Konzept hat deutlich besser funktioniert als vorher von vielen angenommen. So gehen die Festivalbesucher dieses Jahr erneut mit vielen neuen positiven Eindrücken nach Hause, und gleichzeitig mit einer sicher noch größeren Vorfreude auf nächstes Jahr, wenn die altbekannten Gesichter auch wieder dabei sind. Und das Wetter auf dem Goldberg hoffentlich wieder sonniger ist.