Festivalbericht: Festival-Mediaval XII – Tag 1

06.09.2019 - 08.09.2019 Selb, Goldberg

„New Steps“ – ganz nach diesem Motto präsentiert sich das nunmehr zwölfte Festival-Mediaval in Selb 2019. In der Praxis bedeutet das: Nach einem Jahr mit den Highlights des vergangenen Jahrzehnts nun ein Billing bestehend aus Bands und Kleinkünstlern, die bisher noch nie auf dem Festival aufgetreten sind. Ein mutiges Konzept, hat man nach zehn Jahren doch einen Großteil der bekannten Szenegrößen und unbekannteren Perlen bereits „abgegrast“. Dass es trotzdem funktioniert, liegt auch an den immer wiederkehrenden Stammgästen, denn das Festival hat sich weit über die Grenzen hinaus einen herausragenden Ruf erarbeitet und kann immer wieder mit seiner einzigartigen Atmosphäre punkten, ganz gleich, welche Acts auf dem Plakat zu lesen sind. Zum Glück beweisen die Veranstalter auf neuen Wegen ebenfalls ihr altbekanntes gutes Gespür: Mit ELUVEITIE und HEILUNG werden zwei Größen aufgefahren, die zwar musikalisch das Thema Mittelalter nur noch ankratzen, aber schon allein ob ihrer Qualität auch in dieser Szene viele begeisterte Fans haben. Das vielfältige, hochwertige Nachmittagsprogramm zeigt ebenfalls: Der Folk lebt und atmet auch abseits betretener Pfade.

(c) medievalphotography.com – Jens Wessel

Gleich zu Beginn kann Veranstalter Bläcky noch weitere positive Neuerungen verkünden. So geht das Festival weiter seinen Weg in Richtung „grünes Festival“. Eine Bio-Schenke gibt es nun, und jeder Stand, der Verpflegung anbietet, hat nun ein Bio-Produkt im Repertoire, sei es Bio-Milch im Kaffee, Bio-Gemüse in der Pfanne oder hervorragende alkoholische Getränke wie die Waldbeer-Schlehen-Bowle. Auch bezieht das Gelände mittlerweile flächendeckend Öko-Strom. Eine insgesamt sehr erfreuliche Entwicklung, die gut ins Flair des Festivals passt. Eine weitere sympathische Neuerung ist das Lebende Schach, bei dem berühmte Schachpartien von Menschen in Kostümen nachgespielt werden. Wer die Partie als erster erkennt, hat direkt die Tickets für das nächstjährige Festival-Mediaval in der Tasche – ein schöner Anreiz für Schachkenner und alle, die es werden wollen.

Nach weiteren kurzen Ansprachen von Bürgermeister und Team beginnt der musikalische Teil des diesjährigen Festivals mit den Österreichern NARRENGOLD. Wie der Name vermuten lässt, verbirgt sich hinter der Band mittelalterlicher Folk-Rock gespielt mit Dudelsack, Bouzouki, Schlagzeug, Geige und Bass. Diese Kombination ist weder neu noch innovativ, bei den Wienern aber mit viel Ausstrahlung gesegnet. Gerade das einzig weibliche Bandmitglied, Filia Jungfer, entpuppt sich als wahnsinnig schlagfertig im Umgang mit dem Publikum und überzeugt gleichzeitig kompositorisch in Songs wie dem ohrwurmverdächtigen „Tuten und Blasen“. Das Songarsenal von NARRENGOLD speist sich überwiegend aus Eigenkompositionen, die mit einer guten Portion Wiener Schmäh garniert werden. „Würdig und Recht“ lautet der Name des aktuellen Werks aus diesem Jahr – würdig und recht ist auch die Wahl der Combo als erfrischender Opener des Festival-Wochenendes.

(c) medievalphotography.com – Jens Wessel

Mit den schwedischen SKRÖMTA als Auftakt der Burgbühne wird es direkt traditioneller. Den Auftritt dominieren Polskas, nordischer Folk im Allgemeinen und überwiegend mystische Geschichten, beispielsweise über Frauen als das starke Geschlecht. Insgesamt steht die Darbietung ganz im Zeichen von anderen nordeuropäischen Kapellen wie Hedningarna, Garmarna oder Hoven Droven. SKRÖMTA gelingt es, die komplexen Melodien sehr bekömmlich und leicht verdaulich unters Volk zu bringen. So kommt schnell Bewegung vor die Bühne und besonders die fröhlich verspielten Melodien zaubern einigen Besuchern ein Lächeln auf die Lippen. Das gelingt auch SELFISH MURPHY auf der Hauptbühne, entweder durch Eigenkompositionen im Stile von Firkin und Co. oder durch gelungene, punkige Neuinterpretationen von omnipräsenten Traditionals wie „Dirty Old Town“. Wer den Vergleich zu früheren Shows der Gruppe ziehen kann, der wird auf Dauer lediglich Ex-Sänger Petri vermissen, welcher gerade in seiner Rolle als Frontmann charismatischer und auch stimmlich variabler agierte als sein Nachfolger Zaza. Flötist Pusztai ist SELFISH MURPHY glücklicherweise bis heute erhalten geblieben und wirkt an seinem Instrument immer noch so beeindruckend wie 2015 auf dem Shamrock Castle.

Auch das beliebte Literaturzelt gibt es 2019 wieder zu besuchen und hat diesmal auch zum längeren Verweilen den kleinen Getränkestand „Zur feuchten Feder“ dazu bekommen. Hier startet das Wochenend-Programm direkt mit dem Ehepaar Iny Klocke und Elmar Wohlrath, besser bekannt unter dem Pseudonym INY LORENTZ, deren Bücher wie „Die Wanderhure“ oder „Die Wanderapothekerin“ millionenfach gelesen wurden. Unabhängig davon, wie die Hauptfigur Lena ihres Buches „Die Tochter der Wanderapothekerin“ in Italien Stoffe auswählt oder auf einem Schiff der Begegnung mit Piraten zu entfliehen versucht, macht es großen Spaß, dem eingespielten Ehepaar beim gegenseitigen Sticheln und Necken zuzuhören. Und so ist auch gleich zu Beginn des Festivals wieder großer Andrang bei den Lesungen und Vorträgen.

(c) medievalphotography.com – Jens Wessel

Mauserten sich die Schweizer KOENIX auf dem letztjährigen Tanzt! schnell zu den großen Gewinnern des Abends, avanciert der Auftritt der Eidgenossen auf dem Goldberg zur ersten kleineren Enttäuschung des Festival-Medival 2019. Die instrumentalen Stücke mit Sackpfeifen, Davul, Drehleier, Flöten, Pfeifen und Bouzouki füllen das Publikum in Selb mit deutlich weniger Leben als das Backstage in München im Jahr zuvor. Auch die Kuhglocke als Taktgeber zieht eher spärliche Reaktionen nach sich, gleiches gilt für den Gesang und die Songauswahl, geprägt vom letzten Studiowerk „Dekade 1“. Insgesamt stellt sich kein stimmiges Gesamtbild ein, der Show fehlt über 75 Minuten ein Spannungsbogen und so leert sich der Zuschauerraum bis zum Schluss immer weiter, da KÖNIX gefühlt hinter ihren Möglichkeiten bleiben und vieles zu ähnlich klingt, um dauerhaft zu begeistern. Am Ende ist dieser Auftritt weder standesgemäß noch repräsentativ für die emsigen Schweizer, die ihre Qualitäten unter freiem Himmel kaum zur Geltung bringen.

(c) medievalphotography.com – Jens Wessel

Deutlich besser treffen YE BANISHED PRIVATEERS in der kostenlos zugänglichen Goldbergbucht den Geschmack des Publikums. Der bunte Haufen aus Umeå in Schweden zelebriert das raue Piratenleben mit viel Augenzwinkern, tollen Kostümen, reichlich Shantys und einer dreckigen Fluch-der-Karibik-Attitüde. Mag das bunte Treiben auf der Bühne ab und an arg chaotisch wirken, so liefern alle Bandmitglieder ab, selbst wenn nicht jeder Geigenton sitzt und die Musiker auf der kleinen Bühne ab und an übereinander zu fallen drohen. Dass bei diesem Auftritt Sänger Björn leider wegen eines Trauerfalls in der Familie nicht mit an Bord ist fällt aufgrund der immer noch mächtigen Anzahl von zehn Musikern tatsächlich kaum auf. Ähnlich wie in München beim Tanzt! 2018 stechen Magdas Gesang bei „Annabel“, Evas emotionaler „Fisher Lass“ und launiger Piraten-Punk wie „Gangplank“ besonders hervor. Durch die vielen Mitglieder, die gefühlt ständig in Bewegung sind, und einige Show-Elemente (wie zertrümmerte Flaschen auf dem Kopf von arg testosteron-gesteuerten Piraten) ist für Augen und Ohren gleichermaßen etwas geboten. Bei YE BANISHED PRIVATEERS gibt es immer etwas zu entdecken und bestenfalls die Bandmitglieder selbst wissen, was als nächstes passiert. Dieser rohe Charme und die Unbekümmertheit bei der Selbstinszenierung zeichnen die Schweden aus und machen sie auch beim Festival-Medival zu einem Anwärter für weitere Auftritte, dann aber auf dem eigentlichen Festival und nicht „nebenan“.

(c) medievalphotography.com – Jens Wessel

Das kann man von den RED HOT CHILI PIPERS wiederum nur eingeschränkt behaupten: Mögen dudelsack-geschwängerte Cover-Versionen von AC/DCs „Thunderstruck“ anfangs durchaus ihren Charme besitzen, so bleibt ein Bordun-Ton auf Dauer eben ein Bordun-Ton. Wer sich daran stört, flüchtet vermutlich sofort auf einen der angrenzenden Märkte. Alle anderen bekommen Dudelsäcke in geballter Form zu hören, veredelt durch Percussions und gerade anfangs fehlerfrei gespielt. Zum Arsenal der Gruppe zählen Stücke von Avicii, Coldplay, Muse und vielen weiteren großen Künstlern des Pop und Rock. Aus dieser Sammlung, einigen Klassikern und der diesjährigen Veröffentlichung „Fresh Air“ stellen die PIPERS ein buntes Potpourri für ihre Headliner-Show zusammen, wobei die Cover-Versionen besonders durch ihren Wiedererkennungswert der Halbwertszeit zugute kommen. Dazu bewegen sich die einzelnen Musiker stets wie eine perfekt geölte Maschine und die Instrumente erklingen in bester Qualität. Trotz des bemühten Mix aus Alt und Neu sowie Bekanntem und Unbeanntem offenbart sich die Limitierung des Konzepts sehr schnell. Oftmals ohne eine eigene Identität und frei von Ecken und Kanten nutzt sich die Inszenierung schnell ab, dazu haben Teile der Musiker mit dem widrigen Wetterbedingungen und verstimmten Instrumenten zu kämpfen. Umso überraschender ist es, dass weite Teile des Publikums bis zum Ende der Show bei zunehmend kälteren Temperaturen ausharren. Daran hat sicherlich auch die Show rund um den Sackpfeifen-Overkill, beispielsweise mit brennenden Dudelsäcken, ihren Anteil.

(c) konzertreport.de – Bernd Sonntag

Als ganz besondere Midnight-Show entpuppt sich THUNDERCROW, das elektronische Projekt von Didgeridoo-Spieler Daphyd und Perkussionskünstler Rob von Omnia. In an diesem Abend einzigartiger Konstellation mit Neuzugang Zachary Bainter und Gastsängerin Fox spielen die vier Multitalente eine außergewöhnliche Mischung aus Drum and Bass, Weltmusik, Trance und Chill-Out-Musik. Dabei kann Zachary Daphyd bei einigen Stücken auch mit der Bassklarinette ergänzen. Dass das Musikgenre auch bei Mittelalterfans funktioniert, zeigt die große Menge an Nachtschwärmern, die vor der Bühne die sphärischen Klänge genießen oder zu experimenteller Club-Musik tanzen. Dass Schlagzeuger Rob die Band leider wieder verlassen wird, ist umso tragischer, wenn man die pure Spielfreude sieht, die er auf der Bühne an den Tag legt. Als leichtherzigen, amüsanten Abschluss des Festivaltages steigt schließlich noch Bläcky selbst mit ein, gekleidet in ein traditionelles indianisches Hochzeitsgewand, und genießt die letzten Töne des Konzerts glücklich tanzend im Scheinwerferlicht.

Der erste Festivaltag des Festival-Mediaval zeigt sich nicht nur wettertechnisch gnädig, sondern auch musikalisch hochwertig, (besonders zu Beginn) abwechslungsreich und insgesamt kurzweilig. Wie immer spricht auch die heimelige Atmosphäre für sich. Mit viel Vorfreude wird nun der Samstag erwartet – an dem HEILUNG ihr Debüt auf dem Festival geben werden.

 

(c) medievalphotography.com – Jens Wessel

 

Publiziert am von und

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert