Den Festivalsamstag eröffnen die nimmermüden FUCHSTEUFELWILD als Vorjahresgewinner des Goldenen Zwergs in der Kategorie Rock. Nahe ihrer Heimat Regensburg zeigen die Füchse im Vergleich zum Contest eine deutliche Steigerung: Der Sound stimmt bei „Eisenhans“, „Carpe Diem“ und weiteren Songs des Erstlingswerks „Weltenmeer“ und dazu haben sich die Newcomer auch einige Specials für ihre Selb-Show einfallen lassen. So stößt El Silbador von Saltatio Mortis am Dudelsack für ein kurzes Gastspiel auf die Bühne. Rudelführer Basti war früher selbst als Cordoban der Verspielte bei SaMo aktiv und ließ offenbar seine Kontakte weiter spielen: Überraschend stößt wenig später auch Tommy Krappweis zum männlichen Fronter und singt mit ihm eine unfassbar starke Rock-Version von „Ein echter wahrer Held“. Neben seinen unterhalterischen und literarischen Qualitäten überzeugt Krappweis auch gesanglich am Mikro und begeistert die stetig wachsende Menge vor der Bühne mit seinem ausdrucksstarken Organ. „Singt das Brot“ als kleine Zugabe darf nach dem aufbrandenden Jubel nicht fehlen. Zusammen mit ihren Gästen plus eigenen Qualitäten präsentieren sich FUCHSTEUFELSWILD am Ende mit einem Auftritt, der den Gewinn des Awards ein Jahr zuvor mehr als rechtfertigt und die Süddeutschen für einen späteren Spot mehr als qualifiziert.
Die spanischen TROBAR DE MORTE als erste Band auf der Schlossbühne setzen auf eher ruhige, balladeske Arrangements rund um die Stimme von Frontfrau Lady Morte, die optisch an Morgana aus „Die Nebel von Avalon“ erinnert. In Deutschland erspielten sich die Südeuropäer im Vorprogramm von Faun erste Bekanntheit; so ist es keine Überraschung, dass Fiona Frewert von Faun für ein Stück am Dudelsack zu Gast ist. Fernab des Gastauftritts der Faunin zaubert die Stimme der Lady zusammen mit Geigen, Drehleier und vielen weiteren Instrumenten exotische Klänge, mittelalterlich verträumte Melodien und auch einige Tanzlieder hervor. Wer anschließend das ungarische Duo THE MOON AND THE NIGHTSPIRIT auf der Bühne beobachtet, erkennt in den Virtuosen schnell die Sorte Musiker, die keinerlei extrovertierte Allüren aufweist, sondern still in sich gekehrt ihrer Musik nachgeht. Beseelt an Harfe, Gitarre, Percussion und mehr spielen Agnes und Mihaly zusammen mit ihren Live-Musikern spürbar sowohl für ihr Publikum als auch für sich selbst. Der auf den Studioalben sehr volle Pagan-Folk leidet live unter nicht optimalen Soundverhältnissen, was der Kraft der Kompositionen aber kaum einen Abbruch tut. Bei für deutsche Zungen fast unaussprechbaren Songtiteln wie “Alkonyvarázs” oder “Éjköszöntő” beweist die Band nicht nur die lebendige Seele heidnischer Musik, sondern auch die Schönheit der ungarischen Sprache. Einzig fürs Auge ist bei dem Auftritt auf dem Goldberg wenig geboten, und so wandern die meisten Blicke immer wieder zu den fliegenden Händen der sitzenden Percussionisten, die die Melodien kraftvoll vorantreiben.
Dass sich Bands im Laufe von 15 Jahren wandeln, ist keine Seltenheit. Im Falle von RHIANNON ist dieser Fall eingetreten und so stellen sich einige Besucher die Frage, ob die Combo mit eben jener Musik auch bei ihrem ersten Stelldichein beim Festival-Mediaval vertreten gewesen ist. Ihren Ansatz der reinen historischen Reproduktion haben die Österreicher im Laufe der Jahre immer mehr durch musikalische Eigenständigkeit und Experimentierfreude ergänzt. Die dargebotene Qualität des Ganzen lässt allerdings jedwede Besonderheit vermissen und für viele Festivalbesucher entwickelt sich die Show somit zu einer ersten Atempause von den beiden Hauptbühnen. Kurioserweise sind die größten der vielen Nebenbühnen zum Auftritt von RHIANNON nicht bespielt, wodurch der Andrang beim Literaturzelt sowie beim Tauziehen in der Goldbergbucht spürbar zunimmt. Echte Rampensäue findet man dort an ungewöhnlicher Stelle: PROFESSOR RUDOLF SIMEK, seines Zeichens Koryphäe auf dem Gebiet der Skandinavistik und germanischer Mythologie, und Tausendsassa TOMMY KRAPPWEIS erzählen als ungleiches Duo vom Finden der Schnittstelle (oder auch der füllbaren Lücke) zwischen Fantasy und Wissenschaft. Bei beiden ist Beruf auch Berufung, und so erzählt Tommy mit brennender Euphorie von seiner Buchreihe “Mara und der Feuerbringer” und deren Entstehung, während Professor Simek kompetent und voller trockenem Humor die Ausschweifungen des Autors mit dem objektiven Auge der Wissenschaft kommentiert. Kein Wunder, dass das Lesezelt vor Besuchern überquillt, denn das komödiantische Potenzial der beiden hat sich längst herumgesprochen. So macht eine Stunde Sitzen und Zuhören im Festival-Trubel nicht nur klüger, sondern sorgt auch für gehörig gute Laune.
Ebenfalls alte Bekannte auf dem Goldberg sind DES TEUFELS LOCKVÖGEL rund um ihr nimmermüdes Sprachrohr Marcus van Langen. Dieser spricht während der Show von den DVD-Aufnahmen beim Festival-Mediaval, die nie veröffentlicht worden sind und vielem mehr. Ähnlich wie Fuchsteufelwild begrüßen auch die Lockvögel einen besonderen Gast vergangener Tage: namentlich Laui vom Mond, die inzwischen bei Nachtgeschrei und Fiolka aktiv ist. Sie unterstützt das Trio mit Flöte und Gesang. Über rund eine Stunde spielen sich Markus, Laui und Co. quer durch die Diskografie der Kapelle, die mit „Der Spielmann von Pertenstein“ auch manch umstrittene Komposition beinhaltet. Künstlerische Freiheit ist beim Mediaval allerdings ein hohes Gut und so kommt die Menge auch in den Genuss jener Stücke, die anderswo weniger gern gesehen sind. Unterbrochen wird der Auftritt überraschend von Veranstalter Bläcky, der Markus zu dessen 10-jährigem Selb-Jubiläum einen Kuchen überreicht, den die Lockvögel nach ihrer Show wiederum mit ihren Fans teilen. Ein feiner Zug und ein schönes Ende.
Ähnlich wie Rhiannon sind DUNKELSCHÖN in der aktuellen Besetzung ihren Anfangsjahren mit viel Traditionellem inzwischen entwachsen. Beim Festival präsentieren sie ihr neuestes Werk „Abraxas“, das wie die beiden Vorgänger rockiger daherkommt als die Veröffentlichungen der Anfangsjahre. Ähnlich wie bei Rhiannon zuvor ist dies allerdings kein Qualitätsmerkmal, da auch DUNKELSCHÖN zu wenige Besonderheiten bieten. So sind gerade die vorgestellten Stücke von „Abraxas“ zwar um Abwechslungsreichtum bemüht, fesseln aber nicht und mit der Zeit plätschert die Release-Show des Sextetts mehr vor sich hin als dass sie begeistert. Einzig einige Cello-Parts überzeugen als Alleinstehungsmerkmal des folkigen Rocks. Auf Dauer ist das aber zu wenig, zumal auch der männlich/weibliche Gesang von Vanessa und Michael nicht die Klasse anderer Bands aufweist. Kurzweiliges Kontrastprogramm literarischer Natur mit hohem Unterhaltungswert bietet erneut PROFESSOR SIMEK mit seinem Vortrag über „Wikingerzeit und Wikingermythos“.
Natürlich ist auch dieses Jahr in Selb wieder eine Menge Kleinkunst vertreten, und so zeigt sich beispielsweise das noch junge VIR STREET THEATRE besonders bunt und vielfältig. Die Artistengruppe aus Weißrussland überrascht die Zuschauer überall auf dem Gelände als wagemutige Stelzenläufer und Feuerbändiger. Besonders herzlich gestalten die Artisten ihre kleinen Theaterstücke, die vor allem die jüngeren Zuschauer zum Mitmachen animieren. So erzählen sie in ihrem Stück “Es war einmal vor langer langer Zeit, da gab es lebende Hagylies” die über alle Sprachen hinweg verständliche Geschichte über ängstliche Dorfbewohner und eigenartige Hagylies, deren Auftauchen von den Menschen missverständlicherweise als Angriff gedeutet wird. Erst eine junge, mutige Frau traut sich, die Wesen näher kennen zu lernen – und entdeckt in ihnen liebevolle, verspielte neue Freunde. Die Zuschauer können hier die Rolle wagemutiger Soldaten übernehmen, und die Kinder am Ende bunte Bänder an das “Fell” der Kreaturen hängen. Mit viel Spielfreude, liebevollen Kostümen und märchenhaften Geschichten zieht die Gruppe alle Blicke auf und bindet das Publikum an sich.
Nach dem dunkelschönen Ausflug in flottere Gefilde orientieren sich TIBETREA wieder an der vorherrschend ruhigeren Gangart des Nachmittagprogramms. Beim Musica Antiqua VIva präsentierte die Band dieses Jahr ihr viertes Studioalbum „Zauber und Rituale“ vorab in München. Im Rahmen des Festival-Mediaval steht jenes Werk ebenfalls im Vordergrund. Die 13 Songs drehen sich hauptsächlich um die Themen Magie und Fabelwesen. Dabei werden unter anderem alte Texte wie ein Zauberspruch aus dem ägyptischen Buch der Toten oder ein aztekischer Feuerzauber vertont. Musikalisch bewegt sich die Band zwischen traditioneller Weltmusik, Pagan-Folk und etwas mystischem Folk-Rock. Das Ergebnis findet in Selb sein Publikum, liegt aber nach zehn Bandjahren vom gebotenen Standard nicht über einem gewissen Durchschnitt. Über die gesamte Spielzeit von einer Stunde gesehen ist das gebotene Programm für einige Besucher ausreichend, aber für einen größeren Wurf oder den nächsten Schritt (und damit mehr Publikum) wahrscheinlich nicht genug.
Nach Fuchsteufelswild sind die Spanier LURTE erst die zweite Band im heutigen Festival-Line-Up, die es mit Sackpfeifen, Schalmeien und Co. ordentlich krachen lassen. „Para Siempre“ und „Ultima Frontera“ sind nur zwei Namen von Songs, deren Titel eine untergeordnete Rolle spielen. Ähnlich wie Folkstone und Furor Gallico aus Italien leben LURTE von ihrer energiegeladenen Bühnenshow mit allerlei Kostümen und Gesichtsbemalung. Dazu sind die Musiker oft in Bewegung und verleihen ihrer eher wilden Musik zusätzlichen Schwung, der die Menge vor der Bühne lange bei Laune hält. Mehrfach bedankt sich Vokalist Chaime Magallón Tornos in gebrochenem Deutsch für die Chance, nach all den Jahren zu diesem Festival nach Deutschland zurückzukehren. Dieser Dankbarkeit verleihen LURTE aber am allermeisten durch ihre Performance Ausdruck, die derart präsentiert optisch wie akustisch hervorsticht.
Als ungewöhnlichem Semi-Headliner wird der französischen Artistengruppe ENTR’ACT eine prominente Plattform geboten. Die zirkusähnliche Show entpuppt sich dabei als spannende Wundertüte und angenehme Abwechslung für jene Festivalbesucher, die sich generell mehr der Musik statt der Kleinkunst auf Selb zuwenden. Was nicht heißen soll, dass ENTR’ACT bei ihrem Auftritt auf Musik verzichten. Im Gegenteil: Die selbsternannten Mitglieder der Familie Alvarez entpuppen sich auch als Talente an diversen Instrumenten. Und so verschmelzen waghalsige, bezaubernde und lustige Showeinlagen mit stimmungsvoller Musik. Dabei beeindrucken viele der Artisten besonders mit der herausragenden Qualität ihrer Darbietung. Besonders am Diabolo und bei der Kontaktjonglage staunen selbst die, die denken, sie hätten schon alles gesehen. Aber auch die Choreografien an den gefährlichen Elementen wie Seil oder Stange, an denen die Künstler ungesichert in mehreren Metern Höhe herumturnen, wissen zu überzeugen, und erzeugen bei Nacht eine knisternde Zirkusatmosphäre, in der alles möglich scheint. Eine kurze Schrecksekunde, der Artist springt hoch und doch daneben und fällt, Kopf voran – ist er verletzt? Das Publikum stockt. Doch sofort ist der Künstler wieder auf den Beinen und schafft den Sprung souverän im zweiten Anlauf mit viel Szenenapplaus. Spannungsarm ist dieser Auftritt wirklich nicht, und wer generell mit Zirkus und der dazugehörigen Musik etwas anfangen kann, kann sich von ENTR’ACT beeindrucken lassen. Un, dos, tres – Alvarez!
IN EXTREMO sind eine von inzwischen sehr wenigen Szenebands, die noch nie auf dem Goldberg zu sehen gewesen sind – bis zu diesem Jahr. Auf ihrer aktuellen „Quid Pro Quo“-Festivaltour machen Micha Rhein und die anderen In Extremisten zum ersten Mal Halt auf dem Festival-Mediaval. Normalerweise treten die Feuerkünstler in Selb eher auf den kleinen Bühnen auf, das Pyro-Feuerwerk der Berliner stellt aber so ziemlich alles in den Schatten, was bis dato in Selb zu sehen gewesen ist. Das beweist auch der massive Andrang. Selten sah man in Selb mehr Menschen auf den Headliner warten. Die Musiker fühlen sich auf der Schlossbühne auch sofort pudelwohl, das zeigen bereits wie ersten Songs wie „Zigeunerskat“ oder „Feuertaufe“. Mit vielen Spezialeffekten aufgemotzt funktioniert die Headliner-Show der Szeneveteranen, die mit „Ai Vis Lo Lop“ ihre Setliste sogar ein wenig an den traditionellen Festivalrahmen anpassen. „Frei zu sein“, „Vollmond“ und „Küss mich“ waren in der Original-Version auf beim Mediaval längst überfällig. In Kombination mit Traditionellem wie den Merseburger Zaubersprüchen oder ruhigeren Ausrufezeichen wie „Lieb Vaterland, magst ruhig sein“ gelingt der Abschluss auf der Hauptbühne, obwohl die Stimmung in weiten Teilen eher verhalten ist. Teilweise wirkt die Menge nach dem sehr langen Tag fast etwas vom Bombast erschlagen. Lediglich vereinzelt wird mitgegrölt wie beim textlich und musikalisch eher schwachen „Sternhagelvoll“. Die sieben Musiker genießen ihren Auftritt bis zum finalen Schlussakkord mit „Spielmannfluch“, „Liam“ und „Pikse Palve“. Manchmal trägt sich auch eine erfahrene Kapelle wie IN EXTREMO selbst, während die Menge eher still genießt.
Die etwas undankbare Aufgabe, den Samstag auf der Burgbühne zu einem finalen Ende zu bringen, haben MASK. Dahinter verbirgt sich die Band von Rudi, der in den ersten Jahren noch zu den Veranstaltern des Festival-Mediaval zählte. Vor einigen Jahren waren MASK bereits auf der Hauptbühne zu sehen, wo sie am Sonntag zum Abschluss unter anderem den „The Bard’s Song“ von Blind Guardian anstimmten. Kurz nach Mitternacht mischt die Truppe aus Süddeutschland weitere Coverversionen von Szenegrößen wie Subway To Sally mit eigenen Kompositionen rund um Trauer, Liebe, Hoffnung und Schmerz. Melodiös sticht besonders die Geige hervor, doch insgesamt fallen die Reaktionen ebenso wie der Andrang bei der mittelalternativen Musik zur Geisterstunde eher verhalten aus. Zugegebenermaßen sind die Vorzeichen schwierig für derlei Musik, da z.B. die Nacht der Spielleute in den Vorjahren sich gar nicht groß mit ausgefallenen Kompositionen aufhielt, sondern lediglich auf die letzten Funken Feierlaune des harten Kerns abzielte.
Mit einem nicht nur musikalisch bunt gemischten Programm ist der Festival-Samstag wohl der Vorzeigetag des Mediaval. Zu sehen und zu erleben gibt es an diesem Tag wohl für jeden etwas, wenngleich einige Bands trotz feierlicher Anlässe deutlich hinter anderen zurück bleiben und teils mit ihren langen Spielzeiten zu kämpfen haben. Das ist jedoch nur ein kleiner Wermutstropfen, da es besonders abseits der Hauptbühnen viel zu entdecken gibt. Mit dem Literaturzelt dieses Jahr sogar mehr denn je. IN EXTREMO als Headliner liefern wiederum das ab, wofür sie Veranstalter Bläcky zum ersten Mal geholt hat und fügen sich erstaunlich stimmig in das Programm ein. Eine Rückkehr sollte alles andere als ausgeschlossen sein, zumal sich die Musiker am Goldberg sichtlich wohl gefühlt haben. Zusammen mit FUCHSTEUFELSWILD rahmen InEx den Samstag mit den musikalisch energiegeladensten Shows ein.
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Floh Hessler / weitere Bilder bei Flickr