Zum zehnjährigen Jubiläum führt die Reise des FESTIVAL-MEDIAVAL zurück in die Anfangsjahre: Das Beste aus den ersten Jahren wird den Besuchern dieses Jahr kredenzt. So beehren erwartungsgemäß viele bekannte Gesichter die Bühnen und Wege des Goldbergs, doch auch im Jubiläumsjahr gibt es einige Neuigkeiten zu bestaunen, wie z.B. das Gruselkabinett und das Literaturzelt. Die Entwicklung im Laufe der Zeit zeigt deutlich, dass sich das Festival immer mehr zu einer Art Kulturevent mit Musikprogramm entwickelt – so vielschichtig sind die Besucher und mit ihnen die einzelnen Künstler. Dazu ist das Festival-Mediaval ein gelebtes Paradebeispiel für Integration, Toleranz und ein kollektives, friedliches Miteinander.
Rund 100 Akteure, historische Darsteller, Gaukler und Musikanten ziehen im Rahmen der Eröffnungsparade vom Andres-Tower erst zum Rathaus und dann auf den Goldberg. Am Gelände angekommen führt der Weg der Protagonisten einmal quer über das gesamte Festival bis zur Hauptbühne. Das wandernde Volk trudelt im Vergleich zu den Vorjahren weniger geordnet und kollektiv ein, sondern mehr verstreut und in unregelmäßigen Abständen. Schließlich begrüßt das Gaukler-Duo BASSELTAN die Menge und wie angekündigt werden kostenlose T-Shirts ins Publikum geworfen. Nach einigen warmen Worten betritt Veranstalter Bläcky Schwarz die Bühne und spricht ausführlich über den Status Quo: Weder in Tschechien noch in Österreich konnte ein Ableger des Festival-Mediavals realisiert werden, die Behörden und Partner zeigten sich in beiden Ländern letztlich nicht kooperativ. Mit emotionalen Worten schildert der kreative Kopf hinter dem Festival diese Entwicklungen, ehe er ehemalige Weggefährten, sein gesamtes Organisationsteam und den Selber OB Uli Pötzsch begrüßt. Spätestens die einzelne Vorstellung der Teammitglieder zieht sich allerdings arg in die Länge, so dass viele erleichtert reagieren, als sich nach dem obligatorischen Gruppenfoto die Bühne wieder leert.
Die verspätete musikalische Eröffnungsfeier durch RAPALJE am frühen Abend lässt sich am besten in einem Wort zusammenfassen: stimmungsvoll. Trotz im Vergleich zu Marktbühnen ungewohnter Bühnengröße gelingt es den vier Niederländern ihre traditionelle Musik mit viel Nähe zum Volk zu transportieren. Bei mittelalterlichen Klängen, Dudelsack und tanzbaren Melodien werden im Publikum die ersten Metkrüge und Hörner geleert. Ohne horrende Anreiseprobleme wie bei früheren Gastspielen am Goldberg präsentiert sich das Quartett entspannt und spielfreudig: Im Set finden sich neben der Manowar-Coverversion von „Heart Of Steel“, dem Klassiker „Star Of The County Down“ auch eine neue Nummer von einem noch namenlosen Album. Dieses soll 2018 erscheinen, wie die vier Marktveteranen ankündigen, ehe Davids Dudelsack und Helm bei einem der wenigen Showelemente in Flammen aufgehen. Die Symbiose aus Musik und Ambiente ist das Entscheidende für diesen gelungenen Auftakt des Festival-Mediaval X.
Während Rapalje noch den traditionell mittelalterlichen Melodien frönen, herrscht auf der Burgbühne bereits hektische Betriebsamkeit: FEUERSCHWANZ müssen kurzfristig auf ihren Drummer Sir Lanzeflott verzichten und Subway-To-Sally-Schlagzeuger Simon Michael springt ein. Dieser ist seines Zeichens auch Produzent der neuen FEUERSCHWANZ-Scheibe „Sex ist Muss“, die mit einem Intro direkt zum Dreh- und Angelpunkt der Festivalshow gekürt wird. Dass es in der Kürze der Zeit nicht für komplizierte Arrangements reicht, zeigt die überwiegend auf Party getrimmte Setliste deutlich. Früh bahnt sich zu „Ringelpietz“ eine beachtliche Polonaise ihren Weg über den Bühnenvorplatz. Für einen Donnerstagabend funktioniert das folk-rockige Partyprogramm am sonst eher beschaulichen Goldberg gut. Nur einmal wird es ruhiger, als Hauptmann Feuerschwanz im „Nachtlied“ über seine Kindsheitsängste in der Dunkelheit singt. Eine junge Dame aus dem Publikum darf sich im Laufe des Konzerts als Bierflasche zu „Moralisch (höchst verwerflich)“ verkleidet auf die Bühne stellen, ehe die Menge kollektiv zu „Zuckerbrot und Peitsche“ ihre T-Shirts schwenkt – bei bestenfalls knapp zweistelligen Temperaturen. Die Show der Folkcomedy-Barden heizt ordentlich ein, gerät in Anbetracht der Umstände aber wenig abwechslungsreich.
Als Hauptact der Schlossbühne überraschen CORVUS CORAX mit einem weniger dudelsacklastigen Set als für gewöhnlich. Zusammen mit Markus Heitz stellten die Berliner am Nachmittag im Literaturzelt bereits ihr neues Projekt „Der Fluch des Drachen“ vor. Den Soundtrack dazu spielen die Könige der Spielleute später sozusagen selbst. Der Fantasy-Einschlag ist spürbar in der Songauswahl, nur selten kramen CORVUS in der „Venus, Vina, Musica“-Kiste der mittelalterlichen Stimmungskracher. Das bisherige Jahr verlief ereignisreich für die Veteranen: Kontrabassist Michael Frick stieß zur Band hinzu, während Steve und Pan Peter die Gruppe verließen. Im hervorragend austarierten Sound spiegelt sich diese Entwicklung wider und das Ergebnis dürfte mit seinem Abwechslungsreichtum auch einige Zweifler (zumindest temporär) überzeugen. Garniert wird die Show durch einige Gedichte von Jordon, ehe CORVUS CORAX im Zugabenblock sich selbst mit Humor nehmen und die Titelmelodie von „Game Of Thrones“ anstimmen. Beim Piloten der TV-Serie fielen die Spielleute dem finalen Schnitt zum Opfer, beim Festival-Mediaval X erklingen ihre selbstgebauten Instrumente in voller Pracht und voller Länge, bis der letzte Bordunton verklingt.
So schließt ein insgesamt facettenreicher Auftakt des Festival-Mediaval 2017. Für sich alleine und ohne das wunderschöne Festivalgelände nebenan wäre die Zusammenstellung der Bands vermutlich weniger erfolgreich gewesen, im Gesamtkontext des Festivals und seines diesjährigen Mottos ist das Ergebnis allerdings stimmig und macht Lust auf mehr.
Eine ganz besondere Neuerung in diesem Jahr ist das LESEZELT. Verziert mit besonderen Zitaten aus und über Literatur und ausgestattet mit Bühne und Leinwand ist hier abseits der Musik eine schöne Location entstanden, in der das neugierige Publikum Vorträgen bekannter Genre-Autoren wie Markus Heitz oder Peter Lancaster lauschen sowie selbst Fragen an diese richten kann. So spricht beispielsweise Tausendsassa Tommy Krappweis gleich Freitag Früh vor vollem Zelt von Fantasy und Humor, von „Mara und der Feuerbringer“ und seiner neuen Reihe „Ghostsitter“, von Inspiration und Charakteren, die manchmal länger bleiben, als man als Autor geplant hat.
Nachmittags zeigt sich das Festival-Mediaval ganz im Zeichen des Zwillings-Folk. Gleich zwei von Zwillingen gegründete Bands spielen auf, um das Publikum zum Lachen, Mittanzen und leichtherzigen Verweilen zu animieren. So lädt das Festival bereits zum zehnten Mal die Schwestern von PURPUR auf den Goldberg, die sich für die große Jubiläums-Show musikalische Unterstützung mit ins Boot geholt haben und ihre neue CD „MaidenWerk“ exklusiv vorstellen. So verhelfen Maria und Christian von Heiter bis Folkig sowie Sandra von Faey dem charmanten Duo zu einer neuen, ungewohnten Sound-Dichte – auch wenn die Tontechnik manchmal nicht so ganz mitmachen möchte. Begeistert dabei ist jedoch das Publikum, das die witzigen Texte und schönen Harmonien ebenso wie ruhige Momente im Stile von „Wolfskind“ wie jedes Jahr zu schätzen weiß. Zudem sind PURPUR eine der ersten Gruppen an diesem verlängerten Wochenende, die sich die Anwesenheit weiterer Musiker zunutze machen und dadurch auch einige Besonderheiten in ihre Show einfließen lassen.
Die zweite Band mit Zwillingen sind ADAS aus Germering, die seit dem Ausstieg zweier Mitglieder 2012 als Frauen-Trio unterwegs sind. Musikalisch liegt der Fokus auch aktuell noch bei den spanischen Wurzeln der Schwestern, und so tanzt ein Teil des Publikums am frühen Abend noch beschwingt eine spanischen Jota. Allzu viel Begeisterung oder südländisches Feuer entfachen die drei Damen allerdings nicht, treten sie in ihrer Entwicklung – besonders im Vergleich zu anderen Combos an diesem Festival-Wochenende – eher auf der Stelle. Am Ende wird es allerdings bei beginnender Dämmerung zu einem Cover von “Misty Mountain Cold” aus den Hobbit-Filmen tatsächlich einige Minuten lang mystisch. Und wem das noch nicht mystisch genug ist, der kann auf der kleineren Theaterbühne noch KELVIN KALVUS bei seiner faszinierenden Kontaktjonglage zu den Klängen von Valravn und Co. bewundern.
Ebenfalls neu und besonders durch seine Animatoren neugierig machend ist das GRUSELKABINETT, das sich in diesem Jahr am Goldberg unter dem Rosenbogen versteckt. Hinter blickdichten Wänden erwartet dort nicht nur die kleinen Gäste ein unendlich liebevoll gestalteter dunkler Tunnel, in dem leuchtende Bilder in Neonfarben, gruselig verkleidete Schausteller und viele weitere spannende Details dem wagemutigen Abenteurer das Fürchten lehren. Der Clou: Beim Durchgehen hat jeder Besucher selbst die Chance, die nachfolgenden Gäste mit gruseligen Geräuschen und an bestimmten Mitmach-Stellen zu erschrecken. Wer es durchgeschafft hat wird am Ende mit kleinen Gesellschaftsspielen belohnt, die sich im Neonlicht bei besonderer Atmosphäre spielen lassen.
„Männer mit Bärten“ zählen ähnlich wie „Ai Vis Lo Lop“ und „Herr Mannelig“ zu den Klassikern der mittelalterlichen Markt- und Spielmannsmusik. Zum 10. Festival-Mediaval kehren mit DIE STREUNER weitere Ur-Väter der traditionellen akustischen Klänge zurück an den Goldberg. Neues hatten die Herren an diesem Freitag nicht zu bieten und auch auf die weibliche Streunerin musste das Publikum in Selb verzichten. Dafür können die meisten Besucher eine Vielzahl der Songs über Wein, Weib und Gesang lauthals mitsingen, während besonders Geiger Matty für mächtig Betrieb auf der Bühne sorgt. Ohne „Krachabteilung“ gerät die Größe der Bühne für die Veteranen zu einer Herausforderung, die sie allerdings im Verlauf ihres Gastspiels immer souveräner bewältigen. Die gute (Trink-)Laune in der Menge trägt ihr Übriges dazu bei und so platzieren sich DIE STREUNER sowohl musikalisch wie auch von der Stimmung irgendwo zwischen Rapalje und Feuerschwanz, mit Tendenz zu ersterem.
Die Musiker von DAEMONIA NYMPHE haben sich musikalisch ihrem Heimatland Griechenland verschrieben und beschäftigen sich musikalisch und textlich mit griechischen Mythen, Sagen und Hymnen. Die ätherischen Klänge untermalt die Band mit Tanzeinlagen und Feuerspielereien, deren faszinierende Ästhetik die Augen von weiten Teilen des Publikums zu bannen weiß. Wallende Tücher, riesige Quallen und mythische Masken verwandeln die schlichte Bühne in ein mehrschichtiges Theater. Wer an diesem Abend nach den Streunern eine Erholungspause für Körper und Geist sucht, findet sie beim Neofolk von DAEMONIA NYMPHE. In der Liga von Dead Can Dance und anderen Kalibern spielen die Griechen aber trotz aller Showeinlagen und Hingabe nicht. Dafür fehlt es u.a. am Wiedererkennungswert einzelner Stücke.
Mit FAUN findet der zweite Festival-Tag schließlich einen mehr als nur passenden Abschluss. So werden zwar Stephan Groth und seine Drehleier als heimliche Herz und Seele der Band von einigen Besuchern schmerzlich vermisst, doch auch ohne den erkrankten Virtuosen in Kord wissen die FAUNE mit ihrer „Pagan Roots Show“ zu überzeugen. Nach zehn Jahren am Goldberg und einigen davor können die Süddeutschen aus einem riesigen Repertoire schöpfen, dessen Auswahl dieses Jahr auch ohne Gastauftritte von Kelvin Kalvus und Co. funktioniert. Die “Rabenballade“, “Diese kalte Nacht” und “Walpurgisnacht” aus der neueren Schaffensphase erklingen pagan-folkiger als für gewöhnlich, während besonders Stücke wie “Odin” (leider ohne Einar Selvik von Wardruna), “Hymn To Pan” oder “Alba” für ruhige Akzente im Set sorgen. Neu-Sängerin Laura Fella hinterlässt dabei sowohl im flotteren Teil wie auch bei den ruhigeren Passagen einen mehr als guten Eindruck und ist bereits jetzt eine mehr als würdige Nachfolgerin von Katja Moslehner. Dass die Faune sich auf dem Festival wie immer wohlfühlen spürt und hört man sofort. So sind Oliver Sa Tyr und einige weitere Musiker auch an den beiden folgenden Tagen als Gäste beim Festival-Mediaval anwesend und mischen sich unter das Marktvolk.
Der zweite der vier Festivaltage bietet in gewisser Weise von allem etwas: Pagan meets Mittelalter meets Neofolk meets Literatur. Das Gesamtbild ist trotz der Vielfalt ein stimmiges, wenngleich keiner der Auftritte einen nennenswerten Ausreißer nach oben oder unten darstellt. FAUN haben sich trotz neuer Label-Situation und musikalischer Ausrichtung das Festival-Mediaval als Kleinod für ihre musikalischen Ursprünge erhalten, während alles andere ebenfalls wächst und gedeiht – nicht nur musikalisch, wie das Gruselkabinett und Literaturzelt eindrucksvoll zeigen.
Alle Fotos mit freundlicher Genehmigung von:
Floh Hessler / weitere Bilder bei Flickr