Festivals und Conventions verbinden: Menschen mit einem gemeinsamen Interesse kommen zusammen, tauschen sich aus, haben Spaß. Ob es da noch weitere Schnittmengen gibt, hat das ELBENWALD FESTIVAL im norddeutschen Luhmühlen im August ausgiebig getestet. Eine dreitägige Convention auf freiem Feld, mit unterschiedlichsten Konzert- und Workshopangeboten, Stars und Sternchen, gutem Essen und vor allem ganz viel Party – so das einzigartige Konzept, das immerhin rund 3500 Neugierige nach Niedersachsen rief.
TAG 1
Zuerst stand das Festival unter keinem guten Stern. Vom Veranstalter mit 10000 erwarteten Besuchern geplant und mit einem entsprechend großen angemieteten Gelände gab es im Vorfeld nicht nur durch den mäßigen Vorverkauf finanzielle Engpässe, sondern auch vor Ort erweist sich das Gelände für die Anzahl an Besuchern als zu groß und weitläufig. Dazu laufen die Anmeldungen für die Workshops suboptimal und auch die Autogrammstunden resultieren in so mancher Enttäuschung, da nicht alle Fans die begehrte Unterschrift ihres Idols erhaschen können. Die Veranstalter geben allerdings ihr Bestes, das Festival trotzdem für alle zu einem einmaligen Erlebnis (in positiver Hinsicht) werden zu lassen. Mit einem größtenteils herausragenden Organisationsteam im Hintergrund, Engagement und Ideenreichtum lassen sich eben auch einige Fehlkalkulationen und Probleme bearbeiten und lösen.
So können am Donnerstag Nachmittag kurz nach Einlass die Powermetaler von GLORYHAMMER bereits einige hundert Besucher von ihrer guten Laune und vor allem ihrem feiertauglichen “Heroic Fantasy Power Metal” überzeugen. Da werden Hämmer geschwungen und Kostüme vorgeführt, während von galaktischen Schlachten und fantastischen Wesen gesungen wird – perfekt also für ein nerdlastiges Publikum mit Hang zu Stromgitarren. Sogar an Crowdsurfing wird sich trotz der frühen Stunde und halbleeren Halle herangewagt, und so wird nach einigen Metern der Fan schlicht von einigen Zuschauern zum Bierstand getragen.
Wer sich schon etwas tiefer ins Gelände hineingetraut hat, findet im sogenannten Funkelforst ein kleines mittelalterliches Lager mit historischem Schwertkampf sowie kleinen Bastelworkshops. Direkt daneben steht die einzige Open-Air-Bühne des Festivals, auf der SKAZKA ORCHESTRA versuchen, mit ihrer frechen, russischen Mischung aus Ska, Jazz und Brass das hereintröpfelnde Publikum zu begeistern. Trotz gutem Sound, noch besseren Musikern und gelebter Spielfreude gelingt ihnen das jedoch nicht so recht. Bis auf wenige Tanzmäuschen genießt das Publikum die Musik auf Picknickdecken sitzend in der Sonne, gelegentlich wippen die Köpfe. Ob das nun an dem fehlenden Funken oder schlicht an den hohen Temperaturen liegt, ist schwer zu sagen.
Das offizielle Opening des Festivals findet schließlich im großen Fan-Dome statt, ein schönes großes Zelt für an die 3000 Personen, das zwar bei über 30 Grad Außentemperatur wenig Sauerstoff, dafür aber erleichternden Schatten spendet. Als Einstimmung auf tritt KELVIN KALVUS mit seiner hypnotisierenden Kontaktjonglage auf. Leider kann auch er das drohende Unwetter nicht wegzaubern, das auf Luhmühlen zurollt, und so muss leider kurzerhand während der Eröffnungsveranstaltung das gesamte Gelände wegen Sturmwarnung evakuiert werden. In einer solchen Extremsituation zeigt sich schnell, wie gut die Organisation eines Festivals wirklich ist, und das ELBENWALD FESTIVAL hat seine Hausaufgaben definitiv gemacht. Mit einem guten Konzept und freundlicher, zügiger Security wird das Gelände geräumt und eine gute Stunde später, nach heftigen Sturmböen und Regenschauern, wieder freigegeben. Zwar hat es hier und da ein paar Planen und Zelte umgeworfen, und ein Stromausfall sorgt für zusätzliche Verzögerung, doch am Ende kann das Festival wie geplant weiterlaufen. Schade ist es jedoch um #ZWEIRAUMSILKE. Die Hip-Hop-Formation aus Franken verliert durch die ungeplante Unterbrechung einen Großteil ihrer Stagetime. In der knappen Dreiviertelstunde, die ihnen bleibt, zeigen sie sich unerschrocken und energiegeladen, und können mit ihren cleveren Texten, einem kräftigen Sound inklusive Brass-Kombo und galaktischen Jogginghosen alle überzeugen, die sich trotz Regen wieder auf das Gelände getraut haben. Und das obwohl neben der weiblichen Sängerin Rita auch noch ein Blechbläser dem Unwetter oder anderen Widrigkeiten zum Opfer gefallen ist. Als Grande Finale holen sich #ZWEIRAUMSILKE noch TOMMY KRAPPWEIS auf die Bühne, um mit ihm zusammen Tommys “Ein echter wahrer Held” zu performen. Obwohl recht spontan am Tag zuvor entstanden, macht die kurze Kollaboration gehörig Spaß, und so dürfen einige Fans für den Refrain direkt die Bühne stürmen, während die Musiker im Hintergrund die riesige Bandlogo-Fahne schwenken.
Wie immer gilt: Wer FIDDLER’S GREEN bucht, hat gute Stimmung garantiert, und so können sich die Irish Speed Folker über ein für die Besucherzahl großes Open-Air-Publikum freuen. Auf Nachfrage stellt sich heraus, dass (angeblich) über 50 Prozent der Bühnengäste noch nie auf einem Festival waren, und sogar noch mehr noch nie etwas von FIDDLER’S GREEN gehört haben. Wer vorher kein Fan war, kann es durch das Gastspiel der Veteranen werden, denn die Musiker erspielen sich Stück für Stück ihr Publikum und gehören wohl mit zum erfolgreichsten Musik-Act des ganzen Festivals. Besonders liebenswert: die kleinen, nerdigen Spitzen von Frontmann Albi (der “Harry Potter” offensichtlich gelesen und gesehen hat) gegen Sänger Pat (der “Harry Potter” NICHT gelesen und gesehen hat). Doch auch abseits der thematischen Annäherung wissen FIDDLER’S GREEN ihr Publikum zu greifen und spielen Hits wie “Yindy” oder “Victor and his Demons”, fordern zur Wall of Folk bei “Rocky Road to Dublin” auf und begeistern mit souveräner Akustik-Becher-Performance bei “John Kanaka”.
Nach der geballten Folk-Power kann Headliner LE FLY mit seiner St. Pauli Tanzmusik nur bedingt Publikum abgreifen. Auf dem ELBENWALD-Gelände findet auch regelmäßig das Mittelalterlich Phantasie Spectaculum statt, und die Vermutung liegt nahe, dass einige Besucher des Festivals eher dem Folk und Rock zugeneigt sind und dem wilden LE-FLY-Genremix erst einmal skeptisch gegenüberstehen. Qualitativ kann man den Hamburgern wenig vorwerfen, doch die würzige Mischung aus “Rap, Rock, Rumba, Reggae und Schnaps” lockt auch mit fortschreitender Dauer nur ein paar hundert Feierwütige ins Zelt. Zwar waren #Zweiraumsilke an diesem Tag deutlich launiger unterwegs, dennoch hätte die norddeutsche Kombo als Headliner mehr Publikum und mehr Stimmung verdient gehabt.
TAG 2
Dass bei der Organisation stellenweise stark fehlkalkuliert wurde, wie groß das Interesse an manchen Programmpunkten sein (oder nicht sein) dürfte, zeigt sich spätestens am zweiten Festivaltag. Bereits um sechs Uhr morgens stehen die ersten Camper in der Schlange am Infostand, um sich für die zahlreichen Workshops eintragen zu lassen. Über die drei Tage verteilt werden für Gruppen von ca. 20 Personen diverse Kurse wie beispielsweise “Zauberstabbasteln” oder “Film-Makeup” angeboten. Das große Interesse bringt die Veranstalter schnell an die Grenzen des Lösbaren, und so müssen zahlreiche Gäste auf die Workshops verzichten. Ebenso überraschend ist wohl auch das rege Interesse am NERD-QUIZ um elf Uhr morgens. Der Fan-Dome ist gerammelt voll, was dafür spricht, dass auch fast jeder Festivalbesucher sich diesen Programmpunkt nicht entgehen lassen will. Das von Seitenquiz veranstaltete Rätselraten zum Thema Filme, Serien, Games und Nerd-Trivia überzeugt mit einem cleveren Konzept und teils wirklich anspruchsvollen Fragen zum Knobeln und Diskutieren. Am Ende winken dem glücklichen Gewinner-Team Preise des ELBENWALD-Stores.
DR. MARK BENECKE ist mit seinen Arbeiten und Vorträgen zu Kriminalbiologie und Forensik mittlerweile nicht nur den Schwarzromantikern ein Begriff. Diverse Fernsehauftritte und Veröffentlichungen machten ihn auch außerhalb der Gothic-Szene bekannt, und so gibt es ein breites Publikum, das sich für seine unterhaltsamen wie informativen Vorträge aus seinem Arbeitsalltag und über seine Forschungsergebnisse interessiert. So ist auch das ELBENWALD-Zelt sehr gut gefüllt, und in zwei Stunden erzählt der Kriminalbiologe sympathisch, informativ und äußerst zügig von den Ursprüngen des Vampirismus und seiner Verwurzelung in realen Beobachtungen, beispielsweise an frisch beerdigten Leichen. Zum Schutz der Kinder auf dem Festivalgelände wurde das Zelt für die Dauer des sehr anschaulichen Vortrags abgesperrt, so dass ein Wiedereinlass oder späteres Hinzustoßen zum Vortrag nicht möglich gewesen ist. Der einzige kleine Schönheitsfehler für all diejenigen, die keine zwei Stunden ihres Tages für MARK BENECKE opfern wollten oder konnten.
Im Anschluss an Dr. Benecke kommen vor allem die zahlreichen “Harry Potter”-Fans auf ihre Kosten: TOM FELTON (besser bekannt als Draco Malfoy aus den “Harry Potter”-Filmen) betritt die Bühne und steht Rede und Antwort. Durch die überrannte Autogrammstunde im Voraus beginnt das Panel leider eine halbe Stunde später und wird trotz Unmut der Fans nicht verlängert. Auch EVANNA LYNCH (im Film Luna Lovegood) hätte anwesend sein sollen, doch ihr Flug wurde wegen des Unwetters gestrichen und sie ist noch auf dem Weg nach Deutschland, als das kurze Symposium endet. FELTONS sympathische Art und ausführlichen Antworten selbst auf die simpelsten Fragen machen aber wieder wett, was Pleiten, Pech und Pannen verursacht haben. Locker erzählt er von seinem Lieblingsbuch der Reihe, von kleinen Flirtereien mit Emma Watson und von seinem Wunsch, die ganze Filmreihe einmal an Weihnachten in seinem Freundes- und Familienkreis anzusehen. Die letzten 15 Minuten greift er schließlich zur Gitarre und gibt ein kleines Singer-Songwriter-Konzert, bei dem er mit verschmitztem Grinsen von Frieden und durchgeliebten Nächten singt und mehrere anwesende Generationen Potter-Fanherzen zum Schmelzen bringt.
Überlappend mit Publikumsmagnet Tom Felton haben HARPO SPEAKS rund um Tommy Krappweis erstmal einen schweren Start. Die als Dreiergespann angereiste Band covert bekannte Songs wie “Another Brick in the Wall” von Pink Floyd, spielt aber auch bekannte Krappweis-Songs wie “Der Dunning Kruger Blues” oder das bei vielen stark nostalgisch verknüpfte “Tanzt das Brot”. Dabei sind die Musiker so gut eingespielt und talentiert, dass eine gerissene Saite der Gitarre schnell Wege ebnet für improvisierte Keyboard-Soli auf Zuruf. Frontmann Krappweis weiß, wie auch schon bei seinen Lesungen, wie man das Publikum an die eigenen Lippen fesselt, und so locken lautes Gelächter und eine ansprechende Songauswahl mit Tanz- und Mitsing-Passagen mehr und mehr Leute an. Die letzten paar Songs stellt HARPO SPEAKS Sam Winter vor, die auch in Zukunft regelmäßig als Sängerin mit der Band auftreten wird. Schon wenige Sekunden ihrer kraftvollen Stimme machen klar, warum Tommy sie unbedingt in seiner Band haben wollte. Wie schon am Vortag bietet sich “Ein echter wahrer Held” als letzter Song des Sets förmlich an, holt er doch auf einer Convention die Zuhörer inhaltlich ab und die Fans als Chor auf die Bühne. Pluspunkt: Der Erlös aus den gekauften Downloads des Songs geht ohne Abzug an das Deutsche Kinderhilfswerk.
Ähnlich wie Skazka Orchestra am Vortag haben auch die “Urban Brasser” von MOOP MAMA überraschenderweise wenig Publikum. Die mitunter bekannteste Band des Festivals, die normalerweise tausende Menschen vor die Bühne zieht, muss sich auf dem ELBENWALD FESTIVAL indoor mit ein paar hundert Zuhörern zufrieden geben. Die zehn Musiker nehmen es gelassen und erinnern sich lachend an Zeiten, in denen sie vor weniger Menschen gespielt als sie selbst Bandmitglieder haben. Sänger/Rapper Keno Langbein legt trotzdem los, improvisiert und freestylet viele Passagen, geht durchs Publikum und sammelt sich so viele Schäfchen, wie er mit wummerndem (und sehr gut abgemischtem) Brass-Sound erreichen kann. Für richtig Stimmung außerhalb der vorderen Reihen sind es aber leider einfach zu wenig Zuhörer.
Deutlich besser haben es da schon die befreundeten Bands MR. HURLEY UND DIE PULVERAFFEN und VERSENGOLD, die am frühen Abend nicht nur die Mittelalterfans begeistern. Open-Air machen die vier Piraten um Frontmann Hurley wie gewohnt Party und sorgen mit ihren clever getexteten und immer mit einem Augenzwinkern präsentierten Seemannsliedern für gute Laune. Seit neuestem haben die drei Brüder auch ihre Schwester alias Pegley Peggy am Bass mit an Bord, die das Instrument erst seit Februar lernt und sich bereits so auf der Bühne präsentiert, als täte sie es seit Jahren. So erklingen Hits wie “Tortuga” oder “Schrumpfkopf im Rumtopf” jetzt in etwas vollerem Gewand. Definitiv haben die Piraten, die laut eigenen Angaben zu Beginn des Auftritts drei Hufflepuffs und eine Ravenclaw sind, an diesem Tag einige Fans dazu gewonnen. Nach dem Konzert wandern die Musiker schließlich mit ihrem Publikum gesammelt zu ihren Kollegen von VERSENGOLD, die fast ohne Verschnaufpause im großen Zelt loslegen.
Da beide Konzerte direkt aneinander anschließen, ist es bei VERSENGOLD anfangs noch etwas lichter, doch der Fan-Dome füllt sich zügig und so können Frontsänger Malte und seine Band für ordentlich Stimmung sorgen. Die Setlist setzt sich hauptsächlich aus neuen Stücken zusammen und Songs wie “Feuergeist”, “Samhain” und “Niemals sang- und klanglos” schlagen bei einem Haufen VERSENGOLD-Neulinge zusammen mit Klassikern wie „Wem? Uns!“ ordentlich ein. Dazu wird Geiger Flo auf einem Case stehend wieder von einem Stagehand durch die Menge geschoben und auch ein neues Stück namens “Der Tag, an dem die Götter sich betranken” gehört zum Set der Elbenwald-Show. In jenem Lied erzählen die Nordlichter ihre persönliche Schöpfungsgeschichte. Stilistisch passt es sich gut ein in den “neuen” VERSENGOLD-Sound und haut zwar nicht vom Hocker, aber macht definitiv Lust auf das kommende Album.
Wem Versengold zu viel heile Welt und fröhliche Geige ist, der bekommt auf dem ELBENWALD Freitag und Samstag im wahrsten Sinne des Wortes unheimliches Kontrastprogramm geboten. Neben dem Quidditch-Feld wartet der MAD CIRCUS auf Wagemutige, die sich von einem Ensemble aus unheimlich gekleideten und geschminkten Schaustellern durch ein pechschwarzes Horrorkabinett führen lassen. Während donnerstags der Sturm die lockeren Zelte halb zum Einsturz gebracht hat, kann an den Folgetagen ordentlich gegruselt werden – und das Angebot wird trotz der ungünstigen Lage am Rand des Geländes begeistert angenommen. Die lange Schlange vor der Attraktion spricht Bände, und Nebelmaschinen, unregelmäßige Lichter, Zirkusmusik und der eine oder andere Schausteller machen selbst das Warten zu einem Erlebnis. Auch innerhalb der Zelte zaubern viele kleine Details eine unheimliche Atmosphäre. Vor allem der Abschnitt mit den von der Decke hängenden Babypuppen bleibt noch lange im Gedächtnis.
Deutlich nervenschonender, dafür lachmuskeltrainierend, geht es auf der Lesebühne bei TOMMY KRAPPWEIS zu. Im bei Dunkelheit wunderschön beleuchteten Funkelforst gelegen liest KRAPPWEIS aus seinem Roman “Ghostsitter” vor und gibt lustige Anekdoten über seine Arbeit und Bernd das Brot zum besten. Die Qualität seiner Lesungen hat sich herumgesprochen, und so ist auch beim ELBENWALD kein freier Platz mehr zu sehen. Die unendlich schön mit Sessel, Pflanzen und Deko gestaltete Lesebühne bildet dabei einen passenden Rahmen und lässt selbst KRAPPWEIS, der auf vielen Bühnen unterwegs ist, wunschlos glücklich zurück.
Spät abends soll DJ NEELIX für Party-Stimmung sorgen. Progressive-Trance hätte man den Besuchern eines Nerd-Festivals im Voraus eher weniger zugeordnet, doch die über tausend Tanzwütigen sprechen für sich. Der international erfolgreiche DJ versteht sein Handwerk perfekt und durchmischt sein Set auch mit bekannten Melodien wie “Fluch der Karibik” oder “Somebody that I used to know”. Das Zelt ist zwar nicht brechend voll, aber dafür kann auch ein Rollstuhlfahrer in der Mitte zwischen den tanzenden Trance-Fans bequem mitfeiern.
Für die, die nach 14 Stunden Festival noch nicht zu müde oder zu betrunken waren, gibt es noch ein ganz besonderes Schmankerl: DAVID NATHAN, bekannt vor allem durch seine Arbeit als Synchronsprecher für Johnny Depp und Christian Bale sowie als Hörbuchinterpret, gibt nach Mitternacht noch eine geheimnisvolle “Horror-Lesung”. Eine Menge Neugierige trotzen Müdigkeit und Kälte und machen es sich im Zelt auf Bierbänken oder dem Boden bequem. Nur NATHAN und seine Stimme, das ist der Deal, und es ist ein guter: Mit hypnotisierender Stimme liest der sympathische Berliner das Vorwort aus Stephen Kings Kurzgeschichtensammlung und zwei der enthaltenen Kurzgeschichten, und so entsteht nach wenigen Minuten eine andächtige Stille und ein unwirklicher Sog, den nur jemand hervorrufen kann, der weiß mit seiner Stimme umzugehen. Definitiv ein kleines Highlight für Fans von Hörbüchern und natürlich von Stephen King.
TAG 3
Der dritte Festival-Tag beginnt um halb elf Uhr morgens und überrascht mit einem noch größeren Andrang beim morgendlichen SEITENQUIZ als am Vortag. Thema heute: “Harry Potter”. Das durch die angekündigten Stars und Sternchen sowie die thematischen Workshops und Quidditch-Wettbewerbe sehr Harry-Potter-Fan-lastige Festival kann an diesem Morgen, auch durch die zahlreichen Tagesgäste, das mitunter vollste Fan-Dome verbuchen. Auch hier winken nach zahlreichen kniffeligen Fragen rund um Buch und Film zahlreiche Preise aus dem ELBENWALD-Store. Passend zum Thema wird das Quiz co-moderiert von keiner anderen als COLDMIRROR.
COLDMIRROR, auch genannt Kaddi, ist seit über einem Jahrzehnt eine bekannte Youtuberin, die seit den Anfängen der Plattform dabei ist und dabei nie ihren Stil geändert hat oder sich in die Kommerzialisierung drängen ließ. Das verleiht ihr bis heute den inoffiziellen Titel der “Königin YouTubes”. Mit ihren Harry-Potter-Synchronisationen traf sie den humoristischen Nerv einer ganzen Generation und hält ihre Fanbase bis heute. Kein Wunder also, dass bei einer kurzen Frage-Antwort-Runde besonders oft die Frage fällt, wann sie mit diesem oder jenem Projekt weitermachen würde. Immer wieder werden Insider nach vorne gerufen, emotionale Geschichten erzählt und die Freude darüber bekundet, die sympathische, bodenständige Bremerin einmal vor sich zu haben. Auch bei ihrer für eine Stunde angesetzte Autogramm-Session zeigt sie sich fannah und bleibt über zwei Stunden sitzen, um möglichst viele der Anstehenden glücklich machen zu können. Doch selbst diese Zeit reicht nicht – leider müssen am Ende einige Fans unverrichteter Dinge wieder abziehen.
Nach einem kurzen Überraschungsauftritt von TOM FELTON geben sich die Metaller von LAYMENT reichlich Mühe, noch irgendwie Publikum vom Harry-Potter-Star weg und zu sich hin zu locken – leider vergebene Liebesmüh. Vor gut 100 Festivalbesuchern bleiben sie professionell und spielen ihren Mix aus Gothic- und Power-Metal, als wären 1000 oder mehr gekommen, trotzdem kommt keine entsprechende Stimmung auf. Auch leidet der Auftritt unter schlechtem Sound, der nur wenige Meter vor der Bühne schon anfängt, sehr dumpf zu werden. Letztlich lockt auch das eingestreute Cover von “Paranoid” von Black Sabbath keine weiteren Zuhörer an, obwohl man der Band weder gesanglich noch wegen des Songwritings ihrer Musik einen Vorwurf machen kann.
Im Gegensatz dazu steht schon lange vor Einlass eine Traube Menschen vor dem Fan-Dome und wartet auf COUNTERFEIT. Frontsänger und Gitarrist Jamie Campbell Bower befindet sich mit seiner noch jungen Punk-Rock-Band auf einem aufsteigenden Ast, was durch seinen Bekanntheitsgrad als Schauspieler sicherlich begünstigt wird. Den älteren Lesern sicherlich gänzlich unbekannt, lässt Bower Mädchenherzen höher schlagen als der eine Schauspieler, der es schaffte, in drei der bekanntesten Young-Adult-Fantasy-Verfilmungen mitzuspielen: “Chroniken der Unterwelt”, “Harry Potter” und “Twilight”. Ein magisches Triple, sozusagen, das ihm die Neugier und Aufmerksamkeit einer ganzen Nerd-Generation garantiert und die durch sein vampirhaftes Aussehen noch zusätzlich befeuert werden. Entsprechend laut, stimmungsgeladen und voll ist es dann auch vor der Bühne, als COUNTERFEIT. alles geben und durch ihr Set powern. Mit erst einem Album gibt es noch keine festgelegten “Hits”, doch Nachschub kommt, und die Band präsentiert auch zwei neue Songs. Der ganze Auftritt ist wahnsinnig professionell und durchgestylt, und so kann man den Engländern nur viel Erfolg für die Zukunft wünschen, denn Talent und Live-Tauglichkeit sind absolut gegeben.
Der zweite Auftritt von HARPO SPEAKS steht an diesem Tag unter keinem guten Stern: Die Technik streikt, die Phantomspeisung – nötig für den Betrieb bestimmter Mikros und Vorverstärker – ist ausgefallen und lässt sich zunächst nicht wiederbeleben. Davon lässt sich Tommy Krappweis aber nicht abhalten, und improvisiert akustisch. Da auch das Keyboard seinen Dienst verwehrt, ist er rein auf ein unverstärktes Schlagzeug, seine Gitarre und vor allem seine kraftvolle Stimme („in doppelter Brüllstärke“) angewiesen. Wo das nicht reicht, übernimmt das Publikum, und so entsteht bei Klassikern wie “Minnie The Moocher” einer dieser besonderen Festival-Momente, die nur durch puren Zufall geboren werden. Während des Auftritts zeigt sich das ELBENWALD-Team wieder äußerst professionell: Ruhig und zügig arbeiten sie an der Behebung des Problems, und so kann HARPO SPEAKS noch vor Tommys endgültiger Heiserkeit doch noch mit einigen der eigentlich geplanten Songs weitermachen. Hierbei spielen sie vieles vom Vortag, unter anderem wieder “Tanzt das Brot” oder “Echter wahrer Held”. Durch einen längeren Auftritt von Sam Winter ergeben sich allerdings auch spannende, noch nicht gezeigte Cover wie beispielsweise “For What It’s Worth” von Buffalo Springfield. Wie auch am Vortag spielt sich die Band dadurch in die Herzen der Zuhörer.
Das besondere Highlight des Festivals und gleichzeitig das ungewöhnlichste Booking ist schließlich das GROSSE FILMORCHESTER. Das Pilsen Philharmonic Orchestra unter Dirigent Chuhei Iwasaki ist eine internationale Größe und hat schon unter anderem “Harry Potter in Concert” realisiert. Mit einer eigens für das Festival kreierten Zusammenstellung soll das Konzert etwas ganz Besonderes werden – und das ist es schließlich auch. Bei einem vollen Zelt, in dem sich die Zuhörer dicht gedrängt auf den Boden setzen, kommt trotz der legeren Umgebung schnell feierliche Stimmung auf. Der junge, japanische Dirigent verliert wenig Worte (sein Englisch ist dabei auch eher mäßig bis unverständlich) und entführt das Publikum spielend in die Welten von “Star Wars”, “Herr der Ringe”, “Harry Potter” und Co.
Im Gegensatz zu vielen mittelmäßigen Soundtrack-Konzerten werden hier nicht nur die bekannten Themen runtergedudelt, sondern besonders bei den drei genannten Filmreihen viel Wert darauf gelegt, mit langen Arrangements und verschiedensten Ausschnitten aus dem Gesamtwerk in die jeweilige Welt einzutauchen. Der Sound ist auch in den hinteren Ecken des Fan-Domes noch hervorragend, und die Qualität der Darbietung absolut kritiklos. Anfangs mit “Star Wars”, “Harry Potter”, “E.T”. und “Jurassic Park” noch sehr John-Williams-lastig, bleibt nach dem sehr emotionalen Herr-der-Ringe-Block noch Zeit für das bekannte Thema “Chariots of Fire” von Vangelis und schließlich, als fetziger Rausschmeißer, das Thema aus “Fluch der Karibik” von Klaus Badelt und Hans Zimmer. Für Filmliebhaber also ein wahnsinniges Schmankerl, das man in dieser Form wohl kein zweites Mal außerhalb eines solchen Festivals geboten bekommt.
Als launiges Ende des Festivals gibt sich schließlich noch DJ KRISTIAN NAIRN die Ehre, besser bekannt als Hodor aus der Serie ”Game of Thrones”. Der Schauspieler und DJ, der auch selber großer Fantasy- und Sci-Fi-Fan ist, lockt natürlich neben den Neelix-Discogängern vom Vortag auch viele Neugierige an. Leider ist NAIRN die erste halbe Stunde seine Sets so schlecht beleuchtet, dass man nur eine Silhouette vor der Leinwand sieht. Dies wird jedoch im Laufe der Zeit behoben und das Publikum und NAIRN können wortlos interagieren. Als DJ macht er einen sehr guten Job, und das Festival kann mitten in der Nacht zufrieden seine Pforten schließen.
Alles in allem kann das allererste ELBENWALD FESTIVAL als kleiner Erfolg verbucht werden. Die Zeitpläne konnten größtenteils eingehalten werden, der Sound und die Bands waren (fast) durchgehend mindestens gut bis ausgezeichnet, es war abwechslungsreich und die anwesenden Stars zeigten sich gut gelaunt und interessiert. Die Security und Organisation, auch Backstage bei den Künstlern, verlief professionell und lösungsorientiert. Leider stimmten die Gewichtung und die Reihenfolgen der einzelnen Programmpunkte manchmal überhaupt nicht mit dem wirklichen Interesse der Besucher vor Ort überein, aber daraus lässt sich für das nächste Mal lernen. Ob das Festival eine Zukunft mit größeren Besucherzahlen hat, ist indes schwer vorherzusagen, da es für typische Festival-Gänger musikalisch zu bunt gemischt und für Convention-Gänger mit rund 70 Euro pro Tagesticket ungewohnt teuer ist. Auch Cosplayer waren bis auf einfache Harry-Potter-Zauberer-Cosplays nur spärlich anzutreffen, obwohl das angekündigte Wetter und das schöne Gelände sehr viel mehr dafür hergegeben hätte. Wenn im Vorfeld noch an der einen oder anderen Stellschraube gedreht wird und die Veranstalter sich das Feedback der Besucher zu Herzen nehmen, hat das ELBENWALD aber gute Chancen, weiter Fans nach Niedersachsen zu locken. Wir sind gespannt, wohin die Reise geht.