Festivalbericht: Eisenwahn Festival 2013 (Tag 1)

27.07.2013 - 28.07.2013 Obersinn

Eisenwahn-2013
Als vor 1990 Geborener hat man zu allem, was sich nach dem Jahr 2000 abgespielt hat, ein sehr subjektives Zeitverständnis – teilt die Jahrtausendwende die Vergangenheit doch gefühlt in die Kategorien „lange her“ und „noch nicht so lange her“. Entsprechend überrascht ist man dann, dass im Jahr 2000 geborene Kinder der Grundschule bereits entwachsen sind oder im Jahre 2003 gegründete Festivals bereits ihr zehnjähriges Jubiläum feiern.
In Obersinn ist es in diesem Jahr so weit: Das EISENWAHN-FESTIVAL feiert sein zehnjähriges Bestehen. Zeitgleich mit dem ersten runden Geburtstag gilt es jedoch auch Abschied zu nehmen – findet das EISENWAHN-FESTIVAL in diesem Jahr doch zum (zumindest vorerst) letzten Mal statt. Grund genug, auch in diesem Jahr in Bayerns hohen Norden zu fahren und drei Tage auf dem so familiär wie professionell organisierten Festival zu verleben.
[Moritz Grütz]

Freitag, 26.07.13:

Während der erste Festivaltag von den Auftritten kleinerer deutscher Bands und den US-Deathgrindern Exhumed an Headliner-Stelle geprägt war, dürfen DARKEST HORIZON nun den Freitag einläuten. Der Sechser aus Hessen hatte sich beim Band-Contest im Rahmen der vorangegangenen Warmup-Shows durchgesetzt und so den Opening-Slot ergattert. Keyboard- statt Blastteppiche lautet hier die Devise, denn die Truppe spielt zwar wie viele andere Formationen, die sich im diesjährigen Billing wiederfinden, auch Death Metal, aber mit melodischer und epischer Ausrichtung. Mit ihren symphonischen Elementen bieten DARKEST HORIZON somit im Vorhinein eine Abwechslung zu den teils brutalen Knüppelknaben, die im Verlaufe des Tages noch folgen sollen. Dazu ausgestattet mit einem klasse Sound legt das Sextett einen gelungenen Einstand hin.
[Markus Frey]

Deutlich rabiater, aber immer noch mit einem guten Schuss Melodie gehen als nächstes die Baden-Württemberger BLEEDING RED zu Werke. Spätestens seit ihrem im letzten Jahr erschienenen Full-Length-Debüt „Evolutions Crown“ sind die vier Jungs keine Unbekannten mehr, die auf ihrer sommerlichen Festival-Tour nun auch in Obersinn Station machen. BLEEDING RED heben sich zunächst scheinbar nicht von dem Wust an Standard-Death-Metal-Band in der Szene ab, verstehen es jedoch, ihren modernen Todesstahl geschickt mit schwarzmetallischen Riffs zu veredeln und durch allerlei Tempowechsel unterhaltsam zu gestalten. Das bemerken auch die Besucher, die während des Gigs nach und nach Richtung Stage wandern, um die routinierte Show der Süddeutschen zu verfolgen.
[Markus Frey]

Der Zuschauerplatz ist dann auch zum ersten Mal einigermaßen gefüllt, als GAMA BOMB als erste internationale Band des Freitags die Bretter entern. Wer den Vierer noch nicht kennt, der lernt jetzt recht schnell, dass sich die Fun-Thrasher nicht allzu ernst nehmen, denn Sänger Philly Byrne hüpft mit schriller, gelbgrüner Hose und überdimensionaler Sonnenbrille über die Bühne und hat zwischen den Songs stets eine lustige Ansage in petto. Seit seiner Stimmbandoperation im letzten Jahr singt der Frontmann weniger aggressiv, ja fast schon so clean wie im Heavy Metal und nimmt somit zwischen den Shout- und Grunzgruppen des Tages eine klare Ausnahmeposition ein. Bestens gelaunt und mit ihrem neuen Album „The Terror Tapes“ im Gepäck heizen die Herren dem ohnehin schon unter der Mittagshitze stöhnenden Publikum über eine halbe Stunde ein. Die ausnahmslos flotten Tracks, darunter neues Material wie „Terrorscope“ und „Smoke The Blow With Willem Dafoe“, werden durchweg mit viel Spielfreude dargeboten und zeigen, dass es GAMA BOMB vor allem darauf ankommt, Spaß an der Musik zu haben. Warum man als eigentlich mit gutem Bier verwöhnter Ire dann aber Faxe auf der Bühne trinken muss, bleibt ein Rätsel.
[Markus Frey]

IMG_4189Nachdem mit Gama Bomb eine eher dem klassischen Heavy Metal zugewandte Band auf der Bühne gestanden ist, eröffnen die französischen BENIGHTED die nun folgende Knüppelorgie mit fünf aufeinanderfolgenden Bands aus dem (Brutal-)Death-, Thrash- und Black-Sektor. Mit „Slut“ vom 2009er Release „I.C.O.N“ eröffnen die Franzosen und legen sogleich die Spielfreude an den Tag, die man von ihnen gewohnt ist. Sänger Julien Truchan grunzt und growlt sich genüsslich durch das Highspeed-Material, das an den richtigen Stellen um eine gute Portion zündender Breakdowns und Groove-Parts bereichert ist. Auch Rhythmus-Gitarrist Olivier Gabriel wuselt äußerst aktiv stets von links nach rechts – da mag man ihm den einen oder anderen Spielfehler gerne verzeihen. Zum vierten Song „Unborn Infected Children“ wird Aborted-Frontmann Sven de Caluwé zum Growl-Duett auf die Bühne gebeten – das wird sich als ein echtes Highlight herausstellen. Mit dem wohl stärksten Song der Bandgeschichte „Grind Wit“, das mit melodischen Tappings, eingängigen Blastbeat-Parts und stampfenden Gitarren alle Stärken der Band auf den Punkt bringt, endet der 30-minütige Gig der Franzosen letztendlich. Über kleine Makel im Zusammenspiel der Bandmitglieder, bei denen an diesem Tag J.B. von Aborted am Bass aushilft, kann man angesichts des großen Zuspruchs im Publikum und der Energie, die BENIGHTED auf die Bühne gebracht haben, locker hinwegsehen.
[Pascal Stieler]

Setlist BENIGHTED:
01. Slut
02. Let The Blood Spill Between My Broken Teeth
03. Fritzl
04. Unborn Infected Children
05. Nemesis
06. Asylum Cave
07. Grind Wit

Frisch abgekühlt von einer Dusche der örtlichen Feuerwehr haben die Fans nun wieder neue Kraft für HATESPHERE, die aufgrund der ausgefallenen Onslaught direkt nach Benighted auf dem Programm stehen. Die Dänen müssen ihre Show heute zu viert bestreiten, denn wie Fronter Esben „Esse“ Hansen bekanntgibt, ist Bassist Jimmy Nedergaard aufgrund eines Todesfalls in der Familie zuhause geblieben, sei aber weiterhin Teil der Band. IMG_4318Die Mitteilung quittiert er mit einem feierlichen „No more line up changes for HATESPHERE!“ und spielt dabei auf die Tatsache an, dass die Liste der ehemaligen Mitglieder an sich schon einen eigenen Wikipedia-Eintrag verdient hätte, Hansen selbst ist bereits der vierte Sänger der Formation. Dass man aber auch ohne Tieftöner ordentlich durchstarten kann, beweisen die Herren mit ihrer energetischen Performance. Ähnlich wie ihre Landsmänner von Illdisposed, die während des Gigs ankommen und später noch die Stage unsicher machen sollen, bieten HATESPHERE eine Mix aus Groove und Uptempo, wobei letzteres deutlich in den Vordergrund rückt und die thrashige Ausrichtung für reichlich Feuer unterm Hintern sorgt. Die Stimmung und den Publikumsandrang von Benighted kann das Quartett zwar nicht halten, punktet aber mit unterhaltsamen Ansagen und lustigen Trinkaufforderungen.
[Markus Frey]

IMG_4381Den nächsten Abschnitt des Totalabrisses liefern die belgischen Kollegen von ABORTED um Frontmann Sven de Caluwé, der vor kurzer Zeit mal wieder seine komplette Saitenfraktion ausgetauscht zu haben scheint, sieht man doch bis auf Drummer Ken Bedene sonst keine bekannten Gesichter auf der Bühne. Das schadet der Performance jedoch keineswegs: Nach kurzem Soundcheck legen ABORTED mit zwei Songs des 2003er Releases „Goremaggeddon“ los und pflügen sich in der Folgezeit mit ihrem Brutal Death Metal, der deutlich technischer ist als der von Benighted, erbarmungslos durch ihr 40-minütiges Set: Von „Goremaggeddon“ über „The Archaic Abattoir“ und „Slaughter & Apparatus“ geht es weiter zu ihrem aktuellen Album „Global Flatline“, von welchem ABORTED insgesamt vier Songs spielen, unter anderem die Tracks „The Origin Of Disease“, „Coronary Reconstruction“ und „From A Tepid Whiff“, die neben Blastbeats mit mächtigen Hardcore-Grooves aufwarten können und die vom zahlreichen Publikum mit intensivem Headbanging und wüsten Moshpits gefeiert werden. Es bereitet besondere Freude zu sehen, dass nicht nur de Caluwé in Höchstform ist, sondern dass auch der Rest der Band sich als perfekt eingespieltes, homogenes Team erweist und die Vielzahl an Soli mit atemberaubender Präzision darbietet. Der gut abgemischte Sound trägt seinen Teil dazu bei, dass ABORTED mit dem Oldie „Engineering The Dead“ einen Schlusspunkt hinter einen großartigen Auftritt setzen können. Nachdem die Band in den letzten zwei Jahren kurzfristig abgesagt hatte, hat es diesmal hervorragend funktioniert.
[Pascal Stieler]

IMG_4430Auf die eierlosen Nutten ILLDISPOSED hat sich gefühlt die Hälfte der Festivalbesucher schon tagelang gefreut. Umso größer ist die Begeisterung, als Bo Summer und seine Mannen endlich die Bühne betreten. Der melodische Midtempo Death Metal ist genau die richtige Abwechslung, die das Publikum zu dieser Zeit braucht – und außerdem sind es ILLDISPOSED. Einzelne Songs aufzuzählen ist bei ihnen vollkommen überflüssig, da es das Gesamtpaket ist, was den Unterschied macht: Egal, ob es bei „I Believe In Me“, „Dark“ und „Now We’re History“ von „1-800 Vindication“ ist, bei „Throw Your Bolts“ von „Burn Me Wicked“ oder dem Ausflug ins 1995 geschriebene „Submit“ – die Zuschauer feiern die Dänen frenetisch ab. Mindestens genauso gut wie die musikalische Darbietung ist jedoch Sänger Bo Summer, der in sehr gutem Deutsch mit den Zuschauern kommuniziert und fast eine Art Kabarettshow neben dem Gig hinlegt: „Ich habe 22 Kilo abgenommen – und keiner sagt was, Junge“, „Ihr seid alles Nutten, alle miteinander“ und „Schaut uns an, wir sehen alle ein bisschen schwul aus“ sind nur einige der Ansagen, die Summer vom Stapel lässt. Da auch der Sound stimmt und die anderen Bandmitglieder sich ebenso ins Zeug legen wie Summer, kann man ILLDISPOSEDs Gig ohne weiteres als einen der besten des Festivals festhalten.
[Pascal Stieler]

Setlist ILLDISPOSED:
01. Sense The Darkness
02. War
03. Weak is Your God
04. Ich bin verloren in Berlin
05. I Believe in Me
06. Dark
07. Stop Running
08. Throw Your Bolts
09. A Child is Missing
10. Submit
11. Now We’re History

IMG_4493Nach den beiden Bands aus Belgien und Dänemark geht es mit NAGLFAR nun noch weiter nach Norden. Eigentlich hätten die Schweden bereits 2012 auf dem Eisenwahn-Festival auftreten sollen; nachdem der Auftritt abgesagt werden musste, wird er nun nachgeholt. Bereits beim übermäßig langen Soundcheck kündigen sich jedoch Probleme an – und in der Tat bekommen die Techniker den Sound bei der einzigen Black-Metal-Band des Festivals nicht so richtig in den Griff: Damit angefangen, dass der Mischer beim Opener „Pale Horse“ zunächst vergisst, die Gitarren laut zu drehen, so dass nur Bass, Gesang und Schlagzeug zu vernehmen sind, klingt es mitunter, als hätte mindestens eine Boxenmembran den Geist aufgegeben. Ohne Kenntnis des Songmaterials ist es so wohl mitunter schwer, den Songs etwas abzugewinnen – den Fans in den ersten Reihen vermag jedoch auch dieser Umstand die Freude an der ansonsten starken Performance der sympathischen Band aus Umeå nicht zu nehmen: NAGLFAR spielen sich mit einer ausgewogenen Mischung aus neuen Songs, Hits wie „A Swarm Of Plagues“ und Klassikern wie „I Am Vengeance“ oder „The Brimstone Gate“ quer durch ihre Diskographie, bevor der Gig pünktlich zum Sonnenuntergang mit dem epischen „Harvest“ beschlossen wird.
[Moritz Grütz]

Setlist NAGLFAR (unverbindliche Song-Reihenfolge):
Pale Horse
The Darkest Road
Bring Out Your Dead
I Am Vengeance
Spoken Words Of Venom
The Brimstone Gate
A Swarm Of Plagues
Harvest

IMG_4582Nach diesem majestätischen Black-Metal-Song sowie der obligatorischen Umbaupause heißt es nun schnell umschalten auf Party-Thrash – wem das nicht gelingt, der ist bei TANKARD nämlich fehl am Platz. Denn musikalisch weiß die Truppe um Fronter Gerre seit Jahren nichts großartig Neues mehr zu Stande zu bringen – viel mehr verlässt man sich auf das althergebrachte Konzept simplen Thrash Metals mit Mitgröltexten. Dass diese sich dabei nahezu ausschließlich um Bier im Allgemeinen und dessen Konsum im Speziellen drehen, ist ebenso wenig eine bahnbrechende Erkenntnis wie die, dass dieses simple Konzept auch nach 31 Jahren Bandgeschichte noch funktioniert: Die Fanschar vor der Bühne ist deutlich angewachsen und feiert die Thrash-Veteranen lautstark ab, was Gerre mehrfach ein lobendes „Ihr seid geil!!!“ entlockt. Alles in allem sicher nicht jedermanns Ding, mit entsprechend angepasstem Alkoholpegel und einer gewissen Affinität zu stumpfen Texten à la „Die With A Beer In Your Hand“ sicherlich einer der besseren Auftritte des Festivals.
[Moritz Grütz]

IMG_4683Dennoch verblasst der Auftritt der deutschen Thrasher gleich wieder – ist das, was die Genre-Legende OVERKILL im Anschluss auf die Bühne zaubert, doch nicht mit dem eben Gesehenen zu vergleichen: Nicht nur der Bühnenaufbau mit einer Verstärkerwand aus sechs 4x12er-Boxen und drei Amps pro Gitarrist, sondern auch die Bühnenpräsenz und nicht zuletzt das Songmaterial der Amerikaner ist hier von gänzlich anderem Kaliber.
Fronter Bobby „Blitz“ Ellsworth präsentiert sich nicht nur hinsichtlich seines für sein doch nicht mehr ganz jugendliches Alter von 54 Jahren bemerkenswert durchtrainierten Körpers physisch in Topform, sondern wird durch die beispiellose Unermüdlichkeit, mit der er die Bühne beackert, auch seinem Spitznahmen mehr als gerecht: Spielfreudig, energiegeladen und bei den Ansagen stets auf Lockerheit und Witz bedacht, setzt schon Blitz alleine ungeahnte Energiereserven beim Publikum frei – die treibenden Riffs und der fette Sound tun ihr Übriges, dass OVERKILL den heutigen Freitag als würdiger Headliner beenden.
[Moritz Grütz]

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Publiziert am von , Pascal Stieler, Marius Mutz und

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