Konzertbericht: Eisbrecher w/ Stahlmann

2010-09-23 München, Backstage


Wo EISBRECHER drauf steht, sind auch Eisbrecher drin: Das wurde bereits bei der Vorband deutlich, denn Stahlmann wurden sicherlich nicht an der nächstbesten Straßenecke verpflichtet. Die Göttinger stellten als Support ihr gleichnamiges Debütalbum vor, welches erst seit Mitte September erhältlich ist. Abseits des etwas zweifelhaften Bandnamens und qualitativ fragwürdiger YouTube-Videos überzeugten die Newcomer bereits durch ihr Auftreten: So erinnerten sie ganz in Silber geschminkt und mit schwarzen Anzügen bekleidet an eine Art „Metal-Blue-Man-Group“. Die Stücke ihres ersten Longplayers funktionieren zwar alle nach einem relativ ähnlichen Neue Deutsche Härte-Schema, doch das Gesamtpaket mit Alternative Metal-Anleihen und sporadischen Elektroelementen vom Band stimmte. So vermochten die Stahlmänner u.a. mit ihrer Singleauskopplung „Hass Mich…Lieb Mich“ trotz lediglich durchschnittlichem Sound mitzureißen, so dass selbst zweifelhafte Wortspiele in den übrigen Songtiteln (siehe „Stahlwittchen“) nicht weiter ins Gewicht fielen. Lediglich Sänger Mart klingt bei seinem tiefen Gesang noch mehr angestrengt als entspannt. Doch das sollte weiteren Support-Auftritten oder auch ersten Gigs bei kleineren Festivals nicht im Wege stehen. Als Konzertgänger wünscht man sich viel öfters diese Art von Bands, die nicht so aussehen, als kämen sie gerade mit ihren Instrumenten und Klamotten direkt vom Karstadt-Wühltisch im Schlussverkauf.

Auch die Eisbrecher kamen thematisch passend gekleidet zu ihrem (immer noch) aktuellen Album „Eiszeit“ auf die Bühne – frisch mit einem neuen Plattendeal beim Majorlabel Sony Music im Gepäck (Unheilig lässt grüßen). Nach dem Titeltrack-Opener wurden die Winterjacken, Schneebrillen und Handschuhe allerdings bereits direkt im Anschluss bei „Angst“ abgelegt. Mit einem Plüscheisbären in der Hand legte Alexx Wesselsky mit seinen Mannen den rockigen Grundstein für die nächsten ca. 100 Minuten und präsentierte sich dabei in seiner Heimat ebenso selbstironisch wie gewohnt charismatisch.
Vor „Komm süßer Tod“ reichte er nach eigener Kostprobe eine Flasche Whiskey in die Menge, die (für ihn wenig überraschend) den Weg zurück nicht mehr fand. Allerdings hatte der Captain auch fernab des Alkohols alle Hände voll zu tun bzw. allerlei Flausen im Kopf. So versuchte Alexx mehrfach das Hemd von Gitarrist Jürgen zu dessen Missfallen aufzuknöpfen, zierte sich allerdings selbst bis zur letzten Zugabe „Mein Blut“, ehe er zur Freude des weiblichen Publikums mit entblößtem Oberkörper auf der Bühne stand. Die männliche Zuhörerschaft hatte direkt davor mit „Miststück“ ihren Höhepunkt – das nennt man wohl ausgleichende Gerechtigkeit, wobei nicht auszuschließen ist, dass Alexx‘ Körper und sein Vorzeigestück (in dem Fall der angesprochene Megaherzklassiker) auch männliche bzw. weibliche Fans zu begeistern wusste. Zumindest sangen einige Frauen den Text lauthals mit, als ihnen das Mikro vor den Mund gehalten wurde, während bei den zwischenzeitlich etwas penetranten „Ausziehen!“-Sprechchören ebenfalls einige männliche Stimmen zu vernehmen waren.
In verbleibenden Konzertteil überzeugten die Eisbrecher auf ganzer Linie durch musikalische Härte, eingängige Melodien und überraschend viel Abwechslung. So nahmen Alexx und Eisbrecher-Gründungsmitglied Jürgen in der Mitte des Konzertes auf zwei Barhockern Platz, um mit zwei Akustikgitarren einen kleinen Schlagerblock zum Besten zu geben, der u.a. aus einer textlich leicht modifizierten Version von Michael Holms „Tränen Lügen Nicht“ bestand. Nach etwas umjubeltem bayerischem Lokalkolorit trat der Frontmann allerdings den Hocker beiseite und stellte klar: „Wir sind hier immer noch auf einem Rockkonzert!“
Nicht nur dadurch sorgte Kapitän Alexx für Erheiterung im sehr gut gefüllten Backstage. Auch seine kurzen Ansagen zum Thema Rauchverbot in Bayern ließen es weder an Deutlichkeit noch an Unterhaltungsfaktor missen. Für seine Forderung nach einer Rückbesinnung auf die wirklich zentralen Aspekte des Lebens – nämlich „Rauchen, Saufen und Ficken“ – erntete er große Zustimmung im weiten Rund und sorgte zugleich für angenehme Verschnaufpausen, bevor die Party mit dem verhältnismäßig ruhigen „Engel“ und dem religionskritischen „Heilig“ in die nächste Runde ging.
Mit dem überragenden Bandklassiker „This is Deutsch“ und dem eher selten gespielten, wenngleich nicht minder überzeugenden „Kinder der Nacht“ läuteten die Eisbrecher das große Finale ein, welches neben den bereits angesprochenen „Miststück“ und „Mein Blut“ mit dem Trommelgewitter „Amok“ ein weiteres Highlight beinhaltete. Wie eine Armee aus in den kurz davor bei „This is deutsch“ besungenen deutschen Robotern standen die sechs Musiker auf der Bühne und hämmerten minutenlang fast 100%ig synchron auf ihre Tonnen ein.


Der Abend endete schließlich mit der launigen Verabschiedung der Eisbrecher zu Bonny Tylors „It’s a heartache“, welches plötzlich nach dem letzten Song über die Hallenlautsprecher erklang. Doch diese fragwürdige Einspielung konnte das stimmige Gesamtbild inkl. stimmungsvoller Lichtshow und akzeptablem Sound nicht trüben. Langeweile kam zu keiner Sekunde auf und für mich funktionieren die Eisbrecher in geschlossenen Hallen mit einer entsprechenden Lichtshow viel besser als nachmittags auf größeren Festivalbühnen wie in Veldenstein. Vielleicht meine persönlich größte Konzertüberraschung dieses Jahres, da mir auch bei genauerer Überlegung kein erwähnenswerter Kritikpunkt einfallen will.

Setliste:
01. Eiszeit
02. Angst
03. Bombe
04. Willkommen im Nichts
05. Leider
06. Komm süßer Tod
07. Eisbrecher
08. Vergissmeinnicht
09. Schwarze Witwe
10. Schlager
11. Engel
12. Heilig
13. This is Deutsch
14. Kinder der Nacht

15. Amok
16. Ohne Dich
17. Miststück
18. Mein Blut

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