Konzertbericht: Dornenreich w/ Ellereve

21.09.2024 Wörgl (AT), Komma (Theatron)

In den letzten Jahren haben sich DORNENREICH vergleichsweise rar gemacht. Nach nur drei Auftritten im Jahr 2023 kehren die Österreicher nun, Ende 2024, mit ihrem Akustikprogramm für sechs ausgewählte Shows zurück auf die Bühne. Dabei macht die „Arcane Ceremonies 2024“ Tour einmal mehr in sehr speziellen Locations halt – darunter auch zwei Kirchen.

Eine Kirche ist es in Wörgl zwar nicht geworden, eine besondere Location haben DORNENREICH aber auch dort gefunden: Das Theatron im Keller des Komma-Komplexes ist eine Mischung aus Theatersaal, Kino- und Kabarettbeisl, wie das Veranstaltungszentrum es beschreibt. Tatsächlich ist der Raum damit perfekt umrissen: Während als „Bühne“ schlichtweg der vorderste Teil des Raums fungiert, stehen auf den ansteigenden Rängen 80 Stühle verschiedenster Bauart – vom Polstersessel bis zum Gartenstuhl – und verleihen dem Raum eine charmant kuschelige Atmosphäre.

ELLEREVE September 2024 in WörglWie gut das funktioniert, zeigt sich bereits bei der deutschen Musikerin ELLEREVE, die den Abend mit ihrem Akustikprogramm eröffnet: Obschon es sich „nur“ um die Vorband handelt, herrscht in dem bis auf den letzten Platz gefüllten Raum während der Performance im Auditorium nahezu gespenstisches Schweigen. Tatsächlich wirkt die Musikerin davon fast ein wenig eingeschüchtert. Verständlich, hört man in diesem Setting doch wirklich jede noch so kleine Unsauberkeit. Davon gibt es – ob gewollt oder nicht, bleibt offen – beim Gesang so manche. Am Ende verleiht aber auch das der Performance ihren Charme. Das größere Manko ist, dass die eigentlich für eine volle Band geschriebenen Songs in der akustischen Interpretation auf zwei Akustikgitarren plus Cello mitunter etwas sperrig klingen – wennschon die instrumentale Darbietung trotz (eigentlich aber sogar wegen) des neuen Gitarristen lupenrein ausfällt. Nicht zuletzt aufgrund des extrem sympathischen Auftretens aller drei Beteiligten bleibt der 45-minütige Auftritt dennoch positiv in Erinnerung.

DORNENREICH September 2024 in WörglVielleicht triggert die Location den inneren Cineasten: „More intensity“ fordert in „Lost in Translation“ der Regisseur eines Werbefilms für Suntory-Wiskey von Bob Harris, grandios gespielt von Bill Murray. Mit Eviga hätte es diese Szene so jedenfalls nicht gegeben. Vom ersten Takt des den Abend eröffnenden „Freitanz“ an ist der Österreicher die personifizierte Intensität. Mal streichelt er die Saiten kaum mehr, dann wieder schlägt er sie fast schon aggressiv an, klopft impulsiv auf den Korpus und stampft energisch mit dem mit Shakern zur Rhythmussektion erhobenen Fuß. Gleichzeitig erweckt er seine Texte durch Tonalität und Mimik zum Leben: Mal gehaucht, mal fast geschrien, ziehen diese so in ihren Bann, dass der eine oder andere im Zuschauerraum gar nicht anders kann, als mitzusprechen. Mag das in den leisesten Passagen auch ein wenig stören … man kann es niemandem verübeln. Zumal man ansonsten erneut und über die vollen 90 Minuten die berühmte Stecknadel fallen hören könnte.

DORNENREICH September 2024 in WörglDen perfekten Gegenpart zu Eviga bildet auch heute sein langjähriger Kumpane Inve an der Geige: Während der eine wild grimassiert, lächelt der andere beseelt in die Musik hinein, und während der eine kraftvoll seine Gitarre traktiert, entlockt der andere seiner Geige anrührende Melodien. Dass die bereits in dieser Konstellation entstandenen und aufgenommenen sowie mannigfaltig live erprobten Stücke von „In Luft geritzt“ (2008) so dargeboten am besten funktionieren, ist keine Überraschung – eher schon die Songauswahl, etwa mit dem lange nicht gehörten „Aufbruch“. Nach wie vor ungewohnt klingen die umarrangierten alten Metal-Stücke: Es wird höchste Zeit, dass DORNENREICH diese Versionen etwa in Form eines Live-Albums festhalten. Erstaunlich aber ist, wie sehr das Material von „Du wilde Liebe sei“ in der puristischen Inszenierung funktionieren: Ohne die bei den Albumversionen etwas überbetonten Percussion-Elementen und dafür mit mehr Dynamik im Gesang wird etwa „Mein knöchern‘ Kosen“ zu einem (unter vielen) Highlights des Abends.

DORNENREICH September 2024 in WörglDie eigentliche Stärke der Show aber liegt in ihrem Purismus und der daraus resultierenden absoluten Ehrlichkeit: Das „Drumherum“ ist auf ein Minimum reduziert – DORNENREICH haben kein Backdrop, keinerlei Bühnendeko, kaum Lichtwechsel … und auch musikalisch gibt es nichts, wohinter sich Eviga und Inve verstecken könnten: kein Schlagzeug, keine Riffs, keine Samples, kein Klick-Track. Der Atmosphäre folgende Temposchwankungen gehören hier ebenso dazu wie einzigartige Variationen in der Intonation der Texte und auch der eine oder andere Verspieler – Nuancen, die der Darbietung jene Lebendigkeit verleihen, die den meisten Liveshows – ob im Underground oder auf Stadionbühnen – vor lauter Professionalität und falsch verstandenem Perfektionismus längst verloren gegangen ist.

  1. Freitanz
  2. Meer
  3. Dem Wind geboren
  4. Der Hexe nächtlich‘ Ritt
  5. Der Freiheit Verlangen nach goldenen Ketten
  6. Flügel in Fels
  7. Innerwille ist mein Docht
  8. Drang
  9. Aufbruch
  10. Traumestraum
  11. Erst deine Träne löscht den Brand
  12. Dein knöchern‘ Kosen
  13. Jagd
  14. Ich bin ein Stern
  15. Reime faucht der Märchensarg
  16. Untiteld Bonustrack

Dass diese Darbietung nur rund 80 Personen vorbehalten bleibt, ist schade, liefern DORNENREICH hier doch ein Lehrstück dahingehend, wie sich echte Musik, wahrhaftig live gespielt, anfühlt. Und doch ist es ein Segen, dass DORNENREICH für diese besondere Performance einen so kleinen Rahmen gewählt haben. Nur so nämlich kann jene intime Atmosphäre entstehen, die diese Performance in all ihrer Intensität überhaupt erst möglich macht.

DORNENREICH September 2024 in Wörgl
DORNENREICH am 21. September 2024 in Wörgl; © Afra Gethöffer-Grütz/Metal1.info

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