Konzertbericht: Coppelius w/ Fuchsteufelswild

23.09.2016 München, Backstage

1024067_logoBühnenabstinenzankündigungskonzertreise – bereits bei diesem Wort trennt sich für COPPELIUS die Spreu vom Weizen. Wer den Neologismus ganz gelesen hat, dürfte sich der Musik und allem, was damit zusammenhängt, zugeneigt fühlen und gleichzeitig die Aussage hinter dem Schlangenwort mit zumindest einem weinenden Auge betrachten. Für ein Jahr verabschieden sich die Berliner von den Brettern, die die Welt bedeuten. Wie groß der Verlust ist, beweisen sie im sehr gut gefüllten Münchner Backstage.

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Den Einstieg in den Konzertabend gestalten überraschend nicht Fuchsteufelswild, sondern der Autor CHRISTIAN VON ASTER. Der – nach eigener Aussage – studierte Kryptopoetozoologe eröffnet die Veranstaltung sitzend mit einer Lesung an einem Schreibtisch. Mit seinen Gedichten und Texten, meist thematisch in der Tier- und Fabelwelt ansässig, spannt er gekonnt den Bogen zwischen Poesie und (fantastischer) Wissenschaft. Seinen Titel als wissenschaftliche Hilfskraft der Herren Coppelius trägt er fraglos nicht umsonst: Wohl pointiert erobert HERR VON ASTER mit seinem Wissen über erfundene Tierarten, Nymphen mit wallendem Haar sowie saufenden Piraten und Priestern immer mehr Herzen im Publikum. Am Ende wird der Wissenschaftler frenetisch gefeiert und wenig später findet man ihn, vereinzelt euphorisch seinen Zylinder auf dem Gehstock schwenkend, im Konzertpublikum.

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Mit derlei Feinsinn halten sich FUCHSTEUFELSWILD anschließend nicht auf. Die noch relativ junge Band rum um Bastian Brenner (Ex-Saltatio Mortis, Ex-Feuerschwanz) ist derzeit fleißig unterwegs: Support-Shows für Corvus Corax, eine Abendshow auf dem MPS, eine DVD-Produktion in Regensburg und der Gewinn des Goldenen Zwergs auf dem Festival Mediaval 2016 sind nur einige der bandinternen Highlights dieses Jahres. Im Backstage spielt der folkige Achter eine gute Show, die vor allem den Zweck eines Supports erfüllt: dem Publikum einheizen. Das gelingt FUCHSTEUFELSWILD mit ihrem Album „Weltenmeer“, welches live handwerklich überzeugt, aber besonders kompositorisch noch eine Menge Potential bietet. So bleibt am Ende des Gigs wenig haften, der mit Sousaphon angereicherte, bayerische „Eisenhans“ ist aber ebenso wie das eingestreute Geigenduell eine ausbaufähige Basis für die Zukunft.

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Über diese Basis sind COPPELIUS bereits hinaus: Die Nischenmusik in der Nischenmusik hat vor allem auf den letzten beiden Alben „Hertzmaschine“ und „Extrablatt“ einige stilistische Wandlungen hinter sich. Zunehmend dem Steampunk zugewandt ist den Herren der große Durchbruch allerdings stets verwehrt geblieben. In München präsentieren sich die Künstler von ihrer metallischen Seite und ohne aufwendige Schminke beinahe nahbar. „Habgier“ und ein schnippendes Publikum zu „Rather Be Dead“ sind nur der Auftakt in eine rasante Achterbahnfahrt, die gemäß neuer Bühnenformation vor allem von den beiden Klarinettisten Max Coppella und Le Comte Caspar sowie Diener Bastille getragen wird. Graf Lindorf tritt nur nach vorne, wenn er dort wie in „Butterblume“ auch gebraucht wird. Zum coppelianischen Remake von „Phantom of the Opera“ bahnt sich Le Comte Caspar mit Klarinette seinen Weg in die Menge, erst allein auf einem Sockel und dann auf den Schultern von Bastille.

coppelius256Zwar geben sich einige offensichtlich stark alkoholisierte Gäste allergrößte Mühe, die Bühnenshow mit sinnlosen Zwischenrufen und allgemeiner Lautstärke zu stören, doch davon lassen sich COPPELIUS glücklicherweise nicht beirren. Dazu ist der Streicher-, Bläser- und Schlagzeugsound satt, voll und ausreichend laut, so dass zu „Moor“ fröhlich die Tanzbeine wippen und „Locked Out“ sich ungestört langsam aber stetig in den musikalischen Wahnsinn steigern kann. Dass die kompositorische Kreativität einhergeht mit weiteren Ideen, beweist die Gitarre von Le Comte Caspar, die er zu „Bitten, Danken, Petitieren“ vorstellt, nach eigener Aussage gebaut aus Stahl und Käsespießchen. Zum altehrwürdigen „Murders In The Rue Morgue“ laden sich COPPELIUS haarige Unterstützung auf die Bühne, um fleißig zu moshen und die wilden Mähnen kreisen zu lassen. Gegen Ende geht es vereinzelt ruhiger zu, ohne dass es im Angesicht des drohenden Abschieds auf Zeit je wirklich traurig wird: zu ekstatisch ist die Stimmung, zu ausgelassen die Atmosphäre. Dennoch gelingt es Bastille mit dem gefühlvollen „Sternenstaub“ fast den gesamten Saal zum Zuhören zu bewegen. „Die Glocke“ und „Risiko“ sorgen für ein furioses Ende, ehe die Herren noch einmal zu „Der Luftschiffharpunist“ und dem wohl unvermeidlichen „Ade mein Lieb“ zurückkehren. Anschließend bedankt sich München lautstark – so lautstark, dass selbst Bastille als Sprachrohr überwältigt scheint. Selten hörte man ein Publikum in der Backstage Halle lauter.

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Einen würdigeren Abschied hätten COPPELIUS weder sich selbst noch ihren Anhängern in der bayerischen Landeshauptstadt bereiten können. Abwechslungsreich, künstlerisch wertvoll und mit dem Herzen bei der Sache spielen die sechs Vollblutmusiker einen Kammercore-Abend der Extraklasse. Ein Comeback beziehungsweise eine Wiederkehr? Unvermeidlich und in dieser Form höchst wünschenswert. Nicht nur Iron Maiden wären stolz.

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