Hardcore ist derzeit so spannend und breit aufgestellt, wie lange nicht mehr. Dass das so ist, liegt sicherlich nicht zuletzt am amerikanischen Label Deathwish Inc., welches unter anderem mit Touché Amoré, Modern Life Is War, Birds In Row und Oathbreaker einige der derzeit besten und energiereichsten Bands unter Vertrag hat. Wenn es um kompromisslosen, aggressiven Hardcore geht, dürfen in dieser Aufzählung auf keinen Fall CODE ORANGE KIDS fehlen, welche mit ihrem Debütalbum „Love Is Love // Return To Dust“ reichlich Aufmerksamkeit in der Szene erregt haben. Anfang 2014 kommen die vier jungen MusikerInnen endlich auf eine Co-Headliner-Tour nach Deutschland, um ihre atemberaubende Mischung aus Crust, Sludge, Punk und Hardcore auch live präsentieren zu können. Mit dabei sind TWITCHING TONGUES, welche letztes Jahr mit „In Love There Is No Law“ ein spannendes Album zwischen Oldschool-Hardcore, Thrash Metal und Modern Rock veröffentlichten und einen weiteren Aspekt der derzeit breiten Hardcore-Schiene abdecken.
Überraschenderweise geht es um 21 Uhr mit CODE ORANGE KIDS los, welche ich persönlich als Headliner gesehen hätte – eventuell tauschen beide Bands ihre Slots auf der Europatour auch von Abend zu Abend. Das Sunny Red ist angenehm gefüllt und vor der Band (auf eine Bühne wird im Sunny Red ja schon länger verzichtet) sammelt sich eine anständige Menschenmenge – zumindest, bis die junge Band mit ihrem Set beginnt. Sofort springen einige Slamdancer von links nach rechts, schlagen wild um sich und räumen alles ab, was nicht bei drei aus dem Weg ist. Doch selbst nach der ‚Flucht‘ an die Seite oder den hinteren Teil des Clubs ist man vor der Handvoll Menschen, die ganz offensichtlich ausschließlich auf Gewalt gebürstet sind, nicht sicher, springen diese auch mit den Füßen voran in die am Rand stehenden Menschen. Eine absolute Unsitte, die so nirgendwo etwas verloren hat. Es spricht überhaupt nichts gegen 2-Step und Slamdancing, solange man auf seine Umgebung achtet, aber was hier passiert, ist wirklich absolut ekelhaft.
Doch zurück zur Musik: Die Energie, welche CODE ORANGE KIDS heute Abend entfachen, sucht ihresgleichen. Ob wütendes Keifen von Jami am Schlagzeug (der die Menge immer wieder zur Bewegung animiert), heftiges Kreischen von Reba an der Gitarre (welche im Gegensatz zu ihrer zierlichen Figur heftig mosht und umhertobt) oder tiefes Growlen von Eric an der anderen Gitarre, ob Sludge-infizierte Breakdowns oder straighte Hardcore-Bretter: Unterstützt vom mächtigen Sound im Sunny Red liefern CODE ORANGE KIDS auch durch ihre permanenten Bewegungen ein atemberaubendes Set ab. Nachdem Reba kurz ihre weiche Stimme in einem Cleangesang-Moment zeigen darf, brechen die heftigen Riffwalzen erneut über das Sunny Red herein, bis nach 20 Minuten und dem ‚Hit‘ „Flowermouth (The Leech)“ das Konzert auch schon wieder vorbei ist. Wie ein Orkan sind CODE ORANGE KIDS über das Feierwerk hereingebrochen und lassen nur Schutt und Asche zurück. Chapeau.
Nach einer zehnminütigen Umbaupause ist es schließlich soweit und TWITCHING TONGUES sind an der Reihe. Das Publikum ist zu einem großen Teil wegen der Band aus Los Angeles gekommen, was sich besonders in der Form von drei, vier Jungs direkt vor der Band manifestiert, welche immer wieder das Mikro ergreifen und die Songs begeistert mitsingen. Die Band bietet bei einer druckvollen und großartigen Abmischung ihre Mischung aus Oldschool-Hardcore und Thrash Metal dar, welche zu heftigem Kopfnicken und erneut einigen Slamdancern führt. Recht viel mehr Positives kann man allerdings auch nicht zum heutigen Auftritt von TWITCHING TONGUES sagen. Im Gegensatz zu den Aufnahmen klingt der Gesang von Sänger Colin Young heute Abend absolut schauderhaft, da er stärker wie ein Jaulen und Jammern klingt und er keinen einzigen Ton trifft. Zwar ist sein Schreien deutlich besser, allerdings setzt er dieses kaum ein. Zusätzlich fehlt der Stimme und auch dem Auftritt der Band nahezu jegliche Energie, besonders was ihre Bühnenpräsenz betrifft. Die Songs sind geradlinig und stets vorhersehbar, die Riffs irgendwo zwischen melodisch und heftig angesiedelt, ohne wirklich eines von beidem zu sein, irgendwie geraten die Songs meistens einfach eine Nummer zu lang – so Recht will der Funke einfach nicht überspringen. Das liegt wie bereits gesagt allerdings zu keinem Punkt an der Abmischung am heutigen Abend, die druckvoll, klar und mächtig ist. Der Großteil des Publikums im Sunny Red feiert TWITCHING TONGUES trotz dieser Mängel absolut ab. Nach knapp 35 Minuten verabschiedet sich die Band schließlich und bedankt sich noch einmal, dass an einem Montagabend so viele Zuschauer gekommen sind. Um kurz nach 22 Uhr ist das Konzert somit schon wieder beendet.
FAZIT: Ein zwiespältiger Abend. Auf der positiven Seite sind definitiv die zum dreckigen Sound perfekt passende Location des Sunny Red, die Abmischung, das wie immer freundliche Personal im Feierwerk und das fabelhafte Konzert von Code Orange Kids zu verbuchen. Auf der negativen Seite steht der schwache Auftritt von Twitching Tongues sowie die ungefähr zehn ultraaggressiven Zuschauer, die ohne Rücksicht auf die umstehenden um sich geprügelt und anderen Menschen bewusst verletzt haben. Wie bereits geschrieben, ist es jedem selbst überlassen, wie er seine Begeisterung kundtun will und es spricht nichts dagegen, Hardcore-Moves auszupacken. Was allerdings zu keinem Zeitpunkt in Ordnung geht, ist, anderen Menschen willentlich wehtun zu wollen, nur um seinen eigenen Spaß zu haben. Das ist schlicht und ergreifend egoistisch und hat in einer ansonsten offenen Musik-Subkultur absolut nichts verloren.