Eigentlich hätte die kleine Schwester des „Festival-Mediaval“ für finanziellen Rückenwind sorgen sollen, nun muss es wohl nachträglich als dessen Ersatz herhalten: Das BENEFIZ AM BERG in Wunsiedel. Erst fürs Frühjahr geplant, dann pandemiebedingt in den Sommer verschoben, vom „Neustart Kultur“ gefördert aber durch die bairischen Corona-Regeln stark eingeschränkt,, ist es fast ein kleines Wunder, als Besucher schließlich doch auf dem großen Platz des Collis Clamat stehen zu können und bei überraschend gutem Wetter wenigstens ein bisschen Festival-Luft zu schnuppern. Während nur wenige Kilometer weiter im angrenzenden Tschechien und dem nahen Sachsen bereits entspanntere Vorgaben gelten, muss auf dem Benefiz noch streng auf Abstand kontrolliert werden. Feste Sitzplätze an Biergarnituren, FFP2-Maskenpflicht und ein deutlich verkleinertes Angebot an Speisen, Getränken und Marktständen sind das Ergebnis, doch die Veranstalter haben die eine oder andere clevere Lösung parat. So gibt es vor der Bühne zehn „Lounges“: abgegrenzte Holzverschläge, in die sich jeweils zehn Personen einbuchen können und in denen sogar getanzt werden darf. Auch das wirklich hochwertige Lineup mit Bands wie FAUN oder FIDDLER’S GREEN zeigt: Wir haben Bock, wir wollen das durchziehen, wir wollen Kultur – und wir wollen überleben.
Es ist noch ein etwas trauriger Anblick, als Freitag Nachmittag VOLLBARD das Festival eröffnen. Es ist erst eine handvoll Besucher auf dem Gelände, an den Tischen vor der Bühne sitzen nur vereinzelt die ersten Zuhörer. Den weiten Weg aus Mönchengladbach konnten an diesem Freitag auch nur zwei der drei Barden antreten. Die verbleibenden beiden Musiker geben sich dennoch große Mühe, ihr kleines Publikum zu erreichen, und können die etwas unangenehme Situation charmant überspielen. „Schon wieder kein Zirkeltisch“, scherzen sie gespielt traurig und spielen nach eigener Aussage den Platz des „Reverse Headliners“. Aus ihrem reichen Fundus an Cover-Songs gibt es beim BENEFIZ AM BERG unter anderem „Illegale Fans“ von Deichkind zu hören und es ist schön zu sehen, dass sich das zum Duo beschrumpfte Trio auch durch die widrigen Umstände nie entmutigen lässt.
CELTICA – PIPES ROCK! müssen derweil ohne ihren Gitarristen auskommen. Unter dem Motto des Tages „Who needs guitars anyway?“ machen sie das fehlende Instrument locker wieder wett. Da die Bandmitglieder unter anderem aus Schottland, Mexiko und Wien ergibt sich bei den Ansagen eine Mischung aus diversen Akzenten und Sprachen, während bis auf den Dauerbrenner „Whiskey In The Jar“ die Songs des nachmittäglichen Sets ohne Texte auskommen. Bei CELTICA zeigt sich erstmals der Vorteil der Lounges vor der Bühne: Dort wird fleißig getanzt, und sowohl auf als auch vor der Bühne ist allein der Anblick von feiernden Menschen etwas so Schönes, dass auch die eigene Anspannung nachlässt. Bei den Songs aus ihrem neuen Album „Celtic Spirits“ wie „Granuaile“ oder „When The Crown Dazed The World“ kommt bereits ordentlich Stimmung auf, doch besonders bei „Megawatt“ haben selbst die Sitzenden erstes Festival-Blut geleckt. Pünktlich zum Sonnenuntergang können CELTICA mit „Amazing Graze“ ihr Set besonders würdevoll beenden.
Als erster Headliner des BENEFIZ AM BERG packen CORVUS CORAX die (zahlreichen) Dudelsäcke aus. Die Setliste der König der Spielleute umfasst ein Best-of, über das die Fans im Vorfeld abstimmen durften. Die musikalische Reise erstreckt über den Orient bis nach Italien und Berlin: Mit „Urmavi“ präsentieren die Szeneveteranen das älteste aus dem Orient überlieferte Stück, zu dem sich mit „In Taberna“ und „Venus Vina Musica“ die gewohnten Trinklieder gesellen. „Mille Anni Passi Sunt“ behandelt wiederum das, was Frontmann Castus liebevoll als Draculas Blutspendeparty in Berlin übersetzt. Mit „Taverna Secundus“ bieten CORVUS CORAX einen ersten Vorgeschmack auf ihre weitere musikalische Reise; der Song behandelt den ärgerlichen Umstand, wenn man nackt nach Hause muss, weil man in der Taverne das letzte Hemd für Alkohol ausgegeben hat. Besonders für Spielleute kein allzu ungewöhnlicher Zustand. Angereichert mit einem Wikingertanz, etwas Carmina Burana und viel Bekanntem wie „Totus Floreo“ halten die Berliner die Menge, aber besonders die Besucher in den Lounges, dauerhaft bei Laune. Besonders schön zu erleben ist dabei, wie sich die Spielmänner sichtlich verbunden mit dem Festival fühlen.
Als nächtliches Betthupferl sorgen schließlich DES TEUFELS LOCKVÖGEL für ordentlich Stimmung zu vorgerückter Stunde. Der nimmermüde Spielmann Marcus van Langen musste kurzfristig an der Besetzung seiner Kapelle schrauben, ist davon aber zu keiner Sekunde aus der Ruhe zu bringen. Der Auftritt umfasst bekannte mittelalterliche Klassiker wie „Ai Vis Lo Lop“ oder „Como Poden“, zu dem Sängerin Mega Morgenstern auf einer Art Wok musiziert, sowie einzelne Lieder aus dem Fundus von Van Langen, einem weiteren Projekt von Marcus van Langen. Davon überzeugt besonders „Miri It Is While Summer Ilast“ vom Album „Zeychen der Zeyt“. Erneut überzeugen die Lounge-Besucher mit ihrem Durchhaltevermögen, so dass auch die Show von DES TEUFELS LOCKVÖGEL einen stimmungsvollen Eindruck hinterlässt. „Der Spielmann von Pertenstein“ und „Drei Spilleyt“, die zwei vielleicht bekanntesten Lieder der Gruppe, tragen zu diesem Eindruck ebenfalls bei.
Während der Anblick der leeren, weiten Wiesen anfangs noch für eher gedrückte Stimmung sorgt, führt jedes gespielte Konzert, jeder weitere motivierte Kleinkünstler und redselige Standbetreiber dazu, dass das Festival sich mehr und mehr auch wie ein solches anfühlt. Das macht Hoffnung und weckt Vorfreude auf die kommenden zwei Tage, an denen hoffentlich mehr Zuschauer den Weg zum BENEFIZ AM BERG finden.