Festivalbericht: Amphi Festival 2012

21.07.2012 - 22.07.2012 Tanzbrunnen, Köln

Tag 1

Und sie scheint doch noch, die Sonne! Da zieht es selbst die Nachtaktiven nach draußen, genauer gesagt um den Tanzbrunnen in Köln, wo das Amphi Festival 2012 die Türen für sie geöffnet hielt. Ob abwechslungsreicher Konzertmarathon oder noch abwechslungsreichere Moden- und Körperschau, Freunde-Treff oder Kontaktbörse: Wer suchet, der findet hier. So zeigt sich das Amphi auch dieses Jahr wieder von seiner besten Seite.


Vorweg gesagt: Wer sich nur auf Festivals mit matschigen Campingplätzen, verdreckten Wegen, mies gelaunter Security und ohne sanitäre Anlagen so richtig ins Festivalfieber katapultieren lässt, der ist hier eher fehl am Platz. Denn hier stimmt in punkto Wohlfühlfaktor einfach alles. Die Wege sind sauber, es gibt genügend ordentliche und saubere Toiletten für alle, die Konzerte beginnen überpünktlich, und der Sound ist phänomenal – sowohl draußen als auch in der Halle. Seit diesem Jahr kann das Amphi auch mit einem Geldautomaten und Schließfächern auf dem Gelände aufwarten. Das besondere Highlight: Ein kostenloser Trinkwasserspender. Bei so vielen Menschen in schwarz und fest geschnürten Miedern, und das bei sengendem Sonnenschein, eine vorausschauende Maßnahme. Hut ab an die Organisation.

Kein Wunder also, dass die Besucher bei diesen wunderbaren Bedingungen entsprechend reagieren und sich von ihrer besten Seite zeigen. So ist um halb 12 im Staatenhaus bereits die Hölle los, als EISENFUNK die In-Door Bühne betreten. Warum genau die deutsche Rhythm ’n‘ Noise Kombo in die Mittagszeit verbannt wurde will irgendwie nicht so recht einleuchten. Die Stimmung ist großartig, die Band gut gelaunt, und so vergehen die 40 Minuten wie im Flug. Trotz Mittagsschläfrigkeit wird bereits ausgelassen mitgesprungen, -getanzt und –gesungen, und die einfachen, aber sehr eingängigen Melodien und Texte machen Lust auf mehr – und auf die kommenden Festival-Tage.

Die darauffolgenden Stunden bieten die perfekte Gelegenheit, das kulinarische Angebot und die Marktstraße genauer unter die Lupe zu nehmen, sowie die vorbeilaufenden Menschen zu beobachten. Die Kreativität und Liebe zum Detail bei vielen der aufwändigen Outfits ist mehr als bewundernswert, viele Amphi-Besucher bilden mit ihren Outfits eine Art faszinierendes Gesamtkunstwerk. Sogar die anwesenden Kleinkinder tragen schwarze Shirts, Schottenröcke, bunte Bänder im Haar oder haben sogar gefärbte Strähnchen. Auch ein pinkes Prinzessinnen-Outfit mit Krönchen ist da völlig legitim. Toll, wie offen und begeistert schon die Kleinsten mit ihren Eltern bei den Konzerten mitfeiern und über das Gelände spazieren, obwohl nicht nur die Fremden für Kinderaugen teils recht gruselig gekleidet sind, sondern oft auch Mama und Papa in freizügigen Lack-Outfits und weißen Kontaktlinsen sicherlich völlig anders aussehen als gewohnt. Das alles ist Grund genug, sich die Zeit zu nehmen, sich hinzusetzen und die Menschen zu beobachten. Und vielleicht selber zu diesem Meer aus Kunstwerken zu gehören.

Einen Besuch bei dem sehr unterhaltsamen Vortrag des HERRN DR. BENECKE kann man sich natürlich auch nicht entgehen lassen. Mit viel Wortwitz und Charme erzählt der Forensiker aus seinem Arbeitsalltag und zeigt anhand eines spannenden Einzelbeispiels, wie Ungereimtheiten in Kriminalfällen aufgedeckt aber auch entschlüsselt werden können. Wenn auch diesmal, so BENECKE, ganz ohne Bildern von Kadavern und Verwesung. Unterhaltsam und lehrreich ist es aber allemal.


Um 16:10 Uhr beginnen CORVUS CORAX mit ihrem Programm. Auch ohne den alten Frontmann Teufel haben sie sich mittlerweile wieder zu einer Einheit zusammengefunden und beeindrucken wie üblich mit einem opulenten Bühnenaufbau und tollen Outfits. Die ersten paar Songs über ist die Stimmung noch etwas verhalten, doch durch einige ihrer sehr tanzbaren Hits taut die Menge Stück für Stück auf. Die Wahl der Setlist ist dafür eventuell nicht ganz passend gewesen, trotzdem macht es immer wieder Spaß, die Musiker beim Spielen zu beobachten und sich von den Melodien mitreißen zu lassen.

Direkt danach leiten CAMOUFLAGE das Abendprogramm ein. Da die Musik für meine Freunde und mich aber etwas zu monoton ist, statten wir lieber dem aufgeschütteten Sandstrand mit Liegen und Betten einen Besuch ab. Es ist schon ein amüsanter Anblick, die vielen schwarzen Gestalten an einem Strand liegen und sich sonnen zu sehen. Da gesellt man sich gerne dazu und steckt entspannt die Zehen in den Sand.

Pünktlich zu EISBRECHER stehen wir aber wieder vor der Bühne und lassen uns von der Band um Frontmann Alex begeistern. Der zeigt sich sichtlich gut gelaunt. Das Programm besteht hauptsächlich aus Stücken des neuen Albums „Die Hölle muss warten“, aber auch der ein oder andere Klassiker findet seinen Weg in die stimmungsvolle Setlist. Schließlich wird auch noch der Sepplhut aufgesetzt und mit einer Kostprobe seiner Jodelkunst stimmt Alex die Zuhörerschaft auf „This is Deutsch“ ein – bei dem wie üblich lautstark mitgesungen wird. Perfekt im Zeitplan werfen sie noch ihre berühmten Eisbär-Kuscheltiere ins Publikum und machen die Bühne frei für den Main-Act des Tages – den SISTERS OF MERCY.

Diese schaffen es jedoch trotz optimaler Bedingungen nicht wirklich, den Funken überspringen zu lassen. Musikalisch sind sie in sehr guter Form, doch wer sich live behaupten will braucht mehr als nur zündende Musik. Die SISTERS spielen auf völlig leerer Bühne, nicht einmal ein Banner verrät ihren Namen, und Publikumsinteraktion oder Ansagen fehlen leider auch völlig. Da uns dieser Auftritt nicht so recht überzeugt, wechseln wir in das Staatenhaus, wo APOPTYGMA BERZERK ihre sehr tanzbare Mischung aus Synth Rock und Elektro zum Besten geben. Im starken Gegensatz zum Parallel-Act kocht die Stimmung hier fast über, es wird lauthals mitgesungen und überall wird getanzt und gefeiert. Ein toller Abschluss für einen spannenden ersten Festivaltag.

Tag 2

Auch am nächsten Tag war bereits kurz nach Öffnung des Geländes schon die Hölle los. Als SOLAR FAKE um 12:30 Uhr zu spielen beginnen, ist das Gelände vor der Bühne bereits gerammelt voll. Konsequent elektronisch und mit durchdachten Texten stimmt Sven Friedrich sein Publikum auf die kommenden Stunden ein. Die verbringen wir dann erst einmal wieder auf dem Markt. Peoplewatching.

Anschließend lassen wir uns von COPPELIUS auf der In-Door Bühne verzaubern. Die Band, die laut eigener Aussage bereits seit über 200 Jahren miteinander musiziert, ist trotz fehlendem Freiluft-Flair bestens motiviert und präsentiert wie immer tadellos ihr eigenwilliges Bühnenkonzept. Schlagzeug, Cello, Kontrabass und zwei Klarinetten bilden den Klangteppich, der vor allem live und so charmant vorgetragen besonders überzeugt. Die Mischung aus einzigartiger Bühnenshow und –präsenz sowie absoluter Virtuosität (muss wohl an 200 Jahren Übezeit liegen) macht Spaß und macht Lust auf mehr. COPPELIUS gehört eindeutig zu der Liga an Bands, deren Studioalben einfach nicht mit einem erlebten Live-Auftritt mithalten können.


Um 17:25 Uhr wird es schließlich wieder Zeit für die Mainstage. MONO INC. feierte 2010 seinen großen Durchbruch als Supportband von UNHEILIG, existent ist die Band jedoch schon seit 2000, mit stetig wachsender Fanbase. Und das völlig zu Recht. Mit Unikat Martin Engler, Carl Fornia und Manuel Antoni sowie der talentierten Schlagzeugerin Katha Mia ist die Band gerade in Top-Form und präsentiert sich auch so. Was besonders begeistert: Ihre neue Single „Arabia“ gibt es kostenlos zum Download.


Mit dem nun folgenden Auftritt von BLUTENGEL hätte der Kontrast jedoch nicht größer sein können. Geschmäcker mögen ja verschieden sein. Doch diesen Auftritt können nicht nur wir, sondern auch viele Zuhörer um uns herum eher als eine Art Unfall betrachten. Oder was genau fabrizieren die vier Tänzerinnen da, die sich Lied für Lied auf der Bühne räkeln? Da wird die eine oben ohne von einem dunkel gekleideten Wesen mit Kunstblut übergossen, während die nächste sich langsam ihres Nonnenkostümes entledigt. Zu viert schwingen sie die künstlichen Flügel durch die Luft, und immer und immer wieder das Motiv der von Vampiren verführten Jungfrau. Das wäre ja alles noch unterhaltsam, wenn es nicht so wahnsinnig lächerlich wirken würde – schließlich ist die Choreografie nicht nur unsynchron, sondern die Frauen werfen sich auch regelmäßig unsichere Blicke zu. Ja, bei diesen komplexen Tanzschritten auch kein Wunder … Der Gipfel der Geschmacklosigkeit ist spätestens dann erreicht, als die Damen mit blutbespritzen Krankenhauskitteln Babypuppen mit auf die Bühne bringen, die sie anschließend genüsslich misshandeln und ihnen das Futter herausziehen. Vielleicht hätten wir einen solchen Auftritt bei einem Gothic Festival erwarten müssen. Aber BLUTENGEL hätten sich einen größeren Gefallen getan, hätten sie einfach ihre Musik und ihre Videos für sich sprechen lassen. Denn auf die Musik hat bei diesem Auftritt keiner mehr geachtet.

Zum Glück betreten um 20:30 Uhr AND ONE die Bühne. Schon nach wenigen Sekunden zieht die deutsche Synthie-Pop-Band ihr Publikum in den Bann. Obwohl Sänger Steve Naghavi laut eigener Aussage hohes Fieber hat, singt er sich die Seele aus dem Leib. Man hat fast das Gefühl, als wäre dieser Auftritt die beste Heilkur für ihn. Kleine Textaussetzer überspielt er sehr charmant und natürlich, und immer und immer wieder ruft er den letzten Song des Abends auf – nur um immer und immer wieder einen drauf zu setzen und die Spielzeit gnadenlos zu überschreiten. Selten hat ein Auftritt so viel Spaß gemacht. Und wer trotz Krankheit und Heiserkeit so lange gut gelaunt durchhält, verdient den größten Respekt. Als dann schließlich tatsächlich die letzten Töne erklingen, hat wohl jeder noch Lust auf mehr.

So lässt auch dieser zweite Festivaltag keine Wünsche offen. Weder Wetter, noch Leute, noch die Musik. Man fährt zufrieden nach Hause – und freut sich bereits auf 2013.

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