Konzertbericht: Alcest w/ Svalbard, Doodseskader

15.11.2024 München, Backstage (Werk)

Es gibt Tour-Packages, die erschließen sich von selbst – und solche, bei denen man sich zunächst einmal fragt, wie das denn nun alles zusammenpassen soll. Die Kombination aus ALCEST, SVALBARD und DOODSESKADER fällt in zweitere Kategorie – ist am Ende aber ein Paradebeispiel dafür, warum solche Konstellationen (sofern nicht willkürlich zusammengestellt) oft die spannenderen sind.

DOODSESKADER im November 2024 in MünchenUm 19:00 Uhr gehört die Bühne zunächst DOODSESKADER. Die sind zwar nur zu zweit – das kompensieren Amenra-Bassist Tim De Gieter und sein Mitstreiter Sigfried Burroughs am Drumkit jedoch einerseits mit einer intensiven Performance, andererseits mit einer gelungenen Videoinstallation, bei der die deprimierenden Texte der Belgier in wuchtigen Lettern über die Körper der Musiker und die riesige Leinwand flimmern. Nur mit Bass, Schlagzeug, Gesang und elektronischen Samples kreieren DOODSESKADER eine mal düstere, mal verstörende Atmosphäre, die in ihrer Brutalität und Härte alles in den Schatten stellt, was heute noch kommen wird – gerade deswegen aber einen perfekten Einstieg in diesen insgesamt sehr emotionalen Abend bietet. Die Intensität der Show vermag auch das Publikum mitzureißen: Obwohl ein Großteil der Anwesenden vorher wohl noch nie von der Band gehört hat und vermutlich auch eher auf melodischere Musik steht, ernten DOODSESKADER völlig verdientermaßen lautstarken Applaus.

01. Pastel Prison
02. The Sheer Horror Of The Human Condition
03. It’s Not An Addiction If You Don’t Feel Like Quitting
04. Innocence (An Offering)
05. FLF
06. People Have Poisoned My Mind To A Point Where I Can No Longer Function

SVALBARD im November 2024 in MünchenWie einer Antiklimax von „roh“ zu „melancholisch“ folgend, geht es bei SVALBARD zwar auch noch hart, im gebotenen Post-Metal aber merklich melodischer und von der Atmosphäre her viel positiver zu: Fronterin Serena Cherry freut sich – trotz Schlafmangel, wie sie berichtet – sichtlich, auf dieser Bühne vor so vielen Fans performen zu dürfen: Das Backstage Werk ist mittlerweile proppenvoll. Dass der Sound bei SVALBARD leider nicht sehr gut ist – und das nicht nur im Publikum, sondern wohl auch auf der Bühne, sodass Cherry sichtlich zu kämpfen hat und ihre Gesangsleistung von den Alben oder anderen Shows heute nicht ganz reproduzieren kann, ist in diesem Kontext natürlich schade. Mit Hingabe und vielen schönen Songs können SVALBARD das aber halbwegs kompensieren: Am Ende macht die Show der Briten trotzdem Freude – schon allein aufgrund der Hingabe, mit der sich SVALBARD den heutigen Herausforderungen stellen.

01. Eternal Spirits
02. Disparity
03. Open Wound
04. For The Sake Of The Breed
05. Defiance
06. To Wilt Beneath The Weight
07. Faking It

ALCEST im November 2024 in MünchenHinter geschlossenem Bühnenvorhang umzubauen, ist im Backstage Werk meistens übertrieben – hält sich der Aha-Moment beim Öffnen der schwarzen Stoffbahnen doch in der Regel sehr in Grenzen. Nicht so bei ALCEST: Die Bühne ist mit einer leuchtenden Sonnenscheibe, zwei Kranichen sowie Grasbüscheln rundum gelungen dem „Les Chants de l’Aurore“-Artwork nachempfunden. In Kombination mit der bis ins kleinste Detail auf die Musik abgestimmten Lichtshow und perfektem Sound könnte das Setting auf der Bühne stimmiger nicht sein. Vor der Bühne wiederum steht die größte Crowd, die ALCEST auf dieser Tour bisher und in München als Headliner je hatten: Das Backstage Werk ist auf volle Kapazität geöffnet und trotzdem ausverkauft.

ALCEST im November 2024 in MünchenDas lässt auch die Band nicht kalt: Selten hat man Fronter Neige so viele Worte zwischen den Songs sprechen hören – und doch braucht es eigentlich keine seiner dankbaren Ansagen, um zu merken, dass die heutige Show auch für ALCEST etwas Besonderes ist. Lächelt der Franzose auch sonst oft beseelt, wirkt er heute von der Atmosphäre richtiggehend entrückt. Nach dem finalen „L’Adieu“ dirigiert er das singende Publikum wie in Trance weiter, bis Gitarrist Zero zurück auf die Bühne kommt und ihn, wie um ihn in die Realität zurückzuholen, sanft an die Schulter tippt.

Zwischen diesen zwei Momenten reicht ein Blick in die verklärten Gesichter der Musiker, um zu verstehen, auf welchem Level hier Kommunikation zwischen menschlichen Wesen mittels Schallwellen und Rhythmus stattfindet. Und obwohl ALCEST mit InEar-System und auch dem einen oder anderen Sample arbeiten, merkt man der Musik an, dass sie pulsiert und lebt: Die vollen Klänge von Winterhalters extrem tiefen Trommeln, der warm-weiche Sound der Cleangitarren und Neiges emotionaler Gesang verbinden sich zu einer selten so gehörten Einheit. Was genau ALCEST dabei für Songs anstimmen, ist schlussendlich nachrangig. Dennoch ist es zumindest einer Randbemerkung wert, dass ALCEST – anders als viele andere Bands – nicht vornehmlich auf Klassiker setzen, sondern ihrem neuen Album mit fünf von zwölf Songs fast die Hälfte ihres fast 90-minütigen Sets widmen – und dem Vorgänger „Spiritual Instinct“ immerhin noch drei.

01. Komorebi
02. L’Envol
03. Améthyste
04. Protection
05. Sapphire
06. Écailles De Lune – Part 2
07. Flamme Jumelle
08. Le Miroir
09. Souvenirs D’Un Autre Monde
10. Oiseaux De Proie
11. Autre Temps
12. L’Adieu

ALCEST im November 2024 in München

Ästhetisch stilvoller und zugleich musikalisch besser hätte man dieses Konzert nicht inszenieren können – und das gilt nicht nur (aber natürlich insbesondere) für den Auftritt des Headliners, sondern für den Abend im Ganzen: Selten hat sich ein Billing stimmiger aneinandergefügt als bei der heutigen Reise aus den düsteren Klang-Welten von DOODSESKADER über die harte, aber hoffnungsvolle Musik von SVALBARD bis zur lieblichen Melancholie von ALCEST. Herz, was willst du mehr?

ALCEST im November 2024 in München

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