Interview mit Fabien W. Furter von Wheelfall

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Nach ihrem eher introvertierten Doppelalbum „Glasrew Point“ haben die französischen Industrial-/Post-Metaller WHEELFALL mit „The Atrocity Reports“ ein gnadenlos brutales Album veröffentlicht, das seinem Namen mehr als gerecht wird. Inwiefern diese beiden Alben dennoch miteinander in Verbindung stehen, was es mit der gewalttätigen Bildsprache der neuen Platte auf sich hat und warum die Band neuerdings bei Apathia Records unter Vertrag steht, erfahrt ihr im folgenden Interview mit Frontmann Fabien W. Furter.

WHEELFALL scheint ein recht passender Name für eine Industrial-Metal-Band zu sein. Was genau steckt dahinter?
Der Name kann viele Bedeutungen haben, so wie unsere Musik, und das ist es, was mir am meisten an dem Namen WHEELFALL gefällt. Ist das „wheel“ die Sonne, die fällt und verschwindet? Ist WHEELFALL eine Anspielung auf „we will fall“?

Ihr vermischt die verschiedensten Stile – Industrial, Sludge, Post-Metal und noch mehr. Was genau wollt ihr mit eurer Musik ausdrücken?
Musik ist vor allen Dingen eine Sprache und ich habe entschieden, sie nicht zurückzuhalten: Damit meine ich, dass ich jeden Sound verwende, der meinen Intentionen dient. Kurz gesagt, ich will mich selbst ausdrücken. Ich will keine Musik machen, die in ein bestimmtes Genre passt. Ich will nur MEINE Musik machen, so wie ich mit Worten spreche. Ich liebe Musik jeder Art und bin sehr neugierig, also denke ich, dass sich all dieses Wissen im Sound bemerkbar macht, wenn ich Musik schreibe.

Welche Bands und Musiker haben euch künstlerisch beeinflusst?
Wie ich bereits sagte, bin ich sehr neugierig und leidenschaftlich, wenn es um Musik geht, also: SEHR VIELE. (lacht)
Aber ich würde sagen, einige der wichtigsten sind Scott Walker, Trent Reznor (Nine Inch Nails), David Bowie, Stravinsky, Tom G. Warrior (Celtic Frost), Debussy, Ministry, Morbid Angel

Die französische Metal-Szene bringt momentan viele interessante neue Bands hervor. Seid ihr da auch involviert oder zieht ihr einfach allein euer Ding durch?
Ja, die französische Szene ist wirklich, WIRKLICH interessant. Mittlerweile eine der interessantesten, nach meinem Geschmack. Ich mag es wirklich, mit ihren Akteuren zu interagieren… Ich denke, es ist echt wichtig, nicht alles allein zu machen: Wie kann man von anderen lernen? Wir sind alle Künstler und haben viel zu sagen, da kommen immer großartige Konversationen zustande (durch Musik und Worte). Ich habe früher etwa bereits in den Bands Chaos Echoes (der Drummer spielt auch bei Necrowretch) und Phazm gespielt und unser aktueller Drummer ist auch bei der Band Joy/Disaster. Wir haben hier Verbindungen zu vielen tollen Bands, das ist ein wirklich motivierender Kontext, um die beste Musik zu erschaffen, die wir machen können. Ich würde echt gern eines Tages mit den Typen hinter Blut Aus Nord reden, wir hätten einander bestimmt viel zu sagen. (lacht)

Euer neuestes Album heißt „The Atrocity Reports“ und es klingt so, als sei der Name Programm. Worum geht es thematisch im Speziellen?
Ich verarbeite die Themen bei allen WHEELFALL-Alben in einer fiktionalen Geschichte, zu „Glasrew Point“ (unserer letzten Platte) führte das sogar zu einem eigenen Roman, der dazu erschien! Die Texte der Platte waren Teil der Geschichte, aus der Sicht eines bestimmten Charakters. Bei „The Atrocity Reports“ ist es dasselbe, aber diesmal wollte ich meinen Blickwinkel auf dem Album ohne einen Charakter ausdrücken, obwohl es auch hier eine Geschichte gibt (ein Roman wird bald auch dazu erscheinen). Die Story von „The Atrocity Reports“ spielt in derselben Welt wie „Glasrew Point“: Einer Welt, in der der eine kleine Gruppe von Leuten die Medien und die Politik kontrolliert und die Bildschirme benutzt, um die Gedanken der Bevölkerung buchstäblich zu vergiften. Die Geschichte folgt einem Serienkiller, der diese Technologie nutzt, um seine Morde in illegalen Kunstausstellungen und im Untergrund zu verbreiten und vorzuführen. Und diese „kleine Gruppe von Leuten“ versucht, ihn zu stoppen.
Es geht auf dem Album also größtenteils um soziale Themen, es ist also politisch. Ich spreche über die Massenkontrolle der Medien, unsere Beziehung zur Technologie und wie sie den Sadismus und die Trägheit der Leute nährt, und wie all dies zum Verlust der Identität und Ideale führt. Ich spreche auch darüber, wie wichtig es ist, dass wir alle uns darüber hinwegsetzen, dass wir skeptisch sind, alles hinterfragen, über die Wichtigkeit, in Aktion zu treten, um die Dinge zu ändern.

Zuvor hattet ihr mit „Glasrew Point“ ein ausgedehntes Doppelalbum veröffentlicht. Euer neues ist hingegen ein kurzer, aber heftiger Angriff auf die Sinne. Was ist der Grund dafür?
Ich wollte nicht nochmal dasselbe Album machen. Ich sehe sie gerne als zwei Teile eines großen Ganzen. „Glasrew Point“ war gewissermaßen introspektiv. „The Atrocity Reports“ ist die Reaktion darauf. Es musste harsch, brutal und rücksichtslos sein. „Glasrew Point“ war ein Gedankenakt. „The Atrocity Reports“ schreitet zur Tat.

Wie ist das Feedback zu eurer letzten Platte ausgefallen? Waren einige Leute davon überrascht, wie sehr sie sich von ihrem Vorgänger unterscheidet?
Das Feedback zu „Glasrew Point“ war atemberaubend! Es war wirklich toll: Ich denke, die Leute (und die Presse) haben verstanden, was wir tun wollten und dafür hat man uns gelobt (wie cool ist das denn?!). Sie waren natürlich überrascht, schließlich waren wir nach dem Release von „Interzone“ 2012 für zwei Jahre aus der Szene verschwunden, das war noch eher Stoner/Doom. Für mich persönlich war das noch nicht die endgültige Form von WHEELFALL, obwohl ich wirklich stolz auf diese Stoner/Doom-Jahre bin, das ist Teil unserer Identität. Für mich waren 2015 „Glasrew Point“ und jetzt „The Atrocity Reports“ das, was WHEELFALL wirklich sein sollte.

Gibt es einen Track auf „The Atrocity Reports“, den du besonders repräsentativ für das Album oder besonders gelungen findest? Wenn ja, welcher und warum?
Ich liebe wirklich alle Songs auf „The Atrocity Reports“ gleichermaßen! Aber der, der besonders in mir widerhallt, ist „There Is No You“, weil es ein sehr persönlicher und intimer Song ist. Es tat mir gut, diesen Track zu kreieren und aufzunehmen.

Am meisten sticht wohl „Black Bile“ hervor, der Song ist eher ruhig und klar gesungen, aber auch auf seine Weise unheimlich. Was war euer Gedanke hinter dieser Nummer?
Das ist der erste Song, den ich klar singe, also ist er wirklich besonders. (lacht) Hippocrates war der Ansicht, dass Trübsinn durch einen Überschuss an schwarzer Galle verursacht wird: Der Song befasst sich mit dem Trübsinn, der durch die Unfähigkeit, alles zu kontrollieren, entsteht. Sogar die Worte sind hier außer Kontrolle. (lacht) Ich dachte, tiefer Gesang würde zu der Stimmung beitragen, die ich erzeugen wollte, melancholisch, aber auch verstörend.

Zu „The Way To Every Crime Is Ours“ und „Violence Is Seduction“ habt ihr jeweils ein sehr gewalttätiges Video veröffentlicht. Warum gerade zu diesen Tracks und was ist der Sinn hinter diesem visuellen Gemetzel?
Es sind meiner Meinung nach die zwei Songs, die auf dem Album am schnellsten zum Punkt kommen, außerdem sind die Titel leicht zu verstehen und geben so die Stimmung des Albums wieder. Wie du bereits gesagt hast, das Album ist brutal, also wollte ich das auch auf die Videos übertragen, um so ein Gesamtkunstwerk zu schaffen (durch Musik, Worte, Visualisierung)! Ich begeistere mich übrigens für Cronenberg, Fincher, Kubrick und Carpenter… Ich liebe ihre bedeutungsvolle, provokante und mysteriöse Bildsprache, manchmal kontrolliert, dann wiederum überhaupt nicht. Das waren wohl auch unterbewusste Einflüsse. (lacht)

Habt ihr in eurem Privatleben auch schon Erfahrungen mit Gewalt machen müssen?
Ja… Und ich denke, wir alle haben schon bis zu einem gewissen Grad mit Gewalt zu tun gehabt. Gewalt ist nicht immer „physisch“. Psychologische Gewalt ist meiner Meinung nach die heimtückischste und zerstörerischste Form der Gewalt. Wir müssen alle vorsichtig sein, denn leider ist es nur allzu leicht, gewalttätig zu sein… Es ist, wie ich es in „Violence Is Seduction“ sage: „Violence is seduction / defiance [is] construction“. Und lass mich das mit einem Zitat von Chateaubriand abschließen: “What destroys morality among nations, and with morality those nations themselves, is not violence, but seduction; and by seduction I mean that which all false doctrine contains of the flattering and the specious. Men often mistake error for truth, because every faculty of feeling or intellect has its false representation: Calmness resembles virtue, rationalisation reason, emptiness depth, and so on.”

Auf dem Artwork sieht man etwas, das wohl ein Kopf ist, der in irgendetwas eingehüllt ist. Was hat es damit auf sich?
Es ist genau das: Ein blutiger menschlicher Kopf, der in Plastik gehüllt ist… Es ist das Opfer aus dem Video zu „The Way To Every Crime Is Ours“. Mir ist es lieber, wenn die Leute selbst überlegen, wie man das Bild interpretieren kann (was ich zuvor gesagt habe, hilft da bestimmt). (lacht)

„The Atrocity Reports“ erschien über Apathia Records. Wie kam es dazu, dass ihr euer Label gewechselt habt und warum habt ihr euch gerade für dieses entschieden?
Genau genommen wurden unsere bisherigen Alben über Sunruin Records veröffentlicht, das Label habe ich selbst gegründet, um unsere Alben in völliger Freiheit zu veröffentlichen. Aber es war so viel Arbeit… Ich kann nicht alles allein machen und ich will es nicht. Es war eine großartige Erfahrung, aber ermüdend. Als wir also die Möglichkeit hatten, bei Apathia Records zu unterschreiben, haben wir das ernsthaft in Betracht gezogen! Und sie vertrauen uns voll und ganz mit unserer Musik, da wir etwas Neues und Originelles machen. Schau dir ihre Bands an, die Jungs haben vor nichts Angst und nehmen nur Bands, die ihnen gefallen und die sie interessant finden! Und DAS ist, was ich eine Plattenfirma nenne. Danke nochmal an sie. (lacht)

Was habt ihr als Nächstes für WHEELFALL geplant?
Wir haben zwei Alben, auf die wir richtig stolz sind, mit sehr vielen Songs. Die wollen wir so oft wie möglich live spielen, vor so vielen Menschen wie möglich! Wir werden so viel es geht touren, auf jeden Fall.

Jetzt noch unser traditionelles Metal1.info-Brainstorming. Was fällt dir zu den folgenden Begriffen ein?
Lieblingsalbum: Nur eines ist… brutal! (lacht) Nine Inch Nails’ „The Downward Spiral“.
Sicherheit: Langeweile
Blast-Beats: Kokain
Emmanuel Macron: Oligarchie
Zensur: (Soziales) Hacken
WHEELFALL in fünf Jahren: Mit dem weitermachen, was wir wollen, vor tausenden Leuten.

Danke nochmal für deine Antworten. Wenn du zum Abschluss noch etwas sagen willst, nur zu:
Danke vielmals für dieses Interview und vielen Dank den Lesern, die neugierig waren und das hier gelesen haben!

Publiziert am von Stephan Rajchl

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