Interview mit Nils Richber von Walking Dead On Broadway

Das Besetzungskarussell von WALKING DEAD ON BROADWAY drehte sich zumindest kurzfristig, als Sänger Robert im vergangenen Jahr der Band den Rücken kehrte. Gemeinsam mit dem neuen Frontmann Nils Richber wurde nun das aktuelle Album „Dead Era“ veröffentlicht. Im Interview mit Sänger Nils könnt ihr mehr über den Entstehungsprozess des Longplayers, die Single-Auswahl und seine Verbindung zu In Flames und Trivium erfahren.


Hallo und danke, dass du dir die Zeit für dieses Interview genommen hast. Alles gut bei dir?

Hi, danke der Nachfrage! Mich macht die ganze Geschichte um den Hambacher Forst, der heute endgültig geräumt werden soll, gerade ziemlich traurig, aber privat alles ausreichend gut!

Euer aktuelles Album habt ihr „Dead Era“ getauft. Zeichnet ihr damit das Bild einer düsteren Zukunft oder deutet es auch auf einen Neubeginn in der Bandgeschichte hin?
Der Titel stand schon fest, bevor ich der Band beigetreten bin und mich um die inhaltliche Ausarbeitung des damit in den Raum gestellten Themas befasst habe. Dahingehend liegt es nahe, dass der Einschnitt in der Bandgeschichte zur Titelfindung beigetragen hat. Inhaltlich geht es dann tatsächlich um ein düsteres Epochengefühl, aber nicht bloß um die Zukunft, sondern durchaus auch um die Gegenwart und eine unabgegoltene Vergangenheit. Der Titel bezieht sich auf die Idee vom Ende der Geschichte oder des „Posthistoire“ als der Erfahrung, dass wir in einer Art Amnesie oder in einem geschichtspolitischen Vakuum leben. Es gibt eine Stimmung der Hoffnungslosigkeit, wenn die auch verschiedene Gestalten annehmen kann – Zynismus oder maßvolle Zufriedenheit sind genauso Zustände ohne Hoffnung, wie die Verzweiflung. Aber das, was die Hoffnung verschwinden und dadurch auch ein düsteres Zukunftsbild entstehen lässt, ist ein sang- und klanglos abgefertigtes Streben nach Befreiung. Kaum jemand, zumindest in Europa, würde heute sagen, dass der globale Kapitalismus eine großartige und leidenschaftlich zu verteidigende Einrichtung der Gesellschaft ist und keiner außer den selbstverliebten Pseudo-Philantropen im Silicon Valley erwartet mehr, dass er in naher Zukunft das größtmögliche Glück der größtmöglichen Zahl realisiert haben wird. Das Argument gegen Veränderung ist stets bloß ihre Vergeblichkeit. Dead Era richtet sich gegen diese Ideologie des Achselzuckens und legt den Finger darauf, dass sich die Leichen der Geschichte nicht einfach als Ramsch im Keller der herrschenden Ordnung wegsperren oder in ein Menschheitsmuseum verwandeln lassen, sondern dass wir die Geschichte nicht loswerden und dass sie uns, wenn wir sie nicht neu aufrollen, als eine Art Zombie-Apokalypse aus der Zukunft wieder entgegenkommen wird.

Mit dir hat die Band zum ersten Mal seit dem Ausstieg von Robert mit einem neuen Sänger gearbeitet. Inwiefern hat sich eure Arbeit an den Songs dadurch verändert? Wie groß war dein Einfluss auf „Dead Era“?
Die musikalische Grundausrichtung des Albums stand bei meinem Einstieg schon fest. Mein Einfluss beschränkt sich daher – abgesehen von immer mal einem kleinen Input hier und da – noch weitgehend auf Vocals und Texte. Was das betrifft, fällt der Unterschied zu den vorherigen Alben dann aber denke ich doch recht deutlich aus. Ich habe versucht, etwas mehr Facetten und mehr Artikulation in die Vocals zu bringen. Bei den Texten war mein Ziel, neben der politisierteren Stoßrichtung, eine möglichst konsequente Verbindung von Direktheit der Aussagen einerseits und Dialektik, also dem unmittelbaren Konterkarieren und Aufheben von Aussagen, andererseits.

Habt ihr noch Kontakt zu Robert? Damals wurde verkündet über die Gründe für den Ausstieg nicht zu sprechen. Ist das noch aktuell?
Ich war an der Geschichte mit Robert noch nicht beteiligt, deshalb kann ich hierzu nicht viel sagen. Die Jungs haben sich meines Wissens alle zusammen getroffen und sind zu der Entscheidung gekommen, getrennte Wege zu gehen. Daher war es weniger ein Ausstieg, sondern ein Entschluss von beiden Seiten. Die genauen Gründe sind privater Natur, deshalb werden diese auch weiterhin nicht kommentiert. Aber man ging nach dem Gespräch im Guten auseinander.

Gerade in der ersten Albumhälfte sind die Songs sehr brachial und straight ausgerichtet, was nur wenig Platz für „Verschnaufpausen“ bietet. Habt ihr diesen Einstieg bewusst gewählt?
Ich schätze, die Ordnung der Songs entspricht dem Gefühl, dass ein gewisses Grundniveau an Dampf bei einem Deathcore-Album im weitesten Sinne den Hintergrund bildet, auf dem sich dann auch Nuancen eintragen lassen. Das setzt einen Schlüsselreiz und schafft einen Rahmen von Kontinuität, in den sich die Experimente, die wir auf dem Album insgesamt treiben, dann einordnen lassen. Man hat so eher das Gefühl, ein WDOB-Album zu hören, als wenn wir direkt und unvermittelt mit irgendetwas Ausgefallenerem angefangen hätten.


Mir sind im Albumverlauf viele symphonische Anteile aufgefallen. Wolltet ihr damit bezwecken euch weiter vom typischen Deathcore zu entfernen? Mit „Standstill“ habt ihr ja sogar ein komplettes Instrumentalstück dieser Art im Repertoire.
Dass das kein herkömmlicher Deathcore im Sinne der Hype-Phase des Genres ist, ist klar. Von dem muss man sich aber auch nicht mehr entfernen. Der hat sich glaube ich schon selbst ganz gut erledigt, seit die Kombinatorik des üblichen Songwriting-Schemas einmal vorwärts und rückwärts durchlaufen wurde. Ich denke Deathcore macht gerade eine Phase durch, in dem die klassischen Stilelemente neu sondiert und nach Inspiration gesucht wird und „Dead Era“ macht da mit dem symphonischen Setting eben mal einen Sprung in eine bestimmte Richtung, von dem aus sich vielleicht neue Möglichkeiten ergeben.

Als erste Singles habt ihr „Hostage Of The Empire“ und „Gospel Of The Kingdom“ samt Musikvideo ausgekoppelt. Wieso fiel die Wahl auf diese beiden Titel?
„Hostage To The Empire“ ist ein recht eingängiger Song, was ihn zu einer geeigneten Wahl macht, um nach dem Einschnitt bei der Band erst mal einen neuen Akzent zu setzen. „Gospel Of The Kingdom“ passt dann meines Erachtens deshalb ganz gut dazu, weil damit ein Kontrast gesetzt und das stilistische Spektrum des Albums so ein bisschen angedeutet wird. Die Tracks passen auch dahingehend ganz gut zusammen, dass sie inhaltlich ein ähnliches Thema behandeln, aber aus sehr unterschiedlichen Perspektiven.

Mit Long Branch Records veröffentlicht ihr erstmals bei eurem neuen Label. Wie kam es zu der Zusammenarbeit? Seid ihr zufrieden mit dieser Wahl?
Micha, unser Gitarrist, hatte Flo von SPV damals bei den Metal Hammer Awards kennen gelernt und die beiden sind da schon mal ins Gespräch gekommen bezüglich unserer weiteren Pläne und haben sich den Labeldeal mit SPV vorbehalten. Zum neuen Album hat es jetzt nach dem Vertragsende mit Arising Empire dann geklappt und bislang sind wir mit der Zusammenarbeit auch sehr zufrieden. Mit Long Branch haben wir auf jeden Fall ein paar starke Partner im Boot, mit denen wir uns sehr gut verstehen und auch merken, dass sie uns sehr engagiert unterstützen. Das ist auf jeden Fall viel Wert – wir sind sehr froh, dass bisher alles so super geklappt hat und freuen uns darauf, was sich in naher Zukunft noch so entwickelt!


Wie reagieren denn die Fans auf eure neue Musik? Konntet ihr schon Songs aus „Dead Era“ live präsentieren?
Ein paar konnten wir schon live spielen, aber in dominanterem Umfang wird das jetzt erst bei den kommenden Shows der Fall sein. Ich kann sagen, dass mir da bis jetzt noch keine total verstörten Reaktionen untergekommen sind, aber um das Feedback insgesamt einzuschätzen, fehlt es noch ein bisschen an Empirie. (lacht)

Gibt es Bands aus dem Deathcore-Bereich oder anderen Metal-Genres mit denen du gerne mal die Bühne teilen würdest? Hast du Idole, die deine Musik beeinflusst haben?
Was den Deathcore betrifft, bin ich im Augenblick großer Fan von Lorna Shore, Enterprise Earth und, wenn man die dazurechnen will, von Fit For An Autopsy. Mit denen zu spielen wäre natürlich cool. Ih mag darüber hinaus viele britische Bands mit Hardcore-Einschlag und Bands aus dem Progressive-/Djent-Bereich. Allgemein denke ich, sollten die Line-Ups eher einen wohlüberlegten Genremix statt eines Klientel-Purismus abbilden. Ansonsten gehört zu meinen Einstiegsdrogen aus der Teenie-Zeit vor allem sowas wie In Flames und Trivium, aber ich hoffe die Zeit der Idole ist für mich einigermaßen vorbei.

Besten Dank für Zeit und Antworten. Zum Abschluss ein Brainstorming:
Helene Fischer: Covergesicht für die Art illustriertes Magazin, das schon im Ladenregal wie Altpapier aussieht.
Chemnitz: Willkommen in unserem schönen Deutschland, das endlich wieder dürfen will, was es zu müssen scheint! Ich kann die kurze Ansprache empfehlen, die Maxim von K.I.Z. bei dieser großen Konzert-Gegendemo gehalten hat. Naja, wenigstens Hase bleibt hier.
Fußball: Opium des Volkes. Nationalismus light. Chemie Leipzig soll ok sein, wir haben ja alle so unsere Opiate.
Das bisher beste Album 2018: Ich gebe Vorschusslorbeeren für Black Peaks – All That Divides.
WALKING DEAD ON BROADWAY in zehn Jahren: Covergesichter für so eine Illustrierte, die schon im Ladenregal wie Altpapier aussieht.

Die letzten Worte gehören dir – gibt es noch etwas, was du unseren Lesern mitteilen möchtest?
Wut braucht kein Ventil, sondern einen Kopf, Augen und Ohren!

Publiziert am von Christian Denner

Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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