Interview mit Phyra von Vroudenspil

Seit vielen Jahren lässt PHYRA die Flötentöne bei VROUDENSPIL erklingen, in diesem Winter erstmals als Support von Schandmaul. In unserer Interview-Reihe „Frauen im Folk“ berichtet PHYRA davon, wie sie Flötistin und nicht Bassistin wurde, wie eine damals 16-jährige Musikerin mit ungewollten Fan-Anrufen zuhause umgeht und wie sie ihr Privat-, Berufs- und Musikerleben trennt.


Ahoi Phyra! Du bist seit über zehn Jahren Teil der Folk-Szene. Wie würdest du diese Zeit in einem Tweet zusammenfassen?
He, ihr da! Früher, im Mittelalter, hat’s fei noch keinen Strom gegeben!

Zusammen mit deinen Bandkollegen Georg und Simon bist du (fast) von Anfang an bei Vroudenspil dabei. Wie hast du die verschiedenen Besetzungen im Laufe der Jahre erlebt? Welche Konstellation war deiner Meinung nach die musikalisch stärkste und welche hat menschlich am besten funktioniert?
Das kann man so wirklich überhaupt nicht pauschalisieren. Jede Besetzung war für sich besonders und stark und in der entsprechenden Phase der Band genau richtig so. Die Besetzungswechsel stellen uns gegenseitig immer wieder auf die Probe, machen aber auch eine Weiterentwicklung möglich, da so immer neue Einflüsse und Charakterzüge dazu kommen. Mit dem Eintritt von Kraken am Drumset haben wir natürlich einen Haufen an musikalischer Professionalität hinzugewinnen können, das war auf jeden Fall sehr wichtig. Die Vroudenspil-Familie, mit all ihren alten und neuen Mitgliedern, PartnerInnen und Kindern verbindet immer noch eine tiefe Freundschaft und wir versuchen uns, so oft es geht, zu sehen.

Was ist derzeit für euch als Band besonders charakteristisch?
Wir machen, auf was wir gerade Lust haben, und hoffen, dass dabei so viele wie möglich mitkommen.

In der Folk-Szene gibt es mit Mr. Hurley und die Pulveraffen, Cultus Ferox, Ye Banished Privateers und vielen weiteren Bands, die mit euch um die Freibeuter-Krone streiten. Wie ist das Verhältnis untereinander? Ist zu diesen Kapellen der initiale Bezug höher oder ist das unabhängig?
Die Freibeuterkrone gibt es nicht. Vor allem die Pulveraffen und die Privateers sind uns sehr ans Herz gewachsen. Wir freuen uns immer tierisch, wenn wir auf den gleichen Veranstaltungen spielen oder wir uns gegenseitig besuchen können. So etwas wie Konkurrenz gibt es, meinem Empfinden nach, dabei überhaupt nicht, eher im Gegenteil. Ich liebe es zum Beispiel die Privateers live zu sehen und bewundere sie für das was und wie sie sind. Und wenn man dann nach dem eigenen Konzert von ihnen mit den Worten „Gosh, this was the best concert ever, I FUCKIN‘ LOVE YOU!“ umgeknuddelt wird und man nur ein „Aww! Vice versa!“ zurückgeben kann, da lacht das kleine Musikerherz schon. Der inhaltliche Bezug ist jetzt aber nichts, was uns mehr zusammenschweißt. Unsere Verbindungen zu Bands wie Feuerschwanz oder Ingrimm sind da ebenso freundschaftlich.

(c) Pushing Pixels

Während die Pulveraffen und auch die Privateers zunehmend durchstarten, ist es um Cultus Ferox eher ruhiger geworden. Ihr habt euren Platz gefunden. Was willst du persönlich mit Vroudenspil noch erreichen und was habt ihr euch als Band gemeinsam vorgenommen?
Als wir mit Vroudenspil starteten, waren wir alle noch Schüler und wollten einfach nur eine Band haben, Musik machen und gemeinsam unterwegs sein. Eine Sache, die sich bis heute nicht geändert hat. Für uns alle ist die Band ein Herzensprojekt, an dem wir mit voller Power unsere Wünsche und Träume zu erfüllen versuchen. Eigener Profit steht bei uns weit hinten, wir wollen uns nicht verbiegen lassen (müssen), sondern in erster Linie zu 100% hinter dem stehen, was wir gemeinsam machen und aus eigener Kraft schaffen können. Die Musik (bzw. Vroudenspil) zum Beruf zu machen, stand für uns nie zur Debatte. Dieser Idealismus ist natürlich anstrengend und so eine Band als Hobby, neben dem eigentlichen Beruf zu betreiben, kostet extrem viel Zeit, aber das ist es uns wert. Dass wir das alles machen können ohne den Druck des musikalischen Erfolgs (der bei den meisten Bands ja die Lebensgrundlage bedeutet), empfinden wir als große Freiheit und hoffen, dass das auch weiterhin so möglich ist. In all den Jahren habe ich so viel schöne, quatschige, inspirierende, traurige und verrückte Momente in dieser Band erlebt und ich wünsche mir, dass jeder von uns noch viele Geschichten in sein eigenes Vroudenspil-Buch schreiben kann.

Ihr habt vor kurzem euer neues Album „Panoptikum“ veröffentlicht, gleichzeitig das erste mit eurem neuen Sänger Paul. Welche Unterschiede gab es in der Entstehung, z.B. im Vergleich zum Vorgänger „Fauler Zauber“, und was bringt Paul an neuen Möglichkeiten für euch?
Na, Don Santo ist ja nicht das einzige neue Mitglied unserer Truppe. Mit Absolem und Neko sind ja noch zwei weitere Musiker zu uns gestoßen. Bei uns gibt es innerhalb der Band Gruppen, die sich um die die unterschiedlichen Themenbereiche kümmern. Mit Don Santo hat das Texte-Team und mit Absolem das Musik-Team neue – und überaus fähige – Mitglieder bekommen.

Würdest du zustimmen, dass ihr euch mit „Panoptikum“ von eurem Piraten-Image entfernt habt?
Ja, tatsächlich. Das haben wir aber auch ganz bewusst so entschieden. Wir wollten uns weiterentwickeln, uns wieder frei machen von thematischen Vorgaben. Die Piratensache ist ab einem gewissen Punkt zu Ende erzählt. Wir hatten Lust, mal wieder andere Wege zu gehen ohne thematische Einschränkungen.

(c) Peter Seidel, www.metalspotter.de

Simon greift bei euch neuerdings zum Saxofon. Hättest du noch andere Instrumente in der Hinterhand, um den Stilmix von Vroudenspil zukünftig weiter zu bereichern?
Petz hatte schon seit langem vor, sich musikalisch weiterzuentwickeln. Der Dudelsack ist ein schwieriges, zickiges Instrument und hat eben auch seine Grenzen. Da sich auch unsere Musik weiterentwickelte, komplexer wurde und sich auch die Tonumfänge änderten, war jetzt der richtige Zeitpunkt für ihn. Von mir wird in dieser Hinsicht aber erstmal nichts kommen. Mir fehlt schlichtweg die Zeit, noch ein weiteres Instrument zu erlernen. Außerdem bietet die Querflöte noch so viele weitere Spielmöglichkeiten, da bin ich noch lang nicht am Ende meiner Fähigkeiten angekommen. Auch wenn ich glaube, dass unsere Musik noch einen Haufen mehr Instrumente vertragen könnte.

War es für dich angenehmer oder schwieriger, als mehrere weibliche Bandmitglieder Teil von Vroudenspil gewesen sind?
Das ist eine Frage, die mir seit Zoras Ausstieg wirklich sehr, sehr oft gestellt wird. Und ich kann nur sagen: Es war wirklich nie ein Thema, welches Geschlecht die Bandmitglieder haben. Man ist zu 100% gleichwertig. Die Jungs sind genauso eitel, ordentlich, kleinlaut oder zickig wie die Mädels, die Mädels mindestens genauso derb, unordentlich, energisch und stinkig wie die Jungs. Es ist einfach egal. Meine Stimme wiegt genauso viel wie die des Rests. In Hotels gibt es dann aber doch immer wieder das schnarchfreie „Mädchenzimmer“. Der Platz neben mir ist dort, seit Zoras Ausstieg, für unsere Lichttechnikerin Maggie reserviert.

Bis dato hast du ausschließlich als festes Bandmitglied bei Vroudenspil gespielt. Gab es in all den Jahren Kontakt zu anderen Kapellen für Gastauftritte?
Diese gab es tatsächlich bisher nicht, ich habe aber auch keine großen Ambitionen dahingehend. Ich mache in erster Linie Musik, um mit meinen Freunden zusammen unterwegs zu sein und nebenbei andere mit unserer Musik begeistern zu können. Bei mir ist das Musikmachen somit tatsächlich sehr an Vroudenspil gebunden und ehrlich gesagt weiß ich nicht, ob ich ohne die Truppe noch Musik machen würde.

(c) Heiner Breuer

Du spielst allerlei Flöten. Wann hast du damit angefangen und wieso hast du dich dafür entschieden, dich sozusagen darauf zu spezialisieren?
Mit 5 Jahren habe ich angefangen Blockflöte zu spielen, mit 10 wechselte ich dann auf Alt- und Querflöte. Ich wollte aber keine klassische Musik oder Jazz machen, sondern immer in einer coolen Punkband spielen. Da passte in meinen Augen die Flöte nicht dazu, also versuchte ich mich am Klavier, an Gitarre und Bass. Ich hatte damals schon fest die Entscheidung getroffen, den Querflötenunterricht an den Nagel zu hängen, als ich dann eines Abends plötzlich zu Vroudenspil eingeladen wurde. Da hatte ich meine Punkband, wenn auch irgendwie anders als erwartet. Im Nachhinein bin ich wahnsinnig froh, dass die Wege mich wieder zurück zur Flöte brachten. Das Instrument ist einfach fantastisch, wandlungsfähig und bietet so viel mehr, als es den Ruf hat. Da ist es natürlich für mich immer wieder schön, wenn Fans (oder deren Eltern) sich bei mir bedanken, dass (oder wie) ich Querflöte spiele und ich ihnen somit Mut mache, dranzubleiben.

Wie würdest du deine Rolle in der Band auf und neben der Bühne beschreiben?
Das kann ich nicht beantworten, ich habe keine bestimmte Rolle in der Band.

Wie ist dein Pseudonym „Phyra“ entstanden?
Haha, das ist wirklich eine sehr gute Frage. Wir haben bei Vroudenspil die Tradition, dass der Rest der Band über den Künstlernamen entscheidet. Und irgendwie wurde es bei mir Phyra. Genaueres weiß ich tatsächlich nicht mehr. Vielleicht kam der Name doch irgendwie von mir? Puh, das ist schon wirklich sehr lange her.

Apropos Pseudonym: Einige Kapellen wie z.B. Versengold haben mit wachsender Bekanntheit ihre Bühnencharaktere abgelegt und treten nun unter ihren bürgerlichen Namen auf, teils wurden dafür auch einzelne Songtexte angepasst. Was hältst du von diesem Schritt?
Meiner Meinung nach kann das jeder für sich selbst entscheiden und ich finde daran überhaupt nichts verwerflich. Bei Versengold sind alle Vollblutmusiker, der Schritt in diese Richtung ist absolut nachvollziehbar. Die Trennung von Privatperson und Bühnenrolle ist für sie ja nicht mehr nötig.

(c) Claudia Finke, www.lafringuella.net

Ihr seid im Herbst mit Schandmaul auf Tour. Was erwartest du dir davon?
Dass wir es überhaupt sind, finde ich schon fantastisch. Wie für die meisten war nämlich auch für mich Schandmaul die „Einstiegsdroge“ in den Folk. Wüsste mein 14-jähriges Ich, das Schandmaul-erste-Reihe-Fangirl, davon, würde es kein Wort glauben. Ich bin aber grundsätzlich niemand mit hohen Erwartungen, sondern lasse die Dinge gerne auf mich zukommen und mich überraschen. Somit freue ich mich einfach nur tierisch auf die gemeinsame Zeit mit den Mäulern.

Wie hast du die Tourneen mit Subway to Sally und die Eisheiligen Nächte in Erinnerung?
Das war auf jeden Fall eine fantastische Erfahrung! Subway to Sally ist ein unglaublich netter Haufen, mit dem wir während der ganzen Tour extrem viel Spaß hatten. Ferner waren das die letzten Auftritte mit Ratz, weshalb das alles natürlich sehr emotional war.

Hast du Vorbilder, die so wahrgenommen werden wie du es dir für dich selbst wünschst?
Ich bin kein Fan von Vorbildern, sondern versuche für mich selbst einen Weg zu gehen, mit dem ich zufrieden bin, anstatt einem Ideal nachzueifern.

Wie bewertest du das Standing von Frauen in der weit gefassten Folk- und Mittelalterszene?
Ehrlich gesagt habe ich (persönlich) noch niemals miterlebt, dass Frauen irgendwelche Gleichstellungsprobleme in dieser Szene haben und empfinde die Gemeinschaft als sehr tolerant, offen und geschlechtlich ausgeglichen.

Wie sehr trägt deine Optik zu deinem Wiedererkennungswert bei?
Natürlich spiele ich gerne mit meiner Optik. Die Bühne bietet mir hier ein wunderbares Pflaster um mich auszuleben. Ich habe aber noch nie empfunden, dass ich auf Äußerlichkeiten reduziert werde oder ähnliches. Ohne ins Detail zu gehen: Ich bemerke allerdings schon wie einige meiner (männlichen) Bandkollegen tatsächlich auf ihr Äußeres reduziert werden. Das ist also nicht nur eine Sache, mit der nur Frauen konfrontiert sind.

(c) Zouberi Photography

Beschäftigen dich Themen wie Gleichberechtigung, Vorurteile und „Sex sells“ als Stigmata für ein weibliches Bandmitglied?
Kein bisschen. Sexismus ist bei uns in der Band zwar omnipräsent, aber immer nur als Teil unseres gegenseitigen Neckens. Kein bisschen davon wird ernst genommen oder gemeint. Wie gesagt: Wir sind alle zu 100% gleichberechtigt.

Wie waren deine Erlebnisse mit Fans? Viele deiner Kolleginnen haben uns von dreisten Fans berichtet, die z.B. zu aufdringlich geworden sind. Ist dir ähnliches passiert und wenn ja, wie bist du damit umgegangen bzw. wie hast du das für dich verarbeitet?
Tatsächlich bin ich davon bisher wohl immer ganz gut verschont geblieben. Natürlich gibt es mal dumme Sprüche, die mich dann aber immer eher belustigen, weil sie gleich SO doof sind. Ich kann mit sowas denke ich ganz gut umgehen und werfe lieber einen blöden Spruch zurück oder fange eine Diskussion über die Fehlformulierung an, als der Situation Raum zu geben und sie in mich reinzufressen.

Gibt es ein Ereignis mit einem Fan oder auch Fotografen, Stagehand oder Veranstalter, das dir besonders im Gedächtnis geblieben ist?
An eine Situation kann ich mich noch erinnern, die aber wirklich schon sehr lange her ist. Ich wohnte damals noch bei meinen Eltern und bekam irgendwann auf das dortige Festnetz einen Anruf. An der anderen Leitung war ein Fan, der einfach nur mit mir quatschen wollte. Da damals wirklich nirgendwo mein eigentlicher Name, geschweigedenn meine Privat-Nummer zu finden war, bedeutete das, dass der Kerl wirklich lange recherchiert haben muss, um die Nummer rauszubekommen. Das fand ich dann schon überaus befremdlich. Mal abgesehen davon, dass ich damals erst 16 oder 17 war.

Du bist mit sozialen Medien aufgewachsen. Wie gehst du mit Facebook, Instagram und Co. um?
Hach, ich stehe dem etwas zwiegespalten gegenüber. Ich konsumiere viel zu viel von den Portalen, allerdings ist das für mich auch mein Zeitungs- & Nachrichtenersatz und Inspirationsquelle. Mein Output in dieser Hinsicht ist allerdings gleich null, da mich die Zurschaustellung und Selbstvermarktung ehrlich gesagt ziemlich anwidert. Die Leute leben inzwischen nicht mehr im Moment, merken nicht mehr was um sie herum passiert, da sie all die schönen Momente gleich dokumentieren, teilen und damit prahlen wollen. Mit dem permanenten Blick durch die Kamera zieht um einen herum doch alles vorbei. Fans, die ganze Konzerte mitfilmen, verstehe ich einfach nicht. Das Schöne an Konzerten ist doch, dass man dabei ist!

Wo ziehst du die Grenze zwischen deinem Bühnen- und Privatleben?
Im Grunde genommen müsste man hier noch das Berufsleben mit rein nehmen. Von außen möchte ich als Bühnenperson weder mit meinem Beruf als selbstständige Designerin noch andersherum in Verbindung gebracht werden. Etwas anderes ist es bei der Trennung zwischen Bühnenperson und Privatleben. Die Freundschaft mit den Jungs geht nämlich weit über das Bühnen- und Bandleben hinaus.

Vielen Dank für deine Zeit und die Antworten. Zum Abschluss noch ein paar Stichworte für ein freies Assoziieren. Was fällt dir als erstes zu den folgenden Begriffen ein?
#metoo – Es ist überaus wichtig, dass das Thema so in die Schlagzeilen gerückt wird und den Betroffenen endlich eine Stimme gegeben wird. Es muss aufhören, dass solche Situationen als selbstverständlich angesehen werden und folgenlos bleiben. Auf der anderen Seite habe ich ehrlich gesagt ein bisschen Angst davor, dass dadurch neue Tabus entstehen, aufrichtig nett gemeinte Komplimente (und damit meine ich kein Catcalling!) als sexuelle Belästigung ausgelegt werden und nicht mehr zwischen Gentleman und Macho differenziert wird.
Wenn ich nicht Flöte spielen würde, dann … – wäre ich wohl Bassistin.
Mittelaltermärkte – Eau de Lagerfeuer, Kirschbierleichen, Glöckchengraus, nichts für Veggies
Nightliner – Nightliner? Bei uns heißt das „Wer von uns trinkt nichts und fährt uns durch die Nacht?“
Ratz von der Planke – Der König der schlechten Wortwitze, schmerzender Bauch vom ganzen Lachen, viel zu weit weg, große Vermissung!

Die letzten Worte gehören dir …
Kommt ihr uns auf der Tour besuchen?

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Dieses Interview wurde per E-Mail geführt.
Zur besseren Lesbarkeit wurden Smilies ersetzt.

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