Mit „Als Tier ist der Mensch nichts“ haben die Bielefelder UNRU ein dreckiges, düsteres und musikalisch kompromissloses Black-Metal-Album veröffentlicht, dass den Crust Punk tief in sich aufgesogen hat. In unserem Gespräch spricht die Band über ihren Zugang zum Black Metal, über den anthropologischen Ansatz zu ihrem Albumtitel und über ihre Beziehung zu Seuche von Fäulnis, ihren den Punk-Brüdern im Metalgeiste.
Glückwunsch zu eurem neuen Album „Als Tier ist der Mensch nichts„! Seid ihr zufrieden mit dem Ergebnis?
Dankeschön! Ja, das Album ist genau das, was es sein sollte und obwohl zwischen Fertigstellung und Veröffentlichung ein ganzes Jahr lag, spiegelt es uns noch erstaunlich gut wieder.
Gab es schon erste Reaktionen darauf, und wenn ja, wie wichtig sind euch Stimmen aus Presse und von Fans?
Es gibt bereits eine Reihe Reviews und wir bekommen auch äußerst liebenswürdiges Feedback per Mail und Facebook. Es freut uns, wenn Leute uns sagen, dass ihnen unsere Musik etwas bedeutet, aber wir lesen auch noch, was die Presse darüber schreibt.
Das hat aber mehr mit Neugierde zu tun. Akklamation brauchen wir nicht.
Wir haben im Vorfeld nicht ausgeschlossen, dass wir insbesondere von der Metalpresse total verrissen werden, insofern ist es für unsere Musik unerheblich, was jemand darüber schreibt.
„Unru“ gibt es nun seit drei Jahren, zuvor wart ihr in unterschiedlichen Crustpunk-Bands aktiv. Was war der Grund, dass ihr euch entschlossen habt, Black Metal zu spielen?
Im Falle von Hendrik und Joschi war es sogar dieselbe Band. Als die sich dann irgendwann aufgelöst hatte, gründeten wir eine neue Band, – damals noch ohne Stephan – die D-Beat spielte. Dann hatte der damalige Gitarrist irgendwelche Probleme mit dem AJZ und sich selbst und kam einfach nie wieder. Wir ersetzten ihn durch Stephan, gaben uns einen neuen Namen und sortierten uns stilistisch. Da Timm sowieso schon immer in BM-Bands gespielt hatte, ergab sich dieser Mix von allein.
Seht ihr euch selbst überhaupt als Black-Metal-Band oder wie würdet ihr eure Musik selbst bezeichnen?
Klar spielt Black Metal als Genre bei unserem bisherigen Songwriting eine Rolle, das ist ja nicht zu überhören. Musikalisch sind wir insofern mehr oder weniger eine Black-Metal-Band. So ein Selbstverständnis spielt aber keine Rolle beim Songwriting. Durchaus möglich, dass der größte Einfluss auf kommendes Material Beach House sind.
War es euch ein Anliegen, die traditionellen Aspekte des Black Metal musikalisch und hinsichtlich eurer Herangehensweise aufzubrechen?
Traditionellen Black Metal kann man nicht mehr verbessern, deswegen machen wir etwas anderes. Wenn jemand in einer Hellhammer-Tribute-Band sein Glück findet, ist das cool, aber nicht unser Ding mit Unru. Wir versuchen, einfachen Lösungen aus dem Weg zu gehen, weil Tradition, Identität und Szene uns einen Scheiß bedeuten. Außerdem wäre es unlogisch, Probleme und Krisen mit schematisch gewöhnlicher Musik aufzuarbeiten.
Die Produktion des Albums ist ja sehr düster, die einzelnen Elemente sind tief ineinander vergraben. Was ist eure Absicht hinter diesem Sound?
Unser Anspruch an Produktion war in erster Linie, dass es niemals zu fett sein durfte. Klassischen Funktionsweisen von Rockmusik versuchen wir aus dem Weg zu gehen, deswegen kommt auch keine undynamische, glatte Hochglanzproduktion in Frage. Wenn wir im Songwriting nicht auf unmittelbare Effekte abzielen, darf die Produktion das auch nicht. Die organischen Aufnahmen, die Role in der Tonmeisterei von uns für „Als Tier ist der Mensch nichts“ gemacht hat, unterstützen den introvertierten Charakter des Albums dadurch sehr gut, dass man eintauchen und sich damit beschäftigen muss, bevor irgend etwas Sinn ergibt.
Wie würdet ihr den Unterschied zwischen euren bisherigen Splits, eurer Demo und eurem ersten Album beschreiben?
Das Demo ist euphorisch, impulsiv und chaotisch – die Analogie zum Rausch ist dabei kein Zufall. Die beiden Splits mit Paramnesia und Sun Worship loten dann erstmals unsere stilistische und musikalische Grenze aus – in eine Richtung. Das hatte für uns gut funktioniert, konnten wir aber als Dauerzustand nicht hinnehmen. Deswegen kommen auf dem Album verschiedene Elemente zusammen. Es gibt minutenlange, getragene Blast-Beat-Passagen, dann passiert wieder viel schräges Zeug. Und es gibt „Hēdonḗe“.
Aufgrund des Titels und der stimmigen Kompositionen: Ist „Als Tier ist der Mensch nichts“ textlich und/oder musikalisch als Konzeptalbum zu sehen?
Nicht im klassischen Sinne, weil es keine kohärente Geschichte gibt, die erzählt wird. Die ersten beiden Songs sind im Thema geeint, aber die anderen beiden haben damit nichts zu tun und stehen beide für sich. Allerdings lassen sich alle vier durch den Albumtitel begreifen. Die instrumentale Seite ist aber, wie du richtig feststellst, als zusammenhängendes Album komponiert. Beim Schreiben der einzelnen Stücke hatten wir auch immer die Anderen und ihre Abfolge im Ohr.
Was sind eure Gedanken hinter dem Titel des Albums?
Der Titel bezieht sich auf die anthropologische Feststellung, dass Menschen Mängelwesen sind. Das bedeutet, dass, im Gegensatz zu anderen Säugetieren, Neugeborene ohne jede Möglichkeit sind, für sich selbst zu sorgen: verkümmerte Instinkte, keine Krallen oder Fangzähne und es dauert ein Jahr, bis sie überhaupt laufen können. Menschen sind sehr schlecht darin, Tiere zu sein. Daraus entsteht die Notwendigkeit von Kultur und Zivilisation, weil auch ein Erwachsener allein der Natur hilflos ausgeliefert bleibt. Der traurige Witz ist: Menschen sind auch als Menschen ziemlich armselig.
Wie schreibt ihr normalerweise eure Songs und wie sind die Lieder und Texte für „Als Tier ist der Mensch nichts“ entstanden?
Bisher haben alle Veröffentlichungen ihre eigene Geschichte. Es hat nur wenige Proben benötigt, um die Demo zu schreiben. Als wir zum ersten Mal zusammen spielten hat es auf anhieb funktioniert und die Stücke sind intuitiv entstanden und kurz darauf aufgenommen worden. Daraus ergibt sich der Charakter der Songs. Wir waren von dem was passiert so überwältigt, dass wir uns nicht viele Gedanken um Tightness oder Harmonie gemacht haben.
Die beiden Split-Songs haben Stephan und Hendrik dann sehr akribisch zusammen erarbeitet, weil beide zu dieser Zeit in einer Wohnung lebten.
„Als Tier ist der Mensch nichts“ haben wir uns danach regelrecht abgerungen, mit ständigem Hin- und Her und tausend verschiedenen Fassungen von jedem Stück. Alles wurde sorgfältig abgewogen und austariert. Zum ersten Mal in unserer Geschichte haben wir instrumental nichts dem Zufall überlassen.
Die Vocals sind eine andere Geschichte.
Das aus unterschiedlichen Menschenteilen zusammengesetzte Cover wirkt verstörend. Was wollt ihr mit diesem Artwork aussagen?
Es soll in erster Linie verstören, ja. Es durfte unter keinen Umständen ein klassisches Metalcover werden. Die Ansage, die wir B. D. Graft – der das Artwork für uns realisiert hat – war, dass wir eine Collage aus nackten Körpern haben wollten, in denen auch irgendwie eine Kreisform eine Rolle spielt. Er hat es aus unserer Sicht brillant gelöst. Die Nacktheit der Körper spiegelt den kreatürlichen Aspekt des Menschlichen wider, mit dem Zivilisatorischen vermittelt durch seinen Zugang als Künstler.
Ist die Ähnlichkeit des Designs zu „Miss Machine“ von Dillinger Escape Plan gewollt?
Mindestens die Hälfte der Band kennt sich mit Dillinger Escape Plan überhaupt nicht aus. Das ist uns deswegen gar nicht aufgefallen. Beide Cover sind wohl vergleichbar, weil sich der Stil ähnelt, aber in der Stimmung haben sie nicht viel gemein.
Seuche von Fäulnis hat dem Cover in seiner Kolumne auf unserer Seite quasi einen eigenen Teil gewidmet. Wie habt ihr seine Reaktion aufgenommen?
Wir haben es total gefeiert, weil er den Nagel ohne es zu Wissen auf den Kopf getroffen hat: wir hatten tatsächlich überlegt, Pierre (Business For Satan/Paramnesia) mit der Gestaltung zu beauftragen, diesen Gedanken aber quasi sofort aus Gründen verworfen, die Seuche detailliert nachvollzogen hat. Alles was er schreibt, stimmt, und ist uns zum Teil auch erst dadurch klar geworden.
Ihr seid mit Fäulnis befreundet – wie kam es dazu, und was schätzt ihr an der Musik von Fäulnis besonders?
Man kennt sich schon gewissermaßen „von früher“, aber der lebendigere Kontakt kam erst dadurch zu Stande, dass Seuche nach Ostwestfalen gezogen ist und sich zudem irgendwann als unser Fan geoutet hat. Danach sind wir ein Wochenende mit Fäulnis rumgefahren und blieben auch privat äußerst kompatibel: tolle Musiker, nette Kerle und eine ganz außerordentliche Live-Band.
Seuche hat Fäulnis mit den Jahren in die BM-Version von Oma Hans verwandelt, außerdem hat er unfassbar viele Feinde überall – wie kann man das nicht lieben?
Zumindest im Studio verbindet euch bald ein Projekt, wie ich gehört habe: Ihr covert euch gegenseitig. Wie kam es zu dieser Idee?
Klarer Fall von Schnapsidee im Bulli. Gegenseitige Begeisterung, stundenlanges Autofahren und Alkohol.
Welchen Fäulnis-Song habt ihr euch ausgesucht und warum? Und welchen Song werden Fäulnis im Gegenzug covern?
Wird nicht verraten, falls wir das alles doch noch vergeigen. Mit dem Original hat das jedenfalls nicht viel zu tun.
Könntet ihr euch auch gemeinsame Konzerte vorstellen, oder gibt es anderweitig Pläne, das Album auf einer Tour live vorzustellen?
Eine gemeinsame Show ist schon in Braunschweig gebucht, am 24. September im Nexus. Für mehr hat es zusammen mit Fäulnis dieses Jahr bisher leider nicht gereicht, aber wir spielen den Rest des Jahres immer wieder in Deutschland: z.B. im Mai einige exquisite Shows mit Sun Worship und Wrekmeister Harmonies und auf dem Incubate Festival in Tilburg. Wenn uns noch jemand danach noch dringend stattfinden lassen will, nehmen wir das gern an.
Ich würde das Interview gerne mit unserem traditionellen Metal1.info-Brainstorming beenden: Ich werde dir ein paar Stichworte nennen und ihr sagt einfach das erste, was euch dazu einfällt.
Hässlichkeit: Alle Plattencover außer „Screaming For Vengeance“
Philosophie: „Ein Bier ist halt ein Bier, da muss man nicht fragen wieso“ (Peter Decker)
Tolstoi: Dostojewksi
Dunkelheit: Sun Worship
Musik: Wahrscheinlich niemals Noten lesen lernen